STADTBLATT 2009 11

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„Es riecht nach Tod“ Ratten, Marder, Kakerlaken jagen. Unterwegs mit dem Schädlingsbekämpfer Tim Baranowski. TEXT UND FOTOS JUDITH KANTNER

g Ich steige zu Tim Baranowski in den BulDienstag, 6.10.2009, 12 Uhrxxxxxxxxx

li. Er drückt mir einen „Red Bull“ in die Hand. „Den wirst Du heute brauchen“, sagt er und blickt mich ernst an. Ich rutsche tief in den Beifahrersitz, schaue mich ein wenig im Wagen um: Eine Gasmaske, Schutzkleidung, allerhand Gerätschaften. Vom Armaturenbrett glotzt mich ein Rieseninsekt an. „Das ist Prof. Dr. Schabe. Hat mir ein Kunde geschenkt.“ Stopp an einem Bahnhof in Nordrhein-Westfalen: Regelmäßig werden die 40 Köderboxen auf dem Bahnhofsgelände kontrolliert. Darin liegt ein Wirkstoff, der von den Ratten gefressen wird. Ihr Todesurteil. Zurück in Osnabrück, ein Mietshaus. „Nun geht es zum Kontrollgang in die Kammer des Schreckens“, so Tim. Er lacht. Im Hausflur: „Riecht schön frisch, nicht wahr? Das ist ein Geruchsneutralisierer, den wir auch bei Leichenfunden einsetzen.“ Wir gehen in den Keller. Tim

Bei der Arbeit: Tim Baranowski öffent die Marderfalle

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rümpft die Nase. „Es riecht nach Tod“, sagt er, folgt dem Geruch und präsentiert mir eine halb verweste Ratte unter einem Leinentuch. Auf den Schreck trinken wir einen Latte Macchiato. Als ich gerade meinen Schokokeks durch den Milchschaum ziehe, hält mir Tim Fotos von seinen Entwesungs-Einsätzen in Messie-Wohnungen unter die Nase und erzählt haarsträubende und tragische Geschichten. Aus einer 68qm-Wohnung entsorgte er 7,8 Tonnen Müll, aus einer anderen geschätzte 3.000 Flaschen Schnaps und noch mehr Flaschen Bier. Bei seinen acht bis zehn Einsätzen pro Tag fängt er auch putzige Tiere wie artgeschützte Siebenschläfer ein, die er dann gesetzeskonform umsiedelt. Hat er nicht manchmal Ekel oder Angst? Der 33-Jährige verweist auf seine Auslandseinsätze bei der Bundeswehr. Da habe er Schlimmeres gesehen. Nachts träume ich von Eisbären mit Rattenschwänzen, die ich jagen muss. Freitag, 9.10.2009, 8 Uhr Mein Telefon klingelt. „Welche Hosengröße hast Du?“, fragt mich Tim. Zwei Stunden später befinde ich mich in neuer Arbeitshose auf dem Weg zu einem Kunden. Er hat Maden und Dörrobstmotten in der Küche. Wir durchkämmen den Raum nach einem Insektenherd. Ich finde ihn, ernte Lob. Tim erklärt dem Kunden, dass er alle angebrochenen Lebensmittel wegschmeißen, Tupperdosen auswaschen muss. „So was kann jedem passieren.“ Auf dem Weg zum Auto erneut ein Anruf. „Hast Du ein Glück! Wir haben einen Marder gefangen. Natürlich tot“, berichtet Tim gutgelaunt. Im Kindergarten Rulle führt uns Haustechniker Reinhard Brickwedde zu der zugeschnappten Falle in einem Bodenraum. „Es wurde beschlossen, den Profi ran zu lassen. Der beseitigt unter jagdrechtlichen Auflagen unser schon über zehn Jahre andauerndes Marderproblem“, sagt Brickwedde. „Objektsicherung“ heißt das im Fachjargon. Ich erfahre, dass die eigentlich recht harmlosen Tiere immense Sachschäden oder Hausbrände verursachen können. „Das ist für einen öffentlichen Raum natürlich nicht tragbar“, erklärt der Haustechniker. Tim entfernt den Marder aus der Falle und baut ein neues „Osternest“: In die unter Laub verdeckte, aufgespannte Falle wird ein rohes Ei als Köder gelegt. Tim benutzt Handschuhe. „Marder sind extrem geruchsempfindlich. Die Falle wird vor dem Einsatz abgekocht und

Verweste tote Babyratte

Zugemüllt: Küche einer Messie-Wohnung

R.I.P. Marder!

einige Tage an den Ort gelegt, wo sie später gespannt wird. So nimmt sie den Geruch des Raumes an.“ Wieder klingelt das Handy. Eine Rentnerin glaubt, Kopfläuse zu haben – schon seit über einem Jahr! Jetzt hat sie sich den Kopf geschoren. Sie möchte Rat vom Fachmann. Der rät ihr, sich dringend vom Hautarzt behandeln zu lassen. Danach könne sie sich gern wieder melden, damit er die Wohnung professionell von den Schädlingen befreit. Auch wenn er manchmal so behandelt wird, ist er schließlich kein Arzt. Gemeinsame Mittagspause in meinem Lieblings-Imbiss. Tim dürfte mir auf Grund seiner Schweigepflicht zwar zu konkreten Lokalitäten keine Schädlingsauskunft geben, aber ich vertraue darauf, dass er abgelehnt hätte, wenn es hier Ungeziefer gäbe. Nach zwei weiteren Ratteneinsätzen ist Feierabend. Das Leben eines Schädlingsbekämpfers ist alles, nur nicht langweilig.


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