STADTBLATT 2010.06

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bühne

Auf den Tanz gekommen Wenn Tanz auf Theater trifft, entstehen Bilder berauschender Schönheit. Choreografen und ihre Compagnien tanzen sich mehr und mehr in die Herzen des Publikums. In Osnabrück und anderswo. Unlängst verkündete das Thea-

g ter, es werde eine zusätzliche

Vorstellung von „Synthetic Twin“ geben. Und dann noch eine. Und noch eine. Nicht, weil Nanine Linnings Ensemble nicht genug kriegen kann, sondern weil sich das Publikum nicht satt sehen kann – an ihren Tänzerinnen und Tänzern! Der Run auf die Tickets ist enorm. Die Aufführungen ihrer ersten Osnabrücker Choreografie sind nahezu ausverkauft. Platzauslastung: 91 Prozent. Zum Vergleich: Im Schnitt waren nur knapp über die Hälfte der Sessel in Marco Santis letzter Inszenierung „Oedipus“ besetzt. „Ich glaube, ich kann von einer Überreaktion auf den Tanz in der Stadt profitieren. Nach einer Phase, in der Tanz hier doch etwas speziell war, gibt es wieder ein Angebot, das sich an jedermann richtet und wohl auch so angenommen wird“, erklärt Nanine Lin-

ning den Hype. Die hübsche Holländerin wirkt dabei so gar nicht abgehoben. Vielmehr bangt sie, dass es schwierig werden könnte, den gesetzten Standard zukünftig auch zu halten. Nicht nur Osnabrück erliegt dem Tanzrausch – im Nordwesten der Republik gibt im Laufe des Sommers ein Tanzfestival dem nächsten die Hand. Einige sind seit über zwanzig Jahren etabliert. Und doch beobachtet man auch dort ein steigendes Publikumsinteresse. „In England kann man schon von einem Tanzboom sprechen. Dasselbe für Deutschland zu behaupten, wäre wohl etwas voreilig, aber auch hier gibt es einen deutlichen Trend zum Tanztheater“, sagt Ulrich Laustroer, Organisator des Bielefelder Tanzfestivals. Bielefeld bietet eine Mischung aus zeitgenössischen Performances – dieses Jahr aus Ungarn – und Workshops quer durch alle Tanzsparten. „Der Grund für die steigende Beliebtheit ist wohl im Tanz selber zu finden“, so Laustroer, „früher war er häufig sehr esoterisch und konzeptionell, heute gibt es eine Tendenz zum Mischen aller Stilrichtungen und

Bewegung zu Bildern: Nanine Linnings neues Stück „Bacon“

die Choreografen arbeiten viel publikumsorientierter.“ Nachvollziehbare Inhalte, ansprechende Musik und Kostüme, Ausrichtung auf ein jünger werdendes Publikum. In der Landeshauptstadt Hannover sieht man das ähnlich. Dort steigt jährlich das „TANZtheater INTERNATIONAL“ – am Puls der Zeit und mit bekannten Ensembles aus aller Welt. Christiane Winter ist dort Festivalleiterin. „Tanz nutzt zunehmend andere Genres und Medien. Filmische Sequenzen, Worte – oder arbeitet sogar spartenübergreifend.“ Zurück zu Nanine Linning. Ihr Tanztheater ist exemplarisch für einen neuen, angesagten Tanz. Die Inhalte sind nicht nur für Sachkundige verständlich, sondern archaisch und sinnlich übermittelt, wie eine körperliche Identifikation. Der Tanz ist voll an Impulsen. Videosequenzen, laute Musik und Tänzer, die scheinbar frei von Erdanziehung sind.

Das ist auch in „Bacon“ so, dem nächsten Linning-Streich, der im Juni über den Tanzboden fegt. „Eigentlich müsste es ‚Meine Empfindungen beim Betrachten von Francis Bacons Werken’ heißen, denn nicht die Bilder werden getanzt, sondern das, was meiner Meinung nach wesentlich an ihnen ist.“ Soviel sei verraten: Es geht nicht zuletzt um Dominanz - und das Animalische im Menschen. MEREL NEUHEUSER

Internationale Tanztage Münster bis 5.6., www.internationaletanztage.de Movimentos Festwochen, Wolfsburg bis 12.6., www.movimentos.de Bacon, 13.6. (Premiere), 16., 18., 24., 25.6., emma-theater Tanzfestival Bielefeld, 18.7.-31.7., www.tanzfestival-bielefeld.de Tanztheater International, Hannover, 2.9.-11.9., www.tanztheater-international.de

Synthetic Twin – so sieht’s das Publikum

Performances aus Ungarn: Budapest Dance Theatre auf dem Tanzfestival Bielefeld

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„Der Tanz hat mich umgehauen, auch wenn ich die Geschichte nicht so ganz verstanden habe.“ Karla Schwemmle „Das Stück gefiel uns sehr gut. Vor allem Musik und Kostüme waren eindrucksvoll. Und beim Tanz gab es kein feminin oder maskulin, das war faszinierend. Wir gehen bestimmt auch in ihr nächstes Stück.“ Ronja Pöppe und Anna Luzia-Negel „Wir sind extra aus Holland angereist und allesamt begeistert. Es ist ein sehr intensives Gefühl zuzuschauen. Besonders gut gefiel uns ein Tänzer, dessen Bewegungen fast spastisch wirkten. Es war, als entdecke er Stück für Stück seinen Körper.“ Hilde Reinders, Willem Oudenhoven, Kai Arenden und Niels Jager „Mich haben vor allem die Kontraste zwischen der Klassik und der modernen, lauten Musik fasziniert, die sich dann ja auch im Tanz wiedergefunden haben.“ Bettina Weber UMFRAGE: MEREL NEUHEUSER


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