Bündnerwald Oktober 2022 - Wald und Klimawandel

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Bündner Wald

Wald und Klimawandel Jahrgang 75 | Oktober 2022

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Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Der Klimawandel: Ursachen der Veränderungen und Folgen für die Weltgemeinschaft 8 Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweizer Waldpolitik 14 Klimaschutzleistungen von Wald und Holz in Wert setzen 18 Veränderung des Bündner Waldes und Rückwirkungen auf das Klima 22 Klimastrategie und Aktionsplan Green Deal Graubünden 28 Klimaschutz im Wald – Konkurrenz oder sinnvolle Ergänzung zur Holznutzung? 32 Eine angepasste Waldbau-Strategie und der Wald als Kohlenstoff-Senke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Hat der Bündner Wald noch CO²-Speicherpotenzial? 42 Wert und Verwendung von Modellen für die zukünftige Waldbewirtschaftung, ein Einblick aus der Praxis 48 Waldbauliche Gedanken zur Lärche im Klimawandel 54 Öko-akustische Forschung im Naturwaldreservat 58 Nachruf für Peter Brang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Vorschau «Bündner Wald» Dezember 2022 63
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Titelbild: Val Morteratsch. (Bild: Susi Schildknecht)
Inhalt

Val Morteratsch … eindrücklicher Anschauungsunterricht in Sachen Klimawandel. (Bild: Lukas Heitz, AWN)

Eine heisse Nummer, diese Ausgabe des Bündner Wald! Ob man das Thema Klimawandel cool nimmt oder sich darob erhitzt: Der Prozess ist im Gange und nicht so schnell aufzuhalten oder gar umzukehren.

Eine Einordnung zum Stand des Klimawandels ermöglicht das Interview von Dr. Marco Vanoni mit Prof. Dr. Sonia I. Seneviratne und Evelyn Constance Coleman Brantschen. Wir stehen ganz klar an einem Wendepunkt, politisch wie gesellschaftlich. Welche Rolle spielen Wald und Holz in der Schweizer Klimapolitik, und wie funktioniert das Zusammenspiel mit der Schweizer Waldpolitik? Graubünden hat im 2015 als einer der ersten Kantone eine kantonale Klimastrategie erarbeitet. Mit dem Aktionsplan «Green Deal Graubünden» ist man auf Kurs und geht nun in einer zweiten Etappe daran, die nötigen Gelder für klimafreundliche Massnahmen bereitzustellen.

Diese Ausgabe versteht sich als eine Auslegeordnung zum Thema Wald und Klimawandel, eine Momentaufnahme mit Blick zurück und nach vorne. Was die Zukunft bringt, ist jedoch zunehmend unsicher. Selbst langjährige Gewissheiten rund um Wald und Klima scheinen derzeit gletscherähnlich dahinzuschmelzen. So etwa die klassische Lehrmeinung, dass Aufforstungen der Klimaerwärmung entgegenwirken. Das kann immer noch so sein, wenn am richtigen Ort aufgeforstet, respektive die natürliche Verjüngung begünstigt wird. Oder auch nicht, etwa wenn in höheren Lagen zusätzlicher Wald durch den Albedo-Effekt noch mehr Wärme aufnimmt und speichert als dies eine vorher freie, zeitweise schneebedeckte und somit reflektierende Fläche getan hat. Dr. Peter Bebi, Leiter des Forschungszentrums CERC am WSL-Institut in Davos, erklärt die Zusammenhänge, Risiken und Nebenwirkungen. Und überhaupt, wie viel Wald solls denn sein? Dr. Riet Gordon vom AWN hat die aktuellen Bündner Zahlen zusammengetragen und skizziert, wie sich drei Holznutzungsszenarien auf den Vorrat und damit direkt auf die CO²-Speiche-

rung im Wald auswirken. Für dieses gespeicherte CO² gibt es Waldklimaschutzprojekte, mit denen man in den lukrativen CO²-Zertifikatsmarkt einsteigen und sich die aufwendige Waldpflegearbeit mitfinanzieren lassen kann. Diese Inwertsetzung der Klimaschutzleistung des Waldes wird bekanntlich kontrovers diskutiert. Der Artikel von Lukas Denzler beleuchtet einige Beispiele, und im Kurzbericht «Kohlenstoffsenke Wald» veröffentlicht das AWN eine Übersicht über die schweizweit aktuellen Waldklimaschutzprojekte.

Mit dem Klima ändern sich auch die von Temperatur und Niederschlag abhängigen Waldstandorte und damit vielerorts die erwartete Baumartenzusammensetzung. Das AWN hat eine auf die Bündner Wälder abgestimmte Strategie «Waldbau und Klimawandel» entwickelt. Damit soll auf die Veränderungen im Wald reagiert und – wo möglich und nötig – vorausschauend gehandelt werden können.

Nach der Lektüre dieser Ausgabe hat man einen erfrischenden Waldspaziergang verdient … und vielleicht auch nötig.

Redaktorin Susi Schildknecht

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Der Klimawandel: Ursachen der Veränderungen und Folgen für die Weltgemeinschaft

Das folgende Gespräch führte Marco Vanoni (MV) mit Sonia I. Seneviratne (SIS) und Evelyn Constance Coleman Brantschen (EC) am 26. August 2022 über Zoom.

Interview mit Marco Vanoni

MV: Das Klima ändert sich und der Mensch spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dieser Umstand ist mittlerweile bekannt und breit anerkannt. Aber was genau macht der Mensch in der jüngeren Geschichte neu, sodass sich das natürliche Klimasystem der Erde ändert?

SIS: Die Hauptursache für den menschenverursachten Klimawandel ist, dass wir das Treibhausgas CO² durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Erdöl, Erdgas und Kohle) seit Jahrzehnten emittieren, und dass diese Emissionen weiter stattfinden. Auch die Abholzung führt dazu, dass zusätzliches CO² emittiert wird. Ebenfalls als Treibhausgas wirkt Methan (CH4), etwa aus der Fleischproduktion. Dieses ist aber viel kurzlebiger und deshalb langfristig gesehen weniger bedeutend, da es nicht wie CO² Hunderte bis Tausende von Jahren in der Atmosphäre verbleibt. Die Hauptemissionen haben etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen und seither konstant zugenommen. Wir befinden uns nach wie vor nicht auf einer Abnahmekurve. Für eine Stabilisierung des Klimas wäre jedoch Netto-Null nötig.

EC: Der Anstieg dieser Emissionen hängt aus gesellschaftlicher Betrachtung stark auch mit der Bevölkerungszunahme und insbesondere dem gestiegenen Wohlstandsniveau zusammen.

SIS: Wichtig ist jedoch zu sagen, dass es nicht nur um den Bevölkerungszuwachs alleine geht, denn noch heute sind 10 % der reichsten in der Weltbevölkerung verantwortlich für 50 % der

Emissionen. Die Schweizer und Schweizerinnen zählen zu diesen 10 %.

EC: Noch genauer betrachtet, ist es gemäss einer Oxfam-Studie vom vergangenen Jahr sogar das reichste 1 % der Bevölkerung, welches bis 2030 für 16 % der globalen Gesamtemission verantwortlich zeichnet.

MV: Lässt sich beziffern, zu welchem Anteil die Emission von CO ² und weiteren Treibhausgasen am Klimawandel beteiligt sind?

Was sind die eigentlichen Treiber?

SIS: Das lässt sich eindeutig sagen, denn für langfristige Auswirkungen ist vor allem CO² der bedeutende Treiber. Basierend auf dem letzten Weltklimaratsbericht ist die beste Abschätzung des Beitrags des Menschen an der Erwärmung ca. 100 %, das heisst, dass wir nicht etwa für ein Viertel oder die Hälfte der Erwärmung verantwortlich sind, sondern für die gesamte beobachtete globale Erwärmung und deren Auswirkungen. Die festgestellte Erwärmung der globalen Temperatur um 1,1° C gegenüber der vorindustriellen Zeit, die wir im letzten Jahrzehnt erreicht haben, ist in mehr als 100 00 0 Jahren, also der Geschichte des modernen Menschen, nie vorgekommen.

MV: Lassen sich die Konsequenzen der bereits erfolgten und noch folgenden klimatischen Veränderungen auf die Umwelt und auch auf die Gesellschaft in einfache Worte fassen?

SIS: Zunächst haben wir eine Zunahme der globalen Temperatur, die regional aber sehr unterschiedlich ausfallen kann. Dann werden Klimaextreme häufiger und intensiver, wie Hitzewellen, Starkniederschläge und die Tendenz zur Austrocknung der Böden. Starkniederschläge etwa nehmen zu, weil wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt und somit grössere Wasser-

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mengen ausregnen können. Die Austrocknung ist diesen Sommer vor allem in Europa sichtbar und sehr ausgeprägt. Wir haben Messungen der Bodenfeuchte in der Schweiz, die seit 2010 verfügbar sind. Die Messwerte von diesem Sommer sind die tiefsten, die wir je gemessen haben. EC: Nicht nur unmittelbare klimatische Ereignisse sind die Konsequenzen, die wir spüren und spüren werden, sondern auch viele weitere Folgen. Der UNHCR geht davon aus, dass der Klimawandel weltweit einer der grössten Fluchtgründe sein wird. Die Leute sind dabei sehr unterschiedlich betroffen, aber es geht vor allem um Wasser, Ernährung und den Wettstreit um Ressourcen generell. Dadurch steigt auch das Risiko von Konflikten. Der Streit ums Wasser ist dabei elementar, wie etwa auch das aktuelle Fischsterben an der Oder zeigt. Weiter haben wir auch in der Schweiz Personenschäden und Sachschäden, sozusagen als Folgen der Ereignisse, die auftreten.

SIS: Viele der Auswirkungen sind unumkehrbar, etwa Hitzetote, also Todesfälle während Hitzewellen. Der Klimawandel ist aber auch ein gewichtiger Treiber des Biodiversitätsverlusts auf der Welt. Ich war persönlich am Bericht des Weltklimarats zur 1,5°C globalen Erwärmung involviert, und im Vergleich nur schon zwischen einer globalen Erwärmung zwischen 1.5° und 2°C waren die Unterschiede der Folgen und des Biodiversitätsverlusts gewaltig. Der Bericht hat gezeigt, dass gerade beim Aussterben von Pflanzen- und Tierarten deutlich mehr Arten bei einer globalen Erwärmung von 2°C verschwinden würden. Und was einmal ausgestorben ist, ist unwiederbringlich verschwunden.

MV: Ist denn durch den Klimawandel die Wahrscheinlichkeit von solch extremen Wetterereignissen gestiegen?

SIS: Ja. Ein ganzes Fachgebiet in der Klimawissenschaft beschäftigt sich damit, den Beitrag

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Prof. Dr. Sonia I. Seneviratne. (Bilder: zVg) Evelyn Constance Coleman Brantschen.

des Menschen an solchen Ereignissen abzuschätzen. Viele Ereignisse der letzten Jahre wären ohne den menschlichen Beitrag zum Klimawandel gar nicht oder mit viel geringerer Wahrscheinlichkeit aufgetreten.

MV: Die Temperaturen steigen, Extremereignisse werden häufiger. Haben wir mit den bisherigen Emissionen das Klima bereits unumkehrbar verändert?

SIS: Ja. Wir haben durch die Emissionen das System bereits insofern verändert, als dass die Temperaturen auch bei einem kompletten Emissionsstopp nicht auf das vorindustrielle Niveau (Jahre 1850–1900) in den kommenden Jahrzehnten zurückkehren würden. Denn wie schon erwähnt, verbleibt CO² sehr lange in der Atmosphäre. Es gibt klar unumkehrbare Folgen davon.

MV: Wie sehen denn die Prognosen für die weitere Entwicklung des Klimas aus, wenn die Menschheit die Emissionen von CO2 einstellen kann?

SIS: Bei einem Emissions-Stopp würde sich das Klima ungefähr auf dem heutigen Niveau stabilisieren, anschliessend würde die globale Temperatur wohl langsam zurückgehen. Es würde aber mehrere Hundert bis Tausende von Jahren dauern, um auf das vorindustrielle Niveau zurückzukehren.

MV: Wo stehen wir denn heute?

SIS: Global gemittelt hat die Temperatur im letzten Jahrzehnt um 1,1°C gegenüber der vorindustriellen Zeit zugenommen. Auf dem Land fällt die Zunahme deutlicher aus als in den Ozeanen, so haben wir auch in der Schweiz bereits über 2°C Erwärmung im Vergleich zum 19. Jahrhundert. Die globale Temperaturänderung tönt zwar nach wenig, aber lokal kann es deutlich mehr sein. In der Arktis ist es etwa dreimal so viel wie im globalen Mittel.

MV: Welche Emissions-Szenarien sind nach heutigem Kenntnisstand und aufgrund der bisherigen politischen Umsetzung tatsächlich plausibel? Auf welchem Weg befinden wir uns?

SIS: Wir sind sicher nicht auf Kurs für das 1,5°C-Ziel gemäss dem Pariser Abkommen von 2015, zu welchem sich die Weltgemeinschaft übrigens auch im Glasgow Climate Pact 2021 nochmal bekannt hat. Gemäss detaillierter Analyse würde die Limitierung des Anstiegs auf 1,5°C viele weitere negative Konsequenzen verhindern. Im Moment sind wir auf einem Emissionspfad, der uns auf ungefähr 2,4°C Erwärmung bringen würde, was schwerwiegende Auswirkungen haben würde. Übrigens haben wir in der Schweiz auch das gesetzte Emissions-Reduktionsziel für das Jahr 2020 verpasst, was eine Abnahme der Treibhausgasemissionen von 20 % im Vergleich zu 1990 bedeutet hätte. Wir sind momentan nicht einmal auf dem 2°C-Kurs unterwegs, sondern darüber. Bis ins Jahr 2030 wäre eine Halbierung der Emissionen nötig, um auf dem 1,5°C-Kurs zu landen.

MV: Was ist in der Schweiz heute aufgrund der politischen Umsetzung denkbar?

SIS: Wir befinden uns an einem wichtigen Punkt heute, es steht uns eine Weichenstellung bevor, bei welcher auch der Krieg in der Ukraine eine Rolle spielt. So stehen heute in Deutschland plötzlich Massnahmen zur Diskussion, die für das Klima noch verheerender wären als auf dem bisherigen Weg weiterzugehen. Dazu gehört etwa die Substitution von Gas durch Kohle, welches deutlich klimaschädlicher ist. So etwas wäre vor dem Krieg in der Ukraine politisch kaum denkbar gewesen. Ein positiver Aspekt könnte hingegen sein, dass die Abhängigkeit von europäischen Ländern durch fossile Energieträger viel bewusster wahrge-

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nommen wird. Es könnte deshalb auch einen Schub in Richtung erneuerbarer Energie geben (Solarenergie, Windenergie). Deshalb ist es wichtig, dass man heute nicht unbedacht Entscheidungen trifft, die für das Klima langfristig deutlich negativere Auswirkungen haben. Die Gefahr ist gross, dass wir kurzfristig Gas- oder Erdöl-Kraftwerke bauen, und diese dann doch länger in Betrieb halten, als es nötig wäre. EC: Es ist ein spannendes Phänomen, wie schnell die Stimmung kippen kann. Man sieht es gut in der Umweltpolitik, dass Grossereignisse (z.B. Tschernobyl 1986 oder Fukushima 2011) auch aufrütteln und einen Wandel auslösen können. Die Schweiz hat ja im Nachgang dieser Nuklearkatastrophe den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Der Sorgenbarometer zeigt in den letzten Jahren, dass die Klimafrage bei einem Grossteil der Bevölkerung sehr präsent ist. Bereits vorher waren Umweltthemen wichtig, aber diese waren etwas diffuser. Plötzlich wurde auch der Begriff Klimakrise geprägt. Dann war im Jahr 2020 plötzlich die Pandemie die grösste Sorge, welche jedoch aktuell wieder völlig abgesackt ist. Momentan ist natürlich auch der Krieg noch vor der Klimakrise präsent. Generell sind Umweltfragen aber einfach weniger spürbar. Ein Gletscher, der in 30 Jahren fast abschmilzt, betrifft einen halt einfach weniger unmittelbar. Aber wir müssen uns auch bewusst sein: Nur die Sorge alleine löst nicht zwingend eine Handlung aus. Die Sorge ums Klima bedeutet also nicht, dass die Menschen ihr Verhalten unmittelbar ändern. Die Verhaltensforschung kann dazu noch zu wenig sagen, wann sich die Bevölkerung hinter Massnahmen stellt. Gewisse Beweggründe sind klar, etwa das ökonomische Denken. Auch ist die Wirkung der Verhaltensänderung von einzelnen in der Wahrnehmung so klein, dass eine Änderung unterbleibt.

SIS: Die Leute gehen aber langsam weg von der Überlegung, dass eigenes Handeln keine Wirkung zeigt. Wenn diesen Winter jeder die Temperatur in der Wohnung um nur 1°C senkt, macht es in der Summe doch etwas aus, der Bund erwähnt eine Abnahme von bis zu 10% (https://www.energieschweiz.ch/programme/ nicht-verschwenden/spartipps-privathaushalte). Wenn sich jeder daran hält, dann hat es eben doch eine grosse Wirkung.

EC: Es braucht die kollektive Anerkennung, dass es eine Massnahme braucht. Diese kann durch gemeinsam getragene politische Entscheidungen entstehen. Dann sind auch relativ starke Massnahmen möglich, etwa die massiven Einschränkungen der persönlichen Rechte zu Beginn der Coronapandemie in der Schweiz, welche von einem Grossteil der Bevölkerung getragen wurden, auch weil die Massnahmen politisch breit akzeptiert waren. Sobald die Massnahmen aber nicht mehr getragen werden, werden sie als Gängelung empfunden.

SIS: Wichtig sind gesellschaftliche Normen. Irgendwann wird es vielleicht nicht mehr akzeptiert, dass im Winter die Wohnung auf 25°C aufgeheizt wird, dann unterbleiben solche Fälle. Entscheidend sind aber auch die Bilder, die wir wahrnehmen. Beim Anstieg der Temperaturen sieht man es teilweise kaum, vielleicht noch langsam schmelzende Gletscher, die irgendwann verschwinden. Aber die Folgen der Extremereignisse sind sehr sichtbar und werden auch entsprechend wahrgenommen. In diesem Sommer waren etwa die Waldbrände in Frankreich, ausgetrocknete Flüsse auch in der Schweiz, oder Fische, die wegen den hohen Temperaturen sterben, in vielen Köpfen präsent.

EC: Was in den Köpfen aber noch nicht passiert, ist die Verknüpfung zwischen toten Fischen und der persönlichen Ferienbuchung in der Karibik. Menschen sind halt auch Gewohn-

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heitstiere, und wir haben die Fähigkeit, schlechte Nachrichten einfach auszublenden.

MV: Wann realisiert die Menschheit, dass es einen Wandel braucht? Der Flugverkehr war ja während der Pandemie fast komplett zum Stillstand gekommen und ist heute wieder fast auf dem Niveau von vorher?

SIS: Eine Krise zeigt immer, dass Anpassungen und andere Gewohnheiten möglich sind. Ich kenne viele Leute in meinem Umfeld, die seit Pandemie-Beginn nicht mehr geflogen sind. Andere haben Solarpanels installiert, ihr Benzinauto durch ein E-Auto ersetzt oder haben gar kein Auto mehr.

EC: Es gibt auch viele positive Beispiele, dass ein Wandel und eine Veränderung der Gewohnheiten eben doch möglich sind. Wir sind in der Schweiz etwa Meister im Trennen von Abfall. Es hat sich in diesem Bereich einfach die gesellschaftliche Überzeugung durchgesetzt, dass dies wichtig und richtig ist. Oder als Folge des Waldsterbens wurde auch die Katalysatorpflicht akzeptiert. Was es braucht, ist einen breiten politischen Konsens. In Bezug auf die abgelehnte Revision des CO²-Gesetzes braucht es einfach eine Lösung, hinter der sich die Mehrheit der Bevölkerung scharen kann. Die Alternativen zum jetzigen Verhalten müssen attraktiv, machbar, verfügbar und bezahlbar sein, damit eine Änderung erfolgt.

MV: Nochmals zurück zum Klimawandel: Lässt sich durch CO ²-Einlagerung das Klima für zukünftige Generationen wieder abkühlen? Können wir durch Aufforstungen und Holzzuwachs genügend CO ² einlagern?

SIS: Beim Erreichen von Netto-Null geht die globale Erwärmung nicht zurück, es bräuchte im Prinzip Negativ-Emissionen, um den CO²-Gehalt wieder zu senken. Es gibt dafür

zwei Hauptmethoden: durch Aufforstung oder technologisch. Aufforstung bedeutet, mehr Bäume zu pflanzen, technologisch bedeutet Einlagerung von CO² in unterirdischen Lagerstätten. Es gibt aber für beide Methoden Grenzen, wie viel erreicht werden kann. Typische Szenarien im neusten IPCC-Bericht rechnen damit, dass maximal 10 % der heutigen Emissionen mit diesen Methoden gespeichert werden können. Wir müssen also mindestens 90 % unserer Emissionen reduzieren, wenn nicht sogar mehr. Bei der Diskussion dieser Methoden besteht auch immer die Gefahr, dass wir die Emissionen nicht reduzieren. Zum Beispiel von Aufforstungen: Im Moment haben wir global betrachtet weiterhin eher eine Abholzung und einen Verlust an Waldflächen. Primärwälder im Amazonas, die verschwinden, können nicht mit einem kleinen Baum in Sibirien ersetzt werden. Baum-Pflanzungen sind also keine Garantie, dass Aufforstungsprojekte wirklich effektiv sind. Weiter gibt es auch Gefahren für die Biodiversität bei vielen Aufforstungs-Projekten. Bei der technischen Lösung sind Spezialisten der Meinung, dass die CO²-Speicherung direkt in der Schweiz kaum oder gar nicht möglich ist. Realistisch kann also nur eine sehr kleine Menge direkt kompensiert werden, der Rest müsste an anderen Orten wie etwa unter der Nordsee oder in Island eingelagert werden.

EC: Die Leistung des Waldes ist etwas, von dem viele eine völlig falsche Einschätzung haben. Wir haben einerseits die Senkenwirkung des bestehenden Waldes. Es gibt dabei ein Optimum mit einem gewissen Vorrat, der gespeichert wird, aber die grösste Wirkung von Holz haben wir durch die Substitution. Man ersetzt also energieintensivere Materialien durch Holz. Dies setzt aber zwingend eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes voraus. Viele Baumpflanzungen, die man heute überall sieht, sind im Prinzip ein reiner Ablasshandel. Denn

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wenn ich jetzt in die Ferien fliege und Emissionen verursache, dann entsteht ja jetzt eine Emission. Wenn ich einen Baum pflanzen lasse, dann hat dieser bis in 20 Jahren überhaupt erst so viel CO² gespeichert, wie die Aufzucht und Pflanzung verursacht haben, ohne überhaupt etwas Zusätzliches einzulagern. In der Zeit ist aber die Erwärmung bereits fortgeschritten.

MV: Wäre denn eine zusätzliche CO2-Einlagerung durch Aufforstungen nicht sinnvoll?

SIS: Das grösste Problem dabei ist die Zeitkomponente und die fehlende Garantie, dass der Baum überhaupt überlebt. Die Zeithorizonte von Emission und Einlagerung sind völlig unterschiedlich.

EC: Bis der Baum anfängt zu wirken, müssten wir ja bereits bei Netto-Null sein. Erdöl durch Holz aus nachhaltiger Bewirtschaftung ersetzen, führt dazu, dass wir CO² aus einem geschlossenen System einsetzen. Wir haben die Emissionen dadurch zwar noch nicht reduziert, aber das CO² wird im System wieder eingelagert, solange der Wald nachhaltig bewirtschaftet ist.

MV: Zum Abschluss eine simple Frage: Wo steht die Schweiz im Jahr 2030? Wo steht sie 2050?

SIS: Wo wir stehen, hängt von gesellschaftlichen und politischen Entscheiden ab, ich kann dies nicht direkt beeinflussen. Aber mein Wunsch wäre, dass die Schweiz viel ehrgeiziger wird und wir eine Halbierung der Emissionen bis 2030 erreichen. Dies wäre auch kompatibel mit dem 1,5°C-Limit. Allerspätestens 2050 müssen wir auf Netto-Null sein, besser bereits im Jahr 2040, weil wir dann das 1,5°C-Limit viel eher noch einhalten.

EC: Ich kann auch nur Wünsche formulieren. Es ist aber sehr wichtig, dass wir positiv bleiben. Wir und unsere Nachkommen dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Wenn es die Schweiz nicht

kann, dann werden es auch die ärmeren Länder nicht können. Die Schweiz kann es sich eigentlich leisten. Das politische System ist zwar etwas träge, aber es entstehen gute und haltbare Lösungen. Die Klimafrage hat sich mittlerweile in den Köpfen vieler festgesetzt. Sie wird durch Tagesaktualitäten zwar immer wieder überdeckt, aber die Sorge bleibt. Ich bleibe deshalb zuversichtlich, dass es die Schweiz schafft, sich einen Rahmen zu geben, welcher die Zielerreichung ermöglicht. Die heutige Regelung ist im Prinzip ja schon verursachergerecht. Wir können es schaffen, weil wir es schaffen müssen, diese Einsicht wird sich durchsetzen.

SIS: Gerne möchte ich zum Abschluss noch mal kurz die wichtigsten Massnahmen nennen: Wir müssten so schnell wie möglich vom Verbrennungsmotor wegkommen, keine Erdöl- oder Erdgasheizung mehr benutzen, auch weil es ja sinnvolle Alternativen wie Wärmepumpen gibt, und dann erneuerbare Energien wie Fotovoltaik, Windenergie und Wasserkraft fördern und darauf umsteigen. Das alles sollte so schnell wie möglich gehen.

Dr. Marco Vanoni leitet den Bereich Schutzwald & Waldökologie des Amts für Wald und Naturgefahren und ist zuständig für die Umsetzung der kantonalen Waldbau-Strategie.

Evelyn Constance Coleman Brantschen ist Dozentin für nationale und internationale Waldpolitik an der Berner Fachhochschule, Hochschule für Agrar-, Forstund Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen.

Prof. Dr. Sonia I. Seneviratne ist Professorin für Land-Klima-Dynamik an der ETH Zürich und hat an mehreren Berichten des Weltklimarats mitgewirkt. Kürzlich war sie eine Hauptautorin des Weltklimaratsberichts zur 1,5°C Klimaerwärmung (2017–2018) und eine koordinierende Hauptautorin des 6. Klimaberichts (2018–2021) des Weltklimarats.

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Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweizer Waldpolitik

Die Schweiz hat sich klimapolitisch ambitionierte Ziele gesetzt, und will dazu ihre Treibhausgasbilanz wesentlich verbessern. Auch muss sich die Schweiz an den Klimawandel anpassen. Dieser Beitrag zeigt auf, wie sich die Schweizer Klimapolitik entwickelt hat, welche Rolle Wald und Holz darin spielen, und wie das Zusammenspiel mit der Schweizer Waldpolitik funktioniert.

1. Entwicklung der Klimapolitik

An der Uno-Konferenz in Rio 1992 wurde die Klimakonvention unterzeichnet. Diese bildet seither den Rahmen der Klimapolitik. 1997 präzisierte das Kyoto-Protokoll und später 2015 das Übereinkommen von Paris die Verpflichtungen der Länder, ihren Treibhausgasausstoss zu reduzieren. Damit soll die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden. Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2020 ihren Treibhausgasausstoss gegenüber dem Wert von 1990 um 20 % zu reduzieren, und bis 2030 zu halbieren. Bis 2050 soll eine Reduktion um 70 bis 85 Prozent erreicht werden. Mit diesem Langfristziel nimmt die Schweiz Kurs in Richtung Klimaneutralität (siehe Abb. 1).

2. Wald und Holz in der Treibhausgasbilanz

Um die Erreichung der Reduktionsziele zu überprüfen, müssen die Länder ein Treibhausgasinventar führen. Darin müssen zwingend Aufforstungen als CO²-Senken und Rodungen als Quellen angerechnet werden.

Dank der zusätzlichen Möglichkeit der Anrechnung der Waldbewirtschaftung an die Treibhausgasbilanz konnte die Schweiz im Zeitraum 2008–2012 rund 40 Prozent dank der Nicht-Ausschöpfung des Holzpotenzials ihrer Reduktionsverpflichtungen mit der Wirkung des Waldes als CO²-Senke erfüllen!

Für die Periode 2013–2020 wurde die Berechnungsgrundlage geändert: Anrechenbar ist nur

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100% 80% 50% 30–15% –50% (durch Massnahmen im In- und Ausland) –70% bis –85% –20 % (durch Massnahmen im Inland) 1990 2020 2030 2050 nach 2050 klimaneutral Referenz
Abb. 1: Reduktionspfad der Schweiz, Quelle BAFU 2018.

Klimapolitik der Schweiz

International

REDD+ Vermeidung des Treibhausgasausstosses aus Entwaldung und Waldzerstörung

CO2-Abgabe auf fossile Heizstoffe

CO2-Kompensation (z.B. via Krankenkassenprämien)

National:

CO2-Gesetz und Energiestrategie

National: Klimaanpassung

Gebäudeprogramm des Bundes z.B. Unterstützung von Holzenergieanlagen

Emissionshandel (für stationäre Anlagen, seit 1.1.2020 zusätzlich Luftfahrzeugbetreiber)

Massnahmen im Inland eigener Betrieb oder Zertifikathandel

Massnahmen im Ausland: Clean Development MechanismCDM / Joint Implementation Aufforstungen im Ausland (Zurzeit keine Option)

Teilkompensation der Treibstoffemissionen

Absenkung der CO2Emissionen neuer Personenwagen

Aktionsplan 2020-2025: Waldwirtschaft

Abb. 2: Wald- und Holz in der Schweizer Klimapolitik, eigene Darstellung.

noch jener Teil der Wald- und Holzsenke, der über ein festgelegtes Referenzniveau hinausgeht, und es ist ein Maximalbetrag festgelegt. Aktuelle Hochrechnungen des BAFU ergeben, dass nun die anrechenbare Senkenleistung des Wald- und Holzsektors keinen massgeblichen Beitrag an das Reduktionsziel der Schweiz leisten wird. Die abschliessende Abrechnung steht noch aus.

Seit 2013 wird zudem der CO²-Vorrat des einheimischen verbauten Holzes im Treibhausgasinventar berücksichtigt.

3. Wald und Holz als Teil klimapolitischer Massnahmen

Um die Reduktionsziele zu erreichen, wurden in der Schweiz und international Instrumente und Mass-

Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation (KliK)

Projekte zur Emissionsminderung, z.B. Holzenergieanlagen, Verein Senke Holz

nahmen geschaffen. Abbildung 2 zeigt die Bestandteile der Schweizer Klimapolitik, farbig hinterlegt sind die Schnittstellen zum Wald- und Holzsektor. Hier wird einzig auf die Massnahmen im Inland eingegangen.

Kernelement der Umsetzung der Klimapolitik in der Schweiz ist das CO²-Gesetz. So wird seit 2008 eine Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen wie Heizöl oder Erdgas erhoben. Ein Drittel der daraus generierten Mittel fliesst in das Gebäudeprogramm des Bundes. Daraus werden unter anderem Investitionen in erneuerbare Energien unterstützt, womit auch Holzenergieanlagen gefördert werden. Weiter müssen Importeure fossiler Treibstoffe einen Anteil der CO²-Emissionen aus dem Verkehr kompensieren. Die dafür gegründete Stiftung Klimaschutz und CO²-Kompensation (KliK) investiert

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die ihr so zufliessenden Mittel in Klimaschutzprojekte. Auch hier können etwa Holzwärmeverbünde profitieren. Aber auch die Holzindustrie profitiert über das Programm «Senkenleistung Schweizer Holz».

Die Waldeigentümer gingen dabei bisher leer aus, indem die Leistung des Waldes als CO²-Speicher zwar im nationalen Treibhausgasinventar ausgewiesen wird, aber nicht über Klimaschutzprojekte in Wert gesetzt werden konnte. In diesem Jahr hat der Bundesrat eine entsprechende Korrektur in der CO²-Verordnung beschlossen.

4. Anpassung an den Klimawandel

Bestandteil der internationalen Klimapolitik ist auch die Anpassung an den Klimawandel. Gemäss Klimaabkommen sollen dazu alle Staaten Anpassungspläne und -massnahmen erarbeiten. Am 2. März 2012 verabschiedete der Bundesrat deshalb die «Strategie Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz» (siehe Abb. 2).

Im Aktionsplan 2020–2025 zur Anpassung der Schweiz an den Klimawandel sind unter dem Titel «Waldwirtschaft» verschiedene Massnahmen vorgesehen. Es geht etwa um die Verjüngung in wichtigen Schutzwäldern, um Bestände mit hohem Nadelholzanteil in tieferen Lagen, oder um klimasensitive Waldstandorte.

Mit der Annahme der Motion Fässler 2021 können Massnahmen im Bereich Wald und Klimawandel umgesetzt werden. Insgesamt sollen 100 Millionen Franken in den Wald fliessen. Wie die Massnahmen konkret ausgestaltet werden, wird zurzeit zwischen Bund und Kantonen erarbeitet.

5. Entwicklung der Waldpolitik

Parallel zur Klimapolitik hat das Thema Klimawandel in der Schweizer Waldpolitik zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Zu Beginn der 2000er-Jahre sind in offiziellen Dokumenten noch wenige Angaben zu klimawirksamen Strategien und Massnahmen in der Waldpoli-

tik zu finden. Erst im Waldprogramm Schweiz WAP-CH wurden 2004 erste Ziele gesetzt: Mit einer starken Wertschöpfungskette Holz sollte der Beitrag des Holzes zur Verbesserung der CO²-Bilanz besser honoriert werden. Die Leistung des Waldes als CO²-Senke sollte als «wichtiges, aber weniger prioritäres Ziel» verfolgt werden. Das Thema der Klimaanpassung wurde noch nicht aufgegriffen.

Das änderte sich 2013 mit der Waldpolitik 2020: Das Ziel 2 der Waldpolitik 2020 ist direkt auf den Klimawandel ausgerichtet. Schwerpunkt bildet dabei die Anpassung an den Klimawandel, mit dem Forschungsprogramm «Wald und Klimawandel» als zentrales Element.

Bestandteil von Ziel 2 ist aber auch die Rolle des Wald- und Holzsektors zur Minderung des Klimawandels. Auch in Ziel 1 «Ausschöpfung des Holznutzungspotenzials» wird ein Bezug zur Klimapolitik hergestellt, mit dem Hinweis auf die positive Wirkung von Holz auf die CO²-Bilanz der Schweiz. In der erneuerten Waldpolitik, Ziele und Massnahmen 2021–2024, wurden die Ziele beibehalten, es wurden aber neue Massnahmen formuliert. Augenfällig dabei ist, dass die Anzahl Massnahmen bei der Stossrichtung «Stärkung der Holzverwendung» deutlich ausgebaut wurde.

6. Fazit

Die Klimapolitik hat die Waldpolitik in den letzten Jahren massgeblich geprägt. Dabei gibt es viele Gemeinsamkeiten: Es besteht ein Interesse an einer konsequenten Walderhaltung, und an einer damit einhergehenden Waldanpassung im Rahmen des Klimawandels. Beide Elemente sind für die Erhaltung des Waldes als Kohlenstoffspeicher ebenso bedeutend wie für die langfristige Erbringung der Waldleistungen. Mit einer verstärkten Ausrichtung der heutigen Waldpolitik auf die Anpassung der Wälder an den Klimawandel sind wichtige Weichen gestellt worden, welche auch der Klimapolitik entsprechen.

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Mit der aktuellen Fokussierung der klima- und teilweise der waldpolitischen Debatte auf die Rolle des Waldes als CO²-Speicher besteht allerdings das Risiko, dass falsche Anreize gesetzt werden: Geldmittel für das Speichern von CO² sind für die Waldeigentümer kurzfristig eine attraktive Option. Vor dem Hintergrund der in der Schweiz bereits sehr hohen Vorräte und dem erklärten Ziel einer Ausschöpfung des Holzpotenzials entspricht eine vermehrte CO²-Speicherung im Wald jedoch langfristig weder den wald- noch den klimapolitischen Zielen. Vielversprechender ist weitere Förderung einer vermehrten Verwendung von Holz anstelle von energieintensiven Materialien, sowie als Ersatz für fossile Brennstoffe. Die Positionierung der Wald- und Holzbranche in diesem Interessenkonflikt dürfte eine der wichtigeren waldpolitischen Fragen der kommenden Jahre darstellen.

Evelyn Coleman Brantschen, Forstingenieurin ETH/SIA, hat eine Professur für Waldpolitik an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL inne.

Quellen

BAFU (Hrsg.) 2018: Klimapolitik der Schweiz. Umsetzung des Übereinkommens von Paris. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Info Nr. 1803: 28 Seiten.

BAFU (2020): Anrechnung des Wald- und Holzsektors gemäss Kyoto-Protokoll, 2. Verpflichtungsperiode 2013–2020, Faktenblatt 07.04.2020.

Blaser, J., Gardi O. (2019): Wald in der globalen Klimapolitik: Stand heute und Perspektiven, Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen 170 (2019) 1: 2–9.

Burkard R. (2019): Die Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure: eine zentrale Massnahme der Schweizer Klimapolitik, Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen 170 (2019) 1: 10–17.

Coleman E. (2002): Schweizer Wald und die CO²Problematik – ein Diskussionsbeitrag, Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 153 (2002) 5: 176–183.

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Klimaschutzleistungen von Wald und Holz in Wert setzen

Sequestrierung und Speicherung im Wald, Speicherung in Holzprodukten und Substitution: Das sind die drei Effekte der Klimaschutzleistungen der Wald- und Holzwirtschaft. Der Wald leistet einen Beitrag zur Zielerreichung in der zweiten Verpflichtungsperiode zum Kyoto-Protokoll (2013–2020), jedoch ist dieser Beitrag wegen veränderten Anrechnungsregeln anteilsmässig geringer als in der ersten Periode (2008–2012). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Senkenleistungen des Wald- und Holzsektors auf dem CO2-Markt in Wert zu setzen. Seit Frühling 2022 lässt die revidierte CO2-Verordnung auch Klimaschutzprojekte zu, bei denen unter bestimmten Bedingungen CO2 dauerhaft in biologischen Speichern gebunden wird.

1. Drei Klimaschutzleistungen

Die Klimaschutzleistungen der Wald- und Holzwirtschaft umfassen drei Effekte: Erstens wandelt der Wald durch Photosynthese CO² in Kohlenstoff um und speichert diesen in der Biomasse. Zweitens bleibt der Kohlenstoff nach der Holzernte für lange Zeit in Holzprodukten wie Möbeln, Brettern und Balken gebunden. Drittens kommt der Substitutionseffekt dazu, wenn Holz anstelle fossiler Rohstoffe (energetische Substitution) und/oder energieintensiv bereitgestellter Materialien (materielle Substitution) verwendet wird. Damit diese drei Klimaschutzleistungen langfristig erbracht werden können, ist eine Anpassung des Waldes an den Klimawandel unbedingt notwendig.

Die Schweiz hat sich mit dem Kyoto-Protokoll und dem Pariser Klimaabkommen auf internationaler Ebene dazu verpflichtet, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Über die Treibhausgasbilanz wird jährlich im nationalen Treibhausgasinventar Bericht erstattet werden, welcher auch Zahlen zu den Klimaschutzleistungen Sequestrierung und Speicherung im Wald- und Holzsektor veröffentlicht. Die

Substitutionswirkung ist nur indirekt im Treibhausgasinventar abgebildet und reflektiert sich in niedrigere Emissionen im Energie- und Baubereich.

2. Beitrag Wald und Holz in der Treibhausgasbilanz

Das BAFU hat Mitte April 2022 das Schweizer Treibhausgasinventar für die Jahre 1990–2020 veröffentlicht.

Die Schweiz sollte ihre Emissionen zwischen 2013 und 2020 durchschnittlich um 15,8 Prozent gegenüber 1990 senken. Die Emissionen wurden im Durchschnitt um 11 Prozent reduziert. Mit Einbezug der Senkenleistung des Wald- und Holzsektors sowie dem Einkauf von Emissionszertifikaten konnte das Verminderungsziel erreicht werden.

In dieser Periode wird die CO²-Bilanz des Waldund Holz-Sektors gegenüber einem vorher definierten Referenzwert abgerechnet. Das bedeutet, dass von der absoluten mittleren Senke von jährlich −2,5 Mt CO² nur −0,7 Mt CO² angerechnet werden können. Nach Einbezug der Senkenwir-

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Die3S Effekte Wald und Holz

kung von Aufforstungen und der Emissionen von Rodungen (gesamthaft +0,2 Mt CO² j-1), trägt der Sektor zu einer Senkenleistung von jährlich −0,5 Mt CO² bei. Wegen der relativen Anrechnung mit dem Referenzwert ist somit der Beitrag des Waldund Holzsektors an die Zielerreichung eher bescheiden und steuert nur gerade 6 % bei. Zum Vergleich: In der Periode von 2008 bis 2012 (erste Verpflichtungsperiode unter dem KyotoPro-tokoll) konnte unser Land rund 40 Prozent seiner Reduktionsverpflichtungen durch die Wirkung des Waldes als CO²-Senke erfüllen. In dieser Periode konnte noch die absolute Senkenleistung, i. e. ohne Referenzwert angerechnet werden.

3. Unterschiede verpflichtender und freiwilliger Markt

Es gibt verschiedene Möglichkeiten die Wald- und Holzsenken zu vermarkten. Prinzipiell gibt es dazu vier verschiedene Möglichkeiten. Wenn die Käufer zum Kauf von Emissionsverminderungen oder Senkenleistungen verpflichtet sind, spricht man vom verpflichtenden Markt (compliance market).

Erwerben die Käufer diese Leistungen freiwillig, spricht man vom freiwilligen Markt (voluntary market). Ausserdem wird oft zwischen nationalen und internationalen Märkten unterschieden.

4.1 Verpflichtender nationaler Markt

Die nationale Umsetzung der CO²-Reduktion ist im CO²-Gesetz festgelegt, welches auch den Handel mit CO²-Bescheinigungen auf dem nationalen Verpflichtungsmarkt regelt. Mit der Revision der CO²-Verordnung vom 4.5.2022, werden neben dem Verminderungsziel der Schweiz auch zentrale Instrumente des Klimaschutzes bis Ende 2024 verlängert, wie zum Beispiel die Pflicht der Treibstoff-Importeure, einen Teil der CO²-Emissionen des Verkehrs mit Klimaschutzprojekten auszugleichen.

Die revidierte CO²-Verordnung lässt neu auch Klimaschutzprojekte zu, bei denen CO² dauerhaft in biologischen (z. B. Wald und Böden; nur im Inland) oder geologischen Speichern (z. B. Untergrund oder Baustoffen; im In- und Ausland) gebunden wird. Die CO²-Verordnung präzisiert aber, dass gezielte

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Integrale Wald- und Holzstrategie • Paul Steffen • Lignum Klausur • 27. Juni 2022 • Ostermundigen
1. CO2-Sequestrierung 3. Substitution materiell und energetisch 2.CO2-Speicherung im Wald und in Holzprodukten Anpassung an den Klimawandel Drei Klimaschutzleistungen. (Bild: BAFU)

Unternutzung oder ein Nutzungsverzicht nicht geeignet sind, um im Rahmen des Kompensationsinstruments unterstützt zu werden. Mit Unternutzung ist gemeint, dass beispielsweise ein Wald nicht im Sinne einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung genutzt wird, um dadurch Emissionsverminderungen auszulösen und damit noch Bescheinigungen zu akquirieren. Bei einem Waldsenkenprojekt müssen insbesondere auch die Bodenqualität und die Waldfunktionen erhalten bleiben. Weiter sollen die Emissionsverminderungen bzw. die Erhöhung der Senkenleistungen nachweisbar und quantifizierbar sein. Zudem sollen diese zusätzlich sein, bzw. nur die Differenz gegenüber einer projektspezifischen Referenz kann angerechnet werden. Ebenfalls sollen diese dauerhaft sein, mit einem Nachweis, dass diese für mindestens 30 Jahre eingelagert sind, was auch durch einen Eintrag im Grundbuch bestätigt werden muss. Darüber hinaus sollen die Klimaschutzprojekte nicht-wirtschaftlich sein und die Kreditierungsperiode läuft bis maximal Ende 2030. Gesuche können bei der Geschäftsstelle Kompensation (Link unten) eingereicht werden. Das bereits seit 2014 bestehende Projekt des Vereins «Senke Schweizer Holz», in dem die zusätzliche Senkenleistung von Schweizer Holzprodukten abgegolten wird, konnte bis 2023 verlängert werden.

4.2 Freiwilliger nationaler Markt

Auf dem freiwilligen Markt bieten schon heute verschiedene Schweizer Projekte ihre Leistungen als CO²-Senke mit Zertifikaten zum Verkauf an. Solche Projekte werden nach anerkannten Standards durchgeführt und unabhängig validiert und verifiziert. Der Bund hat bei Klimaschutzprojekten auf dem freiwilligen Markt keine Möglichkeit, regulierend einzugreifen.

Für die landesweite Umsetzung von Wald-Klimaschutzprojekten wurde 2019 der Verein «Wald-Klimaschutz Schweiz» gegründet. Mit diesem Verein wird Waldeigentümern und Forstbetrieben in der

Schweiz eine Plattform geboten, über die CO²-Projekte realisiert werden können.

4.3

Internationale Märkte

Auch im Ausland gibt es Projekte, welche ihre CO²-Senkenleistung zum Verkauf anbieten. Das BAFU prüft in einer Studie, welche technischen Kriterien und Bedingungen für biologische Klimaschutzprojekte bei bereits bestehenden Projekten im Ausland bestehen. Der Bericht wird Ende 2022 vorliegen.

In der aktuellen, revidierten CO²-Verordnung ist die Anrechnung von Emissionsreduktionen bzw. CO²-Sequestrierung durch biologische Klimaschutzprojekte im Ausland jedoch ausgeschlossen.

5. Potenziale & Szenarien:

Momentan ist am BAFU eine Studie in Erarbeitung, welche Grundlagen liefern soll, um die drei Klimaschutzleistungen unter verschiedenen Szenarien in der Schweiz aufzuzeigen. Dazu werden mithilfe von Modellrechnungen zu in- und ausländischen Wirkungen verschiedene, vereinfachte Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, welche zu einer klimaoptimierten Waldbewirtschaftung und Holzverwendung führen. Ebenfalls werden im Bericht auch die biogeophysikalischen Effekte des Waldes, wie Rückstrahlung, Evapotranspiration, etc. untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie, könnten u. a. dem BAFU dabei helfen, politische Instrumente so weiter zu entwickeln, dass die Klimaschutzleistungen zukünftig gesamthaft verbessert werden.

Schon vor ca. 15 Jahren wurden die Klimaschutzleistungen in einer BAFU-Publikation (Taverna et al. 2007) erstmals auf integrale Weise für die Schweiz untersucht. Die Publikation hat damals gezeigt, dass bei einem Szenario mit reduzierter Waldpflege, grosse CO²-Mengen im Wald gespeichert werden, diese Wirkung aber mittelfristig umkehrt, da die Waldspeicher gefüllt sind und zusätzlich das Risiko für die Waldstabilität ansteigt. Weiter haben sich aus der Studie folgende Empfehlungen ergeben:

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Es soll angestrebt werden, einen möglichst grossen und nachhaltigen Zuwachs im Wald zu erzielen, welcher dann durch Holzernte abgeschöpft wird. Das geerntete Holz soll in einer Kaskadennutzung verarbeitet werden.

In der laufenden Studie wird mit einem stark überarbeiteten Modelrahmen und mit angepassten Parametern gerechnet. Auch aktuelle politische Rahmenbedingungen spielen eine bedeutende Rolle. Die angestrebte Dekarbonisierung (Ziel Pariser Klimaabkommen: Netto-Null-Emission in 2050) hat einen wesentlichen Effekt auf die Berechnung der Substitutionseffekte und wird somit möglicherweise auch die Schlussfolgerungen für eine Optimierung der totalen Klimaschutzleistungen entscheidend beeinflussen.

6. Weitere Informationen

– Informationen über Anforderungen und Einreichen von Klima-Kompensationsprojekten: CO ²Kompensation (admin.ch) www.bafu.admin.ch/ bafu/de/home/themen/klima/fachinformationen/verminderungsmassnahmen/kompensation/ inland/umsetzung.html

– BAFU-Publikation «CO²-Effekte der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft» (Taverna et al. 2007): CO²-Effekte der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft (admin.ch)

Dr. Nele Rogiers ist Forstingenieurin am BAFU, Abt. Wald, Sektion Waldleistungen und Waldpflege, zuständig für die Begleitung der nationalen Waldforschung. Ihre Schwerpunkte sind die nationale Klimaberichterstattung mit Treibhausgasbilanz des Waldes im Rahmen des KyotoProtokolls und des Pariser Klimaabkommens. Zudem ist sie zertifizierte Reviewerin für das UNO-Klimasekretariat in Bonn.

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Veränderung des Bündner Waldes und Rückwirkungen auf das Klima

Der Bündner Wald ist ständig im Wandel. Das Klima war dabei nebst der menschlichen Nutzung und natürlichen Störungen schon immer eine wichtige treibende Kraft dieser Veränderungen. In diesem Artikel widmen wir uns der Frage, welche Rückwirkungen Waldund Vorratszunahmen im Bündner Wald auf das Klima in der Vergangenheit hatten und was wir in Zukunft mit fortschreitendem Klimawandel zu erwarten haben. Darauf aufbauend können Situationen identifiziert werden, in denen Waldausdehnung und Vorratszunahme auch in Zukunft noch möglich und sinnvoll sind und andere Situationen, in denen dies nicht der Fall ist.

Bündner Wald als bedeutende CO2-Senke seit dem 19. Jahrhundert

Seit dem Ende des 19. Jahrhundert nahmen nach vielerorts jahrhundertelanger Übernutzung sowohl Waldfläche wie auch Vorrat im Bündner Wald wieder stark zu (Abb. 1). Gemäss einem Vergleich mit alten Siegfriedkarten sind rund 42 % der jetzigen Waldfläche des Kantons Graubünden seit 1880 eingewachsen. Aufgrund von Unsicherheiten bei historischen Daten ist es etwas schwieriger abzuschätzen, wie viel der Vorrat zugenommen hat.

Wir können aber davon ausgehen, dass sich der durchschnittliche Vorrat, der bei rund 300 m²/ha liegt, nur schon seit 1950 etwa verdoppelt hat (vgl. Ott et al. 1972, Gordon diese BW-Ausgabe). Waldausdehnung und Waldverdichtung zusammen dürften damit seit dem Ende des 19. Jahrhundert sogar etwa zu einer Vervierfachung des Gesamtvorrats in den Bündner Wäldern geführt haben.

Wo die Waldfläche zunimmt und der Wald dichter wird, reichern sich Biomasse und damit Kohlenstoff

Abb. 1a/1b: Davos mit Seehorn um 1900 (links, Bild: Fotofurter) und um 2022 (Bild: Selina Bebi). Waldausdehnung und Vorratszunahme wurden vor allem durch Aufgabe von landwirtschaftlicher Bewirtschaftung und Nutzungsextensivierung begünstigt.

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Dr. Peter Bebi, Dr. Ana Stritih, Dr. Jonas Schwaab, Dr. Frank Hagedorn

an. CO² wird durch Nadeln und Blätter aufgenommen und dann grösstenteils in den verholzten oberirdischen Baumteilen, aber auch im Wurzelraum und Boden gespeichert. Gemäss dem Schweizerischen Landesforstinventar (LFI) werden gesamtschweizerisch etwa 79 % der Biomasse oberirdisch und 21 % in den Wurzeln gespeichert. Wie Untersuchungen in der Versuchsaufforstung Stillberg (Davos) zeigten, kann der unterirdische Anteil im oberen Waldgrenzenbereich deutlich höher sein und bis zu 40 % der Gesamtbiomasse betragen. Wenn wir in einer einfachen Überschlagsrechnung davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der vergangenen Vorratszunahme als Kohlenstoff gespeichert wurde, ergibt sich eine Menge von rund 40 Millionen Tonnen gespeichertem CO², das der Luft entzogen wurde. Der Bündner Wald hat damit seit Mitte des 19. Jahrhunderts als bedeutende CO²-Senke dazu beigetragen, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Diese Leistung des Bündner Waldes war vor allem dann wertvoll, wenn Holz aus der Region nicht erneuerbare Energie- und Baustoffe substituieren konnte. Nebst dieser CO²-Senkenleistung des Bündner Waldes gibt es zwei wichtige Nebeneffekte der Waldentwicklung, die ebenfalls Rückwirkungen auf das Klima haben und in einem Gesamtzusammenhang nicht vergessen werden sollten. Dabei geht es einerseits um die geringere Rückstrahlung (Albedo) von dunklem Wald im Vergleich zu Offenland und um erhöhte Risiken von dichtem Wald bezüglich natürlicher Störungen.

Albedo-Effekt: Wenn zusätzlicher Wald erwärmend wirkt

Wenn sich Wald ausdehnt und verdichtet, verringert sich in der Regel die Rückstrahlfähigkeit (Albedo) der Landoberfläche. Besonders deutlich ist dieser Effekt in Gebieten mit einer langen Schneebedeckung, wenn statt einer schneebedeckten Freifläche (mit einer Albedo von rund 0,5–0,9 (je nach Schneebeschaffenheit) ein dichter Wald mit einer relativ tiefen Rückstrahlung (Albedo ca.

Abb. 2: Waldausdehnung in schneereichen Gebieten wie hier im Val Rosegg bewirken eine verringerte Rückstrahlfähigkeit (Albedo) der Landoberfläche und damit eine lokale Erwärmung.

(Bild: Peter Bebi)

0,2–0,4) steht (vgl. Abb. 2). Eine kleinere Albedo bedeutet, dass mehr Sonnenlicht im Wald absorbiert als reflektiert wird. Somit entsteht eine positive Strahlungsbilanz, die vor allem lokal erwärmend wirkt und dem ansonsten global «abkühlenden» Effekt der CO²-Aufnahme durch den Wald entgegenwirkt. Um die Folgen der Waldzunahme auf das Klima abzuschätzen, wurden diese beiden Effekte miteinander verglichen, wobei Daten zur Waldveränderung, Kohlenstoffspeicherung, Schneebedeckung und Sonneneinstrahlung verwendet wurden (Schwab et al. 2015). Dabei zeigte sich, dass der «kühlende» Effekt der CO²-Bindung durch den Wald in wüchsigen Regionen mit geringer Schneebedeckung weit überwiegt. In kälteren Lagen Graubündens mit langer Schneebedeckung und geringeren Wachstumsraten (also zum Beispiel im Waldgrenzenbereich) heben sich die Klimaeffekte «CO²-Aufnahme» und «Albedowirkung» aber ungefähr auf. Mitunter bewirkt der zusätzliche Wald sogar einen stärkeren Albedo-Effekt und damit gesamthaft gesehen eine lokale Erwärmung. Unter-

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schiede gibt es auch zwischen verschiedenen Waldstadien: Beginnende Waldausdehnung auf vormals offenem Land erniedrigt zunächst die Albedo stark. Nachdem sich ein noch junger (offener) Wald etabliert hat, sinkt die Albedo nur noch wenig, obwohl der Wald weiterhin viel CO² aufnehmen kann.

Mehr natürliche Störungen durch Borkenkäfer, Feuer und Wind

Natürliche Störungen durch Borkenkäfer, Waldbrand und Windwurf traten in den letzten Jahrzehnten gesamteuropäisch nachweislich häufiger auf und werden wahrscheinlich noch weiter zunehmen. Dies ist aufgrund des Klimawandels und der vergangenen Waldentwicklung durchaus plausibel: Wärmere und trockenere Witterung erlauben eine raschere Verbreitung des Borkenkäfers auch in höher gelegenen Fichtenwäldern. Zudem steigt die Waldbrandgefährdung bei trockener und warmer Witterung und früher Schneeausaperung auch in

Gebieten, die bisher kaum davon betroffen waren. Die Zunahme von natürlichen Störungen der letzten Jahrzehnte kann aber nur zum Teil durch den Klimawandel erklärt werden und steht auch stark im Zusammenhang mit den steigenden Waldflächen und Vorräten seit dem 19. Jahrhundert (Bebi et al. 2017). Auswertungen von Satellitenbildern und von kantonalen Bewirtschaftungsdaten (LeiNa) zeigten, dass natürliche Störungen (insbesondere Windwurf und Käferbefall) in Bündner Wäldern vor allem in dichten Wäldern mit hohem Fichtenanteil auftraten (Stritih et al. 2021a). Besonders anfällig waren dabei relativ junge Wälder, die erst seit dem 19. Jahrhundert durch Aufgabe von Landwirtschaft oder nach Aufforstung aufgewachsen sind. Zusammen mit trockenheitsbedingter Mortalität resultieren diese Störungen in einer Zunahme des Totholzanteils im Wald und damit in einer allmählichen Freisetzung des darin gebundenen Kohlenstoffs. Dies führt dazu, dass sich die positive CO²-Bilanz

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Abb. 3: Klassierung von Wäldern in Davos (links) und im Gebiet Nationalpark/Unterengadin (rechts) bezüglich des Risikos für die CO2-Bindung durch natürliche Störungen (Abgeändert nach Stritih et al. 2021).

in Bündner Wäldern vielerorts wieder aufhebt oder zumindest die Gefahr besteht, die aufgenommene CO²-Menge wieder zu verlieren. Die Zunahme von Waldstörungen bedeutet auch Gefahr für andere wichtige Ökosystemleistungen des Waldes, wie Lawinenschutz, Erholung und Holzproduktion. Aufgrund von Auswertungen früherer Störungsereignisse und räumlichen Informationen zu Waldaufbau und Standort können solche Risiken abgeschätzt werden (Stritih et al. 2021, Abb. 3).

Offene Fragen im Boden

Im Vergleich zum oberirdischen Teil des Waldes bleiben Rückwirkungen des Waldbodens auf das Klima vielfach im Verborgenen. Waldböden enthalten in der organischen Bodensubstanz etwas mehr Kohlenstoff als in der Biomasse. Dieser Kohlenstoff hat sich über Jahrhunderte angereichert. Die obere Humusschicht des Bodens enthält aber Kohlenstoff, der durch Bodenorganismen bei der Atmung leicht abgebaut werden kann. Forschungen an der Waldgrenze am Stillberg bei Davos haben gezeigt, dass gerade hoch gelegene Böden im Waldgrenzenbereich besonders reich an Kohlenstoff sind. Die bei steigenden Temperaturen erhöhte Aktivität der Bodenorganismen kann dort grosse Mengen an CO² freisetzen. Entsprechend wird bei fortgesetzter Klimaerwärmung mindestens ein Teil des CO², das durch eine Erhöhung der Waldgrenze und ein Verdichten des Waldes gebunden wird, durch die zunehmende Bodenatmung wieder frei (Hagedorn et al., 2010). Auch natürliche Störungen führen zu Kohlenstoffverlusten aus dem Boden, da das Mikroklima durch die fehlende Waldbedeckung wärmer wird und die Bodenstruktur gestört wird. Diese Verluste sind im Gebirge besonders hoch, da dort grosse Kohlenstoffmengen in der oberen Humusschicht gespeichert sind, die schnell abgebaut werden.

Gesamtbetrachtung ist wichtig

Die verschiedenen Wechselwirkungen zwischen Wald und Klima rufen nach differenzierten Be-

Abb. 4: Aufforstungen in hohen Lagen haben durch CO2-Bindung und Erniedrigung der Albedo entgegengesetzte Rückwirkungen auf das Klima. Ob solche Aufforstungen in einem Gesamtzusammenhang Sinn machen, hängt wie hier auf der Alp Guscha von deren Wirkung auf Artenvielfalt, Schutzfunktion und andere Umweltleistungen ab. (Bild: Peter Bebi)

trachtungen von Klimaschutzmassnahmen – insbesondere, wenn sie auch zusammen mit anderen Waldleistungen beurteilt werden (vgl. auch Beitrag von Riet Gordon in dieser Ausgabe). Die aktive oder passive Förderung von CO²-Senken im Bündner Wald ist vor allem dort wertvoll, wo die erwartete Klimawirkung insgesamt hoch ist und wo wichtige andere Waldleistungen und Klimaanpassungen des Waldes durch zusätzliche Vorratszunahme nicht wesentlich eingeschränkt werden. Im Folgenden möchten wir anhand von typischen Situationen aufzeigen, was damit gemeint ist und welche Entscheidungskriterien dabei hilfreich sein könnten.

1. Situation: Aufforstungsprojekte Bäume zu pflanzen als Kompensation für den Verbrauch von nicht erneuerbarer Energie sieht auf den ersten Blick bestechend einfach aus, ist aber in einer

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(Foto:

Gesamtbetrachtung nicht überall sinnvoll. Gerade in höheren, schneereichen Lagen wirkt sich diese Massnahme infolge von Albedo-Effekt und unterirdischen Prozessen häufig nicht positiv auf das Klima aus. Auch auf andere Waldfunktionen kann die Wirkung solcher Aufforstungen je nach Standort langfristig sehr stark variieren (vgl. Abb. 4). Am eindeutigsten positiv sind solche Projekte meistens da, wo zusätzliche Waldflächen einen wertvollen Beitrag zum Schutz vor Naturgefahren leisten (also zum Beispiel in offenen, aber in Zukunft waldfähigen Anrissgebieten von Lawinen oder Rutschungen) und dort, wo diese Aufforstungen auch mit einem nachhaltigen Pflanzungs- und Pflegekonzept sowie mit einer klimaangepassten Baumartenmischung ausgeführt werden. Im Gegensatz dazu machen Aufforstungsprojekte für den Klimaschutz (oder auch andere Ersatzaufforstungsprojekte) kaum Sinn, wenn sich eine zusätzliche Waldzunahme in hohen Lagen nicht langfristig positiv auf den Naturgefahrenschutz auswirkt, und wenn der Einfluss auf Artenvielfalt, Landschaftsbild und andere Umweltleistungen eindeutig negativ ist.

2. Situation: Vorratszunahme im bestehenden Wald

Auch die Klimarückwirkung von weiteren Vorratszunahmen im bestehenden Walde muss vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen räumlich differenziert betrachtet werden, wobei Effekte auf verschiedene Waldleistungen und Risiken durch natürliche Störungen berücksichtigt werden müssen. Zweifellos gibt es in Graubünden grosse Waldflächen, wo eine weitere Zunahme des Vorrats eindeutig mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt, und zwar sowohl hinsichtlich Resilienz und Klimaanpassung als auch hinsichtlich der langfristigen Erfüllung verschiedener Waldfunktionen (inklusive Artenvielfalt, Erholung, Naturgefahrenschutz und nachhaltige Nutzung von einheimischen Holzressourcen). Im Rahmen der Schutzwaldpflege, die sich gemäss NaiS generell so weit wie möglich an natürlichen Waldentwicklungsprozessen orientiert, wird die Steigerung von Resilienz gegenüber natürlichen Störungen und Klimaanpassung zunehmend wichtiger. Da diese wiederum häufig an die Verfügbarkeit von Licht, Baumartenvielfalt und Moderholz gebunden ist, sind einer Förderung von weiteren CO²-Senken ohne langfristige Verluste von Resilienz und wichtigen Waldfunktionen vielfach enge Grenzen gesetzt. Bestände, die beispielsweise aufgrund der früheren Bewirtschaftungsgeschichte zur Gleichförmigkeit neigen und bei noch weiter zunehmendem Vorrat einförmiger und störungsanfälliger werden (vgl. Abb. 5), sind zum Beispiel meistens ungeeignet als CO²-Senkenwald. Besser geeignet dafür sind natürlicherweise heterogene Standorte und offene Waldstrukturen, wo eine Waldverdichtung aufgrund der naturräumlichen Bedingungen mit geringeren Risiken für andere Waldfunktionen verbunden ist (Abb. 6). Mittels räumlicher Modelle von Waldfunktionen und Risiken für diese Waldfunktionen lassen sich Entscheidungsgrundlagen generieren, welche für die Beurteilung und Auswahl zukünftiger Senkenwälder wertvoll sein können (vgl. Abb. 3, Karte aus Modell Ana Stritih).

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Abb. 5: Einförmiger, noch junger und störungsanfälliger Fichtenbestand ohne Potenzial für zusätzliche Vorratszunahme. Mario Guetg)

Fazit

Die Klimarückwirkungen des Bündner Waldes sind komplexer als vielfach angenommen. Die starke Wald- und Vorratszunahme seit dem 19. Jahrhundert leisteten einen sehr wichtigen Beitrag als CO²-Senke. Das zukünftige Potenzial von weiteren CO²-Senken ist in den vielfach bereits dichten und störungsanfälligen Bündner Wäldern demgegenüber aber stärker eingeschränkt und muss auch in einem Gesamtzusammenhang mit anderen Klimarückkoppelungen und der langfristigen Erfüllung verschiedener Waldleistungen gesehen werden. Das Potenzial des Bündner Waldes für den Klimaschutz ist dennoch vorhanden, da CO²-Senken, wenn auch eingeschränkt, trotzdem eine wichtige Rolle spielen und auch die nachhaltige Nutzung der Ressource Holz grosses Potenzial bietet. Im Hinblick auf eine möglichst sinnvolle Planung von Wäldern mit Klimaschutzfunktion braucht es zur Entscheidungshilfe pragmatische Ansätze, die sowohl Risiken von zukünftigen Störungen als auch langfristige Effekte auf verschiedene Waldleistungen und Klimarückkoppelungen berücksichtigen.

Dr. Peter Bebi ist Leiter des Forschungszentrums CERC am WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung in Davos.

Dr. Ana Stritih (TU München), Dr. Jonas Schwaab (ETH Zürich) und Dr. Frank Hagedorn (WSL Birmensdorf) haben zusammen mit ihm Forschungsarbeiten im Themenbereich des Artikels durchgeführt.

Literatur

Bebi, P., Seidl, R., Motta, R., Fuhr, M., Firm, D., Krumm, F., Conedera M., Ginzler C., Wohlgemuth T., Kulakowski, D. (2017). Changes of forest cover and disturbance regimes in the mountain forests of the Alps. Forest Ecology and Management, 388, 4356. https://doi.org/10.1016/j.foreco.2016.10.028. Hagedorn F, Moeri A, Walthert L, Zimmermann S (2010) Kohlenstoff in Schweizer Waldböden – bei Klimaerwärmung eine potenzielle CO²-Quelle. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 161, 530-535.

Ott, E. (1972) Erhebungen über den gegenwärtigen Zustand des Schweizer Waldes als Grundlage waldbaulicher Zielsetzungen. Mitteilungen EAFV. Schwab, J., Bavay, M., Davin, E., Hagedorn, F., Hüsler, F., Lehning, M., Schneebeli, M., Thürig, E., Bebi, P. (2015). Carbon storage versus albedo change: radiative forcing of forest expansion in temperate mountainous regions of Switzerland. Biogeosciences, 12(2), 467-487. https://doi.org/10.5194/bg12-467-2015.

Stritih, A., Senf, C., Seidl, R., Grêt-Regamey, A., & Bebi, P. (2021a). The impact of land-use legacies and recent management on natural disturbance susceptibility in mountain forests. Forest Ecology and Management, 484, 118950 (10 pp.).

Stritih, A., Bebi, P., Rossi, C., & Grêt-Regamey, A. (2021b). Addressing disturbance risk to mountain forest ecosystem services. Journal of Environmental Management, 296, 113188 (11 pp.).

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Abb. 6: Offener und strukturierter Wald oberhalb Trin mit noch intaktem Potenzial für Vorratszunahme. (Foto: Peter Bebi)

Klimastrategie und Aktionsplan Green Deal Graubünden

Der Kanton Graubünden sieht sich mit den wachsenden Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Er hat allerdings früh eine eigene kantonale Klimastrategie entwickelt und ist auf einem guten Weg. Gleichzeitig bleibt noch viel zu tun. Wir alle können dazu beitragen und mit anpacken, damit Graubünden sein Ziel «2050 klimaneutral» erreicht.

Der Kanton Graubünden hat im Jahr 2015 als einer der ersten Kantone eine kantonale Klimastrategie erarbeitet und durch die Regierung verabschiedet. Diese zeigt auf, dass die grössten Risiken durch den Klimawandel für den Kanton Graubünden im Bereich der Gesundheit, des Tourismus und der Biodiversität liegen. Die zunehmende Hitze führt

zu vermehrten Herzkreislaufproblemen und verminderter Arbeitsleistung, die reduzierte Schneedecke gefährdet den Wintertourismus, und insbesondere Organismen in Feuchtgebieten leiden unter der zunehmenden Trockenheit und könnten aus ihren angestammten Lebensräumen verdrängt werden.

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Blühende Wiese bei Zillis im Schams. (Foto: Plantahof)

Gleichzeitig birgt der Klimawandel auch Chancen für den Kanton. Höhere Mitteltemperaturen reduzieren den winterlichen Heizbedarf – erhöhen jedoch potenziell den sommerlichen Kühlbedarf der Gebäude. Die zunehmende Hitze und geringere Regenfälle in den Tallagen können die sommerliche Attraktivität des Berggebiets steigern und den «Sommerfrische»-Tourismus ankurbeln. Das veränderte Niederschlagsregime könnte es ermöglichen, mehr Strom aus Wasserkraft zu produzieren. Insgesamt dürften jedoch die Risiken gegenüber den Chancen stark überwiegen, auch aus finanzieller Sicht.

Ergänzend zu den laufenden Projekten im Rahmen der Klimastrategie erarbeitet die kantonale Verwaltung momentan die zweite Etappe des Aktionsplans Green Deal (AGD) für Graubünden. Der AGD strebt die Klimaneutralität des Kantons bis

2050 an, beziffert das kantonale Treibhausgasbudget bis 2050 und will Massnahmen umsetzen, um dieses Budget einzuhalten. Neben dem Klimaschutz bezweckt der AGD ausserdem, die Bevölkerung, Wirtschaft und Natur besser vor den negativen Folgen des Klimawandels zu schützen und ermöglicht – wo sinnvoll und machbar – deren Anpassung an das veränderte Klima. Was ist der aktuelle Stand? Der Grosse Rat hat die erste Etappe des AGD im Oktober 2021 gutgeheissen und dadurch erstens Gelder bereitgestellt, um (höhere) kantonale Förderbeiträge für Massnahmen im Gebäudebereich, im öffentlichen Verkehr und für Pilotprojekte zur klimaneutralen Landwirtschaft sprechen zu können. Zweitens hat der Grosse Rat die Leitplanken für die Ausarbeitung der zweiten Etappe des AGD gesetzt. Der Kanton schafft derzeit die gesetzlichen Grundla-

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Präparierte Langlaufloipe im Oberengadin. (Foto: Amt für Natur und Umwelt Graubünden)

gen, um weitere Massnahmen im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung umsetzen und (mit-) finanzieren zu können. Diese gesetzlichen Grundlagen dienen als Basis für die Umsetzung der zweiten Etappe des AGD und sollen per 2026 in Kraft treten. Sie sollen beispielsweise die finanzielle Förderung von innovativen (Gross-)Projekten im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung ermöglichen, die Treibhausgase im Landwirtschaftssektor durch finanzielle Anreize markant reduzieren, unnötigen Verkehr reduzieren und klimafreundliche Mobilitätsformen fördern. Der AGD setzt zudem Anreize, mehr erneuerbare Energien und insbesondere mehr Solarenergie zu nutzen, speziell zur Winterstromgewinnung.

Der neu zu schaffende kantonale Klimafonds soll die nötigen Gelder für die Finanzierung der Massnahmen bereitstellen. Dies wird in der heutigen Erwartung die grösste Herausforderung für die

weitere Umsetzung des AGD sein: ausreichende und mehrheitsfähige Finanzierungsquellen für den Klimafonds zu finden, um den Aktionsplan umsetzen zu können. Dabei müssen wir uns vor Augen führen, dass die Massnahmen des AGD nicht nur dem Klima zugutekommen, sondern markant und dauerhaft unsere Auslandsabhängigkeit in der Energieversorgung reduzieren. Heute geben wir im Kanton Graubünden für fossile Energieträger jährlich 400 Millionen Franken aus. Von diesen 400 Millionen fliessen mehr als 200 Millionen Franken jährlich ins Ausland ab, insbesondere an Öl- und Gaskonzerne. Mit dem Green Deal können wir diese 200 Millionen Franken pro Jahr im Kanton Graubünden ausgeben und bei uns Wertschöpfung generieren. Somit trägt der AGD nicht nur zur Eindämmung des Klimawandels bei, sondern macht auch aus Sicht der kantonalen Binnenwirtschaft durchaus Sinn.

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Mit dem «Aktionsplan Green Deal für Graubünden» soll der Treibhausgasausstoss im Kanton Graubünden sukzessive reduziert und der Kanton bis 2050 klimaneutral werden. (Quelle: Situationsanalyse AGD)

Der Kanton will mit dem Klimafonds und den Massnahmen dafür sorgen, dass Gemeinden, die Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger ihren Teil zur Energiewende, zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung beitragen können und wollen. Er will primär finanzielle Anreize setzen, um die Akteure dazu zu motivieren, sinnvolle klimafreundliche Massnahmen umzusetzen. Die Gemeinden können unterstützend wirken, indem sie Hand bieten für klimafreundliche Projekte auf ihrem Gemeindegebiet oder diese sogar selbst lancieren, sich nach Möglichkeit finanziell daran beteiligen und Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft dabei unterstützen, Massnahmen umzusetzen. Beispielsweise können sie rechtliche Hürden in ihren Baugesetzen abbauen, welche die Installation von Solarenergieanlagen unnötig erschweren. Denn eins ist klar: ohne die Unterstützung von Be-

völkerung und Wirtschaft und deren Bereitschaft, den Green Deal – auch finanziell – mitzutragen, wird es nicht gehen. Die jüngeren geopolitischen und energiemarktseitigen Entwicklungen zeigen eindrücklich auf, dass der Nutzen des AGDs für alle Anspruchsgruppen noch weitaus grösser sein könnte, als bisher angenommen. Packen wirs also an!

Mehr Informationen zum AGD und zum Klimawandel im Kanton Graubünden: www.klimawandel.gr.ch

Mehr Informationen zu den kantonalen Förderprogrammen: www.energie.gr.ch

Katja Graf ist Chemikerin und Ökonomin und beim Amt für Natur und Umwelt Graubünden für die Themen Klima und Nachhaltigkeit zuständig.

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Photovoltaikanlagen im alpinen Raum generieren wertvollen Winterstrom, wie hier bei Muottas Muragl, Samedan. (Bild: Fanzun AG, Chur)

Konkurrenz oder sinnvolle Ergänzung zur Holznutzung?

Waldklimaschutzprojekte werden in der Waldbranche kontrovers diskutiert. Dabei kann es in der Schweiz nicht um ein generelles Entweder-Oder gehen. Die positiven Klimaschutzeffekte der Holznutzung sind unbestritten. Einnahmen aus CO2-Zertifikaten können den Waldeigentümern jedoch helfen, ihre Aufgaben in ökonomisch schwierigen Zeiten zu bewältigen. Waldklimaschutzprojekte stossen bei Waldeigentümern wie auch bei der Kundschaft von CO2-Zertifikaten auf ein erstaunlich grosses Interesse.

Google kennen alle. Wer aber kennt Ecosia? Die Internet-Suchmaschine wirbt mit dem Slogan: «Ein grüner Planet dank jeder Suche – Der einfachste Weg, Bäume zu pflanzen und jeden Tag etwas fürs Klima zu tun.» Als Donald Trump noch Präsident des mächtigsten Landes der Welt war, kündigte er im Januar 2020 am WEF in Davos an, die USA würden eine Billion Bäume pflanzen, um das Klima zu schützen. Im Publikum sass Greta Thunberg und gab ihm zur Antwort: «Das reicht bei Weitem nicht.» Der Schlagabtausch zwischen den beiden Antipoden ist skurril. Und was hinter den Baumpflanzaktionen von Ecosia steckt, wäre eine Recherche wert.

Negative CO2-Emissionen sind nötig

Doch alle Initiativen tippen einen wichtigen Punkt an. Will die Staatengemeinschaft die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 erreichen, sind negative CO²-Emissionen unumgänglich. Dem Kreislauf ist somit Kohlenstoff (C) zu entziehen – technisch oder auf biologischem Weg. Vermutlich ist beides nötig und auch sinnvoll.

Mit ihrem Wachstum entziehen Bäume der Atmosphäre CO². Es klingt verlockend, wenn Bäume und Wälder uns helfen würden, das Klimaproblem zu lösen – ohne Zweifel eine der grössten gegenwärtigen Herausforderungen der Menschheit. Die nächsten drei Jahrzehnte sind matchentscheidend.

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Klimaschutz im Wald –
Lukas Denzler Vorratsreicher Bestand im Gebiet Furnertobel. (Bild: PLD Forst GmbH)

In den meisten europäischen Ländern halfen die Wälder beim Klimaschutz, indem ihr Vorrat an Holzbiomasse in den letzten Jahrzehnten insgesamt deutlich angestiegen war. Die Schweiz hätte ihre CO²-Reduktionsverpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll ohne die Wälder nicht erfüllen können. Der Wald wuchs einfach. Stürme und Trockenheit reduzierten zwar die Holzvorräte. Weil aber die Holznutzung durch die Forstbetriebe seit Jahren stagniert, ergab sich ein deutliches Plus bei dem im Wald gespeicherten Kohlenstoff. Und so erstaunt es nicht, dass die Waldeigentümer sich seit Längerem mit der Frage auseinandersetzen, wie sich die Klimaschutzleistung der Waldwirtschaft in Wert setzen liesse. In der Schweiz in grossem Stil aufforsten, um CO² zu speichern, ist jedoch unrealistisch. Ein gewisses Potenzial für zusätzliche Speicherung in Bäumen gibt es im Siedlungsraum. Gemäss einer Studie der WSL wachsen etwas mehr als 6 Prozent der Bäume in der Schweiz ausserhalb des Waldes. In städtischen Gebieten ist der Anteil deutlich höher, in Genf sind es beispielsweise mehr als 39 Prozent. Vergleichsweise wenig Bäume wachsen hingegen im Landwirtschaftsgebiet. Es gibt jedoch Bestrebungen, Agroforstsysteme zu fördern. Die Landwirtschaft kann so ihre eigene Klimabilanz aufbessern. Der Fonds Landschaft Schweiz wählte das Thema Agroforst zu seinem Fokus 2022/23.

Holzindustrie machte es vor

Vor zehn Jahren zeigte die Holzindustrie auf, wie man beim Holz Klimaschutzleistungen in Wert setzen kann. Der Verein «Senke Schweizer Holz» lancierte 2013 ein Kompensationsprojekt zur Steigerung des CO²-Speichers im Schweizer Holz, das vom Bundesamt für Umwelt BAFU anerkannt wurde. Die beteiligten Firmen setzen unwirtschaftliche Massnahmen um. Damit soll unter anderem die Verwendung von Schweizer Holz gewährleistet werden. Dass dem auch so ist, muss jährlich nachgewiesen werden. Das Geld für die erbrachte Leis-

tung stammt von der Stiftung Klimaschutz und CO²-Kompensation KliK. Das CO²-Gesetz verlangt von den Mineralölgesellschaften, dass sie einen Teil der durch fossile Treibstoffe verursachten CO²-Emissionen kompensieren. Dafür zuständig ist die Stiftung KliK, die aus den Beiträgen der Mineralölgesellschaften vom BAFU genehmigte Klimaschutzmassnahen finanziert. Weil dies gesetzlich festgelegt ist, spricht man vom sogenannten Verpflichtungsmarkt. Ein Stück vom Kuchen abschneiden möchten sich auch die Holzbaubetriebe. Schliesslich sei es der Holzbau, der die Bretter und Balken verbaue und das CO² einlagere, argumentieren sie. Die Waldeigentümer sind ebenfalls unzufrieden, denn ohne die Bäume aus dem Wald fehlt der holzverarbeitenden Industrie das Rohmaterial. Michael Gautschi, der Direktor von Holzindustrie Schweiz, ist der Ansicht, dass die vorgelagerte Waldwirtschaft wie auch der nachgelagerte Holzbau ebenfalls davon profitiere, wenn die Holzindustrie leistungsfähig sei und bleibe. Auf der Webseite des Vereins ist beispielsweise eine Grafik publiziert, die zeigt, wie die Einschnittmenge von Nadelholz bis 2013 kontinuierlich zurückgegangen war, nach Anlaufen des Kompensationsprojektes hingegen stabilisiert werden konnte und nun wieder leicht zunimmt.

Waldklimaschutzprojekte sind gegenwärtig vom lukrativen Verpflichtungsmarkt ausgeschlossen. Möglichkeiten bietet jedoch der freiwillige CO²Kompensationsmarkt. Und dieser nimmt seit wenigen Jahren Fahrt auf. Pionierarbeit leisteten die Oberallmeindkorporation Schwyz mit ihrem 2010 lancierten Klimaschutzprojekt in einem mehrheitlich bewirtschafteten Wald sowie zwei öffentliche Waldeigentümerinnen in Soulce und Undervelier im Kanton Jura mit ihrem gemeinsamen Waldreservat.

Hubertus Schmidtke von Silvaconsult entwickelte eine Methodik, die sich auf eine ISO-Norm und externe Zertifizierung abstützt. Die ISO-Norm erleichtert die Umsetzung von Projekten wesentlich.

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Diese gliedern sich in zwei Typen. Bei Waldreservaten kann sich der Vorrat ungefähr verdoppeln und die Flächen sind vertraglich über mehrere Jahrzehnte gesichert. Die Kohlenstoffspeicherung wird mittels Modellrechnung abgeschätzt. Der Erlös durch CO²-Zertifikate beträgt laut Schmidtke bis zum Fünffachen der Entschädigung für die Biodiversitätsförderung, wobei Letztere kantonal unterschiedlich ist. Der andere Projekttyp deckt den bewirtschafteten Wald ab. Eine Nutzung ist weiterhin möglich und auch vorgesehen. Der Waldeigentümer verpflichtet sich, einen bestimmten Vorrat zu halten und allenfalls sogar zu erhöhen – oder er verzichtet darauf, den Vorrat abzubauen. Um die Entwicklung zu dokumentieren, ist regelmässig ein Monitoring nötig sowie alle zehn bis fünfzehn Jahre eine Inventur

Ein Pilotprojekt im Kanton Solothurn

Mit einem Pilotprojekt im Wald von 18 Bürger- und Einheitsgemeinden, betreut durch den Forstbetrieb Bucheggberg, wurde die Methodik verfeinert und getestet. Der Forstbetrieb Bucheggberg und der Verband Bürgergemeinden und Wald Solothurn waren ideell die treibenden Kräfte. Aber auch WaldSchweiz, die Abteilung Wald des Bundesamtes für Umwelt und der Kanton Solothurn sowie der Verband der Bürgergemeinden des Kantons Solothurn unterstützten das Vorhaben. Das Projekt läuft seit 2016 für eine Laufzeit vom 30 Jahren. Jährlich werden gut 3700 Tonnen CO² gespeichert, indem das Holznutzungspotenzial nicht vollständig ausgeschöpft wird. Bei einer Annahme von je 50 Prozent Nadel- und Laubholz entspricht das einem jährlichen Nutzungsverzicht von rund 2750 m³ Holz. Wie Mark Hunninghaus betont, ist das Projekt eine Ergänzung zur forstlichen Tätigkeit und den Naturschutzaktivitäten. «Die Erweiterung des Portfolios erfolgte aus ideellen wie auch finanziellen Überlegungen», sagt er. Die Einnahmen aus den CO²-Zertifikaten seien substanziell und würden dem Forstbetrieb helfen, seine Aufgaben zu bewältigen und würden zudem

wieder in den Wald oder Klimaschutzmassnahmen investiert. In seinen Augen sollte die Forstwirtschaft Waldklimaschutz als Chance sehen.

Ein Ziel des Pilotprojektes war zudem die Gründung eines Vereins. Seit 2019 unterstützt der Verein «Wald-Klimaschutz Schweiz» Waldeigentümer und Forstbetriebe bei der Umsetzung von CO²-Projekten und dem Verkauf der Zertifikate. «Dank dem Verein steht diese Möglichkeit nun auch zur Verfügung», sagt Paolo Camin, der Präsident des Vereins. Das Interesse bei den Waldeigentümern an solchen Projekten sei gross. Ebenso die Nachfrage nach Zertifikaten. 2021 wurden rund 10 Millionen Franken durch den Verkauf von Zertifikaten generiert. Ob der steigende Trend auf dem freiwilligen Markt freilich anhält, wird sich zeigen.

Prättigau/Davos – mit 13 000 Hektaren Wald grösstes Projekt

Das grösste bisher realisierte Projekt ist dasjenige im Prättigau und der Landschaft Davos. Bereits vor zehn Jahren wollte man etwas in diese Richtung machen, erinnert sich Felix Wyss von der Prättigau/Landschaft Davos Forst GmbH (PLD). Umgesetzt werden konnte das Projekt aber erst nach der Gründung des Vereins. Die elf öffentlichen Waldeigentümer der Region Davos, vertreten durch die PLD, spannen zusammen. Insgesamt 13 00 0 Hektaren Wald umfasst die Projektfläche. Wenn die Holzvermarktungsorganisation einer Region hinter einem Waldklimaschutzprojekt steht, dann wird auch weiterhin Holz genutzt werden. Fragt sich also, worin die Klimaschutzleistung besteht? Die Region verfügt über hohe Holzvorräte. Aufgrund von Inventurdaten des Kantons hätten die Forstbetriebe die Möglichkeit, den Holzvorrat durch eine stärkere Nutzung deutlich abzusenken. Sie verpflichteten sich nun aber, dies während den nächsten 30 Jahre nicht in vollem Umfang zu tun. Die Differenz von jährlich rund 36 00 0 Tonnen CO² lassen sich als Zertifikate verkaufen. Die eingegangene Verpflichtung lässt sogar noch eine gewisse Steige-

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rung der Holznutzung zu. Es stellt sich jedoch die Frage, wie wahrscheinlich eine solch deutliche Senkung des Holzvorrates ohne das Klimaschutzprojekt tatsächlich wäre. Die Stiftung myclimate, die freiwillige CO²-Kompensationen anbietet, überzeugte das Projekt. Sie sicherte sich bis auf Weiteres sämtliche CO²-Zertifikate.

Augenmass behalten

Felix Wyss, der auch als Förster in Furna wirkt, sieht im Klimaschutzprojekt eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Das Geld helfe den Forstbetrieben, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Gemeinden – alle haben mit der PLD einen Vertrag unterschrieben – sind verpflichtet, die Einnahmen

wieder in Waldprojekte zu investieren. Wichtig sei, dass bei solchen Projekten das Augenmass behalten werde, sagt Wyss. Und dass Wertschöpfung in der Region generiert werde. «Exponenten der Forstwirtschaft kritisieren oft die zu geringe Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen», stellt Hubertus Schmidtke fest. Der Weg über CO²-Zertifikate stelle nun endlich eine solche Möglichkeit dar. Eine angemessene Holznutzung sei weiterhin möglich. Viele kritische Stimmen wollten dies laut Schmidtke aber nicht wahrhaben.

Kritische Stimmen

An kritischen Stimmen mangelt es nicht. Die Speicherung von CO² sei nicht zusätzlich und auch

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Schutzwaldpflege wie hier im mittleren Prättigau erfolgt weiterhin. (Bild: PLD Forst GmbH)

nicht permanent. Auch wenn die entwickelte Methode diesen wichtigen Punkten Rechnung trägt, ist anzumerken, dass im Wald gespeichertes CO² nicht vergleichbar ist mit vermiedenem CO², das nicht in die Atmosphäre gelangt. Kritisch zur Verrechnung von CO²-Reduktionsverpflichtungen mit Waldschutz und Aufforstungsprojekten äusserte sich auch der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen der deutschen Bundesregierung in seinem Bericht «Landwende im Anthropozän» von 2020. Stattdessen fordert er die Förderung des Holzbaus im Rahmen einer Bioökonomie.

Holznutzung und die Holzverwendung spielen zweifellos eine wichtige Rolle. Ins Gewicht fällt dabei nicht nur die Speicherung von CO² in langlebigen Holzprodukten, sondern auch die Substitution von Beton und Stahl, die eine schlechte Klimabilanz aufweisen. So plädiert etwa der bekannte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber dafür, Städte künftig aus Holz statt aus Beton zu bauen. Folglich hätte man im Prättigau möglichst viel Holz zu ernten und nach Zürich zu liefern. Und im Bucheggberg nach Solothurn, Biel und Bern. Nur gibt es in der Schweiz keine Bewirtschaftungspflicht im Wirtschaftswald.

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Auch die Pflege von Auerhuhn-Lebensräumen im hinteren Prättigau kostet Geld. (Bild: PLD Forst GmbH)

Seit den Stürmen Vivian und Lothar entwickelten sich die Holzpreise fast nur in eine Richtung. Nun steht den Waldeigentümern dank CO²-Zertifikaten eine finanzielle Alternative zur Verfügung. Das bietet neue Möglichkeiten. Und reduziert Abhängigkeiten. Substanziell höhere Holzpreise würden die Gewichte wieder verschieben und CO²-Zertifikate weniger attraktiv machen. Vielleicht hilft das auch, dass ein Zeitalter anbricht, in dem die Preise für Holz wieder «stimmen».

Grössenordnungen beachten

Die Fronten sind verhärtet, vor allem auch in Deutschland und Österreich. Es würde vermutlich helfen, würden die Dinge etwas nüchterner betrachtet sowie die Grössenordnungen beachtet. Wie viel Waldfläche oder wie viele Bäume beansprucht die Holzproduktion, wie viel der Naturschutz und wie viel der Klimaschutz? Wenn eine Inwertsetzung der Klimaschutzleistung den Waldeigentümern hilft, ihren Wald nachhaltig zu bewirtschaften und auch Holz zu nutzen, dann sollte man das nicht pauschal geringschätzen.

Holznutzung ist nicht einfach gegeben

Dabei ist die Glaubwürdigkeit zentral. Sämtliche gesetzlich festgelegten und von der Gesellschaft nachgefragten Waldleistungen sind zu beachten. Zu bedenken ist aber auch, dass die Holznutzung in einem Land wie der Schweiz nicht einfach gegeben ist. Die nationale Waldpolitik hält als erstes von elf Zielen fest, dass das nachhaltig nutzbare Holznutzungspotenzial ausgeschöpft wird. Davon reden wir schon recht lange. Auch von der Kaskadennutzung. Und doch will es nicht recht vorwärtsgehen. Zur besseren Ausschöpfung des Potenzials muss die Holznutzung und -bereitstellung für Forstbetriebe und Waldeigentümer finanzierbar und gesellschaftlich akzeptiert sein. Zudem muss die Waldwirtschaft Holzsortimente liefern, die der Markt auch nachfragt. Und der Wald beziehungsweise die Baumarten müssen mit dem künftigen Klima klarkommen,

damit die zahlreichen Ökosystemleistungen weiter erbracht werden. Keine einfache Aufgabe.

Eine politisch-gesellschaftliche Herausforderung

Politisch stellt sich die Herausforderung, wie es gelingt, die Waldpolitik mit der Ressourcenpolitik «Holz» und der Klimapolitik klug zu verknüpfen. Die Anreize so zu setzen, um die gewünschten Effekte zu erzielen, ist sehr komplex. Und die Gretchenfrage lautet: Ist Urproduktion in einem Hochpreis-Dienstleistungsland wie der Schweiz noch möglich? Ergibt sich aus der Notwendigkeit, eine Bioökonomie zu etablieren, eine neue Wertschätzung? Wenn nicht, dann könnten CO²-Zertifikate und Waldklimaschutzprojekte noch attraktiver werden.

Lukas Denzler ist Forstingenieur und seit 20 Jahren als freier Journalist tätig.

Literatur und Quellen

Christoph Schmutz, Gabriella Weber-Blaschke: Kontrovers diskutiert: Der Klimaschutzbeitrag der Forst- und Holzwirtschaft. LFW aktuell 1/2021. Deutscher Verband Forstlicher Versuchsanstalten: Fakten zum Thema: Wälder und Klimaschutz. AFZ Der Wald 11/2021.

Rainer Luick et al.: Urwälder, Natur- und Wirtschaftswälder im Kontext von Biodiversität- und Klimaschutz. Naturschutz und Landschaftsplanung 12/2021.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Landwende in Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration. Hauptgutachten 2020.

Christian Ginzler et al.: Die Baumbedeckung der Schweiz. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 9/2011.

Schlagabtausch zwischen Donald Trump und Greta Thunberg – 20 Minuten: https://www.pressreader. com/switzerland/20-minuten-bern/20200122.

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Eine angepasste Waldbau-Strategie und der Wald als Kohlenstoff-Senke

Der Klimawandel ist für den Bündner Wald eine der grössten Herausforderungen der kommenden Jahre. Das Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) hat im Frühjahr 2022 zwei Dokumente erarbeiten lassen, die sich mit dem Klimawandel und dessen Folgen beschäftigen. In der neuen Strategie Waldbau und Klimawandel werden Handlungsfelder evaluiert und Massnahmen festgelegt, um in einem Zeithorizont von fünf Jahren die dringlichsten Anpassungsmassnahmen bei der Waldbewirtschaftung im Kanton Graubünden anzugehen. Im Kurzbericht Kohlenstoffsenke Wald wurde eine breite Auslegeordnung zu den schweizweit aktuellen und viel diskutierten Waldklimaschutzprojekten erarbeitet.

Strategie Waldbau und Klimawandel

Nicht nur das Klima, auch die Waldstandorte sind im Wandel. Die Standortbedingungen, welche zu einem grossen Teil von Temperatur und Niederschlagsregime abhängig sind, ändern sich. Dadurch verändert sich auch die erwartete Baumartenzusammensetzung in den Wäldern an vielen Orten. Weil dies in sehr langen Zeiträumen passiert, sind grössere Auswirkungen bisher noch kaum sichtbar oder auf bestimmte Gebiete beschränkt.

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Instrumente und Publikationen zum Thema Waldbau und Klimawandel geschaffen. Hervorzuheben sind einzelne grössere Projekte wie das nationale Forschungsprogramm «Wald im Klimawandel», welches in der gleichnamigen Buchpublikation resultierte. Darauf aufbauend wurden durch den Kanton Graubünden in Zusammenarbeit mit dem BAFU und weiteren involvierten Stellen diverse Forschungsarbeiten angeregt oder mitfinanziert, zum Beispiel das Projekt «Sensitive Standorte und Bestände», welches im Jahr 2021 abgeschlossen werden konnte. Das AWN hat deshalb eine auf die Bündner Wälder abgestimmte Strategie entwickelt, welche in einem verhältnismässig kurzen Zeithorizont von fünf Jahren die dringlichsten heute erkennbaren Massnahmen regeln soll. Damit kann auf die Veränderungen

im Wald reagiert und – wo möglich und nötig – vorausschauend gehandelt werden.

Basierend auf dem heutigen Wissensstand wurde entschieden, den Fokus auf die bekannten Adaptationsprinzipien zu legen. Eine kleine Begleitgruppe, bestehend aus Vertretern der AWN-Regionen und der Bündner Forstbetriebe, tauschte sich gemeinsam mit Vertretern der AWN-Zentrale und des Betriebsleiters des kantonalen Forstgartens an zwei halbtägigen Workshops intensiv über die dringlichsten Anpassungsmassnahmen aus. Entstanden ist eine Strategie mit 11 Grundsätzen, 15 Zielen und 19 entsprechenden Massnahmen. Für jedes Ziel wurde ein entsprechender Indikator definiert sowie ein Zielwert festgelegt. Die Planung sieht vor, dass die Massnahmen zwischen 2023 und 2027 umgesetzt werden. Dabei liegt die Federführung beim Amt für Wald und Naturgefahren, wenn es etwa um neue Regelungen in den Projektvorschriften geht. Beispielsweise soll geregelt werden, in welcher Form die neuen Instrumente wie die TreeApp durch Revierförster und Regionalforstingenieure genutzt werden sollen. Am Beispiel dieser Anwendung ist vorgesehen, dass bei Eingriffen im Schutzwald die erwartete Baumartenzusammensetzung gemäss TreeApp zwingend zu konsultieren ist, auch wenn der Ent-

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Dr. Marco Vanoni, Dr. Konrad Noetzli, Mario Guetg

scheid über die konkrete Zielbestockung natürlich erst vor Ort erfolgen kann. Die Strategie beinhaltet – neben konkreten waldbaulichen Vorgaben – verschiedene weitere Ziele und Massnahmen. So soll insbesondere der Erfahrungsaustausch zwischen den Waldbaupraktikern gefördert und ausgebaut werden, wozu bewährte Gefässe wie die Waldbau-Gemeinschaften in den Regionen genutzt werden können. Weiter wird auch der Forstgarten in die Strategie eingebunden, in dem gerade bei der Bestandesbegründung eine geeignete Herkunft des Vermehrungsgutes entscheidend ist. Längerfristig soll sich der Forstgarten als wichtiger Know-how-Träger und Lieferant klimatauglichen Pflanzmaterials positionieren können.

Im Zusammenhang mit dem Klimawandel spielt natürlich der Wildeinfluss auf den Jungwald eine Rolle. Die neue Strategie fokussiert jedoch nicht auf dieses Thema und verweist auf die im Jahr 2021 verabschiedete Strategie Lebensraum Wald-Wild des Departements. Deren Umsetzung braucht Zeit, erste Wirkungsziele betreffend Waldverjüngung wurden spätestens für 2026 festgelegt. Deshalb orientiert sich die Strategie Waldbau und Klimawandel grundsätzlich am heutigen Wildeinfluss. Die Strategie wurde auf einen Zeitraum von «nur» fünf Jahren festgelegt. Dieser recht kurze Zeitraum wurde gewählt, um angesichts der unsicheren Entwicklung zeitnah mit Anpassungen reagieren und die Massnahmen entsprechend justieren zu kön-

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Wenn es nötig wird, sollen Alternativbaumarten möglich sein. Nicht in Frage kommen invasive Arten wie etwa der Blauglockenbaum (Paulownia tomentosa) oder der Götterbaum (Ailanthus altissima). (Bild: Marco Vanoni)

nen. In den nächsten Monaten wird zudem ein Konzept entwickelt, wie die Strategie im Jahr 2027 evaluiert werden soll. Generell soll die Strategie nicht dogmatisch im Sinne einer unumstösslichen Vorgabe umgesetzt werden. Die «Vielfalt im Handeln» in den Regionen und Revieren stellt ebenfalls eine Vielfalt dar, welche gesamthaft zu einem angemessenen Umgang mit dem Klimawandel beiträgt.

Begleitet wird die Umsetzung mit umfassenden Kommunikationsmassnahmen (intern und extern), damit auch von der breiten Bevölkerung verstanden wird, wie sich die Waldbewirtschaftung in Graubünden am Klimawandel orientiert.

Kohlenstoffsenke Wald

Der Wald spielt jedoch nicht nur als Träger der Folgen des Klimawandels eine Rolle. Er hat auch einen Einfluss auf die CO²-Konzentration in der Atmosphäre – und damit auf eine der Hauptursachen für den globalen Treibhauseffekt. Dieser Umstand steht für die Öffentlichkeit oft noch stärker im Fokus als der Einfluss des Klimawandels auf den Wald selbst. Bäume bauen durch Photosynthese Biomasse auf und speichern den Kohlenstoff aus der Luft im Holz. Sie tragen so dazu bei, die CO²-Konzentration in der Atmosphäre zu senken. Solche «Senkenleistungen» sind auf internationalen und nationalen Märkten in Form von «CO²-Zertifikaten» handelbar. Die Wald- und Holzbranche in der Schweiz ist in diesen Märkten mit verschiedenen Projekten präsent. Die CO²-Speicherleistung des Waldes kann so in Wert gesetzt werden, was für Waldeigentümer finanziell attraktiv sein kann.

Aktuell werden in der ganzen Schweiz viele sogenannte «Waldklimaschutzprojekte» lanciert (vergleiche www.wald-klimaschutz.ch). Sie bieten der Waldeigentümerschaft eine neue Ertragsquelle. Die Zertifikate werden entweder durch den realen Aufbau der Holzvorräte im Wald oder mit der Verpflichtung zu einer bestimmten, befristeten Vorratshaltung generiert. Gehandelt werden

diese Zertifikate im Moment auf dem nicht staatlich regulierten Markt («freiwilliger Markt»). Die entsprechenden Projekte werden nach einem einheitlichen Standard entwickelt und extern zertifiziert.

Inhaltlich erscheinen diese Projekte oft recht komplex. Einerseits erfordern sie Kenntnisse über die Rahmenbedingungen der CO²-Märkte, andererseits werden jeweils verschiedene Annahmen zu Szenarien und Entwicklungen getroffen. Diese Umstände können dazu führen, dass solche Projekte – sei es gerechtfertigt oder nicht – kontrovers diskutiert werden. Sehen die einen den Zertifikatehandel als faire Abgeltung einer wichtigen Waldleistung, bezeichnen andere die Projekte als irreführend und für die Waldbranche gar als «schädlich» (Stichwort «Greenwashing» etc.). Das AWN hat deshalb eine Auslegeordnung zu den Rahmenbedingungen, den Mechanismen der Märkte und den Waldklimaschutzprojekten erarbeitet. Ziel war es, eine fachliche Haltung zu entwickeln und gemeinsam mit den wichtigsten Partnern – der SELVA und Graubünden Holz – ein zielführendes, gemeinsames Handeln zu ermöglichen.

Das AWN anerkennt grundsätzlich die Möglichkeit für die Waldeigentümerschaft, mit Waldklimaschutzprojekten am freiwilligen CO²-Zertifikatemarkt teilzunehmen. Allerdings ist es für das Amt – als für die nachhaltige Waldentwicklung zuständige Behörde – wichtig, dass alle gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere auch die Planungsvorschriften eingehalten sind. Zudem hält das AWN fest, dass

– das AWN bei der Erarbeitung von Waldklimaschutzprojekten keine führende Rolle übernimmt.

– das AWN als kantonale Fachstelle für die Sicherung der Waldleistungen eine legitime Aufgabe hat, die Wirkung solcher Projekte zu beurteilen.

– Waldklimaschutzprojekte die Waldfunktionen/ Waldleistungen im öffentlichen Interesse nicht beeinträchtigen dürfen.

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– die forstliche Planung den Rahmen für Waldklimaschutzprojekte bildet. Die Betriebspläne sind für alle Waldeigentümer verbindlich, für Gemeindebehörden gelten zudem die Vorgaben aus dem WEP.

– das AWN den Projekten Daten zur Verfügung stellt und die Projektszenarien beurteilt. Aufgrund des doppelt positiven Effekts von verbautem Holz – durch die Bindung von CO² im Holz und die Substitution anderer CO²-intensiver Baustoffe – gewichtet das AWN die Rolle von Holz im Klimaschutz höher als jene von Waldklimaschutzprojekten. Zudem fördert die regelmässige Pflege und Nutzung des Waldes die Waldleistungen und die Holzbranche gleichermassen. Entsprechend

engagiert sich das AWN weiterhin zusammen mit seinen Partnern für eine nachhaltige Holznutzung und eine möglichst hochwertige, regionale Verwertung des Rohstoffs Holz. Nicht zuletzt beurteilt das AWN die Langfristigkeit sowie die Zusätzlichkeit von Waldklimaschutzprojekten kritisch.

Dr. Marco Vanoni leitet den Bereich Schutzwald & Waldökologie des Amts für Wald und Naturgefahren und ist zuständig für die Umsetzung der kantonalen Waldbau-Strategie.

Mario Guetg und Dr. Konrad Noetzli arbeiten bei der Basler & Hofmann AG und betreuen vielfältige Projekte rund um den Wald in der ganzen Schweiz.

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Der Wald steht im Zeichen des Klimawandels doppelt im Fokus: Zum einen muss seine Behandlung an die klimatischen Veränderungen angepasst werden, zum anderen ist er eine natürliche Senke für CO2. (Bild: Konrad Noetzli)

Hat der Bündner Wald noch

CO2-Speicherpotenzial?

In den Bündner Wäldern wurde in den letzten 100 Jahren rund 40 Mio. t CO2 gespeichert. Aktuell kommen jedes Jahr fast 1 Mio. t dazu. Im Moment befinden sich die durchschnittlichen Vorräte pro Revier mehrheitlich im gewünschten Rahmen. Will man diese gute Ausgangslage in den nächsten Jahren nicht wesentlich verschlechtern, kann nur noch wenig zusätzliches CO2 im Wald gespeichert werden. Notwendig wäre dafür eine räumliche differenzierte Festlegung, wo eine weitere Vorratszunahme möglich ist und wo nicht.

Im Rahmen der Fotosynthese entnimmt ein Baum das Kohlendioxid aus der Atmosphäre und wandelt es in Zucker, Sauerstoff und Wasser um. Aus einem Teil des Zuckers entstehen über verschiedene Prozesse das Holz, die Rinde, die Wurzeln und die Blätter oder Nadeln. Holz besteht zu rund 50 % aus Kohlenstoff. Stirbt der Baum, zersetzt sich das Holz langsam, und der gespeicherte Kohlenstoff wandelt sich wieder zu CO² um, welches an die Luft zurückgegeben wird. Rund ¼ des in der Biomasse eines Baums gespeicherten Kohlenstoffes ist in der Wurzel gebunden, 75% im oberirdischen Teil (Schaftholz, Astderbholz, Reisig und Nadeln/ Blätter).

Im Folgenden soll in einer generalisierten und nicht wissenschaftlichen Betrachtung aufgezeigt werden, welche Bedeutung der Wald für die CO²-Speicherung im Kanton hat und wie gross das theoretische CO²-Speicherpotenzial in den nächsten 30 Jahren unter verschiedenen Nutzungsszenarien wäre. Dabei muss beachtet werden, dass die Vorratsauswertungen und angenommenen Szenarien sehr stark generalisiert sind und nicht auf die waldbaulichen Notwendigkeiten abgestimmt sind. Die Zahlen sind daher auch ausdrücklich nicht als Grundlage geeignet, um konkrete CO²-Projekte zu erarbeiten. Sie können aber dazu beitragen, die

Möglichkeiten des Bündner Waldes für eine zusätzliche CO²-Speicherung aufzuzeigen.

Wieviel CO2 ist in den Bäumen des Bündner Waldes gespeichert?

Der gesamte Bündner Wald hat aktuell (LFI4) einen Vorrat an lebenden Bäumen von rund 56,5 Mio. m³ oder ca. 30 0 m³/ha (Tabelle 1). Dies entspricht rund 68 Mio. t gespeichertem CO², davon 51 Mio. t in der oberirdischen Biomasse. Schaut man sich die Entwicklung seit 1930 an, so wurde seitdem im Wald rund 40 Mio. t zusätzliches CO² akkumuliert.

* durchschnittlicher Umrechnungsfaktor Vorrat  CO2 für GR (aus LFI4) = 1,1 Tabelle 1: Entwicklung CO2-Speicherung im Bündner Wald.

Der Holzzuwachs beträgt im Kanton Graubünden gemäss LFI4 rund 1,1 Mio. m³ pro Jahr, was einem

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Vorrat CO2 Speicher* Jahr Total m3 m3/ha Total 1930 23 691 780 209 28 667 054 1950 27 000 000 225 32 670 000 1995 46 365 000 275 56 101 650 2020 56 498 000 299 68 362 580

CO²-Speicherpotenzial von rund 1,3 Mio. t entspricht (Tabelle 2). Dies entspricht ungefähr dem aktuellen direkten CO²-Ausstoss in Graubünden (s. Artikel Graf in dieser Bündner Wald-Ausgabe). Durch die natürliche Mortalität werden von diesen rund 20% des Potenzials wieder freigesetzt. Fast die Hälfte des jährlichen CO²-Speicherpotenzials im Wald wird durch die Holznutzung dem Wald wieder entnommen. Ein Teil dieses CO² wird in langlebigen Produkten weiter gespeichert, ein Teil wird der Energieproduktion zugeführt und substituiert damit fossiles CO². Über 40 % des laufenden Zuwachses wird aktuell als CO² im Baum gespeichert. Dies würde bei gleicher Nutzung und gleicher Mortalität zu einer Vorratszunahme im Bündner Wald von 65 m³/ha in 30 Jahren führen.

Wie hoch dürfen die Vorräte steigen?

Die Ergebnisse der Waldinventur zeigen, dass der Bündner Wald aktuell eine wichtige Rolle bei der Speicherung des CO² spielt, sei es durch die Nutzung von Stammholz zur Verwendung in langlebigen Holzprodukten, zur Substitution von fossilen Brennstoffen durch die Verwendung von Energieholz oder durch die Zwischenspeicherung in lebenden Bäumen im Wald selber. Wie sieht es jedoch in Zukunft aus, wie viel Holz kann noch im Wald zwischengespeichert werden, ohne eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und die Sicherstellung der Waldfunktionen grundsätzlich infrage zu stellen?

Die Frage nach der «richtigen» Vorratshöhe im Gebirgswald ist schon sehr alt. Burkart hat bereits

1935 1 und 1953 2 darauf hingewiesen, dass es notwendig wäre zu wissen, wie hoch der Vorrat sein sollte, um eine nachhaltige, möglichst konstante Nutzung zu ermöglichen und gleichzeitig die natürliche Verjüngung der standortgerechten Baumarten zu gewährleisten. Die Wissenschaft liefert leider bis heute für den Gebirgswald noch keine befriedigende Antwort darauf. Die aktuellste Arbeit zu diesem Thema stammt von Y. Pulver 3 welcher in seiner Masterarbeit optimale Holzvorräte in Gebirgsplenterwälder hergeleitet hat. Auf dieser Basis hat das AWN versucht, für die Bündner Wälder Vorrats-Richtwerte pro Vegetationshöhenstufe festzulegen. Diese Modellwerte können insbesondere für grossflächige Analysen und Auswertungen verwendet werden, für den einzelnen Bestand sind waldbauliche Kriterien wichtiger. Der aktuelle Vorrat im eingerichteten Bündner Wald gemäss der Waldinventur GR beträgt 308 m³/ha. Der Gleichgewichtsvorrat gemäss Modell liegt zwischen 260 m³ und 33 0 m³. Der aktuelle Vorrat liegt damit am oberen Rand der angestrebten Bandbreite.

Einfluss der Nutzungsstrategie auf den Vorrat

Die Vorratshöhe kann heute als gut beurteilt werden. Die zukünftige Vorratsentwicklung hängt direkt von der Holznutzung ab (darin sind die Zwangsnutzungen inbegriffen). Um die Dynamik der Vorratsentwicklung im Kanton in den nächsten dreissig Jahren aufzuzeigen, werden drei sehr einfache Holznutzungsszenarien modelliert. Das erste Szenario geht von der gleichen Nutzung wie heute aus (2,2 m³/

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ZuwachsNutzungMortalitätCO2-ZuwachsCO2-Nutzung CO2-Zunahme
Jahr m3/Jahr m3/Jahr m3/Jahrt/Jahr t/Jahr t/Jahr 1930 385 404 230 000 unbekannt 466 338* 278 300 188 038 1950 491 336 290 000 unbekannt 594 516* 350 900 243 616 1995 840 000 347 000 173 000 1 016 400 419 870 387 200 2020 1 106 000 417 000 225 000 1 338 260 504 570 561 440
im Wald
Tabelle 2: Jährliche CO2-Speicherung im Wald und in Holzprodukten. * Geschätzte oder abgeleitete Werte

ha/Jahr), im zweiten Szenario würde das potenzielle Holznutzungspotenzial (600 00 0m³/Jahr) 4 genutzt, und im dritten Szenario würden nur noch die Schutzwälder A und B mit der gleichen Nutzungsintensität (2,2 m³/ha/Jahr) wie heute genutzt, alle übrigen Wälder würden nicht mehr genutzt.

Wie sich der Vorrat unter diesen drei sehr verschiedenen Holznutzungsstrategien entwickeln würde, ist in Grafik 1 dargestellt 5

Im Nutzungsszenario «Nutzung_heute» würde der obere Wert des modellierten Gleichgewichtsvorrats in rund zehn Jahren überschritten. Würde die nächsten 30 Jahre das Holznutzungspotenzial von 600 00 0 m³ pro Jahr genutzt (Nutzung_Potenzial), würde der obere Wert zwar auch übertroffen, aber erst in rund 20 Jahren. Würde man die gegenteilige Strategie wählen und nur noch die Schutzwälder A und B nutzen (Nutzung_SW_AB), könnte

der Vorrat im Schutzwald innerhalb der Bandbreite gehalten werden, für den Gesamtwald aber würde der obere Wert bereits in weniger als zehn Jahren erreicht.

Bei allen drei Szenarien wird gemäss Modell in den nächsten 30 Jahren die obere Grenze des Gleichgewichtsvorrats überschritten, und man kann gemäss heutigem Wissen davon ausgehen, dass sich der Waldzustand verschlechtert. Will man dies für die wichtigen Wälder verhindern, ist es also auf alle Fälle notwendig, die Nutzungen räumlich zu differenzieren und zu priorisieren.

CO2-Speicherpotenzial in den Forstrevieren

Der aktuelle Vorrat über den gesamten Kanton liegt innerhalb der modellierten Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats. Wie sieht es aber aus, wenn die gleiche Auswertung für kleinere Einheiten erfolgt? Mit dem

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Bewertung Anzahl Reviere Waldfläche Anteil WaldflächeAnteil SW Fläche Gleichgewicht 41 110 675 67% 70% Vorrat zu hoch 20 48 625 30% 26% Vorrat zu tief 2 5 400 3% 3% Gesamtergebnis 63 164 700 100% 100%
Tabelle 3: Vergleich des aktuellen Vorrats mit der Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats auf Revierebene. Grafik 1: Vorratsentwicklung mit drei Nutzungsszenarien.

vorhandenen Zahlenmaterial aus der Stichprobeninventur Graubünden 2 können nur grössere Aussageeinheiten analysiert werden, wie zum Beispiel die Vegetationshaupthöhenstufen als natürliche Einheit oder das Revier als administrative Einheit. Eine Auswertung pro Waldeigentümer wäre bestenfalls für die grösseren Waldeigentümer aussagekräftig.

In der Tabelle 3 sind die aktuellen Mittelwerte des Vorrats pro Revier verglichen mit dem Gleichgewichtsvorrat dargestellt.

Zusätzlich wurde auch noch eine auf den Schutzwald bezogene Auswertung vorgenommen. Die Ergebnisse weichen nicht wesentlich von denen des Gesamtwalds ab.

Die Mehrheit der Reviere, welche einen Durchschnittsvorrat innerhalb der angestrebten Bandbreite haben, umfassen rund 2⁄3 der Waldfläche. Bei den übrigen Revieren, welche rund 1 ⁄3 der Bündner

Waldfläche umfassen, liegt der Vorrat über der oberen Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats. Nur zwei Reviere haben durchschnittlich zu tiefe Vorräte 6 (Karte 1).

Aus der Differenz zwischen dem aktuellen Vorrat und der oberen Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats lässt sich abschätzen, wie hoch das theoretische Potenzial für eine zusätzliche CO²-Speicherung für die nächsten 30 Jahre im Wald ist. Bei Erreichen der oberen Bandbreite sollte der Waldzustand gemäss Annahmen noch nicht negativ beeinflusst werden. Über den gesamten Kanton beträgt das Potenzial in 30 Jahren rund 5,1 Mio. m³ Holz (170 00 0 m³/Jahr) oder 6,1 Mio. t CO². Mit diesem zusätzlichen CO²-Speicher könnten über die nächsten dreissig Jahre rund 16 % des aktuell im Kanton ausgestossenen CO² gebunden werden 7. Betrachtet man nur den

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Karte 1: Forstreviere, Bewertung: Vorrat liegt über der Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats, Vorrat liegt innerhalb der Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats, Vorrat liegt unter der Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats.

Schutzwald, vermindert sich das Speicherpotenzial bei diesem Szenario auf 3,4 Mio. m³ oder 4,1 Mio. t CO²

Aus Sicht einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung wäre es aber falsch, nur das CO²-Speicherpotenzial zu optimieren, indem der maximale Vorrat ausgenützt wird. Zusätzlich müssen mindestens auch die zu hohen Vorräte unter die obere Bandbreite des Gleichgewichtsvorrats reduziert werden. Mit diesem Kompromiss-Szenario würde sich das CO²-Speicherpotenzial auf 4,1 Mio. m³ (138 00 0 m³/Jahr) resp. 5,0 Mio. t CO² (13 % des kantonalen Ausstosses) reduzieren. Im Schutzwald betragen die entsprechenden Werte 2,7 Mio. m³ resp. 3,3 Mio. t CO². Diese Vorratswerte lassen sich aber nur erreichen, mit einer Nutzung von etwas mehr als 600 0 00 m³/Jahr im Gesamtwald (+ 200 0 00 m³ gegenüber heute) oder 400 00 0 m³/Jahr, wenn man sich auf den Schutzwald beschränken würde. Der Anteil im Wald gespeichertes CO² am Gesamtausstoss im Kanton würde in beiden Szenarien gegenüber dem in den letzten Jahrzehnten geleisteten Anteil stark zurückgehen.

Schlussfolgerungen

Der Bündner Wald hatte bisher eine sehr grosse Bedeutung für die CO²-Speicherung im Kanton. In den letzten 100 Jahren wurden über 40 Mio. t CO² direkt im Wald gespeichert, dazu kommen noch einige Mio. t durch die Zwischenlagerung in langlebigen Holzprodukten oder durch die Verwendung von Energieholz als Alternative zu fossilen Ressourcen. Die «Unternutzung» hatte aber auch einen Anstieg der Vorräte zur Folge. Nach aktuellem Kenntnisstand sind diese nun sowohl im Gesamtwald als auch im Schutzwald – im Durchschnitt über den ganzen Kanton betrachtet – in der waldbaulich angestrebten Höhe. Das Potenzial für eine weitere Erhöhung der Vorräte zugunsten einer vermehrten CO²-Speicherung ist daher beschränkt, und aus Sicht einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung sollte keine weitere Vorratszu-

nahme mehr stattfinden. Mit einer angepassten Bewirtschaftung könnte man die Vorräte auf den oberen Wert des Gleichgewichtsvorrats erhöhen, gleichzeitig müssen aber die zu hohen Vorräte abgebaut werden. Will man dieses Ziel erreichen, müssten aber über 600 00 0 m³ Holz geerntet werden, was heute als nicht realistisch angeschaut wird. Als Alternative könnte man eine differenzierte räumliche Unterteilung des Waldes in Flächen, in denen die bisherigen öffentlichen Interessen (Schutz-, Nutz- und Wohlfahrtsfunktionen) im Vordergrund stehen und deshalb die waldbaulichen Kriterien Vorrang haben, und solchen, in denen eine Vorratserhöhung zugelassen werden könnte. Da die öffentlichen Anliegen im Sinne der

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Dieser Zielkonflikt sollte planerisch gelöst werden. (Bilder AWN)

nachhaltigen Waldbewirtschaftung im Vordergrund stehen, sollte die Differenzierung als hoheitliche Aufgabe angesehen werden. Diese Aufgabe sollten Kanton und Waldeigentümer mit den Instrumenten der Waldplanung gemeinsam bewältigen.

Dr. Riet Gordon ist Forstingenieur ETH und Bereichsleiter Waldplanung und Forstreviere beim Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden in Chur.

1 Burkart, W. (1935): Stand und Ergebnisse der Forsteinrichtung in Graubünden. Schweiz. Z. für Forstwesen, 86 (1935) 7/8 S. 269–281

2 Burkart, W. (1953): Die Forsteinrichtung in Graubünden, ein Rück- und Ausblick. Bündnerwald (1953) 6 105–127

3 Pulver, Yanik (2014) Optimale Holzvorräte in Gebirgsplenterwäldern. Masterarbeit ETH Zürich.

4 Berner Fachhochschule (2010): Rundholzmarkt Graubünden. Handlungsempfehlungen zur Erhöhung des Angebots von sägefähigem Rundholz im Kanton Graubünden.

5 Der Einfachheit halber wurden bei allen drei Szenarien der Zuwachs und die Mortalität als konstant angesehen und beim dritten im Szenario mit den durchschnittlichen Werten für Ausgangsvorrat, Zuwachs und Nutzung des Gesamtwaldes gerechnet.

6 Bei allen Berechnungen wurde der bei allen Stichprobenaufnahmen vorhandene Standardfehler nicht berücksichtigt. Dieser kann bei kleinen Revieren aber beträchtlich sein.

7 Die angestrebte Reduktion des CO²-Ausstosses wurde dabei nicht berücksichtigt.

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Wert und Verwendung von Modellen für die zukünftige Waldbewirtschaftung, ein Einblick aus der Praxis

Dieser Beitrag möchte Eindrücke aus dem Feld vorstellen betreffend Handhabung und Bedeutung von einigen Modellen, die in der Waldbewirtschaftung genutzt werden. Damit soll folgende Diskussion angeregt werden: «Wo gibt es Lücken? Was könnten wir uns noch wünschen? Wo sind die Grenzen? Wie könnten wir noch besser werden?»

Kurze Begriffserläuterung: Was sind Modelle? Modelle sind eine vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit mit dem Ziel, die zu untersuchenden Objekte in eine handhabbare Form, aber immer noch akkurat, darzustellen. So kann die Wirklichkeit simuliert werden. Häufig starten Untersuchungen mit der Frage: «Was passiert, wenn bestimmte Einflussfaktoren sich ändern?» (zum Beispiel: CO²-Ausstoss, Temperatur, Wilddichte, Waldstandorte, usw.).

Welche Modelle sind von Bedeutung für die Waldbewirtschaftung?

Grundsätzlich stehen den Waldbewirtschafterinnen und -bewirtschaftern zahlreiche Modelle, d. h. Hilfsmittel, zur Verfügung. Nachfolgend einige Beispiele aus unserer fast täglichen Tätigkeit: klimatische Modelle, Modelle im Naturgefahrenbereich (etwa Gefahrenhinweiskarten), Modelle zur Schutzwaldausscheidung, Waldentwicklungsmodelle (Mortalität, Wachstum, Sukzession, u. a. m.), Optimierungsmodelle der Walderschliessung, Modelle zur Prognose der lokalen Waldbrandgefahr, Hinweiskarten für Waldstandorte, Simulation der Borkenkäferentwicklung, Simulation des Waldzustandes heute und morgen, Modelle zur Ausscheidung von sensitiven Waldstandorten und Beständen, Modelle zur Darstellung des potenziellen Vorkommens von Baumarten und viele weitere.

Welche Vorteile und Grenzen haben Modelle für die Waldbewirtschaftung heute und in der Zukunft?

Im Folgenden werden die Vorteile und Grenzen anhand zweier Beispielmodelle aus der Praxis diskutiert: die Standorthinweiskarte und die Tree App. Der Kanton Graubünden verfügt über keine flächige Kartierung der Waldstandorte. Eine Standorthinweiskarte (2011) stellt die Abschätzung des wahrscheinlichsten und zweitwahrscheinlichsten Waldstandortes anhand einer Modellierung dar. Die Modellierung basiert auf «SilvaProtect» und wurde an die Systematik der Waldstandorte Graubündens angepasst. Pro Standortregion und Höhenstufe wurde nur eine Auswahl an Waldstandorten zugelassen, welche gemäss Schlüssel der Waldstandorte dort vorkommen. Einige Sonderwaldstandorte und selten vorkommende Waldstandorte wurden unterdrückt. Das Ergebnis des Modells ist eine Pixelkarte mit Auflösung 10 x 10 m, welche anschliessend vektorisiert wurde. Die Feinheit der Outputkarte täuscht aber eine Genauigkeit vor, die das Modell effektiv nicht leisten kann. Die Hinweiskarte wird viel gebraucht, vor allem als Grundlage für grossflächige Planungsarbeiten, bei denen terrestrische Feldaufnahmen aus Ressourcengründen nicht möglich sind. Konkret liefert sie wertvolle Hinweise für forstliche Eingriffe und Be-

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triebsplanungen. Eine Überprüfung der Waldstandorte im Gelände soll aber im Rahmen der Definition des Handlungsbedarfes sowie der Bestandskartierung durchgeführt werden. Für die zukünftige Waldbewirtschaftung spielt eine solche Karte eine wichtige Rolle, indem sie eine gute Datengrundlage zur Modellierung von sensitiven Waldstandorten sowie zur Modellierung der Entwicklung der aktuellen Waldstandorte unter verschiedenen Klimaszenarien liefert.

Eine grosse Herausforderung stellt die Abschätzung der Entwicklung von gewissen Waldstandorten dar. Die Modellierung der Höhenstufen zeigt

klar, dass sich zum Beispiel hochmontane Fichtenwälder unter mässigem und starkem Klimawandel Richtung colline Laubmischwälder entwickeln. Der Prozess läuft schon, und eine feinere und detailliertere Zuordnung der neuen Waldstandorte innerhalb der neuen Höhenstufe ist je nach regionalem Schlüssel gar nicht so trivial.

Die Entwicklung und Veränderung einiger Waldgesellschaften können in unseren Wäldern in unterschiedlichen Stadien bereits beobachtet werden (siehe Bilder 1–3).

Ein weiteres nützliches Hilfsmittel für die Praxis ist die Anwendung Tree App, seit September 2020 als

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Abb. 1: Gemäss regionalem Schlüssel: Typischer hochmontaner Perlgras-Fichtenwald (54) in Scuol, Sfondraz. Je nach Hanglage und Exposition entwickeln sich unterschiedliche Laubmischwälder. Die neuen Laubmischwälder sind noch nicht Teil des regionalen Schlüssels. (Bilder: AWN Scuol)

Online-Tool veröffentlicht. Tree App unterstützt die Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter bei der Definition der Standortentwicklung und liefert eine Baumartenempfehlung für jeden Punkt im Schweizer Wald.

Sowohl Waldstandortentwicklung als Baumartenempfehlung sind gute Grundlagen für jeden waldbaulichen Eingriff (nicht nur bei Pflanzungen!), weil diese die Definition des Waldbauzieles unterstützen können. Die Anwender bringen Fachwissen über die lokalen Bedingungen im Wald mit, welches entscheidend ist für die Verfeinerung und lokale Anpassung der Tool-Empfehlungen. Dieser Schritt

ist unentbehrlich und ein wichtiger Erfolgsfaktor, da die Massnahmen an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Zum Beispiel kann es sein, dass einige empfohlene Baumarten vielleicht für die ersten Etappenziele je nach Standort und Ausgangslage noch nicht in Frage kommen.

Ausblick

Veränderungen in unseren Wäldern sind an sich keine Neuigkeit, aber die aktuelle Tragweite, Bedeutung und Geschwindigkeit sind markant. Dies wird auch durch mehrere Waldentwicklungsmodelle (wie zum Beispiel FORTE Future, Land-

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Abb. 2: Gemäss regionalem Schlüssel: Typischer Perlgras-Fichtenwald, artenarme Ausbildung (54x) in Valsot, Tschern. Die Nadelbaumarten verjüngen sich kaum mehr. Künftig werden Sträucher und Edellaubhölzer dominieren (Kirschbaum, Rotholunder, Haselstrauch, Vogelbeere, …).

Clim, …) bestätigt. Diese Instrumente werden kontinuierlich weiterentwickelt und könnten je nach Auflösung der Modellierungen und Benutzerfreundlichkeit der Anwendung auch für die Praxis bedeutender werden.

Eine Standorthinweiskarte sollte unsere Wälder beschreiben können. Aber: Was passiert, wenn die durch den Klimawandel neu entstandenen Waldstandorte noch nicht Teil der ins Modell zugelassenen Waldstandorte sind? Künftig könnte eine Aktualisierung unserer Systematik der Waldstandorte Graubündens nötig werden. Neu sollte das Profil des Standortes auch die möglichen Entwicklungen

skizzieren. Die Entwicklungstendenz eines Standortes oder Bestandes soll bei jeder Planungsarbeit prominenter in unseren Gedanken werden. Tree App kann in diesem Bereich eine gute Entscheidungshilfe sein. Falls der Waldstandort mit mässigem und starkem Klimawandel gleich bleibt und sich nur die Höhenstufe ändert, ist das standortkundliche Wissen der Waldbewirtschafterin und des Waldbewirtschafters gefragt. Sie sollen die künftigen Waldstandorte abschätzen. Eine zusätzliche zentrale Aufgabe nach der Auswahl des Standortes ist die Definition des Waldbauzieles, dies bedingt gute Kenntnisse der Baumarten und

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Abb. 3: Gemäss regionalem Schlüssel: Hauhechel-Föhrenwald mit Buntreitgras (65C) in Valsot, God Mingèr. Die Waldföhre verjüngt sich kaum. Die Fichte wird (mittelfristig?) dominant werden.

ihrer Standortansprüche. Die Komplexität und Unsicherheiten nehmen beim Entscheidungsvorgang zu. Die zukünftige Waldbewirtschaftung braucht Entscheidungshilfen, und die Modelle sind wichtige Instrumente dafür. Die Empfehlungen stellen jedoch kein «Kochbuch-Rezept» dar. Ein weiteres Tool sollte die notwendigen Überlegungen, Anpassungen und Entscheidungen der Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter einfach und schnell intern dokumentieren können.

Das Potenzial von Modellen ist enorm und soll ausgenutzt werden. Sie liefern wertvolle Szenarien

(Bild: Antonin

und Informationen für die Praktikerinnen und Praktiker, welche die Ergebnisse vorsichtig als Arbeits- und Gedankenstützen berücksichtigen sollen. Schlussendlich ist das Zusammenspiel von Modellen und lokalem Wissen entscheidend für eine erfolgreiche Waldbewirtschaftung.

Giorgio Renz ist ETH-Umwelt-Naturwissenschaftler und als Regionalforstingenieur Waldökologie der Wald-Region Südbünden tätig.

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Abb. 4: Vogelperspektive von Sfondraz, die Offensive seitens Laubbaumarten ist erfolgreich und bemerkenswert. Hugentobler)
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Waldbauliche Gedanken zur Lärche im Klimawandel

Die Lärche ist eine beliebte Wertholzart. Während sie in Graubünden einheimisch ist, muss sie im Aargau als Gastbaumart betrachtet werden. Aufgrund des Klimawandels nehmen die Risiken in Tieflagen zu, es kommt vermehrt zu Zwangsnutzungen aufgrund des Grossen Lärchenborkenkäfers. Es ist deshalb ratsam, den Waldbau mit Lärche zu überdenken.

Situation im Aargau

Die europäische Lärche (Larix decidua) ist eine Gebirgsbaumart. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde sie auch ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes gepflanzt oder gesät und gefördert, z.B. im Schweizer Mittelland. Im Kanton Aargau beträgt gemäss Waldinventur 2016 der Anteil der Lärche am Holzvorrat 2,0 Prozent. Viele schöne und wertvolle Lärchen stammen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das damalige Zeitalter der Energieknappheit, Grosskahlschläge und tiefen Holzvorräte kam dieser sehr lichtbedürftigen Baumart entgegen (vgl. Box). Das eher ozeanische, feuchte, warme, teilweise neblige Aargauer Klima ist für die Lärche nicht optimal. Die Kombination mit kalkreichen Standorten ist oft problematisch; so gibt es im Aargauer Jura auf Kalk nur wenige Lärchen. Auch die verbreitet sehr wüchsigen, basenreichen Standorte im Aargauer Mittelland sind problematisch. Aufgrund von Klima und Boden sind Lärchen-Pflanzungen oft wenig vital und fallen nach einigen Jahrzehnten aus. Auch ist der Pflegeaufwand aufgrund der sehr wüchsigen Edellaubhölzer und Buchen hoch. Hans Leibundgut, von 1940 bis 1979 Waldbau-Professor an der ETH, hat im Lehrwald am Zürcher Üetliberg mehrere Bestände der Mischung Lärche und Linde pflanzen lassen. Heute sind meist nur noch die Linden vorhanden. Dies zeigt die Schwierigkeiten einer «Gastbaumart» im Spannungsfeld

Klima – Standort – praktische Umsetzung. Manche Ideen scheitern letztlich an der Realität, auch wenn

sie theoretisch möglich wären. In diesem Kontext sei erinnert an den Begriff der Naturnähe, welcher eine grosse ökonomische Bedeutung hat.

Auf sauren Standorten sieht es besser aus: Hier gedeihen Lärchen bisher sehr gut, auch Naturverjüngung ist problemlos möglich. Der Standort wirkt sich extrem auf die Kosten aus. Dies gilt sowohl für die Bestandesbegründung, als auch für den Pflegeaufwand. So ist auf den bestgeeigneten Standorten viel biologische Rationalisierung möglich, während bei suboptimalen oder ungeeigneten Standorten die Lärche teuer bis unmöglich wird (vgl. Abb. 3). Konkret kann im Aargau bei entsprechendem waldbaulichem Vorgehen die Lärche auf den Standorten 1, 6a oder 7c problemlos natürlich und ohne Wildschutz verjüngt werden, im Idealfall sind Eingriffe sogar erst ab Stangenholz nötig

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Peter Ammann Abb. 1: Vitale junge Lärche in einer Naturverjüngung –ein Waldbau mit tiefen Kosten hat auch tiefe Risiken. (Bilder: Peter Ammann)

Das Gehret’sche Vorwaldsystem in Lenzburg

Im Wirtschaftsplan 1850 setzte sich der Lenzburger Oberförster Walo von Greyerz das Ziel, die Mittelwälder in ertragreicheren Hochwald umzuwandeln. Nach Stockrodung und landwirtschaftlicher Zwischennutzung wurde gemäss dem Vorwaldsystem nach Gehret aufgeforstet. Es wurden Buchen gepflanzt, um den hohen Energieholzbedarf zu decken. Jede

5. Pflanzreihe wurde mit einer schnell wachsenden Pionierbaumart (Lärche, Föhre, Weymouthsföhre, Birke, Robinie) bestockt, welche nach 30 ständig geerntet werden und die ersten Brennholznutzungen liefern sollte. Aus diversen Gründen (Spätfröste, Bodendegradierung; problematische Buchenpflanzungen) wuchsen die Buchen kaum in die Höhe. Dadurch hatten die Pionierbaumarten sehr viel Platz, was speziell für die Lärche ideal war. Wegen dem Ausfall der Buche wurden die Lärchen nicht nach 30 Jahren zu Brenn holz verarbeitet, sondern notgedrungen als Hauptbestand belassen. Aus heutiger Sicht ein Glücksfall: Es entwickelten sich aus einem «forstlichen Unfall» die berühmten Lenzburger Lärchen, welche auf den Aargauer Wertholzverkäufen regelmässig Spitzenpreise erzielen.

(vgl. dazu Wald und Holz 1/2022, Verjüngung von Lichtbaumarten, S. 16–18).

Lärchenpreise im Aargau

Aargauer Lärchen sind an den Wertholzverkäufen von WaldAargau sehr gefragt (vgl. Abb. 4). Von

Abb. 3: Ungefähre Kosten für eine Hektare Stangenholz mit Lärchen unter Aargauer Verhältnissen in Abhängigkeit des Standortes. Grün = ideal geeignet, Naturverjüngung problemlos. Orange = suboptimaler Bereich, meist Pflanzung und Wildschutz nötig, viel höherer Pflegeaufwand.

(Ökogramm: Abteilung Wald, Kanton Aargau und Peter Ammann)

einem Preisniveau im Bereich von CHF 300.– bis 500.–/m³ in den Jahren vor 2006 stieg der Holzpreis für astfreie, starke Erdstämme auf ein erfreu-

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Fr.1’000.–/ha Fr.10’000.–/haFr.20’000.–/ha unmöglich

liches Niveau von 600.– bis 900.–/m³ und ist seither stabil. Der Durchschnittserlös für Lärche im Zeitraum Dezember 2009 bis März 2022 liegt bei CHF 750.–/m³. Einzelne Stämme erreichen Preise bis über CHF 1800.–/m³. Lärchen sind auch deshalb interessant, weil sie oft lange Stämme ausbilden und grosse Dimensionen erreichen können. Die Jahrringbreite ist dabei weniger wichtig; auch Stämme mit breiten Jahrringen werden sehr gut bezahlt.

Waldbauliche Behandlung der Lärche

Die Lärche ist eine waldbaulich vielseitige, robuste Baumart. Sie ist frosthart, sturmfest und unempfindlich gegen Sonnenbrand. Im unteren Stammbereich bildet sie keine Klebäste aus. Dadurch sind Lärchen ideal als Überhälter geeignet, welche Wertholz produzieren, als Samenbäume dienen, und erst noch das Landschaftsbild bereichern. Oft kommen Lärchen in Mischbeständen konkurrenzmässig unter Druck der Buchen, Fichten, Tannen oder Edellaubhölzer. Dadurch haben sie viel zu kleine Kronen und können ihr Zuwachs- und Wertpotenzial bei Weitem nicht ausschöpfen. Für Lärchen-Z-Bäume sind deshalb weite Abstände und starke Durchforstungen bis ins Baumholz wichtig. Einmal Versäumtes kann aufgrund der für eine Lichtbaumart typischen, schlechten Reaktionsfähigkeit kaum mehr nachgeholt werden (manchmal verhilft die Klebastbildung im oberen Stammbereich den «ersoffenen» Lärchen zu einer gewissen Kronen-Regeneration). Bei der Jungwaldpflege sollten deshalb nur die vitalsten Lärchen gefördert werden – eine ideale Lärche muss im Jungwald gegenüber ihrer Umgebung stets vorherrschend sein (vgl. Abb. 1).

Änderung der Konzepte im Mittelland aufgrund Klimawandel

Bis vor Kurzem war die Lärche bezüglich Forstschutz eine unproblematische Baumart. Seit einigen Jahren tritt im Aargau vermehrt Befall auf

durch den Grossen Lärchenborkenkäfer (Ips cembrae). Im Mittelland wird die Lärche nicht mehr als Zukunftsbaumart gehandelt. Für wertvolles Nadel-Starkholz scheint gemäss heutigen Erkenntnissen die Douglasie besser geeignet, allerdings nur auf genügend sauren Standorten! Auf die Lärche muss man waldbaulich trotzdem nicht völlig verzichten – denn im Moment ist bezüglich Klimawandel noch vieles unsicher. Aber es ist ein angepasstes Vorgehen angebracht, welches die höheren Ausfallrisiken berücksichtigt:

– Verzicht auf Pflanzungen, welche viel teurer sind als Naturverjüngung (Wildschutz, Kulturpflege)

– die Gefahr von Fehlinvestitionen ist hoch.

– Dadurch automatisch Konzentration auf die bestgeeigneten Standorte, wo kostengünstige Naturverjüngung möglich ist.

– Vermutlich hat die Lärche in Zukunft bessere Chancen auf frischen bis sogar etwas feuchteren Standorten mit guten Wasservorräten auch nach längeren Trockenzeiten.

– Mit der Auslese der Vitalsten und besonders starken Durchforstungen für die Z-Bäume kann die Produktionszeit verringert und dadurch das Ausfallrisiko etwas reduziert werden.

Und in Graubünden?

Das Gebirgsklima in Graubünden kommt der Lärche grundsätzlich entgegen. Trotzdem gibt es grosse regionale Unterschiede. Gebiete mit ozeanischer Prägung wie z. B. das untere Prättigau haben deutlich weniger Lärchen. Das inneralpine, kontinentale Klima ist für die Lärche ideal (z. B. in Mittelbünden oder im Engadin). Die Lärche profitiert hier auch von der Abwesenheit von Buche oder Edellaubhölzern, welche im Mittelland eine so starke Konkurrenz sind. Durch den Klimawandel kann die Lärche im Gebirge profitieren und ihr Territorium «nach oben» erweitern im Bereich der heutigen Waldgrenze und noch darüber hinaus. Hier findet sie als Pionierbaumart ideale Bedingun-

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Abb. 4: Durchschnittserlöse für Lärche an den Aargauer Wertholzverkäufen 2001 bis 2022, welche an fünf Lagerplätzen jeweils im Dezember und Februar/März durchgeführt werden. (Quelle: WaldAargau)

gen – speziell auf Rohboden. Dies gilt auch für allfällige Waldbrandflächen in höheren Lagen. In tieferen Lagen und/oder auf flachgründigen Standorten dürfte die Lärche ebenfalls vermehrt Schwierigkeiten bekommen bzw. eine Höhenverschiebung ihrer unteren Verbreitungsgrenze durchmachen. Höhenstufenmodellierungen und darauf basierende Modelle wie TreeApp geben eine Vorstellung der möglichen Veränderungen. Sie dürfen aber nicht überbewertet werden, denn es sind nur Modelle unter bestimmten Szenarien, welche auf Annahmen beruhen. Dazu arbeiten sie mit Vereinfachungen und Klassenbildung («Schubladen»), während die Natur hochkomplex und graduell funktioniert. Der Standort bzw. Kleinstandort und die lokale Erfahrung sind und bleiben wichtig – es gibt z. T. auch an Südhängen Standorte mit guter Wasserverfügbarkeit.

Die Lärche benötigt für ihre Ansamung mässig viel und danach für ein stabiles Aufwachsen sehr viel Licht und genügend grosse Flächen, speziell in Nordexposition. Dies kann im Schutzwald schwierig bis unmöglich sein bzw. einige Flexibilität bzw.

lokale Einschätzung der Naturgefahrensituation erfordern. Grösserflächige Störungen könnten dabei der Lärche (ungewollt) helfen. Im Bereich von Einwuchsflächen an der oberen Waldgrenze sind die Bedingungen bezüglich Licht ideal; dasselbe gilt hier oft bezüglich Boden (Rohboden, Viehtritt). Die Baumartenmischung ist ein wichtiges Adaptationsprinzip im Klimawandel. Die Lärche kann dazu beitragen als Mischbaumart. Als lichtdurchlässige Pionierbaumart lässt sie auch viel Mischung zu, d. h. weitere Baumarten können von ihr profitieren. Für Wertholz genügen relativ wenige Bäume pro Hektare (gemäss Theorie im Mittelland maximal 80 Lärchen/ha, im Gebirgswald eher etwas weniger). Lärche fördern ja – aufgrund der im Gebirgswald oft sehr hohen Nadelholzanteile sollte auch mehr Laubholz zugelassen werden, z. B. Birke, Vogelbeere oder die robuste Aspe.

Peter Ammann ist Co-Leiter der Fachstelle Waldbau am Bildungszentrum Wald Lyss und (bis September 2022) Fachspezialist Waldbau, Kanton Aargau. Neuerdings lebt und arbeitet er in Filisur.

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] Waldholz Aargau GmbH | im Roos 5 | CH-5630 Muri | T 056 221 89 71 | F 056 664 93 49 | waldholz-aargau@waldaargau.ch www.waldaargau.ch 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 Mär 22 Dez 21 Mär 21 Dez 20 Mär 20 Dez 19 Mär 19 Dez 18 Mär 18 Dez 17 Mär 17 Dez 16 Mär 16 Dez 15 Mär 15 Dez 14 Mär 14 Dez 13 Mär 13 Dez 12 Mär 12 Dez 11 Mär 11 Dez 10 Feb 10 Dez 09 Feb 09 Dez 08 Feb 08 Dez 07 Feb 07 Dez 06 Feb. 06 Dez. 05 Feb. 05 Dez. 04 Feb. 04 Dez 03 Feb 03 Dez 02 Feb 02 Dez 01 Fr./m3

Öko-akustische Forschung im Naturwaldreservat

Das Motto der diesjährigen Freilicht-Land ArtAusstellung Art Safiental hiess «Von der Erde lernen». Einer der im wortwörtlichen Sinn der Erde zuhört und sogar in den Boden hineinhorcht, ist der Zürcher Klangkünstler und Forscher Marcus Maeder. Im Naturwaldreservat Aclatobel zeichnet er die mikroklimatischen Bedingungen und Umweltgeräusche auf und macht diese künstlerisch für Besuchende erlebbar – vor Ort und online. Das Projekt geht demnächst in eine zweite Phase, diesmal in bewirtschaftetem Wald.

Seit 2009 ist das Gebiet des Aclatobels ein Naturwaldreservat. Dieses erstreckt sich über beide Seiten des Safientals bis an die Baumgrenze. Die vom Menschen unbeeinflusste alpine Waldentwicklung

wird seither beobachtet. Erforscht werden soll, ob unberührte Wälder sich aus eigener Kraft an die Klimaveränderungen im Alpenraum anpassen können oder ob es die forstliche Pflege und Nutzung

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Den Horchposten findet man im Wald unweit des Nordportals des Acla-Strassentunnels. (Bilder: Art Safiental 2022)

braucht, um den Wald für eine trockenere Zukunft zu wappnen. Diesen und anderen Fragen ganz grundsätzlicher Art geht auch das Forschungs- und Kunstprojekt «Acla» des Zürcher Klangkünstlers und Forschers Marcus Maeder nach. Es ist Teil der Art Safiental 2022 und im Kanton breit abgestützt, wird es doch von der Gemeinde Safiental, dem Naturpark Beverin und dem Amt für Natur und Umwelt unterstützt.

Seit dem Sommer 2021 werden das Aclatobel und die Dynamik der Biodiversität in verschiedenen Höhenlagen und Expositionen künstlerisch wie wissenschaftlich beobachtet … und zwar auf akustische Art und Weise. An drei Standorten im Naturwaldreservat werden Geräusche aufgezeichnet: bei Lüsch auf 1020 m ü. M., am Chellenegga auf 1280 m ü. M. und auf der anderen Talseite im Präzer Wald auf 1930 m ü. M. In einem zweiten Schritt

wird eine vergleichbare, jedoch forstlich bewirtschaftete Waldfläche im Safiental hinzukommen. Revierförster Daniel Buchli begleitet das Projekt seit der ersten Stunde. Ihn interessiert vor allem die wissenschaftliche Seite: «Ich finde den Ansatz des Projektes «Acla» spannend, den Allerweltsbegriff Biodiversität auf einfache Art und Weise zu quantifizieren und dereinst einen Vergleich im Naturwaldreservat und im bewirtschafteten Wald zu ermöglichen.»

Wissenschaftliche Messdaten, künstlerisch umgesetzt

Wenn Kunst und Wissenschaft sich in unterschiedlichen Medien vermischen, können Umweltthemen auf neue Art und Weise vermittelt werden. Wie soll man sich das vorstellen? Aufgezeichnet werden die mikroklimatischen Bedingungen und die Sound-

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Hier gehts zum Klangpanorama: www.aclasoundscape.ch.

scape, also die Klanglandschaft des Aclatobels. Diese Messdaten von den drei Standorten werden künstlerisch umgesetzt. Ein hölzerner Hochposten, vom Tenner Schreiner Sebastian Nauck erstellt, lädt im Wald unweit des Nordportals des Acla-Strassentunnels auch über die Dauer der Art Safiental hinaus zum Besuch. Dort kann man mittels Konsole und Kopfhörer mit dem Beobachtungssystem und den Aufzeichnungen der Klänge des Aclatobels interagieren und dieses akustisch erkunden.

Die mikroklimatischen Messdaten der drei Standorte bilden mittels Verklanglichung (Datensonifikation) einen Dreiklang aus synthetisch erzeugten, feinen Streicherklängen, der sich durch die Tagesund jahreszeitliche Dynamik verändert. Jedem der drei Standorte im Aclatobel ist ein Klang zugeordnet. Dabei beeinflusst die Temperatur jeweils die Lautstärke, die Luftfeuchtigkeit die Tonhöhe und der barometrische Druck die Klangfarbe. Marcus

Maeder erläutert: «Grössere mikroklimatische Zusammenhänge spielen sich in grösseren Zeiträumen ab, das heisst, ich muss das Geschehen beschleunigen. In der Installation hört man zwar die Aufnahmen der drei Recorder. Abgespielt werden sie aber so, dass man immer nur 20 Sekunden hört, dann folgt die nächste Sequenz, es ist also ein akustischer Time Lapse.»

Im Vordergrund sind die analog zu den Messungen aufgezeichneten Umweltgeräusche zu hören, also

die Geräusche der unbelebten und belebten Natur sowie des Menschen, sprich beispielsweise kollernde Steine, Tiere oder Motorengeräusche. Dank dieses Zusammenspiels lassen sich Zusammenhänge und Interaktionen zwischen mikroklimatischen Bedingungen und Umweltgeräuschen erkunden: Was geschieht etwa bei Trockenheit? Zieht sich die Fauna zurück und ist weniger hörbar? Welchen Einfluss hat menschlicher Lärm auf das akustische Verhalten der Tiere im Tal? Wie zeigt sich die Dynamik der akustisch messbaren Biodiversität an den drei Standorten, welche Rolle spielen Exposition und das damit verbundene Mikroklima? Marcus Maeder erklärt: «Das Akustische ist in der Naturwissenschaft, insbesondere in der Umweltwissenschaft, relativ neu. Die Disziplin «akustische Ökologie», in welcher ich als Forscher arbeite, gibt es im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr lange. Ein akustisch funktionierendes Monitoring aufzubauen, ist relativ kostengünstig, da man Geräte platzieren und nicht Menschen hinsetzen muss. Dazu ist es sehr effizient, da man auf Tonaufnahmen viel mehr hört als man im Wald sehen würde. So lässt sich Biodiversität recht gut beobachten, und das ist das vorrangige wissenschaftliche Ziel.»

Unter www.aclasoundscape.ch kann man ins Naturwaldreservat Aclatobel reinhören, über das künstlerische Projekt informiert ein Film: Art Safiental Acla Video Dok.

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Im Horchposten kann man ins Naturwaldreservat Acla hineinhören.

Nachruf für Peter Brang

Am 7. Juli 2022 ist der über die Wald-Branche hinaus bekannte Wissenschaftler und Waldforscher Peter Brang ganz unerwartet verstorben. Wir verlieren mit Peter eine einzigartige Persönlichkeit, die in Graubünden viele Spuren hinterlassen und wichtige Projekte für die Zukunft angeregt und begleitet hat. Auch für diese Zeitschrift hat sich Peter immer die Zeit genommen, um über praxisrelevante Resultate aus seinem breiten Forschungsfeld zu berichten.

Wer sich je mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Schweizer Wald und mit den Möglichkeiten oder Notwendigkeiten zur Anpassung daran beschäftigt hat, ist in den vergangenen Jahrzehnten immer auch auf Peter gestossen. In einer Vielzahl von Arbeiten und Projekten hat er erforscht, welche Konsequenzen im Wald zu erwarten sind. Die heute bekannten und etablierten waldbaulichen Strategien zur Anpassung an den Klimawandel mussten danach zwar nicht neu erfunden werden, deren Anpassung und Umsetzung jedoch hat Peter unermüdlich vorangetrieben. Dank seiner auf die kommenden Jahrzehnte ausgelegten langfristigen Projekte wird uns der Einfluss und das Wirken von Peter in der Forstbranche auch in Zukunft erhalten bleiben. Im Kanton Graubünden sind das etwa die Testpflanzungen mit acht Flächen, sechs Reservate im Rahmen des schweizweiten Monitorings der Naturwaldreservate zum Studium der natürlichen Waldentwicklung oder das Projekt zur Verjüngungsökologie in Gebirgswäldern mit drei Flächen im Kanton.

Sein persönlicher Antrieb, fundierte Antworten auf offene Fragen zu finden, war unermüdlich. Ebenso war Peter im Austausch mit allen Stufen von der Försterin bis zum Professor darauf ausgerichtet, praktikable Lösungen für Probleme zu finden. Er konnte Aussagen auf den Punkt bringen. Mit seiner offenen, hilfsbereiten, immer fairen und zu-

gänglichen Art waren die Begehungen nicht nur fachlich, sondern auch auf menschlicher Ebene immer sehr bereichernd.

Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie, seinen Freunden und Bekannten. Wir werden Peter sehr vermissen.

Peter an der GWG-Sommertagung in Derborence am 23. August 2019. (Bild: zVg)
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Dr. Marco Vanoni, Amt für Wald und Naturgefahren

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Tel. 081 286 90 50

Fax 081 286 90 59

E-Mail: info@giesserei-chur.ch

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Vorschau «Bündner Wald» Dezember 2022

Alternative Geschäftsfelder

Nicht nur für die Forstbetriebe in den Alpen ist es seit Jahren immer schwieriger, die erwarteten Erfolgszahlen in Budget und Rechnung präsentieren zu können, auch für die Betriebe im Voralpengebiet und im Mittelland ist dies oft nicht anders. Der Handlungsspielraum wird aus verschiedenen Richtungen teilweise limitiert oder beeinflusst. Im Dezember werden wir uns in gewissem Sinne auch einiger Alternativen bedienen und noch Beiträge zu den Themen «Wald und Klimawandel» und «Pilze» nachliefern.

Redaktion: Jörg Clavadetscher

Ankündigung Korrigenda

Vorschau auf die nächsten Nummern:

Februar 2023: Einheimische Föhren

Redaktion: Susi Schildknecht

Redaktionsschluss: 14. Dezember 2022

April 2023: GV Graubünden Wald im Surses

Redaktion: Jörg Clavadetscher

Redaktionsschluss: 13. Februar 2023

Auf Wunsch eines aufmerksamen Lesers und einer Autorin werden wir Ihnen im Dezember zwei Korrigenden nachliefern. Auch wir und unsere Autoren sind nicht fehlerfrei und so kann es passieren, dass Recherchen einmal an einer falschen Stelle angestellt werden oder als normal bezeichnete Abläufe unterbrochen werden oder nur lückenhaft ausgeführt werden. Für die Fehler möchten wir uns bereits an dieser Stelle entschuldigen. Die Korrigenden betreffen die Ausgaben April 2022 und August 2022.

Herausgegeben von Graubünden Wald, Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden und der SELVA

Verlag: © Somedia Production AG, CH-7007 Chur Sekretariat: SELVA, Bahnhofplatz 1, CH-7302 Landquart, Telefon + 41 (0) 81 300 22 44, buendnerwald @ selva-gr.ch Redaktoren: Redaktion: Susi Schildknecht, susi.schildknecht@bluewin.ch, Jörg Clavadetscher, forestal-muestair@bluewin.ch. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge in nicht verlangter Form ohne Rückfrage zu ändern. Herstellung: Viaduct, 7000 Chur. Erscheint sechsmal jährlich.

Auflage: 1400 Exemplare Inserate: Somedia Promotion, Telefon + 41 (0) 81 650 00 70, thusis @ somedia.ch Abonnementspreise: CHF 60.– (inkl. MwSt. für Mitglieder Verein Graubünden Wald) Abonnemente/Adressänderungen: Telefon 0844 226 226, abo @ somedia.ch, www.buendnerwald.ch

Für Inseratetexte übernimmt die Redaktion keine Verantwortung, auch muss die Meinung der Beiträge nicht mit der Ansicht der Redaktoren übereinstimmen. Autoren, die zu obenstehenden Themen publizieren möchten, sind herzlich eingeladen, ihre Vorschläge der Redaktion einzureichen.

Jörg Clavadetscher
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