Berner kulturagenda 2011 N° 47

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N°47 Donnerstag bis Mittwoch 24. bis 30.11.2011 www.kulturagenda.be

Mit der Originalmusik von Richard Strauss bespielt das BSO den stummen «Rosenkavalier». Seite 3 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

ZVG

Smudo von den Fantastischen Vier will im Club Bonsoir zeigen, dass er auch als DJ und im Alleingang so einiges zu bieten hat.

Etwas verrückt sieht er schon aus, dieser Josh Dolgin alias Socalled. Aber er macht auch irre Musik.

Der kanadische Hip-Hop-Künstler Socalled macht herrlich durchgeknallte Songs. Aus Klezmer bastelt er urbane Musik – und mixt alles hinzu, was im sonst gerade in die Finger gerät. Was er braucht, findet er im Müll. «Wenn Leute sterben, werfen ihre Kinder alles weg», sagt Josh Dolgin im Film «Socalled», einer Dokumentation von Garry Beitel über Dolgins gleichnamige Musikerfigur. Seine Aufmerksamkeit gilt den alten Platten. Aus Alt mach Neu Aufnahmen jüdischer Musik wie Klezmer, chassidischer und traditioneller israelischer Lieder interessieren Socalled besonders. Die alten Melodien verschnippelt er und fügt sie neu zusammen. So entsteht die Grundlage seiner Hip-Hop-Songs. Wobei bei ihm HipHop in erster Linie als Machart (eben diese gesampelte Musik) zu verstehen ist und erst in zweiter als das, was wir uns gemeinhin darunter vorstellen.

Zwar rappt Socalled, und seine Rhythmen klingen immer wieder nach HipHop. Aber das ist nur ein kleiner Teil der verrückten Klangwelt des Künstlers aus Montreal. Darin scheint sich alles zu verhaken, was Socalled gerade so in die Finger gerät. Drum and Bass, Dancehall, Dancefloor-Pop – und eben: viele traditionelle jiddische Melodien. Das alles trifft oft sehr überraschend zusammen. Bei «UNLVD» oder im Titeltrack des aktuellen Albums, «Sleepover», ist das besonders ausgeprägt: Hinter jedem vierten Taktstrich versteckt sich ein neuer Beat, ein weiteres Instrument oder sonst ein Richtungswechsel. Auf der Hand liegt das zwar nie, aber Spass macht dieser Maximalismus gerade deshalb ungemein. Für Puristen ist das nichts; für Musikliebhaber, die nach Unkonventi-

Kutti MC in Eichers Umhang

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onellem mit einem Schuss Genialität suchen, hingegen genau das Richtige. Nebst den ganz wilden Basteleien bietet das Album zur zwischenzeitlichen Enspannung auch einige unaufgeregte Popnummern. Als Kritikpunkt bleibt anzumerken: Während das gerappte Wort in früheren Alben wie «The Socalled Seder – A Hip-Hop Haggadah», den Stilmix zusammengehalten hatte, lässt Socalled auf «Sleepover» mit seiner stilistischen Unverbindlichkeit etwas die Linie vermissen. Denn der Rap spielt eine kleinere Rolle. Puppen basteln für die Videoclips Es scheint, als wäre die Grenzenlosigkeit in der Musik aber nur ein Abbild von Josh Dolgins umtriebigem Leben. Er stammt aus einer jüdischen Familie, gewann als Wunderkind mit dem Klavierspiel Wettbewerbe, studierte Jazz und fing alsbald an, für Rapper Musik zu schreiben. Mit Begeisterung entdeckte er die jiddische Musik und be-

gann sie neu zu erfinden. Seit 2003 hat er fünf Alben herausgegeben. Doch die Musik ist nur eine der vielen Beschäftigungen, mit denen der Mittdreissiger schon Geld verdient und sich Zeit vertrieben hat: Er war Musikjournalist, Cartoonist, Magier, Fotograf und Filmemacher. Und er bastelt Puppen, die immer mal wieder in seinen aberwitzigen Videoclips auftreten. Bei Bee-flat ist dieser Maximalist in allen Belangen mit einer vierköpfigen Band zu sehen: Sängerin Katie Moore, Allen Watsky an der Gitarre, Klarinettist Michael Winograd und Bassist Fred Liebert begleiten Socalled. Dem Vernehmen nach wird da nicht nur gespielt, sondern auch getanzt. Kanada erbringt den Beweis: Die Recyclingidee kann man gewissenhaft vorleben – man kann sie aber auch schlicht feiern. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Turnhalle im Progr, Bern Mi., 30.11., 20.30 Uhr. www.bee-flat.ch

Ver

Antje Weithaas ist die musikalische Leiterin der Camerata Bern. Mit diesem Ensemble gibt die international gefragte Violinistin das zweite Abo-Konzert der Saison im Kultur-Casino (So., 27.11., 17 Uhr). Gespielt werden u.a. die 1. Sinfonie von Ludwig van Beethoven sowie Werke von Joseph Haydn und Edison Denisow.

Cuno Amiet: «Freude meines Lebens», Sammlung Eduard Gerber im Kunstmuseum Bern (Ausstellung bis 15.1.)
 Amiets Winterbilder strahlen ein wunderbar wohltuendes Licht aus.

Eher nein. Und doch bietet die neue Platte Höhepunkte: Der Song «Zum Glück» überzeugt nicht nur textlich («i schitere lieber im Grosse als im Chlyne z reüssiere»), auch Eichers groovige Gitarrenbegleitung hat die nötige Kraft für Kuttis engagierte Zeitkritik. Gelungen ist auch Kutti MCs Duett mit der Berner Sängerin Paméla Mendez, «Wysses Ruusche». Dann und wann ist Eichers Musik aber einfach zu süss, zu harmlos. Nichtsdestotrotz: Die Zusammenarbeit bleibt eine erfreuliche Sache. mfe

ZVG

Socalled in der Turnhalle des Progr, Bern (Mi., 30.11., 20.30 Uhr)
 Ganz neue, scharfe Sounds aus alten jüdischen Liedern und Balkan-Stücken: Das muss doch gut sein!

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Bierhübeli, Bern. Do., 24.11., 20.45 Uhr www.bierhuebeli.ch

von Antje Weithaas

«Hamlet», Vidmar 1 im Liebefeld (So., 27.11., 15 Uhr) Ein Stück, das ich nach mehrmaliger Lektüre immer schon mal live auf der Bühne sehen wollte.

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un los

Der Berner Dichter und Musiker Jürg Halter hat als Rapper Kutti MC sein viertes Album veröffentlicht. Stephan Eicher hat zu seinen Texten die Musik komponiert. Im Bierhübeli taufen die beiden «Freischwimmer». Die Ausgangslage ist durchaus interesssant: Zwei feinfühlige Berner Musiker zweier Generationen machen gemeinsame Sache. Auf der einen Seite der etwas weltentrückte Jürg Halter alias Kutti MC und auf der anderen der weltgewandte Eicher, Popstar mit Tiefe, Gast und Mitproduzent auf dem resultierenden Album «Freischwimmer». Nicht nur wegen Eichers Mitwirken sind die Erwartungen gross, auch das bisherige Schaffen von Jürg Halter und seines Hip-Hop-Alter-Egos trägt dazu bei. Mit dem One Shot Orchestra spielte er 2009 das grossartige Album «Sunne» ein. Kann er dies noch übertreffen?

3 Kulturtipps

Marco Borggreve

Der Maximalist

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osu

l Ver

Kutti MC, die etwas schüchterne Extravaganz aus Bern.

Jemanden, der nichts mit Jiddisch-Rap-Pop am Hut hat, würde ich in den Progr mitnehmen, …
 … weil die Show durch unsere guten Freunde von Bee-flat veranstaltet wird, und weil im Progr eine total künstlerische Atmosphäre herrscht, die ich sympathisch und inspirierend finde.


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