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Über Leben

Obwohl über 800 Mitglieder der Terrororganisation inhaftiert sind, hat die ETA allerdings keine Schwierigkeiten, Nachwuchs zu rekrutieren. „Gipuzkoa, die Provinz, in der San Sebastián liegt, gilt als extrem radikal-nationalistisch. Besonders im Hinterland und in den kleinen Dörfern um die Stadt herum gibt es starke Rekrutierungstendenzen. Dort liegt klar der Fokus, während die Stadt selbst von allen möglichen Strömungen geprägt ist“, sagt Brinkmann. Diese unterschiedlichen Strömungen waren während meines Auslandssemesters genauso auffäl-

Spanier oder Baske?

Spanier wahrnehmen. Beim Besuch eines kleinen Dorfes etwas außerhalb der Stadt verstand ich kaum ein Straßenschild, weil sie ausschließlich auf Baskisch die Straßennamen verkündeten. In der Vorlesung wurden wir Austauschstudenten kaum von den Basken angesprochen. Und doch traf ich auch Menschen, die diesen Separatismus nicht verstanden. Ob er Baske oder Spanier sei, fragte ich einen Bekannten. Er antwortete, er lebe im Baskenland, sei aber Spanier. Er verstünde diese scharfe Abgrenzung gar nicht - als schlösse es sich gegenseitig aus. Meine Nachbarn in der WG in San Sebastián scheinen eben diese Abgrenzung sehr wohl zu verstehen. Denn, wie wir jetzt feststellen,

Foto: sarean.com

lig wie die Spaltung der baskischen Gesellschaft. San Sebastián lebt vom Tourismus, ist auf seine Besucher angewiesen. „Viva España - es lebe Spanien“ wurde gejubelt, als der FC Barcelona den Champions-LeagueTitel gewann. Und gleichzeitig zeigen sich die Basken zurückhaltend und verschlossen. Im Baskenland leben nicht nur Menschen, die sich als Basken fühlen, sondern auch solche, die sich selbst als

Nationalisten kämpfen für erweitertes Baskenland

Karte: Unai Fdz. de Betoño

seien sehr herbe Schläge gewesen. „Die ETA steht nun noch mehr mit dem Rücken zur Wand“, meint der Spanien-Forscher Brinkmann.

Mitglieder der Ertzaintza, der baskischen Polizei, im Einsatz.

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Das Baskenland ist ein Gebiet an der Atlantikküste, das zu Spanien und Frankreich gehört. Insgesamt leben dort heute knapp drei Millionen Menschen. Kaum ein Drittel der Bewohner sprechen allerdings die baskische Sprache. Die drei spanischen Provinzen dieser Region sind Gipuzkoa, Bizkaia und Araba im Westen. Nach den Plänen der ETA sollen auch Navarra und die drei französischen Provinzen Labourd, Nieder-Navarra und Soule zu einem zukünftigen unabhängigen Staat gehören. stürmt nicht die ETA gerade unser Wohnhaus. Im Gegenteil: Es ist die baskische Polizei, die Ertzaintza. Sie führt ein neues Gesetz aus, das jegliche öffentliche Verherrlichung der ETA oder Sympathiebekundung zu der Organisation verbietet. Darunter fällt auch die Flagge am Fenster unserer Nachbarn, wie uns nun klar wird. Die Fahne war uns schon mehrmals aufgefallen. Doch

In Gipuzkoa fühlt sich die Mehrheit baskisch. wir hatten uns nichts dabei gedacht, denn wir verstanden die baskischen Schriftzeichen nicht. Offensichtlich ist es jedoch eine separatistische Flagge, die für eine gewisse Endzielkonformität unserer Nachbarn mit der ETA spricht. Deswegen steht nun die Polizei lautstark brüllend im Treppenhaus. Deswegen sitzen meine Mitbewohnerin und ich immer noch etwas angespannt hinter unserer Wohnungstür. Schließlich rückt die Polizei ab. Was sie unseren Nachbarn um diese Uhrzeit so dringend mitteilen musste, ist mir nicht bekannt. Doch nachdem die Beamten abgerückt sind, füllt sich unser Wohnhaus wieder mit der Stille der Nacht. Besonders beruhigend finden wir es nicht, neben mutmaßlichen Terrorsympathisanten zu wohnen. Aber wir sind doch froh, ohne einen Übergriff der ETA wieder unter unsere Bettdecken zu krabbeln. Von Stephanie Titzck


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