BV 238 – Liszt, Sämtliche Schriften Band 7: Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie

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Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie

französisch / deutsch

Liszt ∙ Sämtliche Schriften 7

FRANZ LISZT

Sämtliche Schriften

herausgegeben von Detlef Altenburg (†), Rainer Kleinertz und Dorothea Redepenning mit Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Universität Paderborn die Universität Regensburg

FRANZ LISZT

Sämtliche Schriften

Band 7

Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie

herausgegeben von Bettina Berlinghoff-Eichler

Bildnachweise:

Goethe- und Schiller-Archiv (GSA), Sign. 59/55a, Bl. 112–113, Foto: Klassik Stiftung Weimar (S. 532)

gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France (S. 644)

© Hungarian National Museum Public Collection Centre, Foto: Judit Kardos (S. 674)

Goethe- und Schiller-Archiv (GSA), Sign. 60/5 10, R 106,2/S 244,2, Foto: Klassik Stiftung Weimar (S. 685)

BV 238

ISBN 978-3-7651-0238-7

© 2025 by Breitkopf & Härtel Walkmühlstraße 52 65195 Wiesbaden / Germany info@breitkopf.com www.breitkopf.com Alle Rechte vorbehalten

Umschlagfoto: Franz Liszt (Wien 1838), Aquarell von Josef Kriehuber © Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen, Foto: Alexander Burzik

Druck: Beltz, Bad Langensalza Printed in Germany

Inhalt

Abkürzungen, Siglen und diakritische Zeichen

Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie | Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn

I–V 2

VI–XVI ............ 14

XVII–XIX .......... 38

XX–XXVII 46

XXVIII–XXXVI ..... 64 XXXVII–XLV ....... 78

XLVI–LI ........... 92

LII–LVIII .......... 102

LIX–LXVI .......... 112

LXVII–LXXII ....... 124

LXXIII–LXXXII 134

LXXXIII–LXXXIX ... 150

XC–XCII . . . . . . . . . . . 158

XCIII–XCIX 168

C–CV ............. 186

CVI–CXX 194

CXXI–CXXV ....... 220

CXXVI–CXXXIV .... 232

CXXXV–CXXXIX ... 250

CXL 258

I. Des Zigeuners Epos ein musikalisches 3

II. Des Zigeuners Gegensatz: der Israelit ....... 15

III. Zigeunergesinnung: Poetischer Egoismus .... 39

IV. Zigeunertrieb: Zügellose Naturliebe 49

V. Zigeunergefühl: Schmerz und Stolz ........ 65

VI. Der Zigeuner in der europäischen Literatur 79

VII. Der Zigeuner ein Paria .................. 93 VIII. Ethnographen; Civilisirungsversuche ....... 103 IX. Des Zigeuners Beschäftigungsweisen ....... 113

X. Erlebnisse mit Zigeunern unsrer Heimath ... 125 XI. Zigeuner auf unsren Reisen 135 XII. Jozsy ................................ 151

XIII. Die Zigeuner in Ungarn ................. 159

XIV. Die ungarische Zigeunermusik 169

XV. Costüm, Orchester, Art und Weise des Zigeunervirtuosen ..................... 187

XVI. Eigenthumsfrage der Zigeunerkunst 195

XVII. Geschichtliches; Bihary ................. 221

XVIII. Lavotta und Csermak; Reményi ........... 233

XIX. Verhältniß der Zigeunerkunst zur europäischen Musik .................... 251

XX. Dies Buch eine Vorrede zu unsrem ZigeunerEpos, den „Ungarischen Rhapsodien“ ...... 259

Anhang I: Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie. Nouvelle édition Poésie nationale ........................................................ 265

Anhang II

1. Gustav Pressel: Die Musik der Ungarn (1852) ..............................

2. Alexander Czeke, Ueber ungarische Musik und Zigeuner (1856) ................

3. Alexander Czeke: Ueber ungarische Musik und Zigeuner (1858)

Voraussetzungen – Liszts Weg zur ungarischen Nationalmusik – Von den Magyar

Dallok zu den Rhapsodies hongroises – Liszt und die Musik der „Zigeuner“ – Das Vorwort zur ersten Serie der Ungarischen Rhapsodien – Die Ausgabe Paris 1859 (E1) – Die deutsche Bearbeitung von Peter Cornelius (E2) – Die Ausgabe Leipzig 1881 (E3) – Die Ausgabe Lina Ramanns in den Gesammelten Schriften (1883)

Überlieferung. Fassungen, Nachdrucke und Übersetzungen ......................

Aufnahme und Wirkung

Die Ausgabe Paris 1859 (E1) – Die deutsche Bearbeitung von Peter Cornelius (E2) –

Die Ausgabe Leipzig 1881 (E3) – Die Rezeption der Schrift nach 1886

Erläuterungen

Zur Edition

Die vorliegende Ausgabe macht erstmals sämtliche Schriften von Franz Liszt in den von ihm selbst für den Druck bestimmten Fassungen zugänglich. Alle Texte wurden – soweit bekannt –in französischer Sprache entworfen und ausgearbeitet. Ein Teil der Schriften war jedoch von vornherein für die Veröffentlichung in deutscher Sprache bestimmt und erschien nur in von Liszt redigierter bzw. autorisierter Übersetzung. In diesen Fällen ist die deutsche Fassung als der verbindliche Text anzusehen, in allen anderen Fällen die französische Fassung. Soweit vollständige französische Druckfassungen vorliegen, werden die Texte zweisprachig französisch/ deutsch wiedergegeben. (Die deutschen Übersetzungen beziehen nach Möglichkeit zeitgenössische Ausgaben in deutscher Sprache mit ein.)

Entsprechend den Grundsätzen einer historisch-kritischen Ausgabe werden sämtliche Fassungen dokumentiert. Abweichungen von anderen Druckfassungen werden im Verzeichnis der Lesarten und Varianten nachgewiesen. Abweichungen, die ausschließlich die Orthographie und Zeichensetzung betreffen oder auf Druckfehler zurückgehen, sind hier nicht erfasst. Umfangreichere Varianten und nicht im Verzeichnis der Lesarten und Varianten zu dokumentierende Fassungen werden im Anhang veröffentlicht. Diakritische Zeichen im Haupttext bzw. im Anhang kennzeichnen Abweichungen von anderen Fassungen. Dokumente zum Textteil gelangen gegebenenfalls im jeweils letzten Anhang eines Bandes zum Abdruck.

Die originale Schreibweise und Zeichensetzung der Texte wurde beibehalten. Dies gilt insbesondere auch für die Akzentsetzung in den französischen Fassungen. Nur offenkundige Druckfehler wurden korrigiert und in einem gesonderten Druckfehlerverzeichnis aufgelistet. In Einzelfällen erforderliche Eingriffe der Bandbearbeiter sind im Haupttext durch spitze Klammern kenntlich gemacht. Den Wortlaut der Vorlage verzeichnet in diesen Fällen das Druckfehlerverzeichnis bzw. das Verzeichnis der Lesarten und Varianten. Die originale Auszeichnung der Texte wurde – mit Ausnahme der Kapitälchen bei Eigennamen und anderer eindeutig redaktioneller Hervorhebungen – übernommen. Antiqua in Fraktursatz wird durch Kursive wiedergegeben, originale Sperrung bleibt erhalten.

Der Kommentar weist im Kapitel Überlieferung die ermittelten Manuskripte, Druckfassungen, Nachdrucke und Übersetzungen bis 1886 nach. Abweichungen der Fassungen werden hier zusammenfassend beschrieben. Das Kapitel Entstehung stellt in den Grundzügen die Entstehungsgeschichte dar. Hier wird insbesondere auch die Frage nach dem Anteil der Mitautoren und Übersetzer erörtert. Das Kapitel Wirkung bzw. Aufnahme und Wirkung kann angesichts der weiten geographischen Streuung der Nachdrucke und Übersetzungen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Hier bildet den Schwerpunkt die zeitgenössische Rezeption bzw. Wirkung in Frankreich und Deutschland. Die Erläuterungen zum Text sind in einem umfassenden Sinne als Lesehilfe angelegt und sollen der Erschließung des Textes dienen. Nachgewiesen werden hier die im Text angeführten Namen, Werke und Zitate. Darüber hinaus werden Fachtermini und heute ungebräuchliche Wörter kommentiert und Zusammenhänge mit anderen Schriften Liszts bzw. anderer Autoren aufgezeigt.

Vorwort

Franz Liszt wurde am 22. Oktober 1811 in Raiding geboren – oder Doborján, wie der ungarische Name seines Geburtsortes im westlichen, an Österreich grenzenden Teil Ungarns lautet. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde Liszts Heimat durch die Verträge von St. Germain und Trianon 1919/20 Teil Österreichs. In seinem Elternhaus sprach man, wie in der Gegend üblich, deutsch. Aufgrund der musikalischen Begabung des Sohnes zog die Familie 1822 nach Wien, wo Franz von dem Beethoven-Schüler Carl Czerny im Klavierspiel und von Antonio Salieri in Harmonielehre unterrichtet wurde. Doch bereits im folgenden Jahr ging es weiter nach Paris. Hier sollte der Sohn das Pariser Conservatoire, die damals führende musikalische Ausbildungsstätte, besuchen. Der aus Italien stammende Direktor Luigi Cherubini lehnte seine Aufnahme jedoch mit der Begründung ab, für Ausländer seien in den Klavierklassen keine Plätze frei, eine Kränkung, die Liszt zeitlebens im Gedächtnis blieb. Der plötzliche Tod des Vaters 1827 und die Notwendigkeit, fortan für seinen Lebensunterhalt und den seiner Mutter aufkommen zu müssen, führten zu einer tiefen seelischen Krise. Neben dem lange gehegten Wunsch, Priester zu werden, erfassten ihn die intellektuellen Pariser Strömungen im Umfeld der Revolution von 1830. Mit zahlreichen Dichtern und Musikern, darunter George Sand, Heinrich Heine, Hector Berlioz und Frédéric Chopin, entwickelten sich persönliche Freundschaften. Zu einem Schlüsselerlebnis wurde 1830 ein Konzert von Nicolò Paganini. Neben der geradezu besessenen Beschäftigung mit spieltechnischen Problemen und der Übertragung der Symphonie fantastique von Berlioz auf das Klavier setzte sich der junge Liszt mit Fragen der Philosophie, Literatur und Musik auseinander. Seine eigenen experimentellen Kompositionen aus dieser Zeit bezeichnete er 1837 in seinem ersten, an George Sand gerichteten Reisebrief rückblickend als eine Musik, die nicht mehr einem „symmetrischen Plan“ folge, sondern Ausdruck seiner eigenen Individualität sei.

Mit seinen Lettres d’un bachelier ès-musique übertrug Liszt das literarische Genre des Reisebriefs auf die Musik. Wie bereits in seiner ersten schriftstellerischen Arbeit zur Stellung der Künstler in der Gesellschaft von 1835, die wie auch die anschließenden Reisebriefe in der einflussreichen Revue et Gazette Musicale de Paris erschien, dachte und schrieb Liszt auf Französisch. Als ihm 1836 in Sigismund Thalberg zum ersten und einzigen Mal ein ernstzunehmender Rivale auf dem Klavier erwuchs, trat Liszt ihm mit einer Reihe von Konzerten entgegen, in denen er sich – publizistisch unterstützt von Berlioz und Heine – nicht nur als Virtuose, sondern auch als Interpret, insbesondere der Werke Beethovens, und als Komponist präsentierte. Ein Konzert im Salon der italienischen Fürstin Cristina Trivulzio Belgiojoso zugunsten italienischer Flüchtlinge, an dem er gemeinsam mit Thalberg teilnahm, brachte ihn – am Beispiel Italiens – in Kontakt mit dem Streben nach nationaler Unabhängigkeit. Die Reisebriefe und Rezensionen aus dieser Zeit und während der anschließenden Italienreise, die er mit seiner Lebensgefährtin Gräfin Marie d’Agoult unternahm, reflektieren immer wieder Themen dieser Pariser Jahre und sollten ihn dort in Erinnerung halten.

Es war schließlich eine Naturkatastrophe, die in ihm die Erinnerung an seine ungarische Heimat wiedererweckte: Im Frühjahr 1838 wurden weite Teile Ungarns, insbesondere das tiefgelegene Pest, von der Donau überflutet. Liszt erfuhr von den verheerenden Überschwemmungen in

Venedig und beschloss spontan, nach Wien zu reisen, um dort Konzerte zugunsten der Flutopfer zu geben. Diese Konzerte in Wien 1838/39 markieren den Beginn der folgenden Virtuosenjahre (1839 bis 1847), in denen er in ganz Europa Triumphe feierte. Sie waren zugleich auch der Auslöser für eine neue und dauerhafte Verbindung zu seinem Heimatland Ungarn.

Ende 1839 bereiste Liszt erstmals seit seiner Kindheit wieder Ungarn, wo er triumphal empfangen wurde und als Pianist auftrat. Nach einem Konzert im Pester Theater überreichten ihm sechs ungarische Magnaten in Nationaltracht einen Ehrensäbel, eine Auszeichnung, durch die er sich zutiefst geehrt fühlte. Diese Huldigung und die Kränkung, die er seinerzeit als ungarischer Ausländer am Pariser Conservatoire erfahren hatte, entfachten in ihm eine glühende und aufrichtige Liebe zu seiner Heimat. Obwohl er die Sprache nie gelernt hatte, fühlte Liszt sich als Ungar; später bekannte er sich zu Ungarn und zur Doppelmonarchie: Anlässlich der Krönung von Kaiser Franz Joseph I. zum König von Ungarn 1867 komponierte er die Ungarische Krönungsmesse. Auf seinen Konzertreisen durch Ungarn sammelte er Stücke, von denen er später glaubte, sie seien Fragmente eines musikalischen Epos, das über « Bohémiens », wie der damalige Sprachgebrauch lautete, nach Ungarn gelangt sei. Er richtete einige dieser Stücke für Klavier ein und veröffentlichte sie zunächst in mehreren Heften 1840 und 1843 als Magyar Dallok/Ungarische Nationalmelodien sowie 1846 als Magyar Rhapsodiák/Rapsodies hongroises bei Haslinger in Wien.

Die Begeisterung für diese Musik, die sich durch charakteristische Intervalle (insbesondere übermäßige Sekunden) sowie eine reiche Ornamentik und einen scharfen Kontrast zwischen langsamen, rhapsodischen (Lassu) und sehr schnellen, tanzartigen (Friss) Abschnitten auszeichnet, spielt von da an eine wichtige Rolle in Liszts kompositorischem Schaffen. Davon zeugen nicht nur zahlreiche weitere Klavierwerke, die Symphonische Dichtung Hungaria (1857), die offiziellen Huldigungswerke A magyarok Istene/Ungarns Gott (1881) und Magyar király-dal/Ungarisches Königslied (1883/84), sondern auch Kompositionen mit persönlichem Charakter wie Sunt lacrymae rerum aus den Années de pèlerinage III (1883), das den Zusatz en mode hongrois trägt, die späten Rhapsodien und Czárdás, sowie vor allem die Historischen ungarischen Bildnisse (1885), die Persönlichkeiten der ungarischen Kultur und Geschichte gewidmet sind.

Die hier vorgelegte letzte große Schrift Liszts durchlief einen langen Entstehungsprozess und erschien erst gegen Ende seiner Weimarer Jahre. Für die Veröffentlichung der « Rhapsodies hongroises » hatte er bereits 1847 an ein Vor- oder Nachwort gedacht, um das er Marie d’Agoult im Juli des Jahres bat, zu einer Zeit als sich das Paar längst getrennt hatte (siehe unten S. 518 f.). In den gedruckten Heften gibt es jedoch keine Begleittexte. Das gilt auch für die 15 Ungarischen Rhapsodien, die 1851 und 1853 in Leipzig, Wien, Mainz und Berlin publiziert wurden. Liszts Überzeugung, mit den Rhapsodien ein Nationalepos in Tönen geschaffen zu haben, das in seiner kulturellen Bedeutung anderen europäische Nationalepen an Rang gleichkommt, verlangte nach einer angemessenen Würdigung, die über die Anfangsidee eines Vor- oder Nachworts weit hinausging. Sie nahm schließlich Gestalt an in einer umfangreichen Schrift, die 1859 in der Librairie Nouvelle in Paris unter dem Titel Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie erschien. Die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe mit dem Titel Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn erfolgte 1860, die der ungarischsprachigen Ausgabe 1861, jeweils bei Gustav Heckenast in Pest. Der Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig brachte 1881 eine überarbeitete Edition in französischer Sprache heraus, deren umfangreiche Erweiterungen wohl auf Carolyne Sayn-Wittgenstein zurückgehen. Der Inhalt dieser Schrift und die von Liszt gewählten Begriffe, die in keiner Weise gegen bestimmte ethnische Gruppen Ungarns oder anderer Länder gerichtet waren, sind bei aller Problematik nur im Kontext der Genese des Textes verständlich. In der hier vorgelegten historisch-kritischen Edition wird diesem Sachverhalt Rechnung getragen.

Der ursprüngliche Text, auch in der deutschen Übersetzung, arbeitet – zeittypisch – mit essentialistischen Gegenüberstellungen: « les Bohémiens » / „die Zigeuner“ und « les Israélites » / „die Israeliten“. Darin schimmern traditionsreiche philoziganistische Klischees durch, die häufig mit antisemitischen Vorurteilen gekoppelt sind. Man denke etwa an Achim von Arnims Novelle Isabella von Ägypten (1812), Alexander Puschkins Poem Die Zigeuner (Cygany, 1827), Victor Hugos Roman Der Glöckner von Notre-Dame (Notre-Dame de Paris, 1831),  Robert Schumanns Chorsatz Zigeunerleben mit einem Text Emanuel Geibels (1840) oder Nikolaus Lenaus Gedicht Die drei Zigeuner (1838), das Liszt 1860 vertonte. Die von Liszt verwendeten Begriffe wie « Bohémiens » und „Zigeuner“ sind in diesem Kontext zu sehen. Sie zeugen von zeittypischer Verehrung und Verklärung, einer Haltung, die sich ihres latenten Rassismus nicht bewusst war. Zugleich wird deutlich, dass Liszt über den Stand der Forschung zu diesem Thema gut informiert war. So wird etwa der schon zu Lebzeiten legendäre Roma-Geiger und -Komponist János Bihari (1764–1827) ausführlich gewürdigt. Liszts Argumentation liegt die These zugrunde, dass die ungarische Nationalmusik „zigeunerischen“ Ursprungs sei und die ungarische Kunstmusik erst durch diesen Einfluss gleichsam zu sich selbst gefunden habe, eine Überzeugung, die in den Ungarischen Rhapsodien, besonders dem prominenten und von Liszt mehrfach bearbeiteten RákócziMarsch, ebenso in der Symphonischen Dichtung Hungaria, Ausdruck fand. Diese gedankliche Konstruktion haben Béla Bartók und andere später mit  ihren umfassenden ethnologischen Forschungen widerlegt.

In der ersten Auflage ist Liszts Buch Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie eine tief empfundene Liebeserklärung an seine ungarische Heimat und deren Musik. Dieser Grundcharakter ist auch in der späteren Auflage erhalten, wird aber bereits 1859 überschattet von stereotypen antijüdischen Aussagen in den Kapiteln über die „Israeliten“, die in der späteren Auflage von 1881 von Carolyne Sayn-Wittgenstein stark erweitert wurden.

Über alle philologischen Fragen hinaus weist Liszts Buch Probleme auf, die über tief verwurzelte Vorurteile hinaus zu Taten geführt haben, die alle Humanität sprengen. Den Herausgebern ist bewusst, dass das geschriebene Wort, die Begrifflichkeit, keineswegs unschuldig ist gegenüber den Verbrechen, die später auf der Grundlage dieser Ideen verübt wurden, auch dann nicht, wenn dies in keiner Weise intendiert war.

Die vorliegende historisch-kritische Ausgabe enthält als zentrale Fassung die erste französischsprachige Ausgabe von 1859 sowie – synoptisch gegenübergestellt – die 1860 erschienene deutsche Bearbeitung von Peter Cornelius, an deren Vorbereitung Liszt und seine Lebensgefährtin der Weimarer Zeit nachweislich beteiligt waren. In Anhang I wird die zweite, wohl ausschließlich von Carolyne Sayn-Wittgenstein erstellte, letztlich aber von Liszt autorisierte französischsprachige Fassung von 1881 wiedergegeben und in Anhang II einige in der Edition von 1859 berücksichtigte zeitgenössische Artikel über ungarische Nationalmusik bzw. die Musik der „Zigeuner“.

Der Kommentarteil spricht die damit verbundene Problematik und den historischen Diskurs an, der in der öffentlich geführten Polemik über die erweiterte Auflage gipfelte. Damit versteht sich die vorliegende Ausgabe als Ausgangspunkt für eine kritische Auseinandersetzung. Im Kapitel Aufnahme und Wirkung wurde auf die Darstellung der Rezeption der Schrift in Ungarn weitgehend verzichtet. Über dieses Thema hatte Dr. Klára Hamburger (Budapest) vor Jahren für den vorliegenden Band einen Text verfasst, dessen Umfang jedoch den Rahmen der Ausgabe gesprengt hätte. Für ihre umfangreichen Informationen und ihre wertvolle Unterstützung sei ihr herzlichst gedankt, ebenso für Hinweise zur korrekten Orthographie ungarischer Personenund Ortsnamen. Sofern nicht anders vermerkt, basieren im Übrigen auch alle in der vorliegenden Arbeit verwendeten Übersetzungen aus dem Ungarischen auf ihren Vorlagen.

Auf die Erstellung eines Verzeichnisses der Lesarten und Varianten wurde im vorliegenden Band verzichtet, da alle drei relevanten Fassungen vollständig abgedruckt werden. Darüber hinaus sind die Abweichungen der zweiten gegenüber der ersten französischen Auflage so komplex, dass sie sich der Darstellung in einem solchen Verzeichnis entziehen. Bei den Erläuterungen werden im Gegensatz zu einigen bisher erschienenen Bänden der Sämtlichen Schriften nur die französischen Lemmata angegeben, da es sich bei der synoptisch gegenübergestellten deutschen Fassung nicht um eine wortgetreue Übersetzung, sondern um eine recht freie Bearbeitung handelt (siehe unten, S. 562 ff.).

Der hier edierte Band wurde 1990 im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts einer historisch-kritischen Ausgabe der Sämtlichen Schriften Franz Liszts begonnen und am Institut für Musikwissenschaft der Universität Regensburg abgeschlossen. Die Edition der Texte sowie der Kommentar folgen daher den Editionsprinzipien dieser Ausgabe.

Großer Dank gebührt den Professoren und Mitarbeitern des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold, namentlich Dr. Angelika Varga-Behrer und Dr. Gabriele Schneider für wertvolle Anregungen und Unterstützung bei den Vorarbeiten zu dieser Ausgabe; der Universität des Saarlandes, insbesondere Dr. Lucas Berton und Charlotte Schmidt für ihre Hilfe bei den Korrekturarbeiten, sowie nicht zuletzt der Universität Regensburg, insbesondere der Inhaberin des Lehrstuhls für Musikwissenschaft, Prof. Dr. Katelijne Schiltz, für die großzügige Unterstützung und ihre Ratschläge bei der Drucklegung des Bandes.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar, namentlich Evelyn Liepsch, sowie des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig ermöglichten in großzügiger Weise umfangreiche Recherchen in ihren Beständen, ohne die die Erstellung des Kommentars, insbesondere des Kapitels Entstehung, kaum in dieser Form möglich gewesen wäre. Dank für Hilfe und Unterstützung bei den Vorarbeiten zu dieser Ausgabe schuldet die Herausgeberin ferner den folgenden Institutionen: dem Liszt Ferenc Emlékmúzeum és Kutatóközpont in Budapest, namentlich dessen ehemaliger Direktorin Mária Eckhardt und ihrer Nachfolgerin Zsuzsanna Domokos, sowie der Magyar Tudományos Akadémia Zenetudományi Intézet Könyvtára, namentlich Luíza Tari, Mária Domokos und nicht zuletzt dem 2022 verstorbenen Bálint Sárosi.

Die folgenden Bibliotheken, Archive und Institutionen waren bei der Beschaffung von Materialien für den vorliegenden Band behilflich: Bibliothèque nationale de France und Bibliothèque de l’Institut de France, Paris; Országos Széchényi Könyvtár und Magyar Nemzeti Múzeum, Budapest; Library of Congress, Washington; New York Public Library; Österreichische Nationalbibliothek, Wien; Peter-Cornelius-Archiv, Stadtbibliothek Mainz; Richard-Wagner-Museum mit Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth; Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Darmstadt; Bayerische Staatsbibliothek, München; Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar; Museen Klassik Stiftung Weimar; Universitätsbibliothek Regensburg; Lippische Landesbibliothek Detmold.

Herzlich gedankt sei dem Verlag Breitkopf & Härtel, namentlich dessen Leiter Nick Pfefferkorn, für die Bereitschaft, die Reihe der Sämtlichen Schriften Franz Liszts nach langer Unterbrechung fortzusetzen, sowie Regina Schwedes für ihre Geduld und Hilfestellung bei der Drucklegung.

Heidelberg, Saarbrücken und Regensburg, Dorothea Redepenning Sommer 2025 Rainer Kleinertz Bettina Berlinghoff-Eichler

Abkürzungen, Siglen und diakritische Zeichen

AmZ Allgemeine musikalische Zeitung (Leipzig)

AZ Allgemeine Zeitung (Augsburg)

Bd. / Bde. Band / Bände

Br Franz Liszt, Briefe, 8 Bde., hrsg. v. La Mara, Leipzig 1893–1905

Br anL Briefe hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt, 3 Bde., hrsg. v. La Mara, Leipzig 1895 u. 1904

Br Augusz Franz Liszt's Briefe an Baron Anton von Augusz 1846–1878, hrsg. v. W. v. Csapó, Budapest 1911

Br BurgLM Mária Eckhardt u. Cornelia Knotik, Franz Liszt und sein Kreis in Briefen und Dokumenten aus den Beständen des Burgenländischen Landesmuseums, Eisenstadt 1983 (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 66)

BrL-AL Franz Liszt. Briefwechsel mit seiner Mutter, hrsg. v. K. Hamburger, Eisenstadt 2000

BrL-B Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Hans von Bülow, hrsg. v. La Mara, Leipzig 1898

BrL-R Helene Raff, Franz Liszt und Joachim Raff im Spiegel ihrer Briefe, in: Die Musik 1,1–3 (1901/02)

BrL-StK Franz Liszt and Agnes Street-Klindworth. A Correspondence, 1854–1886, hrsg. v. P. Pocknell, Hillsdale, NY, 2000 (Franz Liszt Studies Series 8)

Br ungS Franz Liszt. Briefe aus ungarischen Sammlungen 1835–1886, hrsg. v. M. Prahács, Kassel u. a. 1966

Bülow BrS Hans von Bülow, Briefe und Schriften, 7 Bde., hrsg. v. M. v. Bülow, Leipzig 1895–1908

CLW I Peter Cornelius, Literarische Werke, Bd. I: Ausgewählte Briefe nebst Tagebuchblättern und Gelegenheitsgedichten, Bd. 1, hrsg. v. C. M. Cornelius, Leipzig 1904

CWV Günter Wagner, Peter Cornelius. Verzeichnis seiner musikalischen und literarischen Werke, Tutzing 1986

D Otto Erich Deutsch, Franz Schubert. Thematisches Verzeichnis seiner Werke in chronologischer Folge, Kassel u. a. 1978

D-BHna Bayreuth, Richard-Wagner-Museum mit Nationalarchiv der Richard-WagnerStiftung

Des Bohémiens et de leur

musique en Hongrie

Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn

Les peuples dans leur enfance nourrissent leur imagination de poëmes, qui leur présentent des types frappants et merveilleux, qui réveillent leur goût pour les émotions héroïques, qui racontent des faits dont ils se font gloire ou remémorent des catastrophes qui les ont remplis d’efroi, donnant ainsi corps dans cette forme aux sentiments dont ils sont pénétrés et qu’ils se plaisent à voir reproduits en strophes harmonieuses. Tant que la civilisation matérielle n’a point asservi les masses à un travail mécanique constant, et parfois abrutissant ; tant qu’elle n’a pas énervé leur esprit par la multiplicité des besoins factices qu’elle fait naître ; tant qu’elles ne connaissent de luxe qu’un nécessaire abondant, auquel participe un assez grand nombre pour exclure le spectacle continuel de la pauvreté oppressée et haletante, elles ne manquent jamais de ces facultés poétiques qui rangent parmi les premiers besoins et le plus précieux luxe la satisfaction de se créer un idéal qui leur représente la plus grandiose conception de ce qu’elles croient excellemment beau. D’ordinaire, ce fut d’abord un récit, un chant court et simple, qui fut répété par tous les cœurs et toutes les voix. Bientôt autour de ce noyau se groupèrent des versions nouvelles, agrandissant et embellissant l’idée première ; le fait principal fut accompagné d’autres faits accessoires ; peu à peu il fut interprété diversement, la tradition s’en empara, varia, diversifia, ennoblit, broda ce thème, et les épopées nationales se trouvèrent ainsi formées. Les récits primitifs qui en ont été le germe ne portent pas seulement l’empreinte du caractère des nations où ils sont éclos, de l’influence exercée sur eux par leur climat, leur culte, leur histoire, leurs mœurs, leurs coutumes et la tendance particulière de leur génie poétique ; ils en sont l’expression la plus vraie, le produit le plus direct. Chez quelques­uns, ces poëmes  fragmentairement conçus et conser vés ont gardé pour toujours leur forme première ; chez d’autres, la fable qui en fait le fond a longtemps circulé à l’état d’ébauche, passant de bouche en bouche avec mille variantes, jusqu’à ce qu’un grand poëte vînt, qui les cristallisa pour ainsi dire en une forme splendide et définitive, et en créa un tout homogène.

II

Sous le beau ciel de la Grèce, les rhapsodes en voyageant rassemblaient autour d’eux les habitants des villes et des bourgades, pour leur faire entendre des histoires de peuples vaincus, de royaumes renversés et d’aventures merveilleuses. Quand leurs chants furent rassemblés, ils formèrent un monument d’une inimitable perfection. Le génie avait dicté cette narration de tout ce que peuvent inspirer à l’homme des passions qui font sa grandeur, et les âges en se succédant n’ont su que consacrer l’antique enthousiasme pour ce premier essor de l’invention, sans plus jamais atteindre au sublime homérique qui fait de l’Iliade l’immortel panthéon des énergies et des vertus humaines. Aux Indes, les exubérances d’une végétation tropicale, la contemplation des scènes les plus dramatiques de la nature, de ses plus gigantesques montagnes, de ses plus splendides fleuves, de ses beautés les plus passionnées et de ses plus orgueilleuses magnificences, entraînèrent l’imagination de l’homme à ne pas croire une demeure digne des dieux, si les monts eux­mêmes n’étaient transformés en temples, et le poëte, craignant d’amoindrir son idéal en admettant des limites à sa fantaisie, arriva au monstrueux en cherchant le grandiose ; ne trouvant d’images correspondantes à la majesté des impressions réveillées en lui par de sublimes paysages, que dans des proportions surhumaines et des chifres incalculables, il ne se contenta pas de l’exagération, mais chercha l’extravagance de l’hyperbole pour symboliser l’infini de l’amour et avait

Die Völker nähren in ihrer Kindheit die Einbildungskraft an Dichtungen, welche ihnen hervortretende, bedeutungsvolle Gestalten darbieten, ihren Sinn für das Heldenhafte wecken, ihnen den Ruhm oder die Noth des Vaterlandes vergegenwärtigen und in klingenden Strophen die ihnen eigenthümliche Art und Sinnesweise verkörpern. Dann sind die Massen noch nicht durch wachsendes Bedürfen auf stete mechanische Arbeit angewiesen, noch nicht durch die mannigfachen erkünstelten Erfordernisse der Civilisation abgestumpft; sie kennen vom Luxus nur den Überfluß des Nothwendigen, dessen sich eine genügende Mehrzahl erfreut um das Schauspiel peinlicher Armuth fern zu halten, und es wird ihnen in solchem Zustande zum dringendsten Bedürfnisse wie zum kostbarsten Luxus sich ein poetisches Volksideal zu schafen, dem der Stempel des innersten volksthümlichen Wesens ganz und klar aufgeprägt ist. Meistens wird es anfangs eine Sage, ein kurzes einfaches Lied sein, das überall im Lande von Lippen und Herzen widertönt. Um diesen Keim sammeln sich neue Zuthaten, den Grundzug ergänzend, verschönernd; zu dem Haupthergange gesellen sich verwandte Einzelheiten; bald wird auch jener Hauptzug verschieden ausgelegt; die Überliefrung in ihrem unbestimmbaren Walten schmückt und formt an dem vorhandnen Stof und so entsteht allmälig das Volksepos. Jene Sage aber, jenes Lied, das den Keim des Volksepos bildet, ist nicht allein durch Sinn und Art des betrefenden Volkes je nach klimatischen, sittlichen und geschichtlichen Einflüssenbedingt und bestimmt, es ist vielmehr deren eigentlichster Ausdruck, deren unmittelbarstes Produkt. Bei manchen Völkern haben diese fragmentarisch entstandenen und erhaltenen Lieder ihre Gestalt unverändert behauptet, bei anderen finden wir den nur lose geformten poetischen Stof in tausendfältigen Wandlungen von Mund zu Mund gehend bis endlich unter eines berufenen Dichters Hand die hier und dort umherirrenden Bruchstücke sich zum durchsichtigen künstlerischen Ganzen gestalten.

bedingt

Unter Griechenlands schönem Himmel sehen wir wandernde Rhapsoden den Städtern und Landleuten ihre Sagen von Völkerkriegen und Heldenfahrten singen und später diese Sagen gesammelt ein unnachahmliches Ganzes bilden, das folgende Zeiten nur immer auf’s Neue bewundern, nicht wieder erreichen konnten. In Indien mochte die Fülle tropischen Wachsthums, die Versenkung in das Anschauen einer übergewaltigen Natur den Geist des Menschen leicht zu dem Glauben bewegen, daß nur die Berge selber in Tempel umgewandelt würdige Wohnsitze der Götter heißen dürften, und der Poet, der von jeder Beschränkung seiner Phantasie eine Verkleinerung seines Ideals fürchtete, gerieth auf der Spur des Gewaltigen leicht in’s Unge­

Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie

des adorations divines, qu’il chanta sur un mode plus élevé que tout autre. Les Bardes scandinaves en face d’une nature frigide, qui imposait à leurs sens efrayés par le superbe déploiement de la tyrannie d’un climat rarement éclairé d’un passager sourire, exaltèrent le courage jusqu’à en faire une volupté, et le Walhalla n’ofrit pour récompense à ses élus que de nouveaux combats et d’incessantes victoires. A l’entrée du moyen âge, alors que les esprits étaient attirés par les mystiques images d’une religion encore jeune, dans laquelle le symbole et le sentiment ne cessent de s’entre­produire, il circula des récits sur les prouesses accomplies par des preux enflammés des plus généreuses ardeurs, qui, semblables aux demi­dieux mythologiques faisaient conter à la renommée leurs hauts faits de délivrance, leurs missions de justice, leurs miracles de bienfaisance, auxquels ces héros du christianisme joignaient des vertus d’une pieuse tendresse, émanées d’une foi qui amollissait leur cœur en même temps qu’elle fortifiait leur vaillance. Cette période produisit les merveilleux récits dont Roland fut l’Achille. Les Slaves racontèrent les événements de famille qui donnèrent lieu aux guerres civiles, et les afections de famille remplirent leurs plus touchants épisodes, comme les fêtes et représentations provoquées par leur opulente hospitalité en furent les plus brillants. Chez les Arabes le dogme de la fatalité laissa peu de place à la liberté des vouloirs de l’homme, et leur imagination dut se restreindre davantage dans la description des grâces de la beauté, des éblouissants prestiges de la richesse ; c’est pourquoi leurs capricieux émaux ne visent même pas aux semblants de la réalité. Lorsque des continents inconnus et un monde nouveau furent découverts et conquis, les aventures des explorateurs et les descriptions des contrées lointaines fournirent aux langues de l’Ibérie des poëmes où le fantastique fut plein de grandiosité et la réalité peinte avec de flamboyantes couleurs. Partout l’épopée nationale a réuni sous le symbolisme des faits, et revêtu de la forme du récit des sentiments sympathiques aux populations ; sous le voile du mythe, elle leur a ofert, dans un langage de facile ressouvenance, la peinture des passions auxquelles il leur était naturel de s’identifier ; celle des ambitions, des fiertés, des rêves, des regrets, des douleurs communes, auxquelles la tradition donnait ainsi une configuration plastique. A cette nourriture de l’imagination s’ajoutait le vif attrait du rhythme qui, s’attachant à l’oreille, aidait la mémoire à retenir les poëmes. La musique du vers fut accompagnée soit d’une déclamation cadencée et modulée, sorte de récitatif, soit d’une mélopée ; et ces deux éléments de jouissance s’associèrent si intimement qu’ils prirent la même dénomination. Le poëme se divisa en chants.

III

Entre les peuples de l’Europe, il en surgit un jour un, tout à coup, sans qu’on pût savoir au juste d’où il était sorti. Il s’abattit sur notre continent sans témoigner de désir de conquête, mais aussi sans demander l’autorisation d’un domicile. Il ne voulut point asservir, mais il refusa de se soumettre. Il ne voulut rien donner, mais ne consentit à rien accepter. Il n’avoua ni de quels plateaux africains ou asiatiques il descendait, ni par quelle nécessité il venait chercher d’autres cieux. Il n’apporta aucun souvenir, il ne trahit aucune espérance. Il refusa les bénéfices d’une colonisation, et, comme trop vain de sa triste race pour condescendre jamais à se fondre en une autre, il se contenta de vivre en repoussant tout élément étranger, en ne participant à aucun des avantages des civilisations qu’il cotoyait, et qui toutes semblaient lui être également antipathiques. Ce peuple est étrange, si étrange qu’il ne ressemble à aucun autre, en aucune chose. Il ne possède

Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn 5

heuerliche. Die nordischen Barden, angesichts einer finstern Natur, deren Strenge selten durch ein flüchtiges Lächeln gemildert erscheint, erhoben den Muth bis zur Wollust, und Walhall bietet den Seligen nur neue Kämpfe und Siege. Im Beginn des Mittelalters, wo die Gemüther von den mystischen Bildern einer noch jugendlichen Religion erfüllt waren, in welcher Gefühl und Symbol unausgesetzt sich gegenseitig erzeugen, ertönen Legenden von christlichen Helden, welche mit Großthaten der mythologischen Halbgötter zugleich Frömmigkeit und Zartheit als Weihegaben ihres Glaubens vereinigten. Die Slaven erzählen Familienereignisse aus denen Bürgerkriege entstehen; Liebe zum häuslichen Herd ist hier immer das tragische Motiv; die Gastfreundschaft und die Feste die sie hervorruft leiht die glänzenden und schillernden Momente her. Bei den Arabern gönnte die Lehre vom Fatalismus der Willensfreiheit zu wenig Spielraum; sie ergehen sich am Liebsten im Lob der Schönheit, im Preis des Reichthums; ihre emailartigen Phantasiebilder streben kaum nach einem Anschein von Wahrscheinlichkeit. Als neue Continente entdeckt und erobert wurden lieferten die Abenteuer der Seefahrer und die Beschreibung ferner Himmelsstriche den iberischen Idiomen Stof zu Dichtungen voll glühendem Realismus. Überall hat das Volksepos eine Gefühlsweise, die der ganzen Nation sympathisch war, in Thaten symbolisirt und mit erzählender Form bekleidet; unter dem Schleier des Mythus bot es ihr in leicht sich einprägender Sprache eine Schilderung der ihr innerlichst eignen Leidenschaften, ihres gemeinschaftlichen Strebens und Duldens, welchem so durch die Tradition ei ne plastische Gestaltung verliehen wurde. Zu dieser Befriedigung der Einbildungskraft gesellte sich die lebhafte Lust an einem in’s Ohr fallenden, dem Gedächtniß das Bewahren des Inhalts erleichternden Rhythmus. Die Strophen wurden entweder durch eine cadenzirte und modulirte Deklamation, durch eine Art Recitativ, oder auch durch eine wirkliche Melodie begleitet, und diese beiden Formen des Genusses vereinigten sich so innig, daß sie dieselbe Benennung annahmen. Das Gedicht wurde in Gesänge abgetheilt.

For nung.

Die Völker Europa’s wurden plötzlich durch ein neues vermehrt, ohne daß man eigentlich recht wußte, woher es gekommen war. Es verbreitete sich über die Lande ohne Erobrungslust zu zeigen, ohne aber auch um Bewilligung eines Domicils zu bitten. Es wollte nicht unterjochen, verweigerte aber auch die Unterwerfung. Es wollte nichts geben, aber auch nichts annehmen. Es sagte nichts von den afrikanischen oder asiatischen Bergebenen denen es entstiegen war, nichts von der Nothwendigkeit durch welche es zum Aufsuchen andrer Wohnplätze getrieben wurde. Es brachte keine Erinnrung mit und verrieth keine Hofnung. Es schlug die Vortheile einer Colonisation aus und als wäre es zu eitel auf seinen verkommenen Stamm, um sich jemals zur Vermischung mit einem anderen herabzulassen, stieß es jedes fremde Element von sich zurück, begnügte sich mit dem nackten Leben und nahm durchaus keinen Antheil an den Wohlthaten der Staatseinrichtungen an welchen es vorüberging. Es ist ein seltsames Volk; so

gnügte

Anhang I

Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie. Nouvelle édition.

Poésie nationale.

I

Dans l’enfance des peuples, alors qu’ils n’ont point encore entièrement perdu le souvenir deleurs habitudes pastorales en gagnant celles d’unevie agricole entremêlée d’épisodes guerriers,leurimagination se nourrit volontiers dans les loisirs d’une existence simple, mais aisée, de poèmes qui réveillent leur goût pour les émotions héroïques, en leur présentant des types frappans et merveilleux, qui racontent des faits dont ils se font gloire ou remémorent des catastrophes qui les ont remplis d’effroi, pour donnerainsi corps dans une forme déjà moulée par l’art, aux sentimensdont ils sont pénétrés et qu’ils se plaisent à voir reproduits en strophes harmonieuses.

vie donner ainsi

Tant que la civilisation matérielle n’a point asservi les masses à un travail mécanique constant, parfois abrutissant; tant qu’elle n’a pas énervé leur esprit par la multiplicité des besoins factices qu’elle fait naître; tant qu’elles ne connaissent de luxe qu’un nécessaire abondant, auquel participeunassezgrand nombre pourexclurelespectaclecontinueldelapauvretéoppressée et dela misère haletante, elles ne manquent jamais de ces facultés poétiques qui rangent parmi les premiers besoins et le plus précieux luxe, la satisfaction de se créer un idéal qui leur représente la plus grandiose conception de ce qu’elles croient excellemment beau. D’ordinaire, ce fut d’abord un récit,court et simple, mais rhythmé, orné d’images et de métaphores, qui fut répété par tous les cœurs et toutes les voix. Bientôt, autour de ce noyau se groupèrent des versionsnouvelles, agrandissantetembellissant l’idée première. Le fait principal fut accompagné d’autres faits accessoires ; peu­à­peu,il fut interprété diversement, la tradition s’en empara, varia, diversifia, ennoblit, broda ce thème. L’épopée nationale se trouva formée par le choix, instinctif encore, du poème dont l’inspiration était la plus identique au sentiment et la forme la mieux correspondante au génie de la nation.

Les récits primitifs qui ont été le germe de ces œuvres subséquentes, ne portent pas seulement l’empreinte du caractère des peuples chez qui ils sont éclos, de l’influence exercée sur eux par leur climat, leur culte, leur histoire, leurs mœurs, leurs coutumes et la tournure particulière de leur sens poétique ; ils en sont l’expression la plus vraie, le produit le plus direct. Chez quelques­uns ces poèmes, fragmentairement conçus et conservés, ont gardé pour toujours leur forme première ;chezd’autres, lafable quienfait le fond,alongtemps circuléà l’étatd’ébauche, passant de

abrutissant ; naître ; cipe un assez grand pour exclure le spectacle continuel de la pauvreté oppressée qui beau. D’ordinaire, ce fut d’abord un récit, court des versions nouvelles, agrandissant et embellissant peu­à­peu, il diversifia, ennoblit, broda pas ; chez d’autres, la fable qui en fait fond, a longtemps circulé à l’état d’ébauche,

bouche en bouche avec mille variantes, jusqu’à ce qu’un grand poète vînt qui les cristallisa, pour ainsi dire, en une forme splendide et définitive, lorsqu’il créa de ces matériaux épars un ensemble complet.

II

Sous le beau ciel de la Grèce, les rapsodes en voyageant rassemblaient autour d’eux les habitans des villes et des bourgades, pour leur faire entendre des histoires de peuples vaincus, de royaumes renversés, d’aventures surprenantes et admirables. Quand leurs chants épars furent réunis en une œuvre homogène par le vieil Homère, ils formèrent un monument d’une inimitable perfection. Le génie avait dicté cette narration de tout ce que peuvent inspirer à l’homme des passions qui font sa grandeur ; les âges en se succédant n’ont pu que consacrer l’antique enthousiasme pour ce premier essor de l’invention, sans plus jamais atteindre au sublime homérique qui fait de l’Iliade l’immortel panthéon des énergies et des vertus humaines.

Aux Indes, les exubérances d’une végétation tropicale, la contemplation des scènes les plus dramatiques de la nature, de ses plus gigantesques montagnes, de ses plus splendides fleuves, de ses beautés les plus passionnées et de ses plus orgueilleuses magnificences, entraînèrent l’imagination de l’homme à ne pas croire une demeure digne des dieux si les monts eux­mêmes n’étaient transformés en temples ; et le poète, craignant d’amoindrir son idéal en admettant des limites à sa fantaisie, arriva au monstrueux en cherchant le grandiose. Ne trouvant d’images correspondantes à la majesté des impressions réveillées en lui par de sublimes paysages, que dans des proportions surnaturelles et des chiffres incalculables, il ne se contenta pas de l’exagération ; il chercha l’extravagance de l’hyperbole, pour symboliser l’infini de l’amour et des adorations divines, qu’il chanta sur un mode plus élevé que tout autre.

Chez les Perses, les légendes et les traditions d’un passé déjà enveloppé de la brume impénétrable des siècles, trouvèrent un poète de la race vaincue qui prit à ses vainqueurs le splendide vêtement d’une langue parachevée, riche comme les broderies du Cachemire, souple comme ses tissus, savoureuse comme ses épices, et il embauma dans ces langes frémissantes les gloires d’une noble race, fière des nobles faits d’armes dignes d’être immortalisés dans le Livre des Rois. – Chez les Arabes, le dogme de la fatalité laissant peu de place à la liberté des vouloirs de l’homme, leur imagination dut se restreindre davantage dans la description des grâces de la beauté, des éblouissans prestiges de la richesse ; c’est pourquoi, les capricieux émaux des Mille et une Nuits ne visent même pas aux semblans de la réalité.

formèrent si culables, im ble dide vêsus, fré santes rare moyencula récits sur les  rage presque humain, dresse,

Les bardes de la Scandinavie, en face d’une nature frigide qui imposait à leurs sens effrayés, par le superbe déploiement de la tyrannie d’un climat rarement éclairé d’un passager sourire, exaltèrent le courage jusqu’à en faire une volupté ; et, le Walhalla n’offrit pour récompense à ses élus, que de nouveaux combats et d’incessantes victoires. – A l’entrée du moyen­âge, alors que les esprits étaient attirés par les mystiques images d’une religion à peine entrevue encore, dans laquelle le symbole et le sentiment ne cessent de s’entre­produire, il circula des récits sur les prouesses accomplies par des preux enflammés des plus généreuses ardeurs, qui, semblables aux demi­dieux mythologiques, faisaient conter à la renommée leurs hauts­faits de délivrance, leurs missions de justice, leurs miracles de bienfaisance. Les héros du christianisme joignaient à un courage presque surhumain, des vertus d’une pieuse tendresse, émanées d’une foi qui amollissait le cœur en même temps qu’elle fortifiait la vaillance. Cette période produisit les merveilleux récits dont Roland fut l’Achille.

4,12–15

Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie. Nouvelle édition. 267

Les Slaves racontèrent dans leurs ballades et leurs romances poétiques, les événemens de famille qui donnèrent lieu aux guerres civiles ; les affections de famille remplirent leurs plus touchans épisodes, comme les fêtes et représentations provoquées par leur opulente hospitalité en furent les plus brillans. – Lorsque des continens inconnus et un monde nouveau furent découverts et conquis, les aventures des explorateurs et les descriptions des contrées lointaines fournirent aux langues de l’Ibérie un poème, où le fantastique fut plein de grandiosité et la réalité peinte avec de flamboyantes couleurs.

III

4,18–21 nicht in E1 à  lée, sorte que là qu’une

Partout la poésie nationale a réuni sous le symbolisme des faits et revêtu de formes poétiques, des sentimens sympathiques aux populations. Sous le voile du mythe, elle leur a offert, dans une langue de facile ressouvenance, la peinture des passions auxquelles il leur était naturel de s’identifier ; celle des ambitions, des fiertés, des rêves, des amours, des regrets, des douleurs communes, auxquelles la tradition donnait ainsi une configuration plastique. A cette nourriture de l’imagination s’ajoutait le vif attrait du rhythme qui, s’attachant à l’oreille, aidait la mémoire à retenir les poèmes. La musique du vers fut accompagnée, soit d’une déclamation cadencée et modulée, sorte de récitatif ; soit d’une mélopée formelle : ces deux élémens de jouissance s’associèrent si intimement qu’ils prirent la même dénomination. Le poème se divisa en chants. Par ainsi, la première forme que la poésie prend chez les peuples primitifs, qu’on peut dire incultes quand ils ne connaissent encore ni les industries, ni le commerce, ni les arts, ni les sciences de la civilisation, n’est point la poésie lyrique, cette expression sublimée des émotions personnelles, comme qui dirait subjectives, du poète ; mais, la poésie épique, cette représentation des sentimens collectifs, comme qui dirait objectifs, de tout un peuple. Cela s’explique par là qu’une intelligence aussi peu développée que celle des enfans, suffit pour s’identifier à des impressions généralement répandues, réveillées par des événemens qui leur permettent de se témoigner dans des actions d’éclat. Tandis qu’il faut une culture intellectuelle infiniment plus développée et plus raffinée, pour provoquer à l’expression de momens poétiques absolument individuels, avec la certitude qu’il se trouvera des esprits émus et des cœurs vibrans prêts à comprendre ces épanchemens, de nature toute particulière ; parfois exceptionnelle. Pour peu qu’on recherche avec soin les diverses couches littéraires superposées dans l’histoire poétique d’une race quelconque, on verra toujours le récit imageant des sentimens collectifs, précéder, sous une forme ou une autre, le soupir ou le sourire, la joie ou la douleur personnelle du poète reflétée dans ses vers. Même une race dont la poésie nationale n’eut aucun récit, ne fit point exception à cette loi ; ce qu’on voit clairement en étudiant avec attention ses chants sans paroles, qui furent les archives poétiques de celle dont nous allons parler.

té infini veloppée et plus raffinée, pour nelle. timens sou cun tion témoi cile. sa

Entre les peuples de l’Europe, il en surgit un jour un, tout à coup, sans qu’on pût savoir au juste d’où il était sorti. Il s’abattit sur notre continent sans témoigner d’un désir de conquête, mais aussi sans demander l’autorisation d’un domicile. Il ne désira pas s’approprier un pouce de terrain, mais il n’admit pas qu’on lui prenne une heure de temps. Il ne voulut point asservir, mais il refusa de se soumettre. Il ne consentit à rien accepter, mais ne voulut rien donner. Il n’avoua ni de quels plateaux africains ou asiatiques il descendait, ni par quelle nécessité il venait chercher

Anhang

II 1.

Gustav Pressel: Die Musik der Ungarn.

Die ungarische Musik trägt einen so originalen Charakter in sich, unterscheidet sich so wesentlich von der Musik aller übrigen europäischen Völker, daß es für den Musiker jedenfalls, aber auch für den Dilettanten jeden Grades von Interesse sein muß, aus der Feder eines Kenners zum ersten Male etwas Näheres und Gründlicheres darüber zu erfahren. Der unterzeichnete Verfasser dieser Zeilen machte in den Jahren 1849–51 von Wien aus, wo er seine musikalischen Studien bei Sechter zu vollenden beabsichtigte, mehrere Male Ausflüge nach Ungarn, wobei zwar Pesth zunächst der Zielpunkt war, aber auch die entfernteren Gegenden an der Theiß nicht unbesucht blieben.

Seine Gedanken über ungarische Musik folgen hier, so weit er sie bei dem karg zugemessenen Maaß von Geld und Zeit auf seinen Reisen zu verfolgen im Stande war. Verständigen wir uns aber vor Allem darüber, was unter ungarischer Musik zu begreifen ist.

Bekanntlich sind von den 16 Millionen, welche Ungarn bewohnen, höchstens der vierte Theil Magyaren, d. h. Abkömmlinge der asiatischen Horden, welche im 9ten Jahrhundert nach Europa zogen, durch das eiserne Thor in’s jetzige Ungarn drangen und sich hier die großen Ebenen diesseits und jenseits der Theiß und das Donaugebiet aufwärts bis Comorn zu Wohnplätzen wählten. Der größte Theil der Bewohner Ungarns sind aber Slaven, ein nicht unbedeutender Deutsche und Walachen, der kleinere Theil: Juden und Zigeuner. Bei diesem großen Völkergemische darf man wohl fragen, welchem dieser Stämme das, was wir im specifischen Sinne „ungarische Musik“ nennen, seinen Ursprung verdanke? Ist ungarische Musik gleichbedeutend mit magyarischer, oder mit der Musik der Slaven, Deutschen, Walachen, Juden oder Zigeuner, welche Ungarn bewohnen? Die beiden letzten Nationen sind schon im Voraus in Betreff der Originalitätsfrage ausgeschlossen: denn Juden und Zigeuner können wohl Vorhandenes benutzen und zu seiner Ausbildung schöne Beiträge liefern, nimmermehr aber in irgend einem Zweige der Kunst oder der Gewerbe dem Lande, in welchem sie als geduldete Minorität zerstreut leben, ein nationales Gepräge aufdrücken, und daß dies auch in Ungarn nicht der Fall war, werden die folgenden Blätter zeigen. Da der Charakter der ungarischen Musik, wie schon bemerkt, sich wesentlich von dem aller übrigen europäischen Musik unterscheidet, so kann sie aber auch weder slavischen noch germanischen Ursprungs sein; denn weder die Musik der Deutschen, noch die der slavischen Stämme: Polen, Russen, Böhmen

gro ver

ungari

u. s. w., hat mit der ungarischen Nationalmusik irgend eine Aehnlichkeit; und somit steht fest, daß die ungarische Musik rein magyarischen Ursprungs ist, ohne daß damit verneint werden soll, daß, sowohl die physische Beschaffenheit des Landes, als die nicht magyarischen Stämme selbst, welche Ungarn bewohnen, mehr oder weniger Einfluß auf die Entwicklung dieser Musik ausgeübt haben. Was ist es nun aber, das die ungarische Volksmusik in ein so fremdes Verhältniß zu aller übrigen europäischen Musik setzt? Es ist dies vor Allem ihr „Rhythmus“, der Rhythmus sowohl die [sic] Tactteile, als der Tactordnungen. Während nämlich alle übrige abendländische Musik in den geraden Tactarten (2/4, 4/4 Tact u. s. w.) in der Regel den Accent auf die guten Tactglieder 1 und 3 fallen läßt, so findet in der ungarischen Musik gerade das Gegentheil statt. Unsere schlechten Tacttheile sind für sie die guten, und wenn wir auf 1 und 3 den Accent legen, so accentuirt der Ungar in den meisten Fällen 2 und 4. Dieser Rhythmus giebt der ungarischen Nationalmusik den Charakter des Heroischen, Herausfordernden, Stolzen, zugleich drückt er aber auch die noch rohere, ungebrochene Gemüthsart dieser kriegerischen und ritterlichen Nation aus. Ferner treffen wir in einer ganzen Reihe von magyarischen Volksweisen den Wechsel von geraden und ungeraden Tactzahlen: und namentlich sind es 7tactige Rhythmen, die sehr häufig vorkommen. Da die ungarische Volksmusik (und von dieser rede ich vorerst) blos die geraden Tactarten kennt und von einem 3/4, 3/8 oder 6/8 Tact u. s. w. gar nichts weiß, so tritt in den ungarischen Volksweisen, wo die 3­, 5­ und 7tactigen Rhythmen vorkommen, gleichsam ein Ersatz für den gänzlichen Mangel dieser Musik an ungeraden Tactarten ein. Diese ungeraden Tactrhythmen sind zwar durchaus nicht Gesetz in der ungarischen Volksmusik; im Gegentheil ist, namentlich, was die eigentliche Tanzmusik betrifft, der 4tactige Rhythmus ebenfalls herrschend. Ich erlaube mir hier eine der innigsten und schönsten ungarischen Melodien, in welchen diese merkwürdige Erscheinung vorkommt, als Beleg beizusetzen. Sie lautet, wie folgt: und außerdem kommt sie in einer Menge von Volkstänzen vor, daher der gute Nägeli irrt, wenn er in seinen geistreichen Vorlesungen über Musik S. 42 behauptet, daß „alle Tänze aller Na tionen aus nicht mehr und nicht weniger als viermal vier Tacten bestehen“. Aber nicht blos durch ihren Rhythmus, auch durch ihre Melodie, oder nicht blos extensiv, sondern auch intensiv, unterscheidet sich die ungarische Musik von der des übrigen Europa. Einmal ist es die vorherrschende Neigung zu dem Mollgeschlecht, durch welcher die betreffende Musik ihren orientalischen Charakter im Allgemeinen verräth; sodann ist es aber noch ganz besonders die Art und Weise, wie sich der magyarische Apollo in diesem düsteren Anzuge bewegt. Die übermäßige Secunde spielt nämlich eine bedeutende Rolle in den un­

hauptet,

454

Anhang II

garischen Mollweisen. Versuchen wir es, den melodischen Charakter der letzteren, abgesehen von ihrer besondern Anwendung, auf die allgemeine Richtschnur der Tonleiter zurückzubringen, so bekommen wir folgendes Schema der ungarischen Mollweisen:

So heißt es z. B. in dem berühmten Rákoczy­Marsch

s. w.

Und eine ebenso ächte magyar nota (ungarische Volksweise) fängt also an:

s. w.

Hier ist die übermäßige Secunde sogar in aufwärtsgehender Richtung gebraucht. Die übermäßige Secunde, welche in melodischer Hinsicht so gern gebraucht, macht sich auch in der Harmonie der ungarischen Musik in einem Accorde geltend, den die Mollweisen dieser Nation überaus lieben. Es ist dies der übermäßige Quintsextaccord oder der Accord mit reiner Quinte und übermäßigen Sexte wie ihn meistens gegen das Ende ihrer Melodien hin, aber auch schon früher, eine große Anzahl ungarischer Mollweisen, namentlich in ihren Lassu’s (Adagios) haben; z. B. führen wir die begonnene Mollweise noch um einige Tacte weiter, so bekommen wir zu hören:

Als weitere Eigenthümlichkeit der ungarischen Mollweisen können wir anführen, daß dieselben sämmtlich im Duraccord mit großer Terz schließen, wenigstens machen die ungarischen Zigeuner, über deren gelungene Auffassung dieser Musik unten Mehreres zu lesen ist, stets diesen Schluß und der ungarische Musiker erkennt ihn wenigstens als adäquat dem Geist seiner Nationalmusik an, wenn er selbst auch nicht immer dies beobachtet. Zeigen wir dies an der bei jeder ächten magyar nota (ungarische Weise) wiederkehrenden, charakteristischen Schlußformel:

Abgesehen von der minder wesentlichen, wenn gleich charakteristischen Erscheinung der eine Mollweise beschließenden Durharmonie (die zwar auch in deutschen Musiken, bei Seb. Bach u. s. w. häufig vorkommt, aber nicht, wie in der ungarischen Musik, als eine volksthümliche) haben wir hier zugleich die rhythmische Sonderbarkeit wahrnehmen können, daß der Schluß des melodischen Accents auf einen schlechten Tacttheil fällt: und dies ist durchgehends

bei Er mäßige Schluß gehends

Entstehung

Voraussetzungen

Mit seinem letzten großangelegten Buchprojekt Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie, dessen erste Auflage 1859 in Paris erschien, rückte Franz Liszt erstmals expressis verbis eigene Kompositionen – die mehrere Jahre zuvor erschienenen Rhapsodies hongroises (R 106/S 244) –in den Mittelpunkt eines seiner literarischen Werke. Unabhängig von den in den Schriften der 1854/55er Jahre exponierten aktuellen Auseinandersetzungen mit Fragen des zeitgenössischen Opernrepertoires, zu den Bühnenwerken Richard Wagners oder zur ästhetischen Berechtigung symphonischer Programmmusik, beschäftigte Liszt sich hier eingehend mit der National- bzw. Volksmusik seines ‚Vaterlandes‘ Ungarn, die als Materialgrundlage für eine ganze Gruppe eigener Klavierkompositionen gedient hatte. Auf die Rhapsodies hongroises selbst, insbesondere auf Grundzüge ihrer Entwicklung und auf die Wahl ihres Titels, geht Liszt zwar nur im letzten Kapitel seines Buches ein, allerdings auf der Grundlage einer bereits in den ersten Kapiteln vorgeführten Theorie des musikalischen Epos. Der überwiegende Teil des Buches besteht zum einen aus einem auf der einschlägigen Literatur basierenden Überblick über die kulturgeschichtliche Entwicklung und Bedeutung der „Zigeuner“ sowie ihre damalige Stellung außerhalb jeder vorgeblich zivilisierten Gesellschaftsordnung, und zum anderen aus einer Darstellung ihrer Musik bzw. Musizierpraxis, die sich in erster Linie auf die eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Eigentümlichkeiten ihrer Aufführungspraxis stützt. Beide Bereiche stehen jedoch keineswegs unvermittelt nebeneinander, und sie erfüllen darüber hinaus ihre Funktion für die Rhapsodies hongroises in ihrer Apostrophierung als ‚musikalische Epopöe‘. So spiegelt sich nach Ansicht Liszts und vieler seiner Zeitgenossen ein wesentlicher Aspekt des Lebens der „Zigeuner“, nämlich ihre Wildheit und ihre Unabhängigkeit von den Zwängen der Zivilisation, in ihrer Musik wider, und zwar vor allem in der ‚Regellosigkeit‘ der Melodik, Rhythmik und Harmonik. Diesescharakteristische Stilelement der sog. „Zigeunermusik“ bildet seinerseits die Basis für die Rhapsodies hongroises Liszts.

Seine Schrift Des Bohémiens verstand Liszt zumindest teilweise als Kommentar zu diesen Werken. Durch die Bezugnahme auf eigene Kompositionen und besonders durch die Einflechtung angeblich autobiographischer Details waren seine Zeitgenossen davon überzeugt, dass es sich bei seinen Angaben um unumstößliche Fakten handle. Das betrifft beispielsweise die Informationen aus den Kapiteln über die Ungarn-Reisen und über den jungen Musiker Józsi. Weitaus wichtiger sind jedoch die Teile des Bandes, in denen Liszt entscheidend zur eigenen Legendenbildung beitrug: sein Verhältnis zur ungarischen National- bzw. Volksmusik sowie zur sog. „Zigeunermusik“ und die Darstellung der Entstehung der Rhapsodies hongroises. Gerade in diesem letzten Punkt ist wohl davon auszugehen, dass Liszts Aufzählung der einzelnen Entwicklungsstadien dieser Werke (oben, S. 258, Z. 32ff., bzw. S. 448, Z. 25ff.) nicht in jeder Hinsicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, zumal er es offenbar bewusst vermieden hatte, diese Stadien mit ihren verschiedenen Vorstufen in Zusammenhang zu bringen. Auch die Deeinen un ihre Z. 32 ff., bzw. S. 448, Z. 25 ff.) nicht in Hinsicht De

Entstehung

finition der Rhapsodies hongroises als eine Art von „Zigeunerepopöe“ muss nicht notwendigerweise mit den Intentionen, die Liszt bei der Komposition dieser Werke verfolgt hatte, übereinstimmen. Es erscheint daher sinnvoll, vorab bestimmte Fragen zu klären, die mit der Entstehung der Schrift Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie zwar nicht unmittelbar zusammenhängen, dennoch aber eine wichtige Rolle für die Bewertung dieses Bandes und der darin gegen Ende besprochenen Werke spielen. Ausgangspunkt ist hierbei Liszts allmählich sich entwickelndes Interesse an ‚Nationalmusik‘ im Allgemeinen und an der ungarischen im Besonderen. Des Weiteren soll die Entstehungs- und Editionsgeschichte der als Ungarische Rhapsodien bezeichneten Werke mit ihren Vorstufen vor dem Hintergrund der ersten Ungarn-Reisen Liszts untersucht werden. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Werkgruppen: (Die im Folgenden unter den Punkten 1 bis 3 aufgeführten Kompositionen werden in der Liszt-Forschung im Allgemeinen als erste Serie, diejenigen unter Punkt 4 als zweite Serie der Ungarischen Rhapsodien bezeichnet.)

1. Magyar Dallok / Ungarische Nationalmelodien Nr. 1–11 (R 105a/S 242), 4 Hefte, erschienen bei Tobias Haslinger in Wien 1840 (Hefte 1 und 2) sowie 1843 (Hefte 3 und 4) in folgender Aufteilung:

Heft 1: Nr. 1–6 (Pl.-Nr. T. H. 8041);

Heft 2: Nr. 7 (Pl.-Nr. T. H. 8042);

Heft 3: Nr. 8–9 (Pl.-Nr. T. H. 8043);

Heft 4: Nr. 10–11 (Pl.-Nr. T. H. 8044);

2. Magyar Rhapsodiák / Rapsodies hongroises Nr. 12–17 (R 105b/S 242), Cahier 5–10 mit jeweils einer Nummer, erschienen bei Haslingers Witwe & Sohn in Wien spätestens Anfang Dezember 1846 (Pl.-Nr. T. H. 10.205–10.210);

3. Ungarische Rhapsodien Nr. 18–21 (R 105c/S 242), 4 Hefte mit jeweils einer Nummer, die bei Haslinger in Wien erscheinen sollten (Pl.-Nr. T. H. 11,041–11,044); Pesther Carnaval (R 106,9, 1. Fassung/S 244,9, 1. Fassung), erschienen bei Tobias Haslingers Witwe & Sohn in Wien spätestens Mitte Januar 1848 (Pl.-Nr. T. H. 10,565);

4. R(h)apsodies hongroises / Ungarische Rhapsodien I–XV (R 106/S 244), 15 Hefte mit jeweils einer Nummer, erschienen spätestens Oktober 1851 bei Bartholf Senff in Leipzig (I–II), Juli 1853 bei Carl Haslinger in Wien (III–VII) sowie bei Schott’s Söhnen in Mainz (VIII–X) und September 1853 bei Heinrich Schlesinger in Berlin (XI–XV).

Abschließend wird die Frage nach Liszts Verhältnis zur Musik der „Zigeuner“ vor seiner Etablierung als Hofkapellmeister in Weimar zu stellen sein, welches er im letzten Kapitel seines Buches aus der Retrospektive immerhin als eine in der Kindheit beginnende, stetig sich weiterentwickelnde Beziehung darstellt.

Liszts Weg zur ungarischen Nationalmusik

In der einschlägigen Literatur wurde wiederholt die These geäußert, die Ursachen von Liszts Interesse an der Nationalmusik Ungarns – ein Interesse, das bis zum Ende seines Lebens immer wieder in seinen Kompositionen zu registrieren ist –, lägen in seiner Kindheit begründet. Einen wichtigen, um Objektivität bemühten Beitrag zu diesem Thema leistete Zoltán Gárdonyi mit seinem 1963 erschienenen Artikel über Nationale Thematik in der Musik Franz Liszts bis zum Jahre 1848 (SM 5, S. 77–87), in dem er diese Behauptung mit Nachdruck dementierte. Die „musikalischen Erlebnisse seiner Kindheit in Ungarn“ könnten zwar „gewisse Spuren in seinem Gedächtnis hinterlassen haben“, doch seien sie „für eine objektive Forschung nicht erfaßbar“ (S. 78). Ebenso widerspricht Gárdonyi einer pauschalisierenden Kategorisierung der ungariCarna& jeweils ( welches der

schen Kompositionen Liszts „als Dokumente seiner patriotischen Anhänglichkeit an sein Geburtsland“ (S. 77).

Liszts kompositorische und literarische Auseinandersetzung mit dem Problem Nationalbzw. Volksmusik im Allgemeinen, die bis in die Mitte der 1830er Jahre zurückreicht, sollte –wie Gárdonyi es bereits versucht hatte – nicht als ein isoliertes Phänomen betrachtet werden, da sie zweifellos in Zusammenhang mit dem in den europäischen Kulturmetropolen vorherrschenden Musikgeschmack steht. Ungeachtet einer Vielzahl national bedingter Differenzen stellte die Wiederentdeckung und darüber hinaus die Verwendung des nationalen Melodiengutes, auch für ‚anspruchsvolle‘ Kompositionen, eine Gemeinsamkeit unter den Komponisten verschiedenster Nationen dar. Stilisierte Volkstänze wie Polonaisen, Ecossaisen oder Mazurken sowie Variationen, Fantasien oder Rondos über Volksmelodien der Schweiz, Italiens oder Irlands zählten, vergleichbar etwa mit der unüberschaubaren Anzahl von Kompositionen über Opernmelodien, mindestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts, insbesondere in Wien und Paris, zum Standardrepertoire führender Klavierkomponisten der Zeit wie Ludwig van Beethoven (1770–1827), Carl Czerny (1791–1857), Friedrich Kalkbrenner (1785–1849), Ignaz Moscheles (1794–1870), Franz Schubert (1797–1828), Sigismund Thalberg (1812–1871) und nicht zuletzt Frédéric Chopin (1810–1849; vgl. hierzu LSS 2). Anzuführen wären hier beispielsweise Beethovens Sechs Ecossaisen WoO 83, Czernys Douze Grands Rondeaux nationaux brillants et caractéristiques op. 186, darunter auch ein Rondeau Hongrois, Moscheles’ Fantaisie sur des airs des bardes écossais op. 80, Kalkbrenners Fantaisie et Grandes Variations sur un thême écossais op. 72, Schuberts Divertissement à l’hongroise D 818 oder Thalbergs Deux Airs russes variés op. 2. Liszt waren solche Stücke mit Sicherheit nicht unbekannt, und ihm wird deren Publikumswirksamkeit nicht verborgen geblieben sein.

Melodien Paris, zum

Den Hintergrund für ein derartiges Einbeziehen von vorgegebenem, aus der ‚Volksmusik‘ stammendem Material bildete eine zunächst nur literarisch wirksame, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in mehreren europäischen Ländern offenbar parallel sich entwickelnde Bewegung, die sich der Wiederentdeckung nationaler Volkspoesien widmete. Auslöser waren offensichtlich James Macphersons 1760 in Edinburgh anonym veröffentlichte, auf den Barden Ossian zurückgeführte Fragments of Ancient Poetry, Collected in the Highlands of Scotland, and Translated from the Galic or Erse Language, deren Authentizität bereits kurze Zeit nach ihrem Erscheinen angezweifelt wurde. Die von Macpherson ‚wiederentdeckten‘, aus ‚alter Zeit‘ stammenden Gedichte wurden bald darauf in verschiedene europäische Sprachen übersetzt, unter anderem von Johann Gottfried Herder, dessen Volkslied-Konzeption anfangs beinahe ausschließlich auf der Rezeption dieser Gedichte beruhte. Herders erste in Leipzig veröffentlichte Volksliedanthologien von 1778 und 1779 (Volkslieder, 2 Tle., 1807 posthum hrsg. von Johann von Müller unter dem Titel Stimmen der Völker in Liedern), die sich im Gegensatz zu Macphersons Sammlung nicht auf Gedichte einer Nation beschränkten, sondern von vornherein übernational angelegtwaren,geltenheutealsAuslöserfürLiedersammlungenimgesamteneuropäischenSprachraum. Hinsichtlich der Volksliedsammlungen einzelner Nationen können in der Regel nur selten definitive Aussagen darüber getroffen werden, ob diese letztlich nun auf der Rezeption der Werke Macphersons oder Herders basierten.

In Ungarn regte Miklós Revai bereits 1782 durch einen Aufruf in der Zeitung Magyar Hírmondó die Leser dazu an, alte, nur im Volksmund tradierte Weisen ihrer Heimat zum Zwecke der Erforschung der verschiedenen ungarischen Mundarten zu sammeln. Adám Pálóczi Horváths handschriftlich überlieferte Sammlung Ó és Új mintegy ötödfélszáz Énekek (Fünfthalbhundert Lieder, von mir selbst gemacht und von anderen), abgeschlossen im Jahr 1813 und für die folgenden Volksliedsammlungen in Ungarn von großer Bedeutung, bestand erstmals nicht nur aus Texten, sondern bezog auch Melodien mit ein (vgl. Sárosi, Volksmusik, S. 15ff., und Manga, Ungarische Volkslieder und Volksinstrumente, Budapest 1975, [Ungarische Volkskunst 2], S. 7 ff.).

FréSchuberts legt waren, gelten heute als Auslöser für Liedersammlungen im gesamten europäischen SprachS. 15 ff.,  2],

Erläuterungen

Des Bohémiens et de leur musique en Hongrie (E1)

2, 27–30 Sous le beau ciel de la Grèce bis d’une inimitable perfection] Rhapsode (griech. rhapsodos, „jemand, der Lieder zusammenfügt“). Die Rhapsoden waren im antiken Griechenland Sänger, die präexistente Verse wie beispielsweise aus den unter Homers Namen überlieferten Epen auswendig vortrugen.

2, 33 f. au sublime homérique bis des vertus humaines] Dem griechischen Dichter Homer (Homeros, 8. Jahrhundert v. Chr.) werden die beiden Epen Ilias (8. oder 7. Jahrhundert v. Chr.) und Odyssee (um 700 v. Chr.) zugeschrieben.

2, 34–4,1 Aux Indes bis plus élevé que tout autre] Liszt dürfte sich hier auf die beiden zentralen Epen der indischen Literatur beziehen, und zwar auf das dem Sänger Vālmīki zugeschriebene, vermutlich seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. größtenteils fertiggestellte Rāmāyana (sanskrit., Ramas Lebenslauf ) und das wahrscheinlich noch früher entstandene Mahābhārata (sanskrit., Das große Bhārata-Epos). Die Bewertung dieser beiden Epen geht möglicherweise auf Georg Friedrich Wilhelm Hegels Vorlesungen zur Ästhetik zurück (vgl. Cours d’Esthétique, Bd. 4, S. 360 f.).

4, 1 f. Les Bardes scandinaves] Barden (keltisch, „Sänger“), die keltischen Hofsänger, deren Repertoire aus Preis­ und Heldenliedern, Schlachtengesängen und Totenklagen bestand. Gemeint sind hier die Skalden (vgl. Erläuterung zu S. 220, Z. 31 f.).

4, 4 Walhalla] Walhall: in der nordischen Mythologie die Halle für die in der Schlacht gefallenen Helden. Diese zogen jeden Morgen zum Kampf gegeneinander aus. Am Mittag waren ihre Wunden bereits wieder verheilt, und am Abend versammelten sie sich zu einem Mahl unter Vorsitz der obersten Gottheit Odin.

4, 12 les merveilleux récits dont Roland fut l’Achille] Gemeint ist die wahrscheinlich um 1100 entstandene altfranzösische Chanson de Roland, ein anonymes Heldenepos, in dessen Mittelpunkt der Titelheld steht. Eine der bekanntesten Nachdichtungen ist das auf die Zeit um 1170 datierte mittelhochdeutsche Rolandslied des Pfaffen Konrad. – Achilles (Achilleus), Sohn des Myrmidonenkönigs Peleus und der Nereide Thetis, ist die zentrale Gestalt in der Homer zugeschriebenen Ilias

4, 12–15 Les Slaves racontèrent bis les plus brillants] Gemeint ist wahrscheinlich Adam Mickiewicz’ (1798–1855) 1834 in Paris erschienenes Versepos Pan Tadeusz czyli Ostatni zajazd na Litwie (Herr Tadeusz oder der letzte Einritt in Litauen), das Liszt in seiner Schrift über F. Chopin 1852 als « épopée familière » bezeichnete (LSS 2).

4, 15 le dogme de la fatalité ] Der Fatalismus gilt als eines der wesentlichen Prinzipien des Islam. Er beruht auf dem Glauben an einen Gott, der als absoluter Herrscher fungiert, in dieser Eigenschaft die Handlungen der Menschen vorherbestimmt und das Schicksal jedes Individuums von Beginn an festlegt. . fut standene der tierte Myrmidonenkönigs schriebenen oder

4, 18 Cor bei

4,18 leurs capricieux émaux] Die Bedeutung von « émaux » ist zunächst nicht klar. Peter Cornelius hatte sich während seiner Übersetzungsarbeiten bei Carolyne Sayn­Wittgenstein nach der korrekten Übertragung des Wortes erkundigt (siehe Entstehung, S. 538). Er wählte schließlich die Formulierung „emailartige Phantasiebilder“. Aus der Erweiterung der Phrase in E3 ist zu erschließen, dass die Märchen aus Tausendundeiner Nacht gemeint sind (vgl. Erläuterung zu S. 266, Z. 30).

4, 18–21

4,18–21 Lorsque des continents inconnus bis avec de flamboyantes couleurs] Gemeint ist das 1572 in Lissabon veröffentlichte portugiesische Nationalepos Os Lusíades von Luís Vaz de Camões (1524 od. 1525–1579 od. 1580), das unter dem Eindruck der portugiesischen Eroberungen Vasco da Gamas entstand.

4, 30 Le poëme se divisa en chants] Diese Aussage findet Liszts Aufsatz

4,30 Lepoëmesedivisaenchants]DieseAussagefindet sich auch in LisztsAufsatz Ueber Beethoven’s Musik zu Egmont aus dem Jahr 1854 (LSS 5, S. 16, Z. 17 f.).

4, 32–40

Geschichtsforschers, nein den einer festen, Dasein vorziehend“ (S. V).

8, 11–13 On trouve bien chez lui classées parmi les œuvres d’art] Eine Auswahl von 1843, Bd. 2; diese

(S. XIII f.).

dieser Kunst, wo sie ihre Verse, Musik begleiten. Von allzeit fertigen Dichter oft die ihre Kunst den Stab zu

4,32–40 Entre les peuples de l’Europe bis être également antipathiques] Die Passage geht möglicherweise auf den Beginn der Vorrede von Theodor Tetzners Geschichte der Zigeuner (Weimar u. Ilmenau 1835) zurück: „Allerdings ist die Erscheinung eines Volks, wie die Zigeunersind, das in der europäischen Welt unter so sonderbaren, fast an das Wunderbare streifenden Umständen auftrat, ein Gegenstand, der die Aufmerksamkeit, nicht blos des Geschichtsforschers, nein jedes denkenden Menschen in Anspruch nimmt. Wie vom Himmel gefallen, durchstreifen Horden einer aus weiter Ferne stammenden Nation unser Vaterland und verbreiten sich in wenigen Jahren durch ganz Europa, überall ihr Eigenthümliches bewahrend, überall ein wüstes, oft den härtesten Verfolgungen ausgesetztes Räuberleben einerfesten, bequemenWohnung und einem sichern, durch Gesetze und Civilisation angenehmen Dasein vorziehend“ (S.V). 8,11–13 Ontrouvebienchezlui bis classéesparmiles œuvresd’art]EineAuswahlvon Gedichten, Balladen und Romanzen der „Zigeuner“ gibt George Henry Borrow im dritten Teil seiner Abhandlung The Zincali; or, An Account of the Gypsies of Spain wieder (London 31843, Bd. 2; diese Aufage befand sich nachweislich in Liszts Besitz, siehe Eckhardt/Liepsch, Franz Liszts Weimarer Bibliothek, S. 27). Im Vorwort äußert sich Borrow über den Stellenwert dieser literarischen Erzeugnisse: “With respect to the Gypsy rhymes <...>, he [Borrow] wishes to make one observation which cannot be too frequently repeated, and which he entreats the reader to bear in mind; they are Gypsy compositions, and have little merit save so far as they throw light on the manner of thinking and speaking of the Gypsy people, or rather a portion of them, and as to what they are capable of effecting in the way of poetry. It will, doubtless, be said that the rhymes are trash – even were it so, they are original, and on that account, in a philosophic point of view, are more valuable than the most brilliant compositions pretending to describe Gypsy life, but written by persons who are not of the Gypsy sect. Such compositions, however replete with fiery sentiments, and allusions to freedom and independence, are certain to be tainted with affectation. Now in the Gypsy rhymes there is no affectation, and on that very account they are different in every respect from the poetry of those interesting personages who figure, under the names of Gypsies, Gitános, Bohemians, &c., in novels and on the boards of the theatre” (S. XIIIf.). Grellmann bewertet dagegen die Literatur der „Zigeuner“ als minderwertig: „Sie [die „Zigeuner“] dichten zwar auch, und das nach Weise orientalischer Völker, aus dem Stegreife; und sind in der Walachey sogar die einzigen Inhaber dieser Kunst, wo sie ihre Verse, gleich Italiänischen Improvisatoren, oder Seguedillassängern in Estremadura, immer mit Gesang und Musikbegleiten.Von welchem Schlage aber die Poesien dieser allzeit fertigenDichter seyen, ist daraus zu ersehen, daß der Reim dabey die Hauptsache macht, zu dessen Behuf sie oft die gröbsten Sprachfehler begehen; und dann auch der Inhalt ihrer Gedanken gewöhnlich Zoten sind, die sie ganz im Ausdrucke roher, und sittenloser Menschen, hersingen. Man braucht also eben kein großer Meister, kein Wieland, zu seyn, um über ihre Kunst den Stab zu brechen“ (Historischer Versuch, S. 153).

Erläuterungen

8, 39–10,5 En considérant que si les fragments bis propre à une race] Der Gedanke einer aus musikalischen Fragmenten zusammenzusetzenden Epopöe, in der das Nationalgefühl eines Volkes zum Ausdruck kommt, dürfte auf Auguste de Gérandos Konstrukt einer aus Melodien bestehenden ungarischen Nationalepopöe in La Transylvanie et ses habitants (2 Bde., Paris 1845) zurückgehen; vgl. hierzu Entstehung, S. 509 f. 10, 18 Hegel donne au mot Epos bis du substantif récit] Liszt bezieht sich hier auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) Vorlesungen zur Ästhetik: « L’Epos (littéralement le mot), la Saga, est un récit où le fait est dit, raconté de telle sorte qu’il se confond, s’identifie avec le discours même » (De la poésie épique, in: Cours d’esthétique, Bd. 4, S. 263). Hegel knüpft seinerseits möglicherweise an Johann Gottfried Herders Erklärung des Begriffes „Epos“ an, so wie sie zum Beispiel in dessen Aufsatz Homer, ein Günstling der Zeit dokumentiert ist: „Epos war das lebendige Wort, die Stimme der Vorwelt. Sie brachte aus dem grauen Alterthum Gestalten und Sagen herab, die auf dem Flügel der Zeit sich gleichsam höher schwangen und fortwuchsen“ (Sämtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, Bd. 18, Berlin 1883, S. 443). 10, 19 f. range même sous cette dénomination bis les cosmogonies, etc., etc.] Hegel zählt in seinen Vorlesungen zur Ästhetik die Gattungen Epigramm, Gnome der Alten, Sentenzen und Lehrgedichte zur einfachsten epischen Darstellungsart, die, « quoiqu’il soit encore exclusif et imparfait dans son abstraite simplicité » darin bestehe, « à dégager du monde réel et de la richesse de ses manifestations passagères un objet substantiel, indépendant et nécessaire, et à l’exprimer laconiquement en termes épiques. » In seiner einfachsten Bedeutung sei das Epigramm « une inscription gravée sur des colonnes, des meubles, des monuments, des offrandes aux dieux ; c’est comme une main spirituelle qui indique quelque chose, puisque, avec le mot inscrit, sans discours, elle explique l’objet présent. Ici, l’épigramme dit simplement ce qu’est la chose. » Der Mensch drücke darin noch nicht seinen « pensée personnelle » aus: « il regarde autour de lui, et l’objet, le lieu qu’il a sous les yeux, qui l’intéressent vivement, il leur applique une brève explication mais qui porte sur l’essence même de la chose » (Cours d’esthétique 4, S. 263 f.). Auf einer höheren Stufe, auf der die « dualité des termes, l’objet et l’inscription » verblasse und die Poesie « n’exprime alors qu’une idée, sans qu’un objet sensible soit présent », sieht Hegel « les Gnomes des anciens, les maximes morales », die in gedrängter Form zusammenfassen « ce qui a en soi plus de force, de stabilité que les choses sensibles, ce qui offre une signification plus générale que les monuments destinés à rappeler un fait particulier, ce qui est plus durable que des présents funéraires, des colonnes et des temples, savoir : les devoirs de la vie humaine, la sagesse pratique, la conception des principes fixes et des lois de l’ordre moral, au point de vue à la fois pratique et spéculatif » (ebda., S. 264 f.). Der epische Charakter bestehe darin, dass sie « ne se manifestent pas comme l’expression de sentiments personnels de l’individu, ni de ses réfexions. Il en est de même de l’impression qu’elles produisent ; elles n’ont pas davantage pour but d’émouvoir le cœur ou de l’intéresser, de lui faire éprouver des sentiments ; elles se bornent à évoquer dans la conscience de l’homme la vérité morale avec son caractère substantiel, comme devoir, comme ce qui est l’honnête, ce qui convient » (ebda., S. 265). Dieser epische Ton finde sich zum Teil auch in den alten griechischen Elegien wie z. B. denjenigen Solons, aber auch in den goldenen Sprüchen, die Pythagoras zugeschrieben wurden. Ihren fragmentarischen Charakter könnten sie aufgeben, « pour se réunir et se coordonner en un grand tout, qui alors est d’une nature tout à fait épique. » Es sei aber weder eine einfache lyrische Stimmung noch eine dramatische Handlung, die ihnen zugrunde liege, sondern « un cercle réel et déterminé de la vie, dont la nature essentielle, tant par son côté général que par ses particularités, ses faits journaliers, ses devoirs déterminés, etc., doit être révélée à la conscience. » Diese Werke zeichneten sich durch einen « ton didactique » aus. Als Beispiel benennt Hegel Hesiods Werke und Tage (ebda., S. 266). Zu einer Art zweiten Stufe (« second cercle plus  profond, <...> où le but didactique et moral est moins explicite ») zählt Hegel philosophische Lehrge­

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erreichte mit seinen Schriften ein internationales Publikum –lange vor Erscheinen der sechsbändigen (unvollständigen) Ausgabe von Lina Ramann (1880–83). Über die Tatsache hinaus, dass Ramann sämtliche Texte der „Gesammelten Schriften“ überarbeitet, gekürzt und erweitert hat, ohne die Veränderungen kenntlich zu machen, erscheint durch neue Quellenfunde eine historisch-kritische Neuausgabe sämtlicher Liszt-Schriften unabdingbar.

Zu diesem Band

Der vorliegende Band präsentiert zum ersten Mal die drei relevanten Ausgaben von Liszts Schrift über die Musik, die Kultur und die Geschichte der „Zigeuner“. Als Haupttexte werden die erste, 1859 im Druck erschienene Fassung in französischer Sprache und die deutsche Bearbeitung von Peter Cornelius, veröffentlicht Ende des Jahres 1860, synoptisch gegenübergestellt.

Anhang I bietet schließlich darüber hinaus noch die von Liszt autorisierte, stark überarbeitete und erweiterte zweite französischsprachige Fassung von 1881.

Die Herausgeberin

Bettina Berlinghoff-Eichler studierte Musikwissenschaft sowie Ältere und Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn. Nach dem Magisterexamen war sie von 1990 bis 1997 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem von Detlef Altenburg geleiteten Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Historisch-kritische Ausgabe der Schriften von Franz Liszt“ tätig. Nach ihrer Promotion an der Universität Paderborn 1996 arbeitete sie an dem Projekt der Peter-Klöckner-Stiftung „Liszt-Werkverzeichnis“ an der Universität Regensburg mit. Von 1997 bis 2025 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Musikwissenschaft der Universität Regensburg, von 2003 bis 2006 außerdem als Schriftleiterin der Zeitschrift Die Musikforschung für die Bereiche Berichte, Rezensionen und Mitteilungen zuständig. Seit 2023 ist sie für das von Rainer Kleinertz (Saarbrücken) und Dorothea Redepenning (Heidelberg) gemeinsam mit dem Trier Center for Digital Humanities geleiteten DFG-Projekt einer digitalen Ausgabe der Schriften von Franz Liszt tätig.

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