Berner kulturagenda 2014 N° 8

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20. bis 26. Februar 2014 /// Ein unabhängiges Engagement des Vereins Berner Kulturagenda /// www.kulturagenda.be /// 3

Kein Etikettenschwindler ein Instrument zu lernen.» Auch die Stimme ist ein Instrument, das er sich nach und nach angeeignet hat. Es ist eine unglaublich ausdrucksstarke Stimme, die vom ersten Ton an berührt und in den ergreifendsten Momenten an Jeff Buckley erinnert, eine Stimme, die durch seine schattigen Popsongs führt: «Ich arbeite am liebsten in der Nacht», sagt er. «Aber in Bern hatte ich immer

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«Ich bin nirgends und überall zuhause», sagt Domi Chansorn, der Berner, der derzeit in Zürich «stationiert» ist. Chansorn ist ein Multiinstrumentalist – Schlagzeug, Gitarre, Bass und Klavier gehören in seinen Werkzeugkasten. Erst kürzlich hat der 25-Jährige angefangen, Posaune, Trompete und Geige zu spielen. Beigebracht in Eigenregie, «für mich ist dies die natürlichste Art,

Zaubert mehr als weisse Kaninchen aus seinem musikalischen Hut: Domi Chansorn.

das Gefühl, dass die Leute um 22 Uhr schlafen gehen. Mein Tag beginnt dann erst so richtig.» Popsongs ohne Pop Der im Emmental aufgewachsene Chansorn mit den tiefschwarzen wilden Haaren sorgte bereits vor zwei Jahren für Furore. Damals gewann er am Musikfestival m4music die Auszeichnung «Demo of the Year» in der Kategorie Pop mit einem Song ohne Refrain, der sich auch sonst gegen die gängigen Klischees des Genres sträubte. «Das Konzept meiner ersten EP war: Popsongs schreiben, die keine Popsongs sind.» Seine neue EP, an der er neben den Aufnahmen für sein erstes Album auch noch arbeitet, nimmt er in seinem Heimstudio in Zürich auf. Dort ist er Musiker, Sänger, Songschreiber Toningenieur und Produzent in Personalunion. Der Gedanke hinter dieser OneMan-Show ist ganz einfach: «Wo Domi Chansorn drauf steht, soll auch Domi Chansorn drin sein.» Der «Sideman» lädt ein So ist die neu konzipierte Reihe «Carte Blanche» bei Bee-flat wie geschaffen für einen Musikverrückten wie ihn: An vier Abenden erhält Chansorn die Möglichkeit, seine diversen Projekte und vielen Rollen vorzustellen. Den Auftakt macht die Domi Chansorn Band, in der er als Sänger und Gitarrist agiert und mit der

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er zurzeit gerade sein Debütalbum aufnimmt. Im März steht die Jazz-Combo Bounce auf dem Programm, im April ein Abend mit dem ominösen Titel «World Music Special», während es im Mai «Hosted by the sideman» heisst: Chansorn lädt die Künstlerinnen und Künstler zusammen auf die Bühne ein, bei denen er als «sideman», als Schlagzeuger auftritt. Dazu gehören Musikerinnen und Musiker aus den unterschiedlichsten Genres: Knackeboul, Evelinn Trouble, Skor oder Bonaparte. Auch mit Sophie Hunger war er eine Europatournee lang als Schlagzeuger unterwegs. 
 Der ständige Wechsel vom Schlagzeug zum Mikrofon habe ihn gelehrt, die Position des Sängers besser zu verstehen – und umgekehrt. Nur manchmal, wenn Domi Chansorn nach Auftritten als Schlagzeuger wieder als Sänger auf der Bühne gestanden hatte und alle Augen auf ihn gerichtet waren, sei er früher zuweilen verwirrt gewesen. Dann habe er gedacht: «Was mache ich da mit umgehängter Gitarre? Ich gehöre doch hinters Schlagzeug.» Sarah Sartorius \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Turnhalle im Progr, Bern So., 23.2., 20.30 Uhr. Weitere Carte-BlancheKonzerte von Chansorn: 26.3., 9.4., und 25.5. www.bee-flat.ch Die Kulturagenda verlost 2 × 2 Tickets: tickets@kulturagenda.be

Präzision und organische Wildheit

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Julian Sartorius spielt in der Dampfzentrale seine neue Solo-CD ein. Der Schlagzeuger erweitert die Aufnahmesession mit namhaften Gästen zu einem Konzertabend, der unkonventionelle Hörerlebnisse verspricht.

Lädt Publikum und Musiker zu einen Konzertabend in die Dampfzentrale: Julian Sartorius.

Set wird aufgenommen Die Welt des Julian Sartorius’ besteht aus lauter potenziellen Schlagzeugen. Davon ist man spätestens seit der Veröffentlichung seines «Beat Diary» überzeugt: Für dieses musikalische Tagebuch kreierte Sartorius ein Jahr lang täglich einen Beat – auf einem Treppengeländer etwa, auf einem Stromkasten oder auf Grasbüscheln. Und so wird der 32-Jährige sein Schlagzeug auch für den Soloauftritt in der Dampfzentrale mit manch unorthodoxem Zusatz aufrüsten.

Das 45-minütigen Set wird aufgenommen, Teile der Aufnahme verwendet Sartorius für seine nächste Platte. Für die klangästhetischen Belange der Aufnahmen konnte der Berner den amerikanischen Experimentalmusiker Shahzad Ismaily gewinnen. Der herausragende Multiinstrumentalist, der schon mit Lou Reed und Marc Ribot auf der Bühne stand, wird den Konzertabend zudem mit einem halbstündigen Auftritt einleiten. Den Abschluss bestreiten auf Sartorius’ Einladung hin Jaki Liebezeit, der ehemalige Schlagzeuger der legendären Krautrockband Can, und dessen Partner Burnt Friedman. Die beiden bewegen sich musikalisch – mal hypnotisch vorwärtstreibend, mal sphärisch gleitend – im Grenzbereich zwischen analoger und digitaler Musik. Basil Weingartner \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Dampfzentrale, Bern Fr., 21.2., 21 Uhr www.dampfzentrale.ch

Dirigent Bohdan Shved.

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«Le Roi David» Der Amadeus Chor Bern singt Honeggers «Le Roi David». Begleitet wird er vom HKB-Orchester. Die Wiedereröffnung der Volksbühne Théâtre du Jorat im Waadtland 1921 war ein grosser Anlass. Zu sehen gab es «Le Roi David». René Morax, der damalige Leiter der Volksbühne, hatte die Geschichte rund um den alttestamentarischen König David eigens dafür geschrieben. Auf Anraten von Bekannten, unter anderem Igor Strawinsky, hatte er den französisch-schweizerischen Komponisten Arthur Honegger (1892–1955) mit der Vertonung des Stücks beauftragt. Eine Aufgabe, die Honegger vor grosse Schwierigkeiten stellte: Mit nur 17 Musikern und einem riesigen Chor sah er sich mit einer ungewohnten Ausgangslage konfrontiert. Doch schliesslich sollte es seinen grossen Durchbruch bedeuten: Heute gehört «Le Roi David» zu den meistaufgeführten Oratorien des 20. Jahrhunderts. Honeggers Vertonung zeichnet sich durch den Einsatz unterschiedlicher Musikstile aus: Der Komponist scheute weder die Verwendung von gregorianischen Gesangselementen noch von zeitgenössischem Jazz. Der Amadeus Chor Bern bringt die Originalversion von 1921 – Morax und Honegger schrieben 1923 noch eine sinfonischere Variante – in die Französische Kirche. Drei Solostimmen verkörpern König David (Verena Krause, Sopran, Alexandra Busch, Alt und Thierry Grobon, Tenor), eine Sprecherin (Alexandra Busch) und ein Sprecher (Eörs Kisfaludy) die Hexe und den Erzähler. Das Orchester der Hochschule der Künste Bern wird den Chor mit 17 Instrumenten begleiten; genau wie es Honegger vorgesehen hat. Die künstlerische Leitung hat Bohdan Shved, der den Laienchor seit einem Jahr leitet. Nelly Jaggi \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Französische Kirche, Bern Fr., 21.2., 19.30 Uhr, und So., 23.2., 16.30 Uhr www.amadeus-chor.ch. Wir verlosen 2 × 2 Tickets für Fr.: tickets@kulturagenda.be

zur Designforschung von Robert Lzicar

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Klartext

Einst heulte im Backsteingebäude an der Aare ein Dampfgenerator monoton vor sich hin. Inzwischen ist der Maschinenstahl der Kultur gewichen. Doch wenn Schlagzeuger Julian Sartorius am Freitag sein Schlagzeug bearbeitet, ist auch dies von beinahe maschineller Präzision. Nur ist das Ergebnis keinesfalls monoton: Es driftet bei allem Purismus immer wieder in organische Wildheit ab.

Stephan Rappo

Der Berner Domi Chansorn ist ein Musikverrückter und ein ausdrucksstarker Sänger. Keiner eignet sich besser für die neue Bee-flat Konzertreihe «Carte Blanche».

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Anzeiger Region Bern

Robert Lzicar forscht am Institut für Transdisziplinarität Y, Schwerpunkt Kommunikationsdesign an der Hochschule der Künste Bern (HKB). Er organisiert ein eintägiges Symposium, welches die Vergangenheit des Grafikdesigns thematisiert und Interesse an deren Erforschung wecken soll. Aber ist das notwendig, in einem Land mit einer langen und lebendigen Tradition in Grafikdesign?

Robert Lzicar, die Schweiz hat eine grosse Tradition in der Grafik, mit der sich auch viele junge Grafikerinnen und Grafiker beschäftigen. Das ist definitiv so. Besteht also eine Kluft zwischen Alltag und Forschung? Im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hat schon immer entscheidend zum Verständnis von Grafikdesign beigetragen. Neu ist allerdings, dass in diesem Bereich akademisch geforscht wird. Früher waren es Praktiker und Berufsverbände, die sich des Themas annahmen. Und wie unterscheidet sich die akademische Forschung davon? Bisher interessierte man sich hauptsächlich für Personen und deren Werk.

Dabei handelt es sich um einen traditionell kunstgeschichtlichen Ansatz, der aber auch dort seit längerem kritisch hinterfragt wird. Durch die akademische Forschung öffnet sich der Fokus unter anderem auf alltägliche, aber gesellschaftlich relevante Anwendungen. Bei Abstimmungszetteln etwa könnte man fragen, welche Rückwirkungen deren Form auf die Politik hat. Weshalb wurde bislang nicht mehr geforscht? Das Problem war die Struktur der Bildungslandschaft in der Schweiz. Die Grafikdesign-Ausbildung war an Kunstgewerbeschulen angesiedelt. Deshalb gibt es einen Forschungsauftrag auch erst seit etwa fünfzehn Jahren, also seit der Bologna-Reform. Und im Moment ist es ein Flickenteppich?

Genau. Deshalb soll das Symposium den Austausch zwischen den Forschenden fördern. Ein weiteres Ziel ist es, Praktiker und Akademiker an einen Tisch zu bringen. Ich möchte, dass diese gemeinsame Tradition fortlebt. Was bringt einem Praktiker der Austausch mit Forschenden? Der Austausch in beide Richtungen birgt Potenzial. Auf der einen Seite bringen Praktiker unerlässliches Fachwissen in die Forschung ein. Auf der anderen Seite fehlt es häufig an methodischem Verständnis, etwa darüber wie Geschichte konstruiert wird. Welchen Stellenwert hat Bern eigentlich – in der Geschichte und heute? Die HKB ist eine junge Schule ohne belastende Tradition, dafür mit einer

starken Forschung. Ausserdem kann sie durch ihre geografische Lage eine Vermittlerrolle einnehmen und so eine Brücke über den Röstigraben schlagen. Dort wurde das Grafikdesign teilweise von anderen Einflüssen geprägt. Historisch betrachtet spielt Bern im Gründungsmythos des Schweizer Grafikdesigns eine zentrale Rolle. Emil Cardinaux importierte um 1900 die Plakatgestaltung aus München nach Bern. Von ihm stammt das ikonische Matterhorn-Plakat für Zermatt. Damals waren auch die Tourismusdestinationen im Berner Oberland wichtige Auftraggeber. Interview: Silvano Cerutti \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

www.hkb.bfh.ch (Vortrag Teal Triggs: Mi., 26.2., 17 Uhr, Symposium: Do., 27.2., 9 Uhr)


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