Hotelier 04 2016

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INNOVATION & ORGANISATION KOLUMNE

Tourismus-Professor Christian Laesser über das Hotel der Zukunft

Was war schon wieder ein Hotel?

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n der Vergangenheit blieb das Hotel-Geschäft im Kern immer das Gleiche. Nun aber steht der Branche ein eigentlicher Umbruch bevor: die individuelle Massenfertigung. Die Beherbergungsindustrie hat sich während zweier oder dreier Jahrhunderte im Kern wenig gewandelt: Schon immer ging es darum, Gästen ein Dach über dem Kopf zu bieten und sie zu verpflegen. Jetzt stehen uns Veränderungen bevor, die das Geschäftsmodell «Hotel» dramatisch verändern dürften. Wenn wir heute von Hotel sprechen, gehen wir von einer Einrichtung aus, die nicht nur eine Unterkunft, sondern auch eine gastronomische Leistung anbietet, sei es in Form eines Frühstücks oder besser noch eines vollen Restaurationsangebotes. Hiervon unterscheiden wir mit dem Begriff Para-Hotellerie alle anderen Formen der Beherbergung, seien dies Ferienwohnungen, Zeltplätze, Airbnb oder Massenlager. Ein Hotel ist ein verhältnismässig starres Konzept auf der Basis einer Verbindung von Infrastruktur (Gastzimmer oder auch «Keys», die aus einem oder vereinzelt mehreren privatisierbaren Räumen bestehen können) und Dienstleistungen, die gleichenorts in unterschiedlichen Mengen und Ausstattungen angeboten werden. Mit Klassifi kationssystemen werden HotelBetriebe heute gemäss national oder international vorgegebenen Standards bewertet. Auf diese Weise wird dem Gast ein einprägsames, aber auch starres System zur Beurteilung der Übernachtungsangebote zur Verfügung gestellt. InfrastrukPROF. CHRISTIAN LAESSER tur-Quantität und -qualität in den heutigen Systemen sind in der Regel gleichwertig mit der Qualität der angebotenen Dienstleistungen. Das heisst: Eine luxuriöse Ausgestaltung eines Zimmers fi ndet sich meistens in einem Hotel, das auch hervorragende Dienstleistungen anbietet. Diese Gleichstellung von Infrastruktur und Dienstleistungen steht heute im Lichte sogenannter hybrider Beherbergungskonzepte auf dem Prüfstand. Unternehmen, die etwa «serviced apartments» oder andere Formen der Beherbergung anbieten, bewegen sich zunehmend weg vom oben beschriebenen starren Modell. Darüber hinaus weiten neuere Lösungen aus der Sharing Economy wie Airbnb den Kreis der Beherbergungsanbieter und die entsprechenden Geschäftsmodelle aus. Wir stehen am Anfang eines Umbruchs in Richtung hybrider Beherbergungskonzepte, hybrid im Sinne variabler Kombinationen von Infrastrukturausstattung, Dienstleistungen sowie der Besitz- und Nutzerkonzepte. Diese Differenzierung wird getrieben durch immer unterschiedlicher werdende Kundenbedürfnisse. Reisekontext, Herkunft, Standort und soziodemografische Faktoren gehören zu den wesentlichsten Treibern. Steigende Raumbedürfnisse in einem Reisekontext mit längerem stationärem Aufenthalt begünstigen eine grosszügige Infrastrukturausstattung (etwa Apartments mit einer eigenen kleinen Küche), verlangen dagegen bei den Dienstleistungen vielleicht nicht nach einem Restaurant, sondern nach einem Laden im oder in unmittelbarer Umgebung des Betriebs. Geschäftsreisende mit Kurzzeitaufenthalt brauchen dagegen ein weniger grosses Zimmer, verlangen dagegen bei den Dienstleis-

tungen mehr als Freizeitreisende. Von Betrieben auf dem Land wird im Vergleich zu Betrieben im Zentrum einer Stadt ein grösseres Dienstleistungsangebot erwartet. Ältere Gäste sind gegenüber jüngeren Gästen anspruchsvoller, und zwar bezüglich der meisten Infrastruktur- und Dienstleistungsdomänen. Geschäftsmodelle im Beherbergungsbereich – wir reden nun bewusst nicht mehr von Hotellerie oder Para-Hotellerie – sind in der langfristigen Zukunft als Mix-and-Match-Modelle auszugestalten. Die Fokussierung auf ein einziges Kundenbedürfnis wird zunehmend schwierig. Der Gast der Zukunft soll, entsprechend seinen Bedürfnissen, so weit wie möglich aus unterschiedlichen Infrastruktur- und Dienstleistungsstufen aussuchen können. Die Beherbergungsindustrie folgt damit dem Trend, der auch bei Dienstleistungen zunehmend um sich greift: der kundenindividuellen Massenfertigung. Die Infrastruktur eines Beherbergungsbetriebs ist deshalb so modular wie möglich und damit unterschiedliche Raumgrössen zulassend auszugestalten. Dienstleistungen sind ebenfalls so weit wie möglich zu flexibilisieren; diese Entwicklung wird einem Outsourcing an Dienstleistungsanbieter, die für mehrere Betriebsstandorte Dienstleistungen anbieten, Vorschub leisten. Die Herausforderungen für das Management solcher Unternehmen nehmen in der Tendenz zu. Zentrale strategische Themen der Zukunft – neben den immer noch bestehenden operativen Aufgaben – werden sein: Welche Gästegruppen will ich in welchen Situationen ansprechen? Was bedeutet dies für die Ausstattung (Qualität und Quantität)? Welche Dienstleistungen müssen beziehungsweise können angeboten werden? Was schliesse ich in ein Angebot ein, und was biete ich optional an? Wie gestalte ich meine Preisstrategie? Welche Leistungen produziere ich selber, und welche lagere ich aus? Kaufe ich diese am Markt, oder arbeite ich mit Partnern zusammen? Handelt es sich um strategische oder um Adhoc-Partnerschaften? Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Und man ahnt, dass die Akteure zum Umgang mit den obigen Fragestellungen die notwendigen Erkenntnisse erarbeiten müssen sowie ein weitreichendes konzeptionelles Vorstellungsvermögen benötigen. Es sind genau diese Fähigkeiten, die dazu führen, dass wir in der Schweiz auch in der Zukunft noch sehr erfolgreiche Beherbergungsangebote haben werden, auch wenn nicht H unbedingt mit dem Namen «Hotel».

« JETZT STEHEN UNS VERÄNDERUN-

GEN BEVOR, DIE DAS GESCHÄFTSMODELL «HOTEL» DRAMATISCH VERÄNDERN DÜRFTEN.

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DER AUTOR Dr. Christian Laesser ist Professor

für Betriebswirtschaftslehre/Tourismus an der Universität St. Gallen (HSG). Er ist Leiter des Instituts für Systemisches Management und Public Governance an der HSG. Laesser ist auch Mitglied der neunköpfi gen Jury «Hotelier des Jahres».

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