Berner kulturagenda 2011 N° 22

Page 12

40 Anzeiger Region Bern

2. bis 8. Juni 2011 /// Ein unabhängiges Engagement des Vereins Berner Kulturagenda /// www.kulturagenda.be /// 12

Jugendliche machen Theater

Jedem sein Plätzchen Wenige Minuten später wird die Gruppe, bestehend aus 19 Jugendlichen zwischen 15 und 21 Jahren, auf die Bühne gerufen. Sie sollen heute zum ersten Mal im Bühnenbild, entwickelt von der Schule für Gestaltung Bern und Biel, agieren. Die Kulisse besteht aus verschiedenen, im Raum verteilten Türen. Sie ist so konzipiert, dass alle fünf hintereinander auftretenden Gruppen sie für ihre rund dreissigminütigen Auftritte verändern und nutzen können.

Gabriele Michel-Frei, Koordinatorin des Projekts und Regisseurin, gibt gemeinsam mit Co-Regisseur Andy Tobler Anweisungen: «Jeder nimmt jetzt eine Kreide und zeichnet ein, wie viel Platz er zu brauchen glaubt», lautet eine Anweisung, die erst mal im Chaos mündet. Doch zuletzt gelingt das Unterfangen, eine Idee, die an Lars von Triers Film «Dogville» denken lässt. Alle Jugendlichen haben ihr Plätzchen zwischen den Türen, welche Eingänge

Nadel im Heuhaufen Doch nicht nur der Jugendclub U21 hat sich viel vorgenommen. Für das Stadttheater ist es schon beinahe zur Tradition geworden, am Ende der Spielzeit noch einmal alle Kräfte für ein besonderes Spektakel zu vereinen. Diesmal hat man den Fokus auf Jugendliche gerich-

tet. Im Rahmen des Theaterspektakels haben sich deshalb auch 10 Jugendliche des Gymnasiums Muristalden, 5 Studierende des Gymnasiums Lerbermatt, 13 Schüler und Schülerinnen der Berufsschule Emmental Konolfingen und die 9. Klasse der Sekundarschule Münchenbuchsee in ein ehrgeiziges Projekt gestürzt. Eine Klasse hat sich mit einem in einer Strohkiste verpackten Video für das Projekt beworben mit dem Verweis, sie seien die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Mit der Unterstützung von Ensemblemitgliedern des Stadttheaters aus Schauspiel, Regie, Dramaturgie und Theaterpädagogik haben die Schülerinnen und Schüler eigene Stücke erarbeitet. Sie bestehen aus selbst geschriebenen Monologen rund um Themen wie Selbstmord, Sucht und Amoklauf. Eine traurige Jugend? Gabriele Michel-Frei winkt ab: «Die haben auch ganz viel Kraft und Lebenslust.» Diese offenbart sich auf der Bühne gerade lautstark: Ein Känguru hüpft, ein Löwe brüllt, ein Affe greint – die Schauspieler verwenden sogenannte «Animal Language» und mutieren zum verrückten Zoo. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

ZVG

Ein Mädchen ist verliebt, ein anderes schwanger. Das dritte gibt esoterische Tipps, und ein Typ verbreitet das Gerücht, einer namens Henrik verkaufe sich selbst. Das alles erfährt man während der Proben in den Vidmarhallen, wo die Mitglieder des vom Stadttheater Bern gegründeten Jugendclubs U21 ihre Texte üben. Sie sitzen barfuss und in kunterbunten Kapuzenpullis im Kreis und fallen noch ziemlich häufig aus ihren Rollen. Regisseur Andy Tobler, den man aufgrund seines Looks und seiner Lässigkeit kaum von seinen Schützlingen unterscheiden kann, interveniert geduldig, wenn Einsätze verpatzt oder Textstellen vergessen werden.

zu verschiedenen Wohnungen markieren, eingezeichnet und gefunden. «Ihr dürft ruhig auch mit der Tür ins Haus fallen», bringt es Andy Tobler auf den Punkt. «Diese Wohnungen sind reine Behauptung, ihr könnt sie mal grösser, mal kleiner wirken lassen. Ihr müsst lernen, damit umzugehen.»

Es sieht nur aus wie ein Durcheinander: Probenszene zum diesjährigen Theaterspektakel.

Vidmar 1, Liebefeld Sa., 4.6, 19.30 Uhr, So., 5.6., 14 und 18 Uhr www.stadttheaterbern.ch

Agglo oder nicht Agglo, das ist die Frage Die Ausstellung «Wo endet die Stadt?» im Kornhausforum Bern zeigt, wie sich der Stadtkörper ständig ausgedehnt hat. Fünfzehn grossformatige Bilder des Fotografen Dominique Uldry bilden den Kern der Schau. Das Paradies liegt im Eichholz: eine Bucht im spätsommerlichen Licht, Männer, Frauen und Kinder, die baden, spielen und die Sonne in sich aufnehmen. Dominique Uldry hat diese Idylle mit seiner Kamera an einem der letzten Tage festgehalten, an denen sich tout Berne dem Baden in der Aare hingab. Es ist eine von fünfzehn Aufnahmen, die während eines Jahres in der Peripherie der Stadt Bern entstanden sind. Uldry hat dabei die politischen Grenzen aufgesucht, welche die Stadt und ihre Vorortsgemeinden voneinander trennen. Im Bewusstsein vieler Bernerinnen und Berner wird diese Grenze oft gar nicht mehr wahrgenommen. Eine von Uldry fotografierte Wohnstrasse mit zwei ein-

ander gegenüberliegenden Reihen von Wohnhäusern illustriert diesen Umstand perfekt. «Links ist Bern, rechts Köniz», erklärt der 1953 geborene Berner Fotograf, dessen Aufnahmen durch sorgfältige Kompositionen und technische Präzision faszinieren. Von Bausünden und Rutschbahnen Uldry, der selbst in der Stadt wohnt, hat eine Vorliebe für individualistische Scheunen und Bauernhäuser, wie man sie am Stadtrand findet. «Mir gefällt dieses Selbstgebastelte», erklärt er im Gespräch. Auf einem Bild ist es ihm gelungen, drei Ebenen festzuhalten. Im Vordergrund sieht man solche «Lotterhäuser», dahinter erhebt sich das modernistische Einkaufszentrum Westside

des Architekten Daniel Liebeskind, und im Hintergrund erstrahlt die Alpenkette mit Eiger, Mönch und Jungfrau. «Manche Leute halten das Westside für eine Bausünde, aber ich finde, es passt wunderbar in diese Landschaft», schwärmt der Fotograf. Durch Fluss und Wald Uldry manipuliert bei seinen Aufnahmen nicht. Er zeigt die Dinge so, wie sie sind. «Wenn eine rote Rutschbahn neben einem Bauernhaus steht, dann gehört die eben zu meinem Bild», sagt er. Doch zufällig sind Uldrys Bilder nie. Mehrere Stunden habe er gewartet, bis drei Pferde auf einer weiten Schneefläche wieder vor seiner Linse standen. Diese verleihen dem Bild nun ein poetisches Moment. Uldrys Bilder beweisen, dass die Berner Stadtgrenze an gewissen Orten auch mitten durch die wildeste Natur verläuft. So hat er auch den Moment

festgehalten, in dem ein Fährmann mit seinem Schiff auf dem Fluss die Grenze überquert. «Das Bild gefällt mir, weil es im Kopf des Betrachters Bilder aus der Kunstgeschichte wachruft», führt Uldry aus. Tatsächlich erinnert die Aufnahme an Arnold Böcklins (1827–1901) Serie «Toteninsel». Nebst Dominique Uldrys Aufnahmen werden im Kornhaus auch historische Fotografien gezeigt, die dokumentieren, wie der Stadtkörper laufend wuchs und sich über die Quartiere ausweitete. Dabei wird deutlich: Der Übergang von der Stadt in die Vororte verläuft fliessend. Bis du schon Agglo oder gehörst du noch zum Kern? Das ist eine Frage, die sich für viele Bernerinnen und Berner nicht mehr eindeutig beantworten lässt. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Kornhausforum, Bern Ausstellung bis 26.6. www.kornhausforum.ch

mit Hans Zurbrügg, Kornettist und Bandleader der Wolverines Jazz Band

ZVG

Am Jugend-Theaterspektakel im Stadttheater führen fünf Gruppen selbst entwickelte Stücke auf. Dabei wird deutllich, was der Jugend unter den Nägeln brennt: Selbstmord, Schwangerschaft, Sucht und Lust am Leben.

Small Talk

Herr Zurbrügg, Sie feiern dieses Jahr mit der Wolverines Jazz Band sage und schreibe das 50-Jahr-Jubiläum und spielen seit 32 Jahren in der heutigen Besetzung. Wie viele Konzerte haben Sie in dieser langen Zeit mit der Band gespielt? Ich mache Ihnen die Rechnung: Wir haben pro Jahr einen Schnitt von 40 Auftritten. Das ergibt mindestens 2000 Konzerte, fünfeinhalb Jahre Musik, Abend für Abend! g g sunsun rVloerlo e V Müssen Sie da überhaupt noch proben?

Auf jeden Fall! Wir treffen uns wenn immer möglich wöchentlich zur Probe. Jazz ist etwas Fliessendes: Man kann ein Stück fünfzig Mal spielen – und es klingt jedes Mal ein bisschen anders. Beim Proben geht es darum, dass man nicht einer Routine verfällt, sondern immer wieder neue Arrangements ausprobiert. Und es ist halt auch ein Plausch, miteinander zu spielen: Die Kameradschaft ist ein zentrales Element innerhalb unserer Band. Die Wolverines Jazz Band orientiert sich am Dixieland der 20er-Jahre … … Ich bitte Sie, wir sind keine Dixieland-Band! Dixieland ist leider in den letzten zwanzig bis dreissig Jahren in Verruf gekommen, bloss Allotria zu sein, wenn man so sagen will. Zwar haben wir durchaus Stücke im Repertoire, die wie Dixieland klingen mögen oder dort ihren Ursprung haben, aber wir spielen sie anders, auch weil uns das solistische Element sehr wichtig ist. Um es auf einen Nenner zu bringen: Die Wolverines Jazz Band spielt Traditional Jazz. Das reicht von Rhythm’n’Blues bis zum Swing der 40er-Jahre. Gibt es Musiker oder Bands, die für die Wolverines Jazz Band so etwas wie Vorbilder oder Orientierungspunkte sind? Für uns sind die Bands der Chicagoer Szene um den Jazzpromotor und Gitarristen Eddie Condon wichtig. Aber Vorbilder … ich weiss nicht: Mit vielen Musikern, die wir schätzen, sind wir irgendwann auf Tournee gegangen oder haben mit ihnen Platten aufgenommen. Das hat damit zu tun, dass ich 1976 das Internationale Jazzfestival Bern gegründet habe und so viele dieser Musiker hier auftraten. Hat auch der Bandname etwas mit dem Stil zu tun, den die Band pflegt? Es gab in den 20er-Jahren eine Band mit diesem Namen rund um den Trompeter Bix Beiderbecke. Als wir als Teenager in den 60er-Jahren begannen, da war es nicht unüblich, dass man sich den Namen einer bekannten Band auslieh. Interview: David Loher

Dominique Uldry

Dominique Uldry

\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

In unserer Vorstellung verbinden wir den Begriff «Stadt» mit Häusern und Strassen. Die Grenzen der Stadt Bern, die Dominique Uldry fotografiert hat, sind aber nicht zwingend bebaut.

Rüttihubelbad, Walkringen So., 5. 6., 9 Uhr www.ruettihubelbad.ch Das grosse Jubiläumsprogramm zum 50-jährigen Bestehen der Band findet im Herbst statt.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.