Berner kulturagenda 2011 N° 40

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32 Anzeiger Region Bern

6. bis 12. Oktober 2011 /// Ein unabhängiges Engagement des Vereins Berner Kulturagenda /// www.kulturagenda.be /// 12

Rap zwischen Show und Selbstreflexion

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Mit Soprano im Bierhübeli und Xzibit in der Kulturfabrik Lyss spielen am selben Abend zwei grosse Rapper in der Region Bern. Trotz ähnlicher Ausgangslage könnten sie kaum unterschiedlicher sein.

In Frankreich ein Superstar, hierzulande ein Geheimtipp: Soprano aus Marseille.

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Grüsse ins Ghetto Soprano hingegen, Sohn einer von den Komoren eingewanderten Familie, wuchs in den Armenvierteln von Marseille auf, in denen bis zu 40 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen. Er rappte mit seinen Cousins in der Band Psy4 de la Rime, kam ins Umfeld der Marseiller Hip-Hop-Legende IAM, welche die jungen «Psychiater» unterstützte und zu einem nationalen Erfolgsact mach-

Hat in seiner Heimat Los Angeles den Rap und die Show gelernt: Xzibit.

Zurück im Zirkus

te. Obwohl weiterhin mit der Gruppe aktiv und fest in der Hip-Hop-Szene von Marseille verankert, die für ihren Zusammenhalt bekannt ist, brachte es Saïd M’Roumbaba alias Soprano mit Soloplatten zum Superstar in Frankreich. Diesen Gemeinsamkeiten zum Trotz: Nichts scheint die beiden Rapper zu verbinden. Xzibit zeigt sich mit typisch amerikanischem Show-Verständnis als Gangster und Entertainer. Die Sozialkritik, die gerade sein hochgelobtes Frühwerk mitprägte, das ihn berühmt machte, spielt nur noch nebenher eine Rolle. Quasi als Gruss an jene, die noch immer in den Ghettos wohnen, aber eh zu arm sind, seine Platten zu kaufen. Dialog statt Bling Man ist vorsichtig geworden in der amerikanischen Hip-Hop-Szene. Seit in den Neunzigern ein aggressiv geführter (Wort-)Streit zwischen den Rappern der Ost- und der Westküste zu den Morden an Tupac Shakur und Notorious B.I.G. führte, bedient man die Lust des Publikums an Gangstareien nur noch aus folkloristischen Gründen. Lieber hält man die Meute mit Witzen bei der Stange. Im Auftritt lässt man sich den StatusBling jedoch nicht nehmen: ZuhälterChic, fette Autos, Brillanten und teure Schnäpse. Soprano hingegen ist ein typischer Marseillais. In der Hafenstadt am Mittelmeer hat sich der multikulturelle «black, blanc, beurre»-Geist jener Fussballmannschaft gehalten, die 1998 mit ihrem Star Zinédine Zidane Weltmeister wurde. Trotz einiger Ruppigkeiten im Umgang und einer starken Anhängerschaft des rechtspopulistischen Front National pflegt man das Nebenund vor allem das Miteinander, den Dia-

log. In Marseille brannten die Vorstädte denn auch nicht, als fast überall sonst in Frankreich Aufruhr herrschte. Schreiben für die Kollegen Mitverantwortlich dafür ist die integrierende und integrierte Hip-Hop-Szene mit ihren Stars. Soprano etwa inszenierte sein letztes Album als fiktive Therapiesitzung bei einer Psychiaterin und lässt kein gutes Haar an der Politik von Präsident Sarkozy. Trotz rassistischer Erfahrungen fordert er die Polizei zum Dialog auf und rappt über seine Melancholie. Ein Lebensgefühl, das er mit tout Marseille zu teilen scheint – und das mit der überschäumenden Begeisterung für den Fussballclub Olympique Marseille kuriert wird. Als dessen Präsident von Sopranos Fansong «Halla Halla» hörte, griff er persönlich zum Telefon, um die Videoaufnahmen im Stadion möglich zu machen. Soprano und Xzibit sind beide typische Vertreter ihrer Szene. Weshalb aber haben sie sich so unterschiedlich entwickelt? Eine mögliche Antwort gibt der Berner Rapper und Moderator Knackeboul auf Anfrage: «Sie schreiben für ein unterschiedliches Publikum. Xzibit wird von weissen Teenagern gehört, für die er die Gangster-Folklore markiert. Soprano hingegen schreibt für seine Kumpel, für Menschen, die wie er in den Vorstädten leben und denken: ‹Das kenne ich, genau so fühle ich auch.›» Das Resultat ist dann keine Folklore, sondern Musik fürs Volk. Silvano Cerutti \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

• Soprano: Bierhübeli, Bern Fr., 7.10., 20.45 Uhr. www.bierhuebeli.ch • Xzibit: Kufa, Lyss. Fr., 7.10., 21 Uhr www.kufa.ch

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Der Zirkus Monti gastiert mit dem Programm «en bloc» auf der Allmendwiese. Ohne Tiere, dafür mit poetisch inszenierter Artistik und zwei Bernern, die für den einen oder anderen Höhepunkt des Abends besorgt sind. «En bloc» heisst das Programm dieses Jahr. Das Gerüst stellt einen Wohnblock dar und ist Ausgangspunkt von Gruppennummern und Intermezzi zwischen der Artistik. In diesem Block gibt es Bewohner, die sich im Kleidungsstil voneinander abgrenzen mögen, im Verlauf des Abends aber immer mehr zusammenfinden. Die jungen Diabolojongleure Jonas Egli und Tobias Muntwyler, in einer Hip-Hopper-Kluft der suburbanen Adoleszenz steckend, erfinden ihre Disziplin nicht neu. Aber wie sie die ganze Palette an Tricks anwenden, ist einmalig. Sie nutzen die Bühnenelemente, spielen rundherum und mittendurch, temporeich und mit Witz, und am Schluss lassen sie sich mit verschränkten Armen Rücken an Rücken beklatschen. Sehr cool.

Vertikalseil, Jonglage und Reifenakrobatik im Roué cyr. Dazwischen sorgen zwei Figuren für den roten Faden. Clown Mick Holsbeke offenbart trotz seiner Tapsig- und Ängstlichkeit ein breites artistisches Talent. Hervorragend: Dominique Jann und die Musik Der Darsteller der zweiten Figur dürfte Berner Theaterfans wohlbekannt sein. Dominique Jann schafft als Sprecher und Protagonist die Bögen und ist mit seinem Schalk der grosse Sympathieträger des Abends. Bekannt ist er als Schauspieler unter anderem aus dem Schlachthaus Theater oder von Filmen

(«Luftbusiness», «Strähl», «Tag am Meer»). Jann ist nicht der einzige Berner, der für Höhepunkte sorgt. Simon Ho hat diese Saison zum ersten Mal die Monti-Zirkusmusik geschrieben. Und die trägt zur anhaltenden Begeisterung des Publikums bei. Die clever auf die Nummern abgestimmten Arrangements für die siebenköpfige Gruppe kommen im Bigbandstil daher und enthalten je nach Bedarf einen orientalischen Einschlag, Jazzzitate oder Hip-Hop-Anleihen. Etwas aus dem Rahmen fällt eigentlich nur der Zirkusdirektor Johannes Muntwyler. Seine Schwertbalance-

Nummer ist zwar atemberaubend, er als Figur fügt sich aber weniger als die anderen Artisten in diese Wohnblockstaffage ein. Ganz am Schluss folgt seine Abmoderation, wie man sie vom klassischen Zirkus kennt und wie sie vor Jahren schon seine Mutter Hildegard machte. Das liegt zwar quer in der Kleinkunst-Zirkus-Nische, in die sich der Monti hineingespielt hat, aber man ist dann wieder ganz sicher, zurück im Zirkus zu sein. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Allmend, Bern. Mi., 12.10., 15 und 20.15 Uhr Weitere Vorstellungen bis 23.10. www.monti.ch

Die sind klasse. Tobias Muntwyler und Jonas Egli (rechts) begeistern mit dem Diabolo.

Felix Wey

Tapsiger Clown mit beachtlichem Geschick Es folgen wilde Flickflacks auf dem Boden, halsbrecherische Nummern am

Felix Wey

Der Zirkusgeruch ist weg. Das fällt dem Rückkehrer nach vielen Jahren MontiAbstinenz als Erstes auf. Wo früher auf dem Weg ins Chapiteau Hobelspäne die Zirkuswiese von den Schuhen fernhielten, liegen achteckige Plastikplatten wie an den Open-Airs. Und in der Manege liegt ein Holzparkett. Hinter dem Rund spuckte einst ein roter Vorhang die Artisten der nächsten Nummer aus, heute formt an seiner Stelle ein Gerüst das Bühnenbild. Von Tieren fehlt weit und breit jede Spur. Ein Theater im Zirkuszelt? In erster Linie nein. Eher gut inszenierte Artistik mit einem roten Faden (Regie: Rico Grandjean). Mit der ersten Nummer ist das zirkusspezifische Staunen von einst schon wieder da. Die Partner-Diabolonummer zieht das zahlreiche Publikum der Zürcher Dienstagabendvorstellung gleich mit, und die Begeisterung wird in den nächsten knapp zwei Stunden nicht abreissen.

Man wünschte sich, der Anfang wäre Folklore. Doch es ist nach wie vor eine Tatsache, dass Jugendliche am Rand der Gesellschaft oft nur zwei Möglichkeiten haben, ihren Weg zu machen: Sport und Musik. Sei es Basketball, Fussball oder Hip-Hop. Vielleicht bringt man es damit zu Berühmtheit und Geld, mit dem man sich samt Familie aus den Sozialsiedlungen absetzt, in denen man aufgewachsen ist. In diesem Punkt gleichen sich die Karrieren von Xzibit und Soprano. Der erste wurde, wie so viele Afroamerikaner, von einer alleinerziehenden Mutter durchgebracht, jedenfalls bis zu ihrem frühen Tod. Danach kam Alvin Nathaniel Joiner, wie er bürgerlich heisst, zum Vater und kurz danach in ein Heim, weil er von der Stiefmutter geschlagen wurde. Mit 17 zog er schliesslich nach Los Angeles und fand Anschluss in einer HipHop-Szene, die für ihren Zusammenhalt berühmt ist. Zunächst unter den Fittichen des Produzenten Broadway, dann unter denen von Dr. Dre brachte es Xzibit zum international erfolgreichen Rapper. Er wurde Gastgeber der TV-Show «Pimp My Ride». Danach verkrachte er sich aber mit der Plattenfirma und kämpfte zuletzt gegen Finanzamt und schwindenden Erfolg.

Ausgangspunkt des Spektakels ist ein Wohnblock, hier betrachtet von Dominique Jann, der durch den Abend führt.


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