Brixner 244 - Mai 2010

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ihrer Protagonistin unterlegt. Die Goldschmiedin Flora Beriot ficht in ihrem Erzählen ein Duell aus, einen Zweikampf mit einem Journalisten, der sie in ihrer Werkstätte besucht, um ihr Erinnerungen an ihren Vater Jakob Beriot zu entlocken, eines berühmten, vor einigen Jahren gewaltsam verstorbenen Malers und Lebenskünstlers. Der Journalist Vincent Merz steht eines Tages unversehens und ohne

merksamkeit, mit der Merz sie umkreist, und kann sich seinem Interesse dennoch nicht entziehen. Zu faszinierend ist der Gesprächspartner, zu einfühlsam und verstörend sein Fragen, das er mit stupendem Vorwissen unterstützt. Flora Beriot erzählt aus ihrem Leben, schildert ihren deutschsprachigen Vater Jakob, der den Freitod im Meer gesucht hat, beschreibt ihre wesentlich jüngere Mutter Gabriella, die krank und

einem Kurort des Alpenraums, vielleicht Tirols, situiert sind, dann wieder im Szenario der Toskana und Neapels, bringt zusätzliche Spannung durch die Präsenz des Räumlichen – vorab des Meeres als des Protagonisten von unheimlichem Sog. Der Sog erfasst auch die Leser, die ungeduldig darauf warten, dass aus dem Erinnerungsstrom immer neue Geheimnisse aufsteigen. Es ist die Kunst von Birgit

„Nie hörte ich auf, mir einen Vater zu erfinden.“_ Aus dem Roman „Flora Beriot“ Ankündigung in der Werkstatt von Flora Beriot, die ihn zunächst als Kunden bedienen möchte, bis sie dann erkennen muss, dass der Mittvierziger Besonderes sucht: Er will keinen Schmuck, sondern anderes Gold; er wünscht, in ihre Vergangenheit einzudringen und vertieften Zugang zum Leben ihres berühmten Vaters Jakob gewinnen. Die Tochter soll erzählen, dem routinierten Journalisten und Biografen Details preisgeben für eine Biografie, die er ihr wie bereits anderen Kindern berühmter Väter zu widmen gedenkt. Flora bemerkt augenblicklich das Lauernde, die jägerartige Auf-

doch voller Vitalität in einem Kurheim wartet. Und so beginnt ein elliptisches Erzählen, die nahezu besessene, zunehmend süchtige Selbstentblößung der Flora Beriot, die im Fluss ihrer Narration auch sich selbst näher kommt, jäh neue Einsichten gewinnt, sich aber auch ihrem Gegenüber ausliefert.

Das eigentlich Fesselnde ist,

wie Erzählende und der Zuhörer ineinander aufgehen, aus der Position des Gegenübers in wechselseitige Verstrickung geraten, die sich an den Schauplätzen weiter steigert. Denn der Wechsel der Orte, die zum einen im zentraleuropäischen Ambiente, wie in

Unterholzner, dass sie solche Erwartungen nicht enttäuscht, aber sorgsam dosiert und ihre Erfüllung aufschiebt, bis der rechte Moment der Exposition und der Explosion der Handlung gekommen ist.

Es ist ein Zweikampf, in dem die Erzählerin ausgeliefert scheint an den lauernden Zuhörer, der – soviel sie auch immer preisgibt – immer mehr weiß und dennoch stets noch mehr erwartet. Wir haben zunächst den sicheren Eindruck, dass Merz der Stärkere ist. Vincent Merz, der mysteriöse Mann, dem bald auch die erotische Fantasie der Erzählerin gilt, während er sie abweist, dann

wieder lockt, auf Distanz hält und dennoch ständig, in traumwandlerischer Sicherheit, die von Flora Beriot gezogenen Grenzen überschreitet. Ständig präsent in diesem Vexierspiel ist der verstorbene Vater, der Maler und Künstler Jakob Beriot, zu Lebzeiten radikal in seiner Lebenslust und schöpferischen Kraft, kompromisslos gegenüber dem bürgerlich-bohémehaften Elternhaus, seinen durchaus schrägen Eltern, die in einem Kurstädtchen ein Hotel, das „Bellevue“, führen, dessen Ambiente uns seltsam vertraut anmutet. Jakob Beriot, der in einer Mondnacht ins nächtliche Meer von Follonica ging, direkt hinein in den Gischt, nicht aus depressiver Trübsal, sondern selbstverständlich, als in die seit langem auf ihn wartende Existenzform. Flora, damals ein kleines Mädchen, lässt ihn nicht los: „Heute noch ertappe ich mich, folge plötzlich alten Männern und verliere dabei den Atem. Nie hörte ich auf, mir einen Vater zu erfinden.“ Jakob Beriot, dessen Biografie geprägt ist von berstender und in ihrer Konsequenz brutalen Kreativität, steht dessen Frau Gabriella gegenüber als Liebende von gleichartiger Stärke, Lehrerin und gelernte Tänzerin, die bereit ist, den Tanz mit ihrem monströsen Mann bis zum Ende durchzustehen und sich 33


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