Behörden Spiegel Juni 2017

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Verteidigung

Behörden Spiegel / Juni 2017

Mission trägt Früchte!

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eit Februar 2015 bildeten die deutschen Soldaten mit ihren internationalen Partnern bislang mehr als 13.300 irakische Soldaten aus. Ein sicherlich bedeutender Beitrag zur Stabilisierung einer der tragenden Säulen des irakischen Staates, der Armee. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt den gemeinsamen Kampf gegen den IS unter anderem mit der Entsendung von Tank- und Aufklärungsflugzeugen, aber auch durch die Ausbildung der irakischen und kurdischen Streitkräfte im Irak. Bis zu 150 Bundeswehrangehörige bieten in verschieden Kursen in der kurdischen Stadt Erbil und Umgebung den irakischen Einheiten Ausbildungen in infanteristischen Grundlagen, Bataillonsführung, Kampfmittelabwehr sowie in den Bereichen Sanitätswesen, Logistik und ABC-Abwehr an. Seit Dezember 2016 beraten deutsche Stabsoffiziere zusätzlich das “Ministry of Peschmerga” – das Verteidigungsministerium der autonomen Region Kurdistan-Irak. Darüber hinaus ergänzen Materiallieferungen (bislang im Wert von ca. 90 Millionen Euro) und sogenannte “Ertüchtigungsprojekte” – z. B. infrastrukturelle Baumaßnahmen – den deutschen ganzheitlichen Ansatz. Das Motto “Ausbildung + Ausrüstung + Infrastruktur = Fähigkeitsgewinn” führte bisher zum Erfolg und trug maßgeblich zum positiven Verlauf der Mosul-Offensive bei. Das Kurdistan Training Coordination Centre (KTCC) unter derzeit deutscher Führung koordiniert diese gemeinschaftlichen Ausbildungsaktivitäten der insgesamt acht europäischen Partner. Professionalität und das direkte Eingehen auf den durch die Peschmerga artikulierten Bedarf stoßen auf höchste Anerkennung bei der Regierung der autonomen Region Kurdistan-Irak. Also eine “Erfolgsstory”, welche jedoch nach einer absehbaren Rückeroberung Mosuls eine Fortsetzung erforderlich machen wird

Deutsche Ausbildungsunterstützung im Irak (Oberstleutnant Heino Matzken*) Die Offensive der irakischen Streitkräfte zur Wiedereroberung der Zwei-Millionenstadt Mosul steht vor einem erfolgreichen Abschluss – auch dank deutscher Hilfe. Nicht ohne Stolz sprach daher Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen von einer “Erfolgsstory” und warb in der Debatte über die Verlängerung des deutschen “Irak-Mandates” am 26. Januar 2017 um Zustimmung. Mit 444 Ja-Stimmen befürworteten die Parlamentarier zum zweiten Mal die Fortsetzung der deutschen Ausbildungsunterstützung im Land an Euphrat und Tigris. – in welcher Form auch immer. Der deutsche Einsatz im Irak genießt in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen. Doch warnen Kritiker vor den möglichen Friktionen der verschiedenen Gruppen im künstlich geschaffenen Staat am Euphrat. Nach dem Ersten Weltkrieg gründeten die Siegermächte, den Vorgaben des 1917 beschlossenen SykesPicot-Abkommens folgend, den Zentralstaat Irak. Er umfasste mit Sunniten, Schiiten und Kurden drei Hauptbevölkerungsgruppen, deren Miteinander von Anfang an unter einem schlechten Stern stand. Die Diktatur Saddam Husseins hielt die drei Bevölkerungsgruppen seit 1979 mit Gewalt zusammen. Er selbst Sunnit, protegierte er diese Glaubensrichtung gegenüber den in der Mehrheit befindlichen Schiiten. Sein Sturz 2003 durch die erste “Koalition der Willigen” zerstörte dieses eiserne Band des Zusammenhalts.

Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik Ein solches entwicklungspolitisches Instrument insbesondere der Prävention wurde nach einer Afrika-Reise der Bundeskanzlerin im vergangenen Herbst mobilisiert: Im Oktober machte Dr. Angela Merkel (CDU) u. a. Station in Niamey, der Hauptstadt des Sahel-Landes Niger. Dessen

Kräfte gegen den gemeinsamen Feind. Innenpolitische Differenzen rückten zunächst in den Hintergrund.

Offensive auf Mosul

Beim Minenräumen ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Konfessionelle und ethnische Friktionen Die schiitische Bevölkerungsmehrheit sah nach Dekaden der politischen Unterdrückung nun endlich ihre Zeit gekommen. Moralisch, aber auch finanziell unterstützt durch die schiitische Schutzmacht Iran, drängten sie ins Zentrum der Macht. Auch die staatenlosen Kurden im ölreichen Nordirak sahen die Stunde ihrer Unabhängigkeit entscheidend näher kommen. Die ersten Parlamentswahlen nach dem Abzug der Amerikaner 2011 verschärften die Konflikte im ohnehin schon angespannten Zusammenleben der drei Gruppen. Ohne Überraschung setzte sich 2014 der schiitische Premiermi-

Der deutsche Ausbilder zeigt, wo es langgeht.

nister Al-Maliki durch und begann unmittelbar mit dem Umbau des Staates im schiitischen Sinne. Die sunnitische Minderheit fühlte sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt. Gleichzeitig baute der kurdische Präsident Masut Barzani die Autonomierechte seiner Region aus. In diese Phase der latenten Implosion des “Sykes-Picot‘schen” Staatsgebildes trat dann der IS

Fotos: BS/Bundeswehr, Willi Blank

(“Islamischer Staat”) auf den Plan. Dem “Retter im schwarzen Kleid” gelangen in kurzen und überraschenden Angriffen große Geländegewinne beidseitig von Euphrat und Tigris. Die von sunnitischen Offizieren “gereinigte” irakische Armee hatte den Gotteskriegern unter der schwarzen Flagge nichts entgegenzusetzen. Hals über Kopf flohen ganze Divisionen unter Zurücklassung von unzähligem, auch westlichem Kriegsmaterial. Im Juni 2014 fiel Mosul in die Hände der IS-Terroristen. Erneut trat eine “Koalition der Willigen” – inklusive Deutschlands – in den Ring und rettete die letzten Überreste des zerfallenen Staates. Nach innenpolitischen Querelen trat Al-Maliki zähneknirschend ins zweite Glied und überließ seinem Glaubensbruder Al-Abadi die Regierungsverantwortung. Bagdad und die neue, weiterhin schiitische Administration bündelten alle

Nichts verdeutlichte die neue Geschlossenheit eindrucksvoller als die im Oktober 2016 begonnene Mosul-Offensive. Unterstützt durch die Luftwaffe der internationalen Koalition, trat die irakische Armee an der Seite von kurdischen Peschmerga, sunnitischen, aber auch schiitischen Milizen gegen bis zu 5.000 IS-Kämpfer in der Millionenmetropole Mosul an. Militärisch schweißt der gemeinsame Feind die einzelnen Fraktionen des heterogenen Staates als Schicksalsgemeinschaft bislang zusammen. Doch wird das auch mittel- und langfristig so bleiben? Was passiert nach dem Fall von Mosul? Wie kann einer drohenden humanitären Katastrophe durch Hunderttausende von Flüchtlingen und riesigen anstehenden Wiederaufbaumaßnahmen begegnet werden? Gerade in dieser Phase wird die Hilfe der internationalen Gemeinschaft, auch Deutschlands, weiterhin erforderlich bleiben, um ein Auseinanderbrechen des Landes an Euphrat und Tigris zu verhindern. Ausbildung der Streitkräfte wird im gesamtheitlichen Ansatz eine entscheidende Rolle spielen. Die Steigerung des Niveaus der Armee dank Ausbildung, aber auch Ausrüstung bildete die Grundlage der bislang erfolgreichen Mosul-Offensive. Auch die Bundesrepublik hat bisher zweifelsohne einen sinnvollen und angemessenen Beitrag geleistet, der nicht nur

Das Afrika-Jahr 2017

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m dabei aber die Größenordnungen in Relation zueinander zu setzen: Der Einzelplan (EP) 14 (Verteidigung) des Bundeshaushalts 2017 weist 37,0 Milliarden Euro aus, während der EP 23 (Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) 8,5 Milliarden und der EP 5 (Auswärtiges Amt) 5,2 Milliarden Euro umfasst. Letztlich ist diese Gelddebatte ein Streit “um des Kaisers Bart”, der dem Fahrt aufnehmenden Bundestagswahlkampf geschuldet sein dürfte. Denn der sog. “vernetzte Ansatz” beinhaltet ausdrücklich einen ursprünglich “erweiterten” bzw. später “umfassenden” Sicherheitsbegriff. So positioniert sich das “Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr” der Bundesregierung zu diesem Konzept unmissverständlich: “Die Früherkennung und Verhinderung von Staatszerfall sowie die nachhaltige Stabilisierung fragiler oder zerfallender Staaten erfordern einen vernetzten Ansatz, der zeitnah und substanziell die geeigneten außen-, entwicklungs- und sicherheitspolitischen Instrumente der Prävention und der Krisenbewältigung mobilisieren kann.”

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Vernetzte Sicherheit in der Praxis (BS/Dr. Gerd Portugall) In der Debatte um den von der NATO geforderten Zwei-Prozent-Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) betonte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) im März: “Wir halten es nicht für vertretbar, den Sicherheitsbegriff auf Verteidigungsausgaben zu reduzieren.” Diese Äußerung rief die beiden anderen “Außenressorts” auf den Plan: Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) und Entwicklungshilfeminister Dr. Gerd Müller (CSU) sprachen sich gegen Versuche aus, “notwendige Gelder für Entwicklungszusammenarbeit gegen notwendige Investitionen in Sicherheit auszuspielen”. Staatspräsident, Mahamadou Issoufou, erklärte gegenüber der deutschen Regierungschefin fordernd: “Wir brauchen einen Marshallplan für Afrika!” Auch wenn die Kanzlerin dem Ansinnen des nigrischen Staatschefs vor Ort spontan eine Abfuhr erteilte, kündigte Entwicklungsminister Dr. Müller bereits im Monat darauf an, einen “Marshall-Plan mit Afrika” erarbeiten zu wollen. Nicht “für”, sondern “mit” Afrika – mit dieser semantischen Nuance möchte der Ressortchef einen besonderen Akzent setzen und eine Kooperation “auf Augenhöhe” anbieten. Dabei gehe es ihm darum, zunächst “Strukturen und politische Fähigkeiten” in Afrika zu stärken. Bereits im Januar ist in einer Broschüre seines Ministeriums (BMZ) nachzulesen: “2017 ist das Afrika-Jahr in Deutschland und in der Europäischen Union.” Dabei ist dem Entwicklungsministerium die geopolitische Ausgangssituation bewusst: “Von Sizilien nach Tunesien sind es 145 Kilometer, vom Festland Spaniens nach Marokko gerade einmal 14 Kilometer.” Müllers Maxime lautet daher – ganz im Sinne des vernetzten Ansatzes: “Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik.”

Ein Taktisches CIMIC-Team (Zivil-militärische Zusammenarbeit) der gemischten Aufklärungskompanie des 4. Deutschen Einsatzkontingents MINUSMA in Wabaria nahe Gao im nördlichen Landesteil Malis Foto: BS/Bundeswehr, wSebastian Wilke

BMI und BMWi Auch das Berliner Innenressort (BMI) engagiert sich auf dem Schwarzen Kontinent. Schließlich verschwimmen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer mehr. So reiste – sozusagen den “Spuren” der Kanzlerin folgend – Anfang Januar dieses Jahres der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Ole Schröder (CDU), anlässlich der Amtseinführung eines Verbindungsbeamten der Bundespolizei im nigrischen Innenministerium nach Niamey. Der Besuch stand im Zusam-

menhang mit der öffentlichen Ankündigung von Dr. Merkel und Staatspräsident Issoufou vom vergangenen Oktober, im Rahmen einer “gemeinsamen Migrationspartnerschaft” auch einen solchen Verbindungsbeamten nach Niger zu entsenden. Die Bundesrepublik unterstützt dabei das Sahel-Land u. a. mit Ausstattungshilfe in Form von Fahrzeugen und Kommunikationstechnik für die dortigen Sicherheitskräfte. Nicht wie das Berliner Innenressort von einer “Migrationspartnerschaft”, sondern von einer “Wirtschaftspartnerschaft”

zwischen Deutschland und Afrika spricht unterdessen Brigitte Zypries (SPD), Bundesministerin für Wirtschaft und Energie. Mit der Initiative “Pro! Afrika” soll diese Partnerschaft – wie zuvor schon bei Entwicklungsminister Müller – “auf Augenhöhe” realisiert werden. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung die “Chancenregion Afrika” zu einem der zwei Schwerpunktthemen während der deutschen G20-Präsidentschaft erklärt. Die Initiative des BMWi soll die ökonomische Entwicklung Afrikas unterstützen, nachhaltiges Wachstum, eine intensivere Kooperation und mehr Engagement der Privatwirtschaft stärken.

Auslandseinsätze in und um Afrika Bei den beiden letztgenannten Ressorts – BMI und BMWi – kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass sie erstens den Nachbarkontinent gerade erst “entdeckt” haben und dass sie zweitens dies nicht unbedingt in enger Abstimmung untereinander tun. Die Bundeswehr hingegen verfügt schon länger über einen großen Erfahrungsschatz mit Afrika. Aktuell befinden sich rund 1.250 deutsche Soldaten im Einsatz, entweder auf dem

von der kurdischen Regionalregierung, sondern auch von der irakischen Regierung in Bagdad anerkannt wird. Mit Recht argumentiert die Bundesregierung, dass der deutsche Beitrag als Teil des internationalen Ansatzes zu sehen ist. Bei einem gemeinsamen Sieg gegen den IS und einer danach positiven und friedlichen Entwicklung des Iraks als Gesamtstaat hätte man alles richtig gemacht. Doch was, wenn der kurdische Präsident Masut Barzani seine Ankündigung eines Referendums wahr werden lässt? Was, wenn sich Erbil und Bagdad nicht über eine geografische Festlegung der autonomen Region Kurdistan einigen können – besonders über das kurdische “Jerusalem” Kirkuk? Auch die Aufteilung der Ölgewinne der reichen Fördergebiete im Norden birgt noch ausreichend diplomatischen Sprengstoff. Das internationale Mantra, für den Erhalt des Gesamtstaates Irak einzutreten, könnte dann zu einer schwierigen Aufgabe – auch für Deutschland - werden.

Ganzheitlicher Ansatz Umso wichtiger wird es daher zukünftig sein, sich weiter für den internationalen Ansatz der Unterstützung des Landes an Euphrat und Tigris einzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland könnte, dank ihres guten Rufs aufgrund der fehlenden imperialistischen Hintergedanken in der Region, als Schlüsselspieler fungieren. Der bereits in Afghanistan von Deutschland angewendete ganzheitliche Ansatz könnte auch im Norden des Iraks eine Insel der Stabilität schaffen. Somit ist nun ein ressortübergreifend koordiniertes Vorgehen ausschlaggebend, welches als Fortsetzung unserer “Ausbildungsunterstützung” gesehen werden muss. Erst dann wird man von einer wirklichen “Erfolgsstory” sprechen können. *Oberstleutnant Heino Matzken M. Sc. Ph. D., Referat SE II 3 im BMVg

Schwarzen Erdteil selbst oder in den angrenzenden Seegebieten des Mittelmeeres, des Arabischen Meeres und des Indischen Ozeans. Dies entspricht einem Anteil von 37 Prozent der im Auslandseinsatz befindlichen Bundeswehr-Angehörigen. Sogar 43 Prozent der deutschen Einsatzkosten (Stand 2016: 555,8 Millionen Euro) entfallen auf Afrika und dessen Seegebiete. Der regionale Schwerpunkt des deutschen Afrika-Engagements liegt aktuell ganz klar in Mali: Rund 1.040 BundeswehrSoldaten sind zurzeit in diesem westafrikanischen Land stationiert. 87 Prozent von ihnen sind Bestandteil der Stabilisierungsmission der UNO (MINUSMA) gegen Islamisten im gefährlichen Norden des Landes, während der Rest an der EU-Ausbildungsmission (EUTM Mali) im relativ sicheren Süden teilnimmt. Die anderen deutschen Einsatzgebiete auf dem Kontinent liegen im Sudan (UNAMID), im Südsudan (UNMISS), in Somalia (EUTM Somalia) sowie in der Westsahara (MINURSO). Insgesamt betrachtet, kann sich das staatliche Engagement Deutschlands in Afrika – auch und gerade im internationalen Vergleich – sehen lassen. Die unaufhaltsam fortschreitende Globalisierung lässt ein solches Engagement angeraten sein. Auch wenn an der Abstimmung zwischen den beteiligten Ressorts, die genannt wurden, sicher noch “gefeilt” werden kann, so stimmt doch immerhin schon einmal die Richtung hin zu mehr vernetzter Sicherheit.


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