EB 6041 - Brahms, Sonate Nr. 1

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EDITION BREITKOPF

BRAHMS Sonate fĂźr Violoncello und Klavier Nr. 1 e-moll

Sonata for Violoncello and Piano No. 1 in E minor op. 38 EB 6041



JOHANNES BRAHMS 1833–1897

SONATEN für Violoncello und Klavier

SONATAS for Violoncello and Piano

Sonate Nr. 1 e-moll op. 38 Sonate Nr. 2 F-dur op. 99

EB 6041 EB 6042

Edition Breitkopf 6041 Printed in Germany






























Nachwort Die Sonate e-moll für Klavier und Violoncello op. 38 ist die erste von insgesamt sieben Sonaten für Klavier und ein Melodieinstrument, die Brahms veröffentlicht hat. Sie bildet zusammen mit der mehr als 20 Jahre später entstandenen, 1887 publizierten Cellosonate F-dur op. 99 das musikalisch wohl reichhaltigste Werkpaar des im 19. Jahrhundert geschaffenen Repertoires für diese Duobesetzung. Bereits Brahms’ Biograph und Freund Max Kalbeck bewunderte an der e-moll-Sonate, wie der Komponist den besonderen klanglichen Potentialen des Cellos gerecht geworden ist. „Hier wird dem sonoren, äußerst empfindlichen geigenden Tenorbariton nichts zugemutet, was er nicht mit seiner etwas schwerflüssigen Stimme singen könnte. […] Sowohl im Pathos des ersten Satzes wie in der kunstvoll tändelnden Grazie des zweiten und in dem freudigen Tumult des Finales behält das Instrument seine vornehme Würde, den leuchtenden Glanz seiner männlichen Stimme“. Neben hohem instrumentaltechnischem Können verlangt die Ausführung von den Spielern ein gründliches Verständnis des dichten kompositorischen Gefüges, das gerade für die Kammermusik von Brahms so charakteristisch ist. Nur bei genauer Kenntnis der Parts beider Instrumente kann eine adäquate Darstellung gelingen, die die vielfältigen motivischen und satztechnischen Verwobenheiten von Klavier- und Cellopart sowie die komplexen Entwicklungsprozesse einer fortwährenden thematischen Arbeit lebendig werden lässt. Die Entstehungsgeschichte der Sonate op. 38 zeigt Brahms’ hohe Ansprüche an sein Schaffen und die Besonnenheit, mit der er seine Werke hervorbrachte. Ursprünglich war die Sonate viersätzig konzipiert. Die ersten drei Sätze dieser frühen Werkidee entstanden im Jahr 1862, zunächst in Münster am Stein (in der Nähe von Bad Kreuznach), wo Brahms im Juni nach dem Kölner Musikfest Clara Schumann besuchte, sodann in Hamm bei Hamburg, wohin er im August desselben Jahres von längeren Reisen zurückkehrte. Ein Finale für das Werk stand damals noch aus. Dieses schuf Brahms drei Jahre später im Juni 1865 in Lichtenthal bei Baden-Baden. Damals erwog er die Werkkonzeption neu und entschied

sich nunmehr für eine nur dreisätzige Anlage. Er eliminierte den zunächst nach dem Kopfsatz geplanten langsamen Satz, ein Adagio, da ihm die Sonate mit den nun vorhandenen vier Sätzen „zu voll mit Musik gestopft“ (Max Kalbeck) schien. Am 6. September 1865 bot Brahms das Werk brieflich dem Verleger Peter Joseph Simrock an. Er fügte hinzu, die Sonate sei „durchaus unschwer für beide Instrumente zu spielen“ – gewiss eine Untertreibung, mit der er vermutlich möglichen verlegerischen Bedenken im Blick auf die wenig marktgerechte musikalische Dichte des Werks zu begegnen suchte. Im Juni 1866 erschien die Sonate im Druck. Brahms widmete sie seinem Freund Josef Gänsbacher (1829–1911), einem hoch gebildeten, vielseitig tätigen Juristen und Musiker, der in der Wiener Musikwelt als Sänger, Violoncellist, Klavierspieler, Liederkomponist und Musikpädagoge allgemein hohes Ansehen genoss. Mit der Widmung bedankte sich Brahms für Gänsbachers Vermittlung beim Erwerb des Manuskripts von Schuberts Lied Der Wanderer D 489, das Brahms als leidenschaftlicher Autographensammler für eine relativ geringe Summe erstehen konnte. Die Nähe des Mittelsatzes Allegretto quasi Menuetto zum Tonfall Schubertscher Menuette und Ländler wirkt sinnreich und unterstreicht den Dank, den Brahms mit seiner Widmung darbrachte. Zu bedenken ist freilich, dass der Satz bereits 1862 konzipiert wurde. Eine besondere, bereits früh wahrgenommene Eigenschaft der e-moll-Sonate liegt darin, dass die Hauptthemen ihrer Ecksätze enge Beziehungen zu kontrapunktischen Modellen in Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge aufweisen. Dadurch erscheint das Werk als eine besonders produktive Frucht von Brahms’ intensiver Beschäftigung mit der Musik Bachs und darüber hinaus mit Kompositionstechniken Alter Musik. Die Einschmelzungen entsprechender musikalischer Idiome bereichern und intensivieren Brahms’ Musiksprache. Mit ihnen schlägt Brahms neue Wege in der Kammermusik ein. Das Hauptthema des ersten Satzes folgt der Themenkontur des Contrapunctus 3 und des Contrapunctus 4 aus der Kunst der Fuge:


Charakteristisch sind die Ausfüllung des Quintrahmens und seine Erweiterung zur kleinen Sexte. Dieses Intervallgerüst scheint auch im Mittelsatz der Cellosonate als Kernmotiv durch. Gleich die erste Phrase des Klavierparts bringt die Kontur als fallende Wendung.

Noch deutlicher ist die Bezugnahme auf Bachs Kunst der Fuge im Hauptthema des Schlusssatzes: Sein Triolenduktus folgt dem Fugenthema des Contrapunctus 13:

In den ersten beiden Sätzen bleiben die Bezugnahmen auf Bach eher schemenhaft; die Satztechniken wirken keineswegs historisierend. Die Exposition des Hauptthemas mit den nachschlagenden Klavierakkorden im Kopfsatz etwa hat vielmehr geradezu eine lyrische Faktur. Im Finale dagegen steigert Brahms die Bezugnahme auf Bach dadurch, dass er diesen Satz in einem kompakten fugierten Stil realisiert und damit auch auf die Satztechnik zurückgreift, mit der die Bach-Themen ihrem Wesen nach verbunden sind. So gewinnt das Werk eine großräumig angelegte, auf das Finale ausgerichtete Steigerungsstruktur. Ein zunächst vorgesehener langsamer Satz hätte diese Entwicklung unterbrochen und damit die Drama-

turgie des Werks durchkreuzt. Die im Finale häufig auf- und abwärts wogenden Triolenfiguren, also die Originalgestalt und die Umkehrung dieses Motivs, verweisen auf die Struktur der Bach-Fuge, auf deren Thema Brahms zurückgriff: Contrapunctus 13 ist als Spiegelfuge angelegt, in der das Thema und seine Umkehrung gleichzeitig erklingen. Die im Klavierpart oft massige Satztechnik intensiviert die Schlusswirkung des Finales. Es erfordert viel Können, in diesem Schlusssatz Cello und Klavier in eine klangliche Balance zu bringen und alle Details gut wahrnehmbar darzustellen. Berlin, Sommer 2009

Ulrich Mahlert

Afterword The Sonata in E minor for piano and violoncello op. 38 is the first of altogether seven sonatas for piano and one melody instrument which Brahms published. Together with the Cello Sonata in F major op. 99, written more than 20 years later and published in 1887, it constitutes what is arguably the weightiest pair of works in the 19th-century repertoire for this duo scoring. Brahms’ friend and biographer Max Kalbeck admired how the composer exploited the cello’s unique sonorities in the E minor Sonata. “No demands are made from the sonorous, highly sensitive, string-playing tenor-baritone which he could not also sing with his somewhat thickly flowing voice. […] In the pathos of the first movement, in the artfully flirtatious grace of the second, and in the cheerful tumult of the finale, the instrument retains its noble dignity and the luminous radiance of its manly voice.” In addition to the peerless mastery of instrumental technique, the work demands from the performers a thorough understanding of the dense compositional structure that is so characteristic of Brahms, especially in his chamber music. Only with

an in-depth knowledge of the parts of both instruments can the work be given an adequate interpretation, one that brings to life the multifaceted motivic and compositional interconnections between the piano and cello parts, as well as the complex de­­velop­ ment processes of the continuous thematic work. The genesis of the Sonata op. 38 illustrates the high standards of craftsmanship with which Brahms produced his works, and the circumspection with which he brought them out. The sonata was originally conceived in four movements. The first three movements of this early concept originated in 1862, first in Münster am Stein (near Bad Kreuznach), where Brahms paid a visit to Clara Schumann in June after the Cologne Music Festival, then in Hamm near Hamburg, where he returned from lengthy travels in August of that year. The work still had no finale at that time. It was only three years later that Brahms wrote it, in June 1865 in Lichtenthal near BadenBaden, when he reconsidered the concept of the work and decided upon a three-movement structure. He removed the slow movement, an Adagio, which was


initially intended to follow the opening movement, since he felt that the sonata, now with four movements, was “too full of music” (Max Kalbeck). On 6 September 1865 Brahms offered the piece to the publisher Peter Joseph Simrock. In his letter, he noted that the sonata could be “played without difficulty by both instruments.” This was clearly an understatement with which he was perhaps trying to circumvent the publisher’s possible reservations towards the not very market-friendly musical density of the work. The sonata appeared in print in June 1866. Brahms de­dicated it to his friend Josef Gänsbacher (1829–1911), a highly cultured jurist and musician who was active in many fields and enjoyed great respect in Vienna’s musical world as singer, violoncellist, pianist, Lieder composer and musical pedagogue. With this dedication, Brahms, a passionate collector of autographs, expressed his gratitude to Gänsbacher for the role his friend played in helping him acquire the manuscript of Schubert’s Lied Der Wanderer D 489 for a relatively

small amount of money. The echoes of Schubert’s minuets and Ländler in the middle movement, Allegretto quasi Menuetto, are inspired and underscore the gratitude expressed by the composer in his dedication. Nevertheless, one should bear in mind that the piece was already conceived in 1862. One of the E minor Sonata’s special features – and one that was noticed very soon – is the close relationship of the primary themes of its outer movements to contrapuntal models in Johann Sebastian Bach’s Art of Fugue. The work is thus a particularly productive result of Brahms’ intensive study of Bach’s music and the compositional techniques of early music. The fusion of the corresponding musical idioms enriches and intensifies Brahms’ own musical language and provides the underpinnings for the new direction that Brahms was to take in his chamber music. The primary theme of the first movement follows the thematic contour of Contrapunctus 3 and Contra­ punctus 4 from the Art of Fugue:

Characteristic here are the filling-out of the parameter formed by the fifth and its expansion to a minor sixth. This intervallic structure also shines through the middle movement of the cello sonata as a core motif. The very first phrase of the piano part presents the contour as a descending turn.

The reference to Bach’s Art of Fugue is still clearer in the primary theme of the closing movement: its triplet flow follows the fugal subject of Contrapunctus 13:

The references to Bach are somewhat veiled in the first two movements, and the writing has no historicizing traits. In the opening movement, for example, the exposition of the primary theme with the staggered piano chords is nothing less than lyrical. In the finale, by contrast, Brahms heightens the references to Bach by writing this movement in a succinct, fugal style, thus adopting the compositional style through which Bach’s themes are all innately interconnected. The movement is thus laid out as a large-scale build-up whose sights are set on the finale. A slow movement, as had been originally conceived, would have interrupted this development and thwarted the drama-

turgy of the work. The triplet figures that frequently surge upwards and downwards in the finale – thus the original shape of the motif and its inversion – evoke the structure of the Bach fugue whose subject clearly inspired Brahms: Contrapunctus 13 is designed as a mirror fugue in which the subject and its inversion are heard simultaneously. The often heavy writing of the piano part intensifies the closing effect of the finale. It demands a great deal of skill to bring the cello and piano into a harmonious balance in this closing movement, and to adequately bring out all the details. Berlin, Summer 2009

Ulrich Mahlert



ISMN 979-0-004-16579-9

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