TRAIL-Leseprobe-2/2012

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REPORT / CITY-TRAIL BERLIN Im Tiergarten, der großen Grünfläche mitten in der Stadt, beginnt unser urbaner Trailrun. Und hier entsteht ein Eindruck, der sich in den nächsten Tagen festigen sollte: „Hier rennen unfassbar viele Leute rum!“ Kein Wunder, daß der Berlin Marathon der läuferreichste in Deutschland ist – die halbe Stadt scheint ja selber mit Turnschuhen und Ipod umeinander zu rennen. Gut, sie haben meist weisse Schuhe an und rennen auf den Schotterwegen im Kreis, doch wie „urban warriors“ trotzen sie der Januarkälte und dem Autoverkehr! Der „Himmel über Berlin“ ist heute nicht grau, sondern stahlblau, und so verwundert es nicht, daß auf den Schultern der „Goldelse“ oben auf der Siegessäule auch keine Engel sitzen... Wir verzichten auf einen Abstecher zum Schloß Bellevue, um nicht noch morgen in der BILD Zeitung zu enden, und rennen lieber in den Osten, da soll es noch ein Stück echte „Berliner Mauer“ geben. An dekadenten Hotels und Luxusautoshowrooms geht es vorbei. Wo früher der legendäre Asbestpalast der Republik stand, ist jetzt von einem unsichtbaren Riesen ein Glaswürfel abgelegt worden. Auf den Spuren der immer in Eile befindlichen rothaarigen Lola kommen wir zur East Side Gallery. 1316 Meter original Grenzmauer lassen es einem kalt den Rücken herrunterlaufen. Auch die bunten Kunstwerke können nicht darüber hinwegtäuschen: hier kam man tatsächlich weder rein noch raus! Das musste man sich erstmal ausdenken, sowas. Und die Leute halten UNS für verrückt, weil wir im Gelände rumrennen. Überhaupt – Gelände.... unser urbaner Trailrun mangelt entschieden an ebendiesem. Außerdem ist diese Stadt brutal flach, jedenfalls für uns Alpentrailrunner. Im Treptower Park machen wir ein paar Höhenmeter am sowjetischen Ehrenmal. Die Tafeln, Monumente und Inschriften gedenken der 80.000 sowjetischen Soldaten, die bei der Eroberung Berlins auf der Strecke geblieben sind. Ein Wahnsinn. Als nächstes queren wir die Spree erneut, meiden den Asphalt und laufen stattdessen zwischen Straßenbahnschienen auf grobem Schotter zum Volkspark Friedrichshain. Wir studieren noch die dort feilgebotene Currywurst, da fällt uns erneut auf: hier im Park gibt es mehr Leute die rennen, als solche die gehen. Eine italienische Studentin beeindruckt uns mit ihrem straffen Trainingsprogramm: fünfzehnmal nacheinander läuft sie hier die Treppe hoch und wieder runter, erklärt sie uns strahlend. Der Hügel ist gut 20 Meter hoch. Fünfzehnmal, das macht dann also... Stark! Ist Lola eigentlich mit ihren Stiefeln auch durch den Prenzlauer Berg gerannt? Wenn ja, Respekt. Unzählige Schilder warnen vor Gehwegschäden, als hätte man bis hierher überhaupt kommen können, ohne grobstes Pflaster, löchrigen Asphalt und unebene Steinplatten zu meistern. Es gibt tatsächlich noch ein deutlich sichtbares Ost-Westgefälle, auch nach so langer Zeit. Wir fragen uns, ob das vielleicht gewollt ist, daß der Osten Berlins irgendwie dieses Flair des Alten behalten soll? In jedem Fall haben die Ostberliner Strassen nicht dieselbe Metamorphose durchgemacht, wie die ostdeutschen Autobahnen. Bornholmer Straße. Ehemaliger Grenzübergang. Und obendrein war dies der erste, welcher 1989 geöffnet wurde. Heute erinnern riesengroße Fototafeln an den denkwürdigen 9.November. Auf fast lebensgroßen Schwarzweissfotos stürmen Menschen von Ost nach West, wie urbane Trailrunpioniere. Der kalte Januarwind ist eisig und schneidend and diesem klaren Tag, 54 / 55 TRAIL-MAGAZIN.de

Berlin ist eine durchgedrehte Zeitmaschine mit Mixerneurose!


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