Schrifttypen Verstehen Kombinieren

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Schrifttypen · Verstehen | Kombinieren



P H I LI PP STA M M

S CHRIFTMIS CHUNG A L S R E I Z I N D E R T Y P O G R AF I E

Birkhäuser Basel



Inhalt Einleitung  7

1 Historische Betrachtungen  11 Wechselspiel  12 2 Typologie der Schrift  39 Schrift  40 Schriftsystem  40 Schriftart  41 Schriftgattung  44 Schriftform  45 Schrifttype  45 Schriftfamilie  47 Schriftschnitt  48 Schriftgarnitur  49 Schriftbild  49 Schriftcharakter  53 3 Grundformen | Maßsysteme  55 Grundformen  57 Geviert  65 Dickte  66 Kerning  67 Laufweite  68 Maßsysteme  69 Schriftgrad  70 Schriftbildgröße  72 Schriftgröße  74 Designgröße  75 Opticals  78 Pixel  78 Schriftformat  80

4 Satzschriftenklassifikation  83 Schriftklassifikation  84 Schrifttypenklassifikation Pro  93 Schriftform | Typus  95 Attribut  95 Strichkontrast  96 Schriftstil  96 Klassifikationsgruppen  97 I Inzise  98 II Skript  100 III Fraktura  102 IV Antiqua  104 V Egyptienne  110 VI Grotesk  112 VII Latine  114 Überblickstafeln I–VII  116 5 Schriftkonzepte  131 Schriftfamilie : Dyade  132 Schriftfamilie : Triade  133 Großfamilie  134 Gestalterpersönlichkeit  135 Schriftsippe  137 Multiple Master  141 Variable Schrift  145


6 Schriftmischung | Kriterien  149 Analogie  154 Kontrast  155 Kontrastarten Tafel  156 Gestaltmerkmale Tafeln  160 1 Schriftform  166 2 Bogenform – Letter O  167 3 Höhen  167 4 Schriftstil  172 4.1 Schattenachse und Punze  173 4.2 Bogenauslauf und Punze  174 4.3 Anstrich und Ausstrich  175 4.4 Rhythmus | Proportionen  176 4.5 Versatz | Mitteposition  17 7 5 Schriftstärke – Grauwert  178 5.1 Strichstärke  179 5.2 Strichkontrast  180 6 Schriftbreite  182 7 Schriftlage  184 8 Duktus  186 8.1 Verbindung  186 8.2 Bewegung  186 9 Modellierung  187 9.1 Strich und Bogen  187 9.2 Strich- und Bogenenden  189 9.3 Kehlung  191 9.4 Mündung  191 10 Letterngestalt  192 11 Effekt | Dekor  193 11.1 Füllung  193 11.2 Kontur  194 12 Satzlänge – Wörter | Texte  195 13 Schriftgröße  195 14 Farbe  196

7 Schriftmischung | Anleitung  199 Matrix erstellen  202 Überprüfung im Layout  206 8 Schriftmischung | Beispiele  209

Anhang  335 Anmerkungen  336 Namensregister  343 Schriftenregister  345 Bibliografie  348 Bildnachweis  354 Nachwort  357 Autor | Dank  358



Einleitung

* Die männliche Form ist in diesem Absatz bewusst gewählt, da es sich beim Schriftsetzer vielerorts bis weit ins 20. Jahrhundert hinein um einen Männerberuf handelte. Erst die Ablösung des ( s chweren ) Bleisatzes durch den ( leichten ) Foto- bzw. Filmsatz brachte ab den 1960er-Jahren einen Wandel und sogar eine Umkehrung der Verhältnisse zu mehr weiblichen als männlichen Lehrlingen. Das grafische Gewerbe war jedoch auch zuvor keine reine Männerdomäne ; in anderen Bereichen wie der Druckweiterverarbeitung fanden viele Frauen eine Beschäftigung. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Schriftsetzer [  9. 6.2020 ] .

Schriftmischung als Reiz in der Typografie , so der Untertitel dieser Publikation, enthält bewusst einen doppeldeutig interpretierbaren Begriff. Einerseits suggeriert ‹ Reiz › das Reizvolle, den Liebreiz. Andererseits erahnen wir darin auch das Gegen­teilige – das Stechende zum Streichelnden. Unsere Augen oder viel­ mehr unsere Ansicht werden möglicherweise strapaziert. Die Kombination ­zweier oder mehrerer sich unterscheidender Schriftformen reizt : durch das Andersartige, das Ungewohnte oder gar Ungewöhnliche. Bei der Recherche zum Thema Schriftmischung schien denn auch immer wieder diese Ambivalenz durch. In den Fachartikeln verschiedener deutschsprachiger Fachzeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts und in den diversen Fachbüchern kommt dieses ‹ Für und Wider › wie auch das ‹ Ja, aber › stetig zum Ausdruck. Die unterschiedlichen, oftmals gegensätzlichen Ansichten haben über die Zeit hinweg Bestand und befinden sich in einem permanenten Hin und Her. Die Frage des Schriftmischens spaltet die typografische Gemeinschaft in Befürworter und Gegner – und nicht selten wird sie sogar zur Ideologie. Und zwangsläufig stellt sich noch ein weiterer Eindruck ein  : dass das Schriftmischen zu einer Königsdisziplin innerhalb der Typografie zählt.* Entweder wird, wie oben angedeutet, ganz davon abgeraten ( zumindest für Anfänger ), oder es wird darauf hingewiesen, dass dafür ein gutes, das heißt langjährig erarbeitetes Schriftgefühl nötig ist. Zwar finden sich auch immer wieder Abschnitte zum Thema mit kleinerem oder etwas größerem Regelwerk, doch genaue Aussagen zu treffen, fällt den Autoren oftmals schwer. Das Konsultie­ ren mehrerer Texte zeigt viel Widersprüchliches auf, beim was passt und was passt nicht zusammen. Dass das Schriftmischen ein anspruchsvolles Wissen und Können voraussetzt, zeigt möglicherweise auch dieses Indiz : Soweit mir bekannt ist, existiert bislang keine ausführliche Abhandlung zu diesem Thema. Das heißt nicht, dass bis heute nichts Wissenswertes darüber veröffentlicht worden wäre. In deutscher Sprache gibt es sogar einen etwas längeren informativen Beitrag dazu. Nicht ganz verwunderlich ist, dass der fünfseitige, mit manchen Beispielen versehene Zeitschriftenartikel von Jan Tschichold stammt. Der Text wurde 1935 unter dem Titel ‹ Schriftmischungen › in der Schweizer Fachzeitschrift Typographische Monatsblätter veröffentlicht.¹ Leider ist der Fachartikel aber dem allgemeinen Bewusstsein entschwunden, trotz Abdruck in der zweibändigen Ausgabe Jan Tschichold : Schriften aus dem Jahr 1991.² 7


Der Ansicht, dass die Entwicklung eines guten Schriftgefühls eine notwendige Voraussetzung für gute Schriftmischungen darstellt, schließe ich mich an. Dabei sind profunde Kenntnisse der Schriftenklassifikation, in Kapitel 4 besprochen, wertvoll. Zugleich bin ich der Ansicht, dass das gute Schriftgefühl durch die vertiefte Auseinandersetzung gefördert werden kann, am besten durch das Schreiben und Zeichnen von Schrift sowie durch das Erstellen von ­vielen Schriftkombinationen, deren vergleichendes Betrachten und Benennen. Nach und nach entwickelt sich die gewünschte formale Sensibilität. Beim Kombinieren von Schriften ist unter den Fachleuten keine Einigkeit in allen Belangen herbeizuführen. Dies wird sicherlich auch beim Betrachten einiger Beispiele in dieser Publikation so sein. Das Gezeigte darf durchaus infrage gestellt werden, nicht alles muss gefallen. In manchen Darstellungen sind Schriften zu sehen, die ich selbst vermutlich nie anwenden würde, da sie für mich in der Kombination mit einer anderen Type zwar stimmig sind, aber weder ästhetisch genügen noch wirklich praktikabel sind. Trotzdem können solche Schriften für eine ganz bestimmte Art von Anwendung richtig sein, und sei es nur für eine visuelle Aussage in dieser Publikation. Diese Publikation ist Schriftbetrachtung, Analyse, Anleitung und Beispielsammlung in einem. Sie will das Bewusstsein für Schrift und die kritische Auseinandersetzung mit Schrift fördern. Auch will dieses Buch den unglaublichen Reichtum an guten und  / oder interessanten Schriften würdigen. Trägt die Auseinandersetzung mit dem hier behandelten Thema zur Sensibilisierung und zu einem bewussteren Umgang mit Schrift und Typografie bei, ist bereits etwas erreicht. Doch möglicherweise kann das Buch etwas mehr bewirken, denn die Möglichkeiten und Qualitäten von Schriftmischungen scheinen mir noch zu wenig erkannt oder zumindest zu wenig praktiziert. In der Kombination von zwei ( oder auch mehr ) Schriften steckt eine enorme Kraft und Aussagequalität. «Ein lebhafter, doch sorgfältig gewählter Gegensatz wirkt erfrischend »³ schreibt Jan Tschichold im Jahr 1935 zwar nüchtern und dennoch fast schon etwas euphorisiert.⁴ Doch wie steht es mit dem Gleichartigen zum Gegensätzlichen ? Sind es nicht Kontrast und Analogie, die beim Kombinieren von Schriften interessant sind  ? Und wenn ja, wie stehen zwei Schrifttypen im Verhältnis dieser beiden Pole zueinander ? Auf diese Fragen möchte dieses Buch Antworten geben. Und es sei hier vorweggenommen  : Die Fragen sind leichter gestellt, als die Antworten gefunden. 8


An einem der beiden Pole ist die Situation einfach. Analogie allein ist beim Kombinieren von Schriften keine Option. Wenn nur Gleichartigkeit gesucht wird, ist es unsinnig, zwei Schrifttypen zu kombinieren. Dann genügt es, mit einem Schriftschnitt zu arbeiten – ganz einfach und längst nicht die schlechteste Möglichkeit. Am anderen Pol ist es viel schwieriger : Nur Kontrast kann zwar eine Option sein, es ist aber alles andere als einfach, derartige Schriftmischungen zu erzeugen, die gleichermaßen Spannung und Harmonie vereinen – zumindest wenn zwei Schriften nahe beieinander in gleicher optischer Größe bestehen sollen. Denn eine gute Schriftmischung lebt davon, dass die Schriften sich gegenseitig stützen, oder besser noch, dass sie sich g ­ egenseitig steigern. Ist eine Type derart dominant, dass sie die andere unterdrückt, verdirbt dies die Schriftmischung. Beim Kombinieren von Schriften bewegen wir uns meist im Spannungsfeld beider Pole. Das Zueinanderstellen von Schriften fordert eine Auseinandersetzung mit Kontrast und Analogie. Es gilt Mal für Mal herauszuspüren, wie viel an Gegensätzlichem und wie viel an Gleichartigem der Schriftmischung guttun würde, damit Harmonie und Spannung ihre ganze Kraft entfalten und ausstrahlen können. Und wem dies zu a­ ffektiv klingt – auch wenn ich dabei bleibe, dass es ums Entwickeln des Schriftgefühls geht –, dem seien besonders die Analysen in Kapitel 6 Schriftmischung | Kriterien empfohlen. Das Kapitel 8 enthält sodann eine Vielzahl und Vielfalt an Schriftmischungen. ­Darunter befinden sich Beispiele, die sich als inte­grierende Auszeichnungen im glatten Satz ( Lesetext ) eignen ; andere wiederum bieten sich zur aktiven Hervor­hebung von Überschriften und Schlagzeilen an, während noch einmal andere Möglichkeiten für Werbeanzeigen und für das Entwickeln von Wortmarken, Logotypes, Brands sowie visuelle Identitäten aufzeigen. Für gute Schriftmischungen oder allgemein für gute Typografie braucht es Freude am Metier und Sensibilität ebenso wie Wissen und ein gehöri­ges Maß an Auseinandersetzung und Durchhaltevermögen. Oder wie es so schön heißt : Mit dem Machen kommt die Erfahrung und mit der Erfahrung kommt das Können. Und urplötzlich stellt sich dieses angesprochene Schriftgefühl ein, selbst wenn es vielleicht nur für einen sehr kurzen Augenblick ist. Doch die Belohnung für die vertiefte Beschäftigung mit Schrift ist wirklich großartig : das Erlebnis, wenn Typografie zu klingen beginnt.

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Einer Typologie der Schrift stellen sich manche differierende Terminologien in den Weg. Selbst innerhalb des grafischen Gewerbes sind zahlreiche Fachbegriffe in ihrer Definition uneinheitlich und nicht in jedem Fall standardisiert. Abweichungen zu anderen P ­ ublikationen sind folglich nicht zu v­ ermeiden.

Schrift

Schriftsystem

Was genau unter Schrift verstanden wird, differiert je nach Fachgebiet. Im grafischen Gewerbe beinhaltet eine Schrift ( engl. type, typeface, font ) die Gesamtheit aller Zeichen ( Glyphen ) : also alle Arten von Lettern, Ziffern, Satz- und Sonderzeichen sowie Leerräume. Im umfassenderen Sinne und dennoch in einer möglichst knappen Formulie­ rung bedeutet Schrift ein « System grafischer Zeichen, die zum Zweck mensch­ licher Kommunikation verwendet werden.»¹ In der Schriftlinguistik wird im Weite­ren unterschieden zwischen einerseits dem übersprachlichen Zeichen­ inventar, der Schrift beziehungsweise dem Skript ( engl. script ), deren einzel­ nes Element das Schriftzeichen ( engl. character ) oder auch Symbol ist ; und ande­rer­seits der einzelsprachlichen Ausgestaltung, dem Schriftsystem ( engl. writing system ), zu dem mindestens ein Regelapparat ( Orthografie ) gehört und das als Basis­einheit das Graphem hat.² Im besten Fall entsprechen sich bei der Verschriftlichung einer Sprache die Anzahl der Phoneme ( Laute ) und Grapheme ( Zeichen ). Dies ist jedoch in kaum einer Sprache der Fall, nicht in der deutschen und noch viel weniger in der englischen.³ Der Terminus Schriftsystem steht in dieser Publikation für die verschiedenen Arten und Formen der Verschriftlichung von Sprache.⁴ Primär lassen sich zwei grundlegend unterschiedliche Schriftsysteme und deren Varianten unterscheiden : 1. Logografie ( griech. logos, Gedanke ) : piktografische Symbole, ideografische Symbole, abstrakt-logografische ­Symbole  ; 2. Phonografie ( griech. phonē, Ton, Laut ) : Segmentalschrift ( Zeichen für Laut­ segmente ), syllabische Schrift ( Silbenschrift ), alphabetische Schrift (  Buch­ stabenschrift  ).⁵ Wir nutzen sowohl logografische als auch phonografische Zeichen. Dabei kommen erstere viel häufiger vor, als vielleicht in unserem Bewusstsein ver­ ankert ist  : sei es in der Tageszeitung, sei es im Fachmagazin für Chemie oder Meteorologie. Alltägliche Logogramme sind  : % (  Prozent  ), @ (At  ), € (  Euro  ) sowie die Ziffern, die mathematischen Zeichen und die Satzzeichen.⁶ Sekundär dient der Begriff Schriftsystem zur Unterscheidung nach Schriftund Sprachkulturen – zum Beispiel  : das lateinische Alphabet. 40


ελληνικό Кирилица Latina

Griechisch Kyrillisch Lateinisch

Հայերեն বাংলা ভাষা देवनागरी ፊደል ქართული ენა ‫ע תיּ ֵב־ף ֶלָא‬ ִ ‫י ִר ְב‬ മലയാളലിപി සිංහල தமிழ்

Tamil

อักษรไทย

Thai

Armenian Bengali Devanagari Ethiopic Georgian Hebrew Malayalam Sinhala

Noto Sans | Noto  Sans  ‹  S prache  › – Regular Google-Fonts für eine Vielzahl an Schrift­s ystemen (  A uswahl  ) 01

Schriftart Drei Schriftarten für drei Text­a rten  : Titel, Text und Auszeichnungen 02 ▼

T i t e l s c h ri ft Werksatzschrift Auszeichnungsschrift Golden Cockerel ·  Titling |  Regular |  Italic

Beim Kombinieren von Schriften – dies gilt in jedem Schriftsystem und in ausgeprägterer Form noch mehr für Mischungen von Schriften aus verschie­ denen Schriftsystemen – stellt sich die gleiche Frage  : Wie deutlich müssen die formalen Analogien und wie ausgeprägt dürfen oder sollen die Kontraste sein ? Die hier für das lateinische Alphabet entwickelten Kriterien dürften weitgehend übertragbar sein für die sehr nah verwandten Schriftsysteme wie Griechisch und Kyrillisch, die ebenfalls stehend und rechtsläufig aufgebaut sind. Für die stehenden, jedoch linksläufigen Schriftsysteme wie Hebräisch, Arabisch und Persisch stellen sich die Fragen bereits differenzierter ; ebenso für die rechtsläufigen, aber hängenden Schriftsysteme des indischen Schrif­ tenkreises wie Davanāgarī und Bengālī. Und im chinesischen sowie im bereits als Kombination konventionalisierten japanischen Schriftsystem ist es noch­ mals komplexer, da vertikale und horizontale, rechtsläufige und linksläufige Leserichtungen zusammen auftreten können. Die Mehrsprachigkeit spielt im Zeichen der Globalisierung eine immer wich­ tigere Rolle, was Auswirkungen auf die Corporate Type für die Unternehmens­ kommuni­kation und -identität sowie auf die Signaletik hat. Auf Flughäfen ist dies ja längst üblich. So entstehen vermehrt – teils in Kooperationen – sehr umfangreiche, viele Schriftsysteme umfassen­de Schriften, die mitunter frei erhältlich sind  : Genannt seien Andron  , Arial Unicode ms  , Fedra  , Nimbus  , Noto |  01  |  . Viel zur Entstehung solcher Universalschriften trägt selbstverständlich bei, dass heute weltweit dieselbe digitale Technik zum Einsatz kommt. In diesem Buch wird unter Schriftart die Differenzierung der Schriften nach ihrem Verwendungszweck verstanden. Zum Beispiel können sie der Textart ( Titel, Text, Fußnote usw.), der Leseart ( schauen, lesen, konsultie­ ren ) oder dem Medium und Einsatzgebiet ( Plakat, Buch, Zeitung, Magazin, Inse­rat, Korrespondenz, Bildschirm usw.) zugeordnet werden.⁷ Traditionell unterteilten die Schriftgießereien ihre oft sehr umfangreichen Schriftmusterbücher unter anderem nach Schriftarten. Als Register können vorkommen : Werksatzschriften beziehungsweise Brotschriften⁸, alle Serifen­ schriften für den Buch-, Zeitungs- und Magazin­satz ; Auszeichnungsschriften : Kursive, Halbfette usw. für Hervorhebungen ; Titelschriften : reine Majuskel­ alphabete ( Titling ) |  02  | ­sowie etwas feinere, schlankere und dadurch elegan­ tere Varianten derTextschriften ( Display ) |  03  | ; Akzidenzschriften : darunter die Grotesk, die Egyptienne und die Zierschriften ; Korres­pon­denz- beziehungs­ 41


In größeren Graden wirkt die feinere und schmalere DisplayVersion eleganter 03 ▼

Die Schriftschnitte einer Familie genutzt als Schriftarten für vier Textarten 04 ▼▼

R   egular mit Italic D   isplay mit Italic

Regular mit Italic für den Textsatz Bulmer · Display |  Italic Display |  Regular |  Italic

S   pitzmarke : Bold mit Italic

B   old  Display  Italic D   en Text in Regular mit Italic

Für Verweise und Zusatzinformationen Semibold mit Italic

Bulmer · Bold |  Bold Display |  Regular |  Semibold

Schriftarten speziell entworfen für verschiedene Arten von Drucksachen 05 ▼

Schriftarten für drei unterschiedliche Lese­ arten   : Schauen, Lesen, Konsultieren 06 ▼▼

P  lakatschrift

Reklameschrift B   uchschrift

Korrespondenzschrift   k   arten s ch rift

Latin | City | Aldus | Shelley Script | Président

S chauschrift schmal  Schauschrift haarfein  Leseschrift Buchtypografie

Leseschrift Zeitungstypografie Konsultationsschrift

Ellington | Bauer Bodoni | Arno | Swift | Amasis

weise Kartenschriften : Schrifttypen, die üblicherweise bei Briefbogen, Visiten­ karten, Grußkarten usw. zum Einsatz kamen |  05  | , so die Skripten ( besonders die Schönschriften ), die sogenannten Gravurschrif­ten ( oft reine Versalschrif­ ten auch als Ziervariante ) und die Schreibmaschinenschriften ( Monospace ) ; Plakatschriften : Hierunter wurden die großen Schriftgrade ( ab etwa 5 Cicero /  60 Punkt) zusammengefasst oder sie befanden sich sogar in einem separaten Band, da sie nicht aus Blei, sondern aus Holz oder Kunststoff gefertigt waren. Eine erneuerte Einteilung würde zusätzliche Schriftarten wie Signalisations-, Unternehmens- ( Corporate Type ), Bildschirmschriften usw. enthalten. Unter Schriftarten sind hier also nicht die Klassifikationsgruppen Antiqua, Egyptienne, Grotesk usw. gemeint, denn dafür passt der Begriff Schriftform (→ Schriftform : Seite 45 ), wie ihn Hans Peter Willberg verwendet, besser. Mit der nachfolgend erläuterten Einteilung nach Lesearten besteht eine ab­ ge­wandelte Gliederung der Schriftarten.⁹ Es werden drei Gruppen unterschie­ den : Schauschrift, Leseschrift und Konsultationsschrift |  06  |  . Diese Einteilung steht zwar in Beziehung zur Einteilung in Schau-, Lese- und Konsultations­ größe (→ Schriftgröße : Seite 74 ), darf jedoch nicht damit verwechselt werden. Schauschriften sind für Titelgrößen gezeichnete Schrifttypen. Die als Display gekennzeichneten Schnitte weisen üblicherweise eine etwas schmalere Brei­ te als die Leseschriften auf |  03  | ; auch sind die Striche tendenziell etwas feiner gehalten. Bei Antiqua im Klassizismus-Typus zeigt sich häufig ein zusätzlich erhöhter Strichkontrast, wodurch sie in ihrer Anmutung eleganter wirken. Auf vertiefte Einschnitte ( Kerben ) und deutliche Verjüngungen bei den Mün­ dungen wird bei den Titelschriften normalerweise verzichtet. Der Begriff Schauschrift umfasst jedoch noch einen weiteren Aspekt : Schrift­ typen, die auffallen wollen. Es handelt sich um Schriften, die in ihrer Gestalt ganz oder teilweise speziell, ungewohnt, attraktiv oder verstörend wirken. Ihr Schriftbild (→ Schriftbild : Seite 49 ) zielt in erster Linie auf das Gesehen­werden ab und erst in einem zweiten Schritt auch auf das Lesen. Typische Vertreter sind Zierschriften und Grafische Schriften |  07  | . Leseschriften sind für länger andauerndes lineares Lesen geschaffen und sol­ len die Augen daher möglichst wenig ermüden. Sichergestellt wird dies durch Lettern in gewohnter Form und Breite sowie durch ein ruhiges, gleichmäßi­ 42


Zu den Schauschriften gehört die immense Vielfalt an Zierformen und grafischen Typen 07 ▼

Zierschrift  Grafische  Schrift Viva | Russel Square

Eine hohe x-Höhe bewirkt eine bessere Lesbarkeit in sehr kleinen Schriftgraden 08 ▶

Schrifttype Franklin Gothic Schrifttype News Gothic Schrifttype T   rade Gothic Schrifttype  A ntique Olive Schrifttype  Vectora Schrifttype  Verdana

Schrifttype Hollander Schrifttype Swift

Diverse Fonts : 5.1 –  5.6 pt ( a lle gleiche Versalhöhe )

Teilweise Änderung des Prinzips von Form und Gegenform bei der Minuscule 2 09 ▶

Mikrogramm Mikrogramm

M ikrogramm Mikrogramm

Mikrogramm  Mikrogramm Mikrogramm Mikrogramm

Minuscule 3 | Minuscule  2 – je 9  p t,  4.7  p t,  3  p t,  2  p t

Farbkerben nehmen überflüssige Farbe auf, Punzen bleiben in kleinen Graden offen 10 ▶

K  erb Kerbe

Bell Centennial · Address

ges Schriftbild. Der Leseführung zuträglich ist zudem die horizontale Aus­ richtung, die sich mit einer deutlich abgrenzenden, nicht zu hohen x-Höhe erreichen lässt ; das mittlere Schriftband tritt dadurch klar hervor und ver­ stärkt die Zeilenstruktur |  06  | . Auch die Serifen tragen zu einer Förderung der Horizontale bei. Die überwiegende Menge an Lesetexten (Werksatz ) ist folg­ lich in Antiqua gesetzt, meist im Renaissance- oder Barock-Typus. Die verti­ kal dominierende Ausrichtung des Klassizismus-Typus hingegen leitet von der primären Leserichtung weg. Auch durch die feinen Haarstriche eignen sie sich weni­ger gut für längeres Lesen, besonders wenn der Strichkontrast sehr groß ist, da dadurch ein flimmerndes Satzbild entsteht. Leseschriften für den Zeitungssatz haben oft ( stark ) verkürzte Unterlängen |  06  | , wodurch sich die Anzahl der Zeilen pro Spalte erhöhen lässt. Zudem be­ sitzen die Lettern ( bei normaler Schriftbreite ) in der Tendenz eine eher etwas schmalere Form – besonders die Majuskeln –, was einer besseren Satzqualität in den schmalen Blocksatzspalten dient. Im Buchsatz, mit der üblicherweise breiteren Kolumne, kommen hingegen Leseschriften zum Einsatz, die in den Majuskeln ihre Groß­zügigkeit voll und ganz ausspielen. Konsultationsschriften sind Schriften, die speziell für das Lesen von kürzeren Texten entwickelt wurden. Einsatzgebiete sind Verpackungen, Beipackzettel, Fahrpläne, Börsenberichte, Lexika usw.; leider kommen sie dafür aber viel zu selten zur Anwendung. Die Schriften müssen in sehr kleinen Schriftgraden und aus etwas größerem Leseabstand noch gut lesbar, die Zeichen dabei rasch und eindeutig erfassbar sein. Sie werden daher etwas kräftiger, schlichter und mit weni­ger Strichkontrast gezeichnet. Ihre x-Höhe ist im Vergleich zu den Lese­schriften etwas höher. Zudem erhalten die Punzen ( Innenräume ) eine möglichst offene Form |  06  | . Der besseren Zeichenerkennung in kleinen Gra­ den dient auch eine etwas erweiterte Schriftbreite. Bekannte Grotesk mit einer hohen x-Höhe sind Franklin Gothic  ,  N ews Gothic  , beide von Morris Fuller Benton, Trade Gothic von Jackson Burke, Antique Olive von Roger Excoffon, V  ectora von Adrian Frutiger und V  erdana von Matthew Carter. Bei den Antiqua sind unter anderem die Hollander,  Swift und Gulliver von Gerard Unger |  08  | zu nennen. Speziell geschaffen für extrem kleine Schrift­ grade ist die Minuscule des Franzosen Thomas Huot-Marchand |  09  | , deren 2-Punkt-Schnitt besonders außergewöhnlich ist. Zu Recht wurde die Schrift 2007 vom Type Directors Club in New York ausgezeichnet. 43


Thema

Werkzeug Machart

Anmutung Epoche

Cartoon Christmas Comic Graffity Halloween Holidays Horror Kids Party School Sci-fi Tattoo Wedding Western

Brush Chisel Marker Pen Pencil Typewriter

3d Bizarre Casual Classic Curly Digital Elegant Fancy Foreign Grunge Historical Informal Retro Romantic Square Techno Vintage

Hand-drawn Led Pixel Sketch Stencil Woodcut

Auflistung möglicher Schriftarten, eingeteilt nach Stichworten (   A uswahl   ) 11 ▲

Art Deco Art Nouveau Arts and Crafts Victorian

Schriftgattung

Unterteilung in zwei Schrift­g attungen  : Runde Schriften und Gebrochene Schriften 12 ▼

Schlichte Gotisch   : formale Annäherung von gebrochener Schrift an die Grotesk 13 ▼▼

R   unde Schrift G   ebrochene Schrift Adobe Garamond | Wittenberger Fraktur

G   otische Schrift

Geometrische Grotesk

S   <li<te Goti¼

Fette Gotisch | Kabel | Tannenberg

Einige Konsultationsschriften weisen an den Mündungen deutliche oder so­ gar überdeutliche Einschnitte auf, so bei der Bell Centennial 1978, einer Telefon­ buchschrift von Matthew Carter |  10  | . Dies war unter anderem durch die erschwerten Bedingungen beim Druck von Telefonbüchern – dünnes Papier, dünnflüssige ­Farbe und möglichst hohe Druckgeschwindigkeit – notwendig. Neuere Schriften setzen solcherart Farbkerben ( engl. ink traps, Tintenfallen ) durch ihre plakati­ve Verwendung modisch effektvoll ein. Heute ist zudem die Auflistung der Schriftarten nach Stichworten üblich |  11 | , wie sie den Websites von FontShop, MyFonts, Fontspring usw. zu entnehmen sind. Die Stichworte können zugeordnet werden in Themen (  C omic, Hochzeit, Horror, Weihnachten usw.)  ; Anmutung (  elegant, fancy, klassisch, romantisch, technoid usw.)  ; Epoche (  Art nouveau, Expressionismus, Art déco usw.)  ; Werkzeug (  Filzstift, Pinsel usw.) beziehungsweise Machart ( von Hand gezeichnet, skizziert, in Holz geschnitten usw.). Da diese Zuordnung nicht standardisiert ist, führt das gut gemeinte Vorhaben bisher fast immer zu Beliebigkeit. Mit dem Begriff der Schriftgattung findet eine Zuteilung der lateinischen Schrifttypen in zwei formal, kulturgeschichtlich und geografisch unterschiedliche Gruppen statt : Runde Schriften und Gebrochene Schriften. Die Gattung Runde Schriften beinhaltet, basierend auf den Schriften der grie­ chischen und römischen Antike, alle Schrifttypen mit runden Bogenformen. Sie wurden gemeinhin als Antiqua bezeichnet, wobei der Begriff hier für ein Segment der Serifenschriften steht. Zu den runden Schriften gehören Inzisen, entsprechende Skripten, Antiqua, Egyptienne, Grotesk, Latine  sowie deren Italika ( Kursiven ) und die Ziervarian­ten. Auch die Gotico-Antiqua, eine Über­ gangsform von gebrochener zu runder Schrift, gehören hierzu. Im Mittelalter erfahren sodann die Schriften Brechungen in den Bogen. Es entwickelt sich eine zweite Schriftgattung. Zur Gattung G ­ ebrochene Schriften ( Fraktura ) gehören die vier Hauptgruppen : Textura / Gotisch, Rotunda / Rund­ gotisch, Schwabacher, Fraktur. Außer der Rotunda, der dominierenden Buchschrift der Gotik, mit ihren nur wenig ausgeprägten Brüchen, konnten sich gebroche­ne Schriften im lateini­ schen Sprachraum kaum durchsetzen und wirkten wenig nach – ganz anders als nördlich der Alpen, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Hier ent­ wickelten sich beide parallel weiter, wobei im Lauf der Jahrhunderte bei den 44


Fraktura eine Suche nach Annäherung an die Antiqua stattfand – so im Grau­ wert |  12  | , teilweise in den Letternformen – sowie in den 1920er- bis 1940er-­ Jahren mit den Schlichten Gotisch eine Hinwendung zur Grotesk |  13  | . Vom Mischen der beiden Schrift­gattun­gen zeugen ab dem 16. Jahrhundert in Fraktur gesetzte deutschsprachige Sachbücher, bei denen die aus dem Latei­ nischen stammenden Wörter in Antiqua erscheinen (→ Seite 23 |  09  |  ).

Schriftform

Schrifttype

Satzschriften können das Aussehen einer geschriebenen Schrift annehmen 14 ▼

T   ypeface T   ypeface  Typeface Warnock | Jaguar

Gemäß ihrer Schriftform lassen sich Schriften in Klassifikationsgruppen einteilen. In der Fachliteratur bestehen weitere Begriffe wie Schriftstil oder auch Schriftart, die hier jedoch differierend verwendet werden. Zur Unterscheidung der Schriftform dienen sieben Klassifikationsgruppen : Inzise, Skript, Fraktura, Antiqua, Egyptienne, Grotesk und Latine. Das Kapitel 4 ( → Seite 83 ) ist vollständig der Klassifikation der Satzschriften gewidmet, wäh­ rend in Kapitel 6 die Schriftform (→ Schriftform : Seite 166 ) und der Schriftstil (→ Schriftstil : Seite 172 ) vertiefend thematisiert sind. Die Begriffe Schrifttype und Schrift werden in der grafischen Industrie synonym verwendet. Gemeint an dieser Stelle ist einschränkend die Satzschrift, also die gesetzte Type und nicht die geschriebene Schrift. Von der Handschrift unterscheidet sich die Satzschrift durch ihre Standardi­ sierung, was auch für Skripten ( Schreibschriften ) gilt |  14 | . Wie gut ausgebaut eine Type ( von griech. týpos ‹ Schlag, Gepräge, Modell ›) ist, hängt vom gestal­ teri­schen Konzept, vom geplanten Einsatzgebiet und wohl auch vom Erfolg am Markt ab. So benötigt beispielsweise eine Plakatschrift einen geringeren Umfang an Zeichen als eine Zeitungsschrift, eine Schrift für Botanik andere Figuren als eine Schrift für ein Sprachwörterbuch. Eine Type für den Satz der UN-Charta für Menschenrechte wiederum erfordert eine Vielzahl an Schrift­ systemen, was den Zeichensatz beziehungsweise die Anzahl Schrift­schnitte enorm erhöht. Letzteres bietet auch Vorteile für Texte mit vielen Hierarchieund Auszeichnungs­ebenen, während eine Korrespondenzschrift mit einem Schnitt auskommen kann. Für jede Art von Anwendung sollte deshalb jene Schrifttype gefunden werden, die am besten dafür geeignet ist. Aus heutiger Sicht verblüffend ist, dass Satzschriften nicht seit jeher Namen tragen. Bis ins 18. Jahrhundert war dies jedoch nicht nötig, da eine Druckerei nur eine geringe Anzahl an Typen besaß. Ein Zusatz wie ‹Ältere › beziehungs­ weise ‹ Neue › oder ‹ Moderne › genügte zur Kennzeichnung. 45


Kerning Die Zurichtung variiert bei Vertikalstrich, Bogen und Diagonalstrich 27 ▼

Lettern mit Überhang : j mit negativer Vor­ breite, f mit negativer Nachbreite 28 ▼

novd É j f Prüfung der Zurichtung : jede Letter steht zwischen zwei n und o sowie zwei H und O 29 ▼

nnnooonon nanbncndnenfngnhninjnknlnmnnnonpn nqnrnsntnunvnwnxnynznænœnßn oaobocodoeofogohoiojokolomonooopo oqorosotouovowoxoyozoæoœoßo HHHOOOHOH HAHBHCHDHEHFHGHHHIHJHKH HLHMHNHOHPHQHRHSHTHUHVH HWHXHYHZHÆHŒH OAOBOCODOEOFOGOHOIOJOKO OLOMONOOOPOQOROSOTOUOVO OWOXOYOZOÆOŒO

Ohne und mit PairKerning   : T erhält bei der Nachbreite einen Minuswert zum e 30 ▶ Kerning Metrisch, Kerning Optisch – und manuelles, auf das Wortbild abgestimmtes Kerning 31 ▶

Te Te Kern Kern Kern

– 5 0 0

– 22 –  9

5

– 35 15 0

Das Bestimmen der Vor- und Nachbreite der Lettern und damit das Festlegen der Zeichenabstände wird in der Schriftproduktion als Zurichten bezeichnet. Dieses einer Schrift inhärente generelle Kerning genügt aber nicht in allen Fällen, da gute Typografie oftmals ein weiteres, manuelles Kerning notwendig macht. Mit dem Bestimmen der Vor- und Nachbreite, als Bestandteil der Dickte einer jeden Letter, werden die Zeichenabstände festgelegt. Dabei setzen sich die Zeichenabstände jeweils aus der ­Nachbreite des vorangehenden und der Vorbreite des folgenden Zeichens zusammen. Um dem Ziel eines optisch möglichst ausgeglichenen Schriftbilds gerecht werden zu können – um also einen gleichmäßigen Grauwert ohne Fleckenbildung durch zu weite beziehungsweise durch zu enge Abstände zu erhalten –, muss die Vor- und Nachbreite auf die Zeichengestalt abgestimmt sein. Bei vertikalen Strichen ist der Abstand etwas weiter als bei Bogen, bei diagona­len Strichen sehr viel enger | 27  | . Asymmetrische Zeichen können aus diesem Grund deutlich unterschiedliche Einheitenwerte bei der Vor- und Nachbreite aufweisen. Mitunter benötigen ­ ickte Lettern einen Überhang, negatives Fleisch | 28  | . Sie ragen dann über die D hinaus. Neben diesem generellen Kerning | 29  | beinhaltet das Zurichten einer Schrift auch das zusätzliche Pair-Kerning für kritische Zeichenpaare | 30  | bei Lettern wie T V W usw. mit optisch viel seitlichem Fleisch. Das in die Schrift integrierte generelle Kerning, bei Adobe als Kerning Metrisch bezeichnet, gewährleistet bei professionell zugerichteten Fonts und richtig gewählter Laufweite (→ Laufweite : Seite 68 ) ein homogenes Schriftbild. Eine interessante Erneuerung programmiertechnischer Art ist Kerning Optisch | 31  | . Mitunter verschlechtert diese jedoch die Qualität, da die Software definierte Abstände abändert. Letternpaare wie ft rf rt tt usw. werden möglicherweise unschön auseinander­geris­sen, andere wiederum näher zusammengeschoben. Ein über das Zurichten hinausgehendes, optisches Ausgleichen der Zeichenabstände durch manuelles Kerning ist, auf das jeweilige Wortbild abgestimmt, bei Wortmarken, Versalschreibung und Satz in größeren Graden zwingend ­nötig. Dabei gilt es darauf zu achten, dass alle Abstände in ihrem Lichtwert als gleich empfunden werden. Es ist die gleichmäßige Helligkeit, die zu ausgeglichenen Wortbildern führt, und nicht etwa die gleiche Distanz oder der gleiche Raum zwischen den Lettern.¹⁶ Ein gut geschultes Auge – kombiniert mit ­Ausdauer – hilft, die Einheitenwerte korrekt zu bestimmen | 31  | . 67


Laufweite Schriftgrade ohne und mit Anpassung der Laufweite (  Kerning Metrisch  ) 32

H   armony H   armony H   armony Harmony

Myriad  : 32pt | 18 pt | 9 pt | 6 pt – Laufweite 0

H   armony H   armony H   armony Harmony

Myriad : Laufweite −15 |  −4  |  +12  |  +60

H   armony lw 0  Harmony lw 18 H   armony  Harmony 18  Harmony 18 H   armony · New Baskerville Bold |  Semibold |  Roman  : 9.7  pt H   armony lw 0 H   armony H   armony

H   armony lw 15 H   armony 35 H   armony 60 Neue Helvetica · Bold |  Regular |  Light  : 9  pt Je feiner die Schrift ist (  g rößere Punzen  ) , desto weitere Zeichenabstände benötigt sie 33 ▲

Jede Schrift benötigt für optimales Lesen ihre eigene, korrekte ­Laufweite. Das heißt, dass die definierten Zeichenabstände insgesamt erweitert oder verringert werden müssen – abgestimmt auf den Schriftgrad und die Darstellungsgröße, auf Farbig­keit, Bedruckstoff und Medium. Beim Gießen der Bleisatzlettern berücksichtigten die Schrift­gieße­reien, dass die Laufweite aus Gründen der Lesbarkeit an die Schrift und an jeden Schriftgrad angepasst sein muss. Materialbedingt ließen sich die Lettern nicht oder nur sehr aufwendig enger oder weiter setzen.¹⁷ Somit ist im Bleisatz die Laufweite der Schriften durch die Dickte prinzipiell festgelegt. Bei den digitalen Fonts fällt die Anpassung der Laufweite ins Aufgabengebiet der Anwender. Leider versäumten es die Schriftenhersteller hierbei, als Hilfe­ stellung den Nullwert der Laufweite ( Grundeinstellung ) auf einen festgelegten Schriftgrad zu fixieren und damit einen Standard zu definieren. Welcher Schriftgrad mit Laufweite 0 richtig gesetzt ist, wissen wir daher nicht. Durch langwieriges vergleichendes Untersuchen müssen die korrekten Laufweiten selbst eruiert werden – für jede Schrift, für jeden Schriftgrad | 32  | und für jeden Schnitt | 33  | . Beim Mischen verschiedener Schriften in Wortmarken sind die Laufweiten allenfalls auch in Bezug auf die Kombination abzustimmen. Beim Bestimmen der Laufweite gilt grundsätzlich : Schriften benötigen eine weitere Laufweite –  je kleiner der Schriftgrad ist ; –  je feiner die Stärke ist ( Regular, Book, Light etc.), da Punzen größer ; –  je weiter die Breite ist ( Extended, Wide etc.), da Punzen größer ; –  bei Invertierung, da helle Schrift dunkle Zwischenräume überstrahlt ; –  bei größerer Lesedistanz, da das Schriftbild dadurch dichter wirkt ; Schriften benötigen eine engere Laufweite –  je größer der Schriftgrad ist ; –  je kräftiger die Stärke ist ( Bold, Heavy, Black etc.), da Punzen enger ; –  je schmaler die Breite ist ( C ondensed, Compressed etc.), da Punzen enger. Anders als bei Kerning Metrisch findet bei Kerning Optisch ein auto­matisiertes Anpassen der Laufweiten an die Schriftgrade statt. Das manuelle Einstellen korrekter Werte bleibt aber fast immer nötig, da der Nullwert auch hier kaum je stimmig ist. Kerning Metrisch ist zu bevorzugen. Ohne genauestes Begutachten und Vergleichen sollte Kerning Optisch nicht verwendet werden. 68


I dynamisch stark

moderat

Inzise

Attribut Schwellstrich Differenzstrich

Similärstrich

Lydian

Lithos

H   OE o  neb Odense

H   OE Laudatio

OE o   neb H   OE o  neb H gering

statisch

Mentor Sans

Palatino Sans

OE o   neb H   OE o  neb H Optima

H   OE o   neb

geometrisch

exzentrisch

Shannon

H   OE o   neb 116


Attribut Schwellserife / Endstrich Differenzstrich

Similärstrich

Inzise

Tiepolo

dynamisch stark

H   OE o  neb Cartesius

Carter Sans

Baker Signet

Friz Quadrata

Pompei

Memo

moderat

neb H H   OE o   OE o   neb

gering

H   OE o  neb H   OE o   neb

statisch

OE o   neb H   OE o   neb H Brewery

I

Serif Gothic

geometrisch

OE o   neb H   OE o   neb H

Korinna

exzentrisch

H   OE o   neb 117


II dynamisch stark

moderat

gering

Skript

Attribut Separatduktus Differenzstrich

Similärstrich

Sunetta

H   OE o  neb Sanvito

Bradley Hand

Lucida Calligraphy

Flora

OE o  neb H   OE o  neb H H   OE o  neb H   OE o  neb

statisch

Redonda

H OE

Klepto

o  neb

Reliq

geometrisch

exzentrisch

H   OE o  neb

H   OE o  neb Papyrus

H   OE o   neb

Stylus

H   OE o   neb 118


Attribut Verbundduktus Differenzstrich

Similärstrich

Skript

Mistral

dynamisch stark

H   OE o  neb Lucida Handwriting

HOE   oneb

II

Caflisch Script

moderat

H  OE o  neb

Boscribe

gering

H   OE o  neb Snell Roundhand

Monoline Script

H   OE o  neb

H   OE  oneb

statisch

Kulukundis

geometrisch

H   OE o   neb

exzentrisch

119


III dynamisch stark

moderat

Fraktura

Attribut Rundbogen Differenzstrich

Similärstrich

Rotunda San Marco

H   OE o   neb Schwabacher Alte Schwabacher

H   OE o  neb gering

statisch

geometrisch

exzentrisch

Jugendstil-Gotisch Eckmann

H   OE o  neb 120


Attribut Flachbogen Differenzstrich

Fraktura

Similärstrich

Textura Caslon Gotisch

III dynamisch stark

HOE o  neb Fraktur Walbaum Fraktur

moderat

H   OE o  neb gering

Fraktur Unger Fraktur

Schlichte Gotisch Deutschmeister

H   OE o  neb

H  OE

statisch

o  neb

Schlichte Gotisch Kursachsen (  B lackhaus  )

H  OE

geometrisch

o  neb

exzentrisch

121


ABCDEFGHIJKLM NOPQR STUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

Palatino  Roman

Optima  Roman Hermann Zapf 1952 | D. Stempel AG / L inotype lt Inzise

Hermann Zapf 1950 | D. Stempel AG / L inotype lt Antiqua    2 36  /237

–›

Sommer 104 pt

210


KO N T RA S T E

A N A LO G I E N

Schriftform

Bogenform Schriftbreite Grauwert

U N TE R SCH I E DE

Schriftstil Schattenachse Schriftstärke Strichmodellierung Endenmodellierung Mündung Letterngestalt |   M   |   Q   |  Y  |  y |

ÄH N LICH KE I TE N

Höhen Bogenauslauf Rhythmus Strichkontrast Schriftlage Duktus Letterngestalt |   G   |   J   |  K |  R |  W  | |   a   |  f |   g   |  j |  k |  w  |

26.6

27.0

DESIGN FORMEN design formen 26.5

25.6

Sommer Frische 11.0 11.0

Frische 106 pt

211


ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

Futura  Book

Garamond  Regular Claude Garamont  —   Robert Slimbach ca. 1540 | Claude Garamont  — 1989 | Adobe Systems Antiqua

Paul Renner 1927 | Bauersche Gießerei  —  Linotype lt Grotesk

A LT E R N A T I V E

Aldus | Hermann Zapf | 1954 | D. Stempel AG / L inotype lt

Science 100 pt

212


KO N T RA S T E

A N A LO G I E N

Schriftform

Schriftstärke Grauwert

U N TE R SCH I E DE

Schriftstil Schattenachse Bogenauslauf Versatz Mitteposition Strichkontrast Endenmodellierung Mündung Letterngestalt |   G   |   J   |  K |   M   |  P |   Q   |  R |  W  |  |   a   |   g   |  j |  t |

ÄH N LICH KE I TE N

Bogenform Höhen Rhythmus Schriftbreite Schriftlage Duktus Strichmodellierung Letterngestalt | i |

24.4

27.9

DESIGN FORMEN design formen 25.4

29.9

Science Fiction 10.8 12.8

Fiction 118 pt

213


ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

Legacy Serif  Medium

Legacy Sans  Medium

Ronald Arnholm 1982  –  1 993 | International Typeface Corporation itc Antiqua

Ronald Arnholm 1982  –  1 993 | International Typeface Corporation itc Grotesk

Human 113 pt

214


KO N T RA S T E

A N A LO G I E N

Schriftform

Bogenform Höhen Schriftstil Schattenachse Bogenauslauf Schriftbreite Rhythmus Grauwert

U N TE R SCH I E DE

Strichmodellierung Endenmodellierung Letterngestalt |  K |  W  |  k |  w  |

ÄH N LICH KE I TE N

Schriftstärke Strichkontrast Schriftlage Duktus Mündung Letterngestalt | G | J  | M | Q | R  | |   a   |   e   |  f |   g   |   i   |  j |   t   |  y |

28.9

28.9

DESIGN FORMEN design formen 28.4

28.4

Human Rights 12.0 12.0

Rights 113 pt

215


ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

ABCDEFGHIJKLM NOPQRSTUVWXYZ abcdefghijklm nopqrstuvwxyz

Freya  Medium Saku Heinänen 2010 | Incubator  — Village Antiqua

Today Sans Now  Regular Volker Küster 1988 | Scangraphic sg  — 2014 | Elsner  +   F lake ef Grotesk A LT E R N A T I V E

Syntax | Hans Eduard Meier | 1968 | Linotype lt   2 64  /265

–›

Smaragd 111 pt

216


KO N T RA S T E

A N A LO G I E N

Schriftform

Bogenform Höhen Schriftstil Rhythmus Schriftstärke Schriftbreite Grauwert

U N TE R SCH I E DE

Strichkontrast Endenmodellierung Letterngestalt |   J   |  W  |  w  |

ÄH N LICH KE I TE N

Schattenachse Bogenauslauf Schriftlage Duktus Strichmodellierung Mündung Letterngestalt |  K |   M   |   Q   | |   a   |   g   |  j |  k |   t   |  y |

27.8

27.8

DESIGN FORMEN design formen 25.7

26.7

Smaragd Edelstein 11.1 11.5

E  delstein 112 pt

217


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