Bauwelt Fundamente 169
Herausgegeben von Elisabeth Blum Jesko Fezer Günther Fischer Angelika Schnell
Stephan Trüby Rechte Räume Politische Essays und Gespräche
Bauverlag
Birkhäuser
Gütersloh · Berlin
Basel
Die Reihe Bauwelt Fundamente wurde von Ulrich
Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN 978-3-0356-
Conrads 1963 gegründet und seit Anfang der 1980er-
2241-6) erschienen.
Jahre gemeinsam mit Peter Neitzke herausgegeben. Verantwortliche Herausgeberin für diesen Band:
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Elisabeth Blum
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Gestaltung der Reihe seit 2017: Matthias Görlich
4009 Basel, Schweiz, ein Unternehmen von Walter de
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und Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, Berlin
rechte Obsession – das Steinbild des erwachenden Barbarossa, von 1155 bis 1190 Kaiser des römisch-deut-
Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei
schen Reiches, am zwischen 1892 und 1896 nach
gebleichtem Zellstoff. TCF ∞
Plänen von Bruno Schmitz gegen den „inneren Feind“ der Sozialdemokratie errichtete Kyffhäuserdenkmal in Thüringen (Foto: Stephan Trüby, 2018). Hintere Umschlagseite: Frisch gestrichen, aber noch im Bau – der rekonstruierte Krönungsweg der Neuen Frank-
Printed in Germany
furter Altstadt (Stand: 30. November 2017), den zwischen 1562 und 1792 zehn römisch-deutsche Könige
ISBN 978-3-0356-2240-9
und Kaiser gingen (Foto: Stephan Trüby). 987654321 Library of Congress Control Number: 2020947588
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Inhalt
1 Rechte Räume. Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 (Theorie-)Theoretische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3 Architektur oder (Konservative) Revolution? . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4 Alter Wein von neuen Flaschen oder Eine „Neue“ Rechte gibt es nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5 Architektonische Metapolitik. Von letzten und nicht ganz so letzten Deutschen und ihren Räumen . . . . . . . . . 113 6 Die Einstecktuchisierung verrohter Bürgerlichkeit. Über die Neue Frankfurter Altstadt als politische Initiative von Rechtsradikalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 7 In Verlautbarungsgewittern. Kritik des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 8 Architekturen des durchdrehenden Neoliberalismus . . . . . . . 171 9 Aufklärung der Dialektik. Über rechte Räume in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 10 „Very fine people on both sides“? Moderne, Architektur und Architekturhistoriografie (im Bauhaus-Jubiläumsjahr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
11 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 „Die Vergangenheit neu erfinden.“ Stephan Trüby im Gespräch mit Alem Grabovac (taz, 12. August 2018) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 „Es gibt keine per se rechte oder linke Architektur.“ Stephan Trüby im Gespräch mit Martin Tschechne (Zeit Online, 12. Juni 2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 „Identitäres Denken ist in der Architektur weit verbreitet.“ Stephan Trüby im Gespräch mit Leon Kahane und Fabian Bechtle vom Forum Democratic Culture and Contemporary Art (DCCA) (Belltower News, 12. Dezember 2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Über den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
1 Rechte Räume. Eine Einführung
7
Viele westlich-liberal geprägte Demokratien erfahren derzeit einen bis vor wenigen Jahren kaum für möglich gehaltenen politischen Rollback. In manchen dieser Länder scheint nichts mehr unmöglich zu sein: die Rückkehr von offen rassistischem Denken und Homophobie in breiteren Gesellschaftsschichten; die Rückkehr religiös getragener Mythen auf politische Bühnen; selbst die Rückkehr bzw. Ersteinführung von Diktatur und Faschismus.1 Bestritten werden die emanzipatorischen Errungenschaften von 1968 ff. auf breiter Front von einer teilweise bereits parlamentarisch agierenden Rechten, die das Rad der Zeit zurückdrehen will: zurück in eine Zeit klar konturierter Nationalstaaten mit „passenden Völkern“; zurück in ein „Europa der Vater länder“, zurück zu „America First“. Diese Front, die zur Bedrohung nicht nur des europäischen Einigungsprojektes, sondern auch zur Bedrohung des „Westens“ im Sinne einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung insgesamt geworden ist, verfügt trotz – oder gerade wegen – ihres Nationalismus über internationale Schlagkraft. Dass mit dem Aufschwung der Rechten auch Aussagen zur Kultur im Allgemeinen und zur Architektur im Besonderen getätigt werden, soll anhand dieses Buches deutlich werden. Die Leitfrage, die sich durch die teils viel diskutierten Essays und Gespräche zieht, ist folgende: Verfolgen zeitgenössische rechtspopulistische, rechtsradikale, rechtsextremistische und (neo-)faschistische Kräfte eine architekturpolitische und städtebauliche Agenda? Und wenn die Antwort, wie vorwegzunehmen ist, „Ja“ lauten muss: Inwieweit macht sich hierfür die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ zur unfreiwilligen Helferin?
Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, (Neo-)Faschismus – Begriffsklärungen Doch was ist eigentlich mit „Rechtspopulismus“, „Rechtsradikalismus“, „Rechtsextremismus“ und „(Neo-)Faschismus“ gemeint? Und wie verhalten sich diese Strömungen zum Konservatismus? Mit Ernst Hillebrand sei unter „Rechtspopulismus“ im Folgenden „kei[n] klar definierte[s], einheitliche[s]“2 Konzept verstanden, sondern: „Ein kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich 8
am ehesten noch im soziokulturellen Bereich finden: in einer Präferenz für das Gewohnte, das Nationale, das Vertraute und in einer dezidierten Abneigung gegenüber den etablierten Mainstreamparteien und den amtierenden liberalen Eliten.“3 Rechtspopulisten, so Hillebrand, sind keineswegs ein „Problem für die etablierten konservativen Parteien“, keineswegs „eine Art Verteilungskampf im rechten Lager“,4 ganz im Gegenteil: Sie „gewinnen ihre Wähler in einem nicht unerheblichen Maße aus traditionellen Wählermilieus der linken Mitte“.5 Mit Folgen, die aus verschiedenen Ländern bekannt sind, etwa aus Polen, Österreich oder Ungarn: „Der Abfluss von aus einfachen sozialen Verhältnissen stammenden Wähler zu den Rechtspopulisten droht die Machtperspektive der linken Mitte dauerhaft zu schwächen.“6 Als Ursache dieser Entwicklung macht Hillebrand eine wachsende „Kluft zwischen öffnungsorientierten, liberal-kosmopolitischen Eliten und nationalistisch- protektionistischen Bevölkerungsgruppen“ aus.7 Er beklagt die „Aushöhlung der Demokratie“ im „Mehrebenensystem von Nationalstaaten und Europäischer Union“, in dem für eine signifikante Anzahl von Bürger*innen „das gewünschte Maß an Teilhabe und Repräsentativität“8 immer mehr verloren zu gehen scheine: „Das Vertrauen, die Dynamiken des Kapitalismus durch demokratische Politik einhegen zu können, ist im neoliberalen Finanzkapitalismus deutlich geschwunden.“9 Gleichzeitig warnt Hillebrand vor allzu ökonomistischen Erklärungsmodellen – und empfiehlt, die „kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen der Verunsicherung von Wählern“10 stärker zu berücksichtigen: „[…] auch in gut funktionierenden Volkswirtschaften – das zeigen die Beispiele der Schweiz oder Dänemarks – können Rechtspopulisten erfolgreich sein und die politische Agenda (mit)bestimmen. Es wird daher eines sehr viel breiteren, das ganze Spektrum der Verunsicherungs gefühle abdeckenden Ansatzes bedürfen, um dem Rechtspopulismus das Wasser abzugraben.“11 Für die allermeisten der in diesem Buch thematisierten kulturellen Entwicklungen kann der Begriff des „Rechtspopulismus“ jedoch als eher unadäquat und zumeist auch verharmlosend betrachtet werden. Viele der in den folgenden Kapiteln zu beschreibenden Phänomene sollten daher besser nicht als „rechtspopulistisch“, sondern als „rechtsradikal“ bezeichnet werden. Was ist 9
damit genau gemeint? Die deutschen Verfassungsschutzbehörden definieren „Radikalismus“ im Allgemeinen und „Rechtsradikalismus“ im Besonderen als „überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits ‚von der Wurzel (lat. radix) her‘ anpacken will“.12 Sie konzedieren: „Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, so lange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.“13 Erst dann, wenn Radikale den demokratischen Verfassungsstaat durch Taten aktiv zu beseitigen versuchen, sprechen die deutschen Verfassungsschutzbehörden von „Extremismus“ – der dann enstprechend auch beobachtet wird.14 Im Glossar des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das auf www.verfassung schutz.de abrufbar ist, wird vor diesem Hintergrund „Rechtsextremismus“ folgendermaßen definiert: „Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder ‚Rasse‘ bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer ‚volksgemeinschaftlicher‘ Konstrukte zurück (Antipluralismus).“15 Wenngleich diese Unterscheidung von Radikalismus und Extremismus brauchbar erscheint, so sei dennoch die „Extremismustheorie“, die dem Extrem ismusverständnis der deutschen (ebenso wie beispielsweise der österreichischen) Verfassungschutzbehörden zugrunde liegt, infrage gestellt. Denn sie besagt erstens, dass ein angeblich ideologiefreier Staat Äquidistanz 10
sowohl zum Rechts- wie zum Linksextremismus halten solle16 – und zweitens, dass es so etwas wie eine besonnene „Mitte“ der Gesellschaft gäbe, die stets fern jeglichen Extremismus sei. Doch wer sich auch nur etwas mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland beschäftigt hat, der weiß: Nichts davon ist richtig. Der „Mitte“ ist grundsätzlich zu misstrauen. Entsprechend vertritt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer die These – etwa in seiner Studie Deutsche Zustände –, dass sich rechtsextreme Einstellungen gerade auch in dieser ominösen „Mitte der Gesellschaft“ finden lassen.17 Mit Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl ist die Extremismustheorie dar über hinaus auch insofern zu kritisieren, als sie nicht unterscheidet, „ob sich Gruppierungen gegen die aktuelle, bürgerliche Demokratie wenden, weil sie Demokraten per se ablehnen (wie die ‚Rechtsextremen‘) oder weil sie ihnen nicht demokratisch genug ist und mehr Demokratie verlangt wird (wie dies vermeintlich ‚Linksextreme‘ tun)“.18 Die Autor*innen folgern entsprechend: „Die Extremismustheorie dient also lediglich der eigenen Selbstversicherung sowie der Nivellierung und Banalisierung rechtsextremer Ideologie seit 1945.“19 Die Kritik an der Extremismustheorie sollte aber nicht als Aufruf zur Abschaffung des Verfassungsschutzes missverstanden werden. Dass dies kontraproduktiv wäre, zeigt beispielsweise der Blick in die USA , wo es gar keinen Verfassungsschutz gibt und der Rechtsextremismus nicht nur staatlich nicht beobachtet wird,20 sondern sogar durch das „First Amendment“, also den ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 1791, geschützt ist – jedenfalls solange er nicht terroristisch agiert. Lediglich privat finanzierte Watchdog-Organisationen wie die Anti-Defamation League (ADL) etc. sorgen dort für organisierten Widerstand gegen Rechtsextremist*innen21 – mit begrenztem Erfolg. Gerade um den Rechtsextremismus im Sinne eines antidemokratischen Umsturzprojektes nicht aus dem Blick zu verlieren, sei er im Folgenden als Begriff verwendet – wohlgemerkt nicht im Sinne einer Extremismustheorie, sondern im Sinne eines Steigerungsbegriffs des zwar zu kritisierenden, aber auch von der Meinungsfreiheit gedeckten „Rechts radikalismus“.22 Der klarste Beweis für die Inexistenz einer „besonnenen Mitte der Gesellschaft“, den das 20. Jahrhundert geliefert hat, ist der Faschismus. Ihn hat 11
Peter Sloterdijk einmal als einen „plötzlichen Royalismus von unten“ definiert: „Das Volk emaniert aus seiner dunklen Mitte einen Mann, in dem es ganz bei sich zu sein wähnt.“23 In ähnlicher Weise argumentiert Zeev Sternhell, der den Faschismus gleichsam zentral aus der Gesellschaft aufsteigen lässt und ihn auch nicht „irgendeiner bestimmten sozialen Klasse“24 zuordnet: Faschismus, so der israelische Historiker, wandte sich „seit seinen A nfängen sowohl an die jeweiligen intellektuellen Eliten als auch an die unwissende Landbevölkerung“.25 Dies wird gerade in der Entstehungsphase des Faschismus deutlich, dessen ideologische Wurzeln laut Sternhell eben nicht, wie vielfach behauptet, im Italien des frühen 20. Jahrhunderts zu finden sind, sondern bereits vorher im Frankreich der Jahre zwischen 1880 und 1890 festgestellt werden können. Dort habe sich zum ersten Mal „eine Allianz zwischen Theorien“ herausgebildet, „die von den unterschiedlichen Spielarten des Sozialismus – entweder nicht-marxistisch, anti-marxistisch oder tatsächlich post-marxistisch – und dem Nationalismus abgeleitet wurden“26 und mit dem Namen Maurice Barrès (1862–1923) verbunden ist, der auch als Erster den so gut wie immer antisemitisch grundierten Begriff „Sozialistischer Nationalismus“ prägte, und zwar während der Dreyfus-Affäre Mitte der 1890erJahre.27 Die breite intellektuelle Bewegung der Jahre nach 1890, so Sternhell, „war vor allem eine Bewegung der Revolte, der Revolte gegen die Welt des Rationalismus und des Denkens in den Kategorien von Ursache und Wirkung, der Revolte gegen Materialismus und Positivismus, gegen die Mittelmäßigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und gegen die Verwirrungen der liberalen Demokratie“.28 Gegen die als dekadent wahrgenommene „Welt des alten, bürgerlichen Europas“29 sollte eine neue Zeit antreten: die Zeit des Faschisten, „der die Welt vom bürgerlichen Geist befreit und eine Sehnsucht nach Reaktion und Wiedergeburt weckt, die gleichzeitig geistig und physisch, moralisch, sozial und politisch sein sollte“.30 Als Alternative zum liberalen und friedfertigen Bürger und zum städtischen Händler warb der Faschismus für „den Barbaren und den Ritter des Mittelalters“, so Sternhell: „Als Ersatz für den europäischen Rationalismus boten sie das Gefühl, die Empfindsamkeit und die Gewalt. Und anstelle des degenerierten Mannes einer FilzpantoffelZivilisation, dem körperliche Anstrengung widerlich geworden war, boten sie 12
4 Alter Wein von neuen Flaschen oder Eine „Neue“ Rechte gibt es nicht
91
Für die zeitgenössische Architekturtheorie, in Deutschland zumal, kann ein Wendepunkt diganostiziert werden; ein Wendepunkt, der einem Aufwachen aus einem kurzen Traum gleichkommt: dem Traum vom „Ende der großen Erzählungen“, der bekanntlich in einer Tiefschlafphase namens „Ende der Geschichte“ kulminierte.1 In diesem Traum traten als Protagonist*innen in wechselnden Haupt- und Nebenrollen auf: der Glaube an die Unerschütterlichkeit eines liberalen Zeitalters westlicher Bauart; das frivole, aufmerksamkeitsökonomisch befeuerte intellektuelle Spiel mit gefährlichen Gütern; die kleinen Fluchten in Romantizismen oder in die Phänomenologie; und die großen Fluchten in die vermeintlich politikbefreiten Gefilde der Medientheorie („The medium is the ma/essage“ etc.) oder der angewandten Techniktheorie (auto-)poietisch verfertigter Parametrizismen. Nun, da zumindest einige der Akteur*innen im weiten Feld der Architektur als Repolitisierte wiedererwacht sind, tritt deutlich vor Augen: Als ebenso umworbenster wie umkämpftester Begriff an diesem Wendepunkt darf die „Differenz“ gelten, also jene Schlüsselvokabel, die im Zentrum der beiden wohl avanciertesten Theorieoptionen der letzten Jahrzehnte steht: der Dekonstruktion und der Systemtheorie.2 In Abgrenzung zu marxistisch inspirierten Gleichheitstheorien stand (und steht) die „Differenz“ etwa in der Systemtheorie Niklas Luhmanns für eine Schöpfungsgeschichte aus dem Geiste des Konstruktivismus: Die Welt ist alles, was unterscheidend beobachtet werden kann. Und die Jacques Derrida’sche „différance“ lässt – absichtlich falsch mit „a“ geschrieben – die beiden Bedeutungen des französischen Worts „différer“, nämlich „unterscheiden“ einerseits und „aufschieben“ andererseits, in eins fallen, sodass deutlich werden konnte: Die Welt ist ein Konvolut von Texten, deren Signifikanten sich durch fortwährende Unterscheidungsakte in Aufschüben und Widersprüchen zerlegen. So weit, so relativ. Im Windschatten dieser beiden Differenzauffassungen, als deren Horizont die Weltgesellschaft (nicht zuletzt im Sinne von Luhmann) bzw. die Infragestellung althergebrachter Hierachien gelten darf – und die damit durchaus „progressiv zu nennen sind –, wurde ein rechtes, reaktionäres Differenzverständnis reaktiviert, das Unterschiede zwischen Menschen und Menschengruppen absolut setzt, festzurrt, naturalisiert und in mythischen Urgründen 92
zu erden versucht. Zu den folgenträchtigsten rechten Differenz-Denkern im deutschsprachigen Raum muss der bereits im letzten Kapitel vorgestellte Armin Mohler3 gezählt werden. Mohlers 1949 angenommene und 1950 pub lizierte Dissertation Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–19324 übte mit seinen vielen Folgeauflagen eine beispiellose Langzeitwirkung auf die (Re-)Formation der Rechten in Deutschland nach 1945 aus – und tut dies auch heute noch, nicht zuletzt im Bereich der Architekturpublizistik, wie ein Blick auf einige deutsche Architekturhistoriker und -theoretiker der jüngeren und jungen Generation zeigen wird. Hier sind vor allem Richard W. Eichler (1921–2014), Norbert Borrmann (1953–2016), Christian J. Grothaus (geb. 1969) und Claus M. Wolfschlag (geb. 1966) zu nennen. Deren Arbeit wäre weder ohne Mohler denkbar noch ohne jene (auch) von Mohler aus der Versenkung geholten „Konservativen Revolutionäre“, die sich mit Architekturbeiträgen zu Wort meldeten, also Paul Schultze-Naumburg etwa, Arthur Moeller van den Bruck oder Alexander von Senger.5 Es dürfte im Folgenden das, was Volker Weiß einmal allgemein festgehalten hat, nun auch für den Spezialbereich Architekturpublizistik deutlich werden: Die „Neue“ Rechte gibt es nicht; sie ist ein „Plagiat der ‚Konservativen Revolution‘“.6 Ihre Theoriebildung ist „weitgehend abgeschlossen und erschöpft sich letztlich in der Wiederaufbereitung des Vorhandenen“.7 Alter Wein von neuen Flaschen, könnte man sagen. Doch eine Entspannungshaltung wäre unangebracht, zeigt doch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts deutlich, dass intellektuelle Insuffizienz politischen Erfolg bisweilen nicht zu verhindern vermag.
Richard W. Eichler (1921–2014) Der deutsche Kunsthistoriker Richard W. Eichler, der vor 1945 u. a. Bücher von Hans F. K. Günther, genannt „Rasse-Günther“, und Paul Schultze-Naumburg lektorierte, ist zwar in der seriösen Kunstgeschichte weithin unbekannt, konnte aber mit Büchern wie Könner, Künstler, Scharlatane (1960), Der ge steuerte Kunstverfall (1965), Viel Gunst für schlechte Kunst (1968), die allesamt im Münchner Lehmanns-Verlag erschienen, oder mit Die Wiederkehr 93
des Schönen (1984), das im rechtsextremen Tübinger Grabert-Verlag erschien, eine beachtliche Leserschaft erreichen. Dies war auch seiner breiten Verbandstätigkeit geschuldet. Eichler war Generalsekretär und Gründungsmitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, Mitglied der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Mitglied des rechtsradikalen, fremdenfeindlichen und teils antisemitischen Witikobundes sowie Referent beim neonazistischen Verein Artgemeinschaft. Ebenso war er beim vom Verfassungsschutz beobachteten Deutschen Seminar e. V. aktiv. Dies alles hinderte Franz Josef II ., der seinerzeit regierende Fürst von und zu Liechtenstein, nicht daran, Eichler 1979 zum „Professor“ zu ernennen. Er verfasste auch Beiträge für das rechtsextreme und ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten Thule-Seminar, aus dem Publikationen wie das ebenfalls im Grabert-Verlag erschienene Buch Das unvergängliche Erbe. Altern ativen zum Prinzip der Gleichheit (1981) oder auch die Zeitschrift Elemente hervorgingen. Für Letztere steuerte Eichler den Artikel „Die Geburt der Kunst aus dem Mythos“ bei und plädierte darin für eine Anti-Weltkunst, die im Bewusstsein regionaler Grenzen entstehen sollte. 1990 wurde er mit dem sogenannten „Dichtersteinschild“ des österreichischen Vereins Dichterstein Offenhausen ausgezeichnet, einer rechtsextremen Gruppierung, die 1963 vom rassistischen und antisemitischen Schriftsteller Joseph Hieß gegründet und 1999 wegen „nationalsozialistischer Wiederbetätigung“ verboten wurde. Eichlers Architekturauffassung findet sich kondensiert in seinem Buch Bau kultur gegen Formzerstörung. Für eine menschenfreundliche Architektur, das 1999 erschien, wieder bei Grabert (Abb. 4.1). Es entpuppt sich als Plädoyer für einen „Postmodernismus“, der „mit seinem Kulissencharakter keinen Weg zurück in Dürftigkeit“ gehen will, sondern „einen Wink“ darstellen soll, „weiterzuschreiten zu einer verjüngten Baukunst“.8 Was das bedeuten soll, daran lässt Eichler unter Rekurs auf Wilhelm Heinrich Riehl und Ernst Rudorff keinen Zweifel: „Bauwerke sind herausragende Träger des Ausdrucks von Gemeinschaften, von Völkern, Stämmen, Religionen, zugleich spiegeln sie den Geist und das Lebensgefühl kultureller Regionen und Epochen in ihrem Stil wider. In der Gestalt von Bauten und Stadtansichten gewinnen Völker 94
Abb. 4.1: „Alliierte Generäle pinkelten gemeinschaftlich in den Rhein“: Cover von Richard W. Eichlers Buch Bau kultur gegen Formzerstörung. Für eine menschenfreundliche Architektur (Tübingen: Grabert, 1999).
ihr Profil.“9 Mit Moeller van den Bruck weiß sich Eichler einig, dass es vor allem in völkischer Hinsicht „gilt, Dinge zu schaffen, deren Erhaltung sich lohnt“.10 Und mit Alexander von Senger geht er insofern d’accord, als hierbei „Dada“ unter allen Umständen zu verhindern ist: „Die frühen Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland waren vielversprechend; ihre schöpferischen Ansätze gerieten nach dem Ersten Weltkrieg in kulturrevolutionäres Fahrwasser, für das Dada das Schlüsselwort ist: Umsturz wurde rasch kulturideologischer Dogmatismus.“11 Als wichtigster lebender Kronzeuge der Eichler’schen Architekturvorstellungen entpuppt sich Léon Krier. Mit Blick auf dessen Albert-Speer-Prachtband aus dem Jahre 1985 schreibt er: „Ist es nicht beschämend, dass man vorzugsweise Ausländer zitieren muss, sobald man es unternimmt, die voreingenommene Engstirnigkeit deutscher Zeitgenossen zu durchbrechen?“12 Eichler wirbt für eine „gelassene Sineira-et-studio-Betrachtung des Bauens zwischen 1933 bis 1945“, und zwar aus 95
7 In Verlautbarungs gewittern. Kritik des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst
151
Seit geraumer Zeit schwelt in Deutschland ein Konflikt unter Architekt*innen und Stadtplaner*innen, der an Schärfe alles in den Schatten stellt, was in den letzten Jahrzehnten in der Branche diskutiert wurde. Erklärungen jagen Gegenerklärungen, die ihrerseits wiederum Gegen-Gegenerklärungen provozieren. Fronten tun sich oftmals aus heiterem Himmel auf: in Stadtplanungsämtern, Fachkongressen und Fakultäten. Im Zentrum der Debatte steht der bekannte Architekt Christoph Mäckler. Der umtriebige Frankfurter hat viel vor: An die Stelle der Stadtplanung soll nichts weniger als „Stadtbaukunst“ treten.1 Das mag für manche Architekt*innen, vor allem aber für die breitere Öffentlichkeit erst mal ganz verführerisch klingen. Doch mithilfe seines 2008 an der TU Dortmund gegründeten selbst ernannten „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“, das ursprünglich nur „Dortmunder Institut für Stadtbaukunst“ heißen sollte (was aber an der Kritik von Kolleg*innen an der TU Dortmund scheiterte), hat es Mäckler innerhalb von nur zehn Jahren geschafft, in der deutschen Architektur und Stadtplanung eine ultrakonservative Wende herbeizuführen. Diese Wende kulminierte in der im Mai 2019 veröffentlichten und seit April 2020 in Buchform2 vorliegenden „Düsseldorfer Erklärung“ (Abb. 7.1) – gegen die sich im Juli lautstark Protest regte, und zwar von 50 bekannten Professor*innen, die an Entscheidungsträger*innen von Bund, Ländern und Kommunen appellierten, die „Düsseldorfer Erklärung“ kritisch zu hinterfragen. Nun dürfte der nächste Eskalationsschritt anstehen. Denn trotz der scharfen Kritik an der „Düsseldorfer Erklärung“ sollen deren Inhalte laut Bundesarchitektenkammer (BAK) „zeitnah an das Bundesm inisterium des Innern, für Bau und Heimat (BMI ) übergeben werden“.3 Das Ganze wird als „Stuttgarter Konsens“ verkauft – was insofern irritiert, als dass keiner der Kritiker*innen der Erklärung an der angeblichen Konsensbildung überhaupt beteiligt war. Durch den beispiellosen Vorgang gerät auch immer mehr die seit 2013 amtierende Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, in die Kritik, deren Name nicht nur für das Debakel um die Personalie Florian Pronolds als Gründungsdirektor der Berliner Bauakademie steht, sondern in deren Amtszeit auch die einseitige Übernahme reaktionärer Standpunkte des Mäckler-Instituts durch eine berufständische Organisation fällt, die auf nationaler und internationaler Ebene die Interessen 152
Abb. 7.1: Ein konservatives Buch, von einem Motto Klaus Staecks geschmückt: Cover des von Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne herausgegebenen Buches Nichts ist erledigt! Reform des Städtebaurechts (Berlin: Dom Publishers, 2020).
von über 135 000 Architekt*innen in Deutschland gegenüber Politik und Öffentlichkeit vertritt.4
„Leipzig-Charta“ (2007), „Kölner Erklärung“ (2014), „100% Stadt“ (2014), „Düsseldorfer Erklärung“ (2019) und „Gegen die Düsseldorfer Deregulierung“ (2019) Doch um was geht es inhaltlich überhaupt? Zentraler Streitpunkt bei der Debatte um die „Düsseldorfer Erklärung“ ist die Frage, wie die „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ zu deuten und umzusetzen ist. Diese Charta wurde im Jahre 2007 – also kurz vor Gründung des Instituts – von jenen 27 Minister*innen verabschiedet, die seinerzeit in Europa für Stadtentwicklung zuständig waren. Mit dieser Charta wurden erstmalig gemeinsame Grundsätze und Strategien für eine europäische Stadtentwicklungspolitik beschlossen: so eine „integrierte Stadtentwicklung“ unter Einbeziehung nicht 153