Natur+Umwelt 3-2015

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Gewöhnliche Hasel Wenn im September die harten Schalen der in grüner Fruchthülle steckenden Haselnüsse braun werden, dann beginnt der Herbst. Im Vorfrühling hatte der Haselstrauch das Winterende verkündet, als sich die männlichen Blütenkätzchen streckten, die tiefroten Narben aus den kleinen weiblichen Blütenständen ragten und der Wind – zur Qual vieler Pollenallergiker – den Blütenstaub verbreitete. Erst nach der Blüte waren die eiförmigen Blätter erschienen.

Foto: privat

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Die Autorin Dr. Gertrud Scherf hat mehrere ­P flanzenbücher verfasst.

inst bildete die Hasel (Corylus avellana) in Mittel­ europa Wälder: In der sogenannten Haselzeit (ca. 8000 – 5500 v. Chr.) verdrängte sie weiträumig Birken und Kiefern, die Erstbesiedler der nacheiszeitlichen Tundra. Seit der Steinzeit haben die Menschen Haselnüsse gesammelt, und seit jeher pflanzt man den Strauch in Siedlungen und in Hofnähe. Die schmackhaften Samen sind reich an Mineralstoffen, Vitaminen, Eiweiß, enthalten 55–65 Prozent Fett sowie als gesundheitsfördernd geltende bioaktive Pflanzenstoffe wie Phytosterole. Haselnusskerne eignen sich zum Knabbern und als Zutat in süßen wie in pikanten Gerichten oder in Gebäck. Allerdings reagieren manche Menschen allergisch. Märchen und Sagen erzählen von der Hasel. Aschenputtel pflanzte auf das Grab der Mutter ein Haselreis. Das wuchs zu einem Baum, in dem die Seele der Mutter wohnte. Der Haselwurm, eine Sagengestalt vor allem der Alpenländer, ist ein Wesen halb Mensch, halb Schlange, das im Wurzelbereich der Hasel wohnt und übernatürliche Kräfte besitzt. Ignaz V. Zingerle berichtet in »Sagen aus Tirol« (1891), Paracelsus habe einen Haselwurm besessen und deshalb hätten ihm die Kräuter des Feldes ihre Heilkraft kundgetan. Einer Legende nach hat die Gottesmutter Maria auf der Flucht nach Ägypten unter der Hasel Schutz vor einem Gewitter gefunden. Oft gilt die Haselnuss als Fruchtbarkeitssymbol, etwa in »Das Mädchen und die Hasel« aus der Volksliedersammlung »Des Knaben Wunderhorn« (1806). Im ganzen deutschen Sprachgebiet war der Spruch verbreitet: »Viele Haselnüsse, viele uneheliche Kinder«. Ein unter Beschwörungsformeln zu bestimmten Zeiten wie Dreikönig, Karfreitag, Johanni oder Weih-

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Natur + Umwelt BN-Magazin [3-15]

»Deutsche Chocolade« Haselnusskerne Zucker Milch ▪  Nusskerne in einer Pfanne bei mittlerer Hitze unter ständigem Rühren und Wenden braun (nicht schwarz) rösten. Nusskerne in ein Sieb schütten und schütteln, sodass sich die Haut ablöst. Noch anhaftende Haut durch leichtes Reiben mit einem Tuch entfernen. ▪  Geröstete Nusskerne fein mahlen, mit Zucker ­vermischen. Mischung eventuell noch im Mörser zerreiben. ▪  Nuss-Zucker-Mischung mit Milch – 1 – 2 EL auf 1 Tasse Milch – in einem Topf verrühren, zum ­Kochen bringen, etwa 5 Minuten unter Rühren ­kochen lassen. »Chocolade« vor dem Genuss nach Belieben durch ein Sieb schütten. Besonders in Notzeiten suchte man in der heimischen Pflanzenwelt nach Ersatz für Luxusprodukte aus fremdländischen Pflanzen. Das Haselnussgetränk sollte die echte Schokolade aus Kakao ersetzen. ­Dieser entsteht aus fermentierten, getrockneten und gemahlenen Samen (»Kakaobohnen«) des Kakaobaums (Theobroma cacao), die nicht immer verfügbar oder zu teuer waren. Achtung! Haselnüsse können allergische Reaktionen auslösen!

Zeichnung: Claus Caspari; aus »Der BLV Pflanzenführer für unterwegs«, BLV Buchverlag

Porträt

nachten geschnittener Haselzweig wird zur Wünschelrute und lässt Wasseradern, aber auch verborgene Schätze finden. Viele Tiere nährt der Haselstrauch – mit Blättern, jungen ­Trieben, Rinde und insbesondere den Samen, die Eichhörnchen, Mäuse, Bilche, Eichelhäher oder Buntspechte schätzen. Der Haselnuss­ bohrer, ein kleiner Rüsselkäfer, kommt manchmal anderen Interessenten zuvor. Das Weibchen bohrt in die noch weiche Fruchtwand ein Loch und legt ins Nuss­ innere ein Ei. Die Larve verzehrt den Samen, übrig bleibt die »taube« Nuss. Der zur Familie der Birkengewächse (Betulaceae) gehörende Haselstrauch wächst in Hecken und Gebüsch. In lichten Laubmischwäldern ist er ein Gehölz der Strauchschicht. Diese reicht bis zu einer Höhe von 3–5 Metern und besteht aus Sträuchern und dem Jungwuchs der Bäume. Eine ausgeprägte Strauchschicht, wie sie sich insbesondere am Rand von naturnahen Laubwäldern zeigt, bietet Tieren Nahrung, Nistplätze, Deckung. Der BUND Naturschutz weist auf die ökologische Bedeutung solcher Wälder hin und fordert den Umbau von Nadelholzforsten in strukturreiche Laubmischwälder.


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