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banking & insurance

Auch für Professor Hato Schmeiser von der Uni St. Gallen ist klar: «Der verschärfte Preiswettbewerb erfordert in Zukunft noch striktere Kosteneffizienz und Kostenkontrolle. Hinzu kommen umfangreiche Regulierungsmassnahmen wie Solvency II. Diese werden die Geschäftsmodelle der Versicherungsunternehmen beeinflussen: Kapitalintensive Garantien, wie Zinsgarantien und viele Wahlrechte wie Optionen, wie wir sie vom Modell der klassischen gemischten Kapital-Lebensversicherungen her kennen, werden unter Druck geraten, weil sie sich stark verteuern werden. Das wird dazu führen, dass vermehrt alternative Lebensversicherungsverträge abgeschlossen werden.» All dies kann einen Konsolidierungsdruck erzeugen. Allerdings ist die Versicherungsbranche in der Schweiz bereits stark konzentriert. Die grössten fünf Unternehmen teilen unter sich ungefähr 70 Prozent des Marktes auf – in Deutschland hingegen beherrschen die fünf grössten Versicherungsgesellschaften gerade 50 Prozent des Marktes. Konzentrationseffekte schliessen aber auch in der Schweiz die erfolgreiche Präsenz kleinerer Nischenplayer keineswegs aus, davon ist Prof. Schmeiser überzeugt. Technologie als Innovationstreiber Die neuen technologischen Entwicklungen beschleunigen das Versicherungsgeschäft und fördern die Internationalisierung bei den Grosskonzernen. «Zwei Faktoren im europäischen Umfeld fördern diesen Trend», erklärt Guido Scherer, «die IT ist ein wichtiger Bestandteil des Backoffice, also der ‹Fabrik›. Hier nimmt der Kostendruck weiter zu. Das mag für den lokalen Schweizer Versicherer noch nicht so gravierend sein. Aber auf europäischer Ebene richten sich Versicherer wie die die ZFS, AXA, Allianz oder die Generali darauf aus, dem starken Margen- und Kostendruck durch Industrialisierung zu begegnen. Deshalb werden sie die IT in erster Linie zur Effizienzsteigerung einsetzen und in Analogie zur Bankenlandschaft ‹Fabriken› aufbauen, um über eine starke Zentralisierung von Informationstechnologie und BackOffice-Funktionen und pan-europäische

Plattformen eine äusserst effiziente Produktion zu gewährleisten. Andererseits kann die IT aber auch als eigentlicher Innovationstreiber verstanden werden. So haben praktisch alle Schweizer Versicherer in letzter Zeit eine iPhone-Applikation auf den Markt gebracht. Dies erleichtert beispielsweise die Schadenerfassung. Die AXA Winterthur hat vor zwei Jahren mit ihrem Crash-Recorder den Innovationspreis der schweizerischen Assekuranz gewonnen und in diesem Jahr wurde die Mobiliar mit ihrem Geo-Informationssystem prämiert. Anhand einer elektronischen Landkarte können nun die Kantone Schäden als Folge von Naturereignissen besser orten und einschätzen. Dasselbe gilt für den seit ein paar Jahren funktionierenden Wetteralarm. Da stehen wir erst am Beginn einer grossen Innovationswelle.» Neue Dimensionen und Herausforderungen eröffnen sich den Versicherern zudem mittels IT, insbesondere in den Bereichen Web 2.0 und mobiles Internet: hier aber vor allem in punkto Interaktion mit dem Kunden. Die technologischen Möglichkeiten haben dazu geführt, dass sich die Einstellungen, Erwartungen und das Verhalten der Versicherungsnehmer in den letzten Jahren stark verändert haben. So treten Kunden heute deutlich selbstbewusster und informierter auf, vergleichen vermehrt Anbieter und Produkte und zeichnen sich durch ein stärkeres Bedürfnis nach Transparenz und Flexibilität aus. Prof. Schmeiser kann sich vor diesem Hintergrund durchaus vorstellen, «dass die Bedeutung von Plattformen mit Produkten verschiedener Hersteller deutlich zunimmt. Dabei handelt es sich vor allem um standardisierte und vergleichbare Produkte. Daher sollten die Versicherer auf die spezifischen Wünsche des einzelnen Kunden deutlich besser eintreten.» Der Wissenschaftler ist zudem überzeugt, dass die Kundenpflege in Zukunft interaktiver werden muss. Die Versicherer müssen sich auch mit der veränderten Kundenloyalität auseinandersetzen, ist Guido Scherer überzeugt. «Empfehlungen beispielsweise via Facebook werden gegenüber den üblichen Werbekanälen an Bedeutung gewinnen. Allerdings ist die Branche darauf

noch nicht eingestellt. Man beginnt zwar, sich mit dem Phänomen ‹Social Media› auseinanderzusetzen, aber die effektive Nutzung dieser Kanäle wird noch einige Zeit beanspruchen. Mit dem Generationenwechsel und dem Eintritt der Digital Natives ins Erwerbsleben wird die Nutzung von Social Media zur Selbstverständlichkeit. Deshalb werden junge Beschäftigte neue Nutzungsformen in die Versicherungsgesellschaften hineintragen.» Für Prof. Schmeiser geht es jedoch weniger um das Wie und Wann, sondern um das Warum: «Die Frage ist, ob der Kunde dies überhaupt wünscht. Bis jetzt haben viele Kunden die Vorteile von Web 2.0 noch nicht erkannt. Das braucht seine Zeit. Interaktive Kundenpflege muss jedoch persönlichen Kontakt nicht ausschliessen. Versicherer müssen zeigen, dass der Kunde nicht auf eine umfassende kompetente Beratung verzichten muss oder personalisierte Formen der Kommunikation auch in der digitalen Welt möglich sind. Etliche Banken machen dies bereits mit virtuellen Filialen in sozialen Netzwerken oder einem personalisierten Kundenservice über die Plattform Twitter mit grossem Erfolg vor.» Neue Wege in der Prävention Guido Scherer bringt noch einen weiteren Aspekt in die Interaktions-Thematik ein: «Dank Web 2.0 können die Versicherungsgesellschaften in der Prävention von Schäden neue Wege beschreiten. Denn es ist immer billiger, den Schaden zu verhüten, als diesen begleichen zu müssen. Mit Mobile Computing, Smart Phone und ganz allgemein mit der verbesserten Sensorik eröffnen sich neue Aktionsfelder in der Schadensverhütung. Zum Beispiel können mittels Sensorik bei einem Wassereinbruch Schwankungen in der Stromspannung frühzeitig erkannt und Gegenmassnahmen ergriffen werden. Ich bin überzeugt, dass in dieser Hinsicht in einigen Jahren weitere bahnbrechende Entwicklungen neue Möglichkeiten eröffnen werden.» Grosses Potenzial bieten die neuen technologischen Optionen aber auch auf dem Feld der Customer Intelligence. Die Versicherungsunternehmen werden in den nächsten Jahren stärker als bisher

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