Behörden Spiegel Februar 2022

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Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Februar 2022

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ine Rüge im Vergabeverfahren kann schnell geschehen. Dies legte Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin im Vergabesenat am Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, anschaulich auf dem Hamburger Vergabetag dar. Als Beispiel zog sie einen verhandelten Fall heran, in dem ein Bieter den Auftraggeber bei der Vergabe einer Leistung, die die Durchführung der Luftrettung an einem bestimmten Standort in NRW umfasste, mehrmals rügte. So rügte der Bieter unter anderem die Wahl des Verhandlungsverfahrens, die geforderten Nachweise und die Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien. An das Verfahren schloss sich ein Nachprüfungsverfahren an, das zugunsten des Auftragsgebers entschieden wurde. Damit ein solches Verfahren optimal verläuft, empfahl Maimann – natürlich neben der Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben – eine gewissenhafte und gründliche Dokumentation des kompletten Verfahrens, um späteren Verfahren am besten begegnen zu können. Diese Dokumentation müsse kein literarisches oder langes Meisterwerk werden, sondern präzise jeden Schritt festhalten, um Rechtssicherheit zu bieten sowie den Richterinnen und Rich-

Was, wenn es schiefgeht? Zurücksetzung, Nachprüfung oder Aufhebung von Vergabeverfahren

tern eine leichtere Entscheidung zu ermöglichen.

Auslaufmodell Nachprüfung? Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nachprüfverfahren angestrebt und im Sinne des Bieters erfolgreich entschieden wird, sinkt seit Jahren. “Zahlen lügen nicht”, sagte Prof. Dr. Heiko Höfler, Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei Oppenhoff und Partner. In den vergangenen zehn Jahren sei die Tendenz der erfolgreichen Verfahren für Bieter rückgängig. Ebenso würden die Streitigkeiten auf niedrigem Niveau abnehmen. Gleichzeitig steige die Verfahrensdauer. “Wir haben es anscheinend mit komplexeren Verfahren zu tun”, vermutete Höfler. Gleichzeitig steige die Zahl der Verfahren, die ohne einen Beschluss beendet worden seien. Er sieht mehrere Punkte für diese Entwicklung. Zum einen

Empfiehlt eine gewissenhafte Dokumentation, um Nachprüfungsverfahren zu erleichterm: Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin im Vergabesenat am OLG Düsseldorf.

as Land Hessen musste bekanntermaßen die Vergabe für ein Videokonferenzsystem für sämtliche öffentlichen Schulen im letzten Jahr wiederholen, nachdem der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Prof. Dr. Alexander Roßnagel, an der zuerst beschafften Lösung erhebliche Mängel beim Schutz personenbezogener Daten festgestellt hatte. Doch auch die neue Ausschreibung war nicht fehlerfrei, diesmal allerdings aus vergaberechtlicher Sicht, wie Dr. Gundula FehnsBöer, Richterin im Vergabesenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt/Main, auf dem Hamburger Vergabetag darstellte.

Intransparente Referenz Das Land hatte ein einheitliches System für alle rund 2.000 Schulen ausgeschrieben, um zwischen 200.000 und 450.000 Schülerinnen und Schüler gleichzeitig unterrichten zu können. Dazu wurde in den Vergabeunterlagen lediglich eine Referenz gefordert, mit der der potenzielle Auftragnehmer Bereitstellung, Betrieb und Support eines Systems für mindestens 10.000 Nutzer belegen sollte. Allerdings hatte es der Auftraggeber versäumt, in den Vergabeunterlagen die Eignungskriterien festzulegen, die durch eine Referenz zu belegen sind. Zwar könne eine solche ausreichen, wenn sie eindeutig sei. Dazu müsse es den Bietern möglich sein, aus der Beschreibung der beizubringenden Referenz Rückschlüsse ziehen zu können, welche Eignungskriterien damit abgeprüft werden sollen. Dies sei aufgrund der Mittelbarkeit der Referenz generell möglich, erläuterte Fehns-Böer. Damit habe sich ihr Senat der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf

stehe. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass diese Obergrenze dem Auftraggeber zum Nachteil gereiche, wenn sich die Bieter an dieser Grenze zu stark orientieren würden, warnte Pfarr.

(BS/bk) Der Idealfall ist es nicht, aber manchmal laufen Vergabeverfahren nicht so, wie sie sollten. Die Gründe können dafür vielfältig sein. Doch auch wenn eine Ausschreibung scheitert oder es zu einem Nachprüfungsverfahren kommt, gibt es keinen Grund zur Panik. Es müssen jedoch einige Rückversetzung öfters sinnvoll Dinge beachtet werden.

Für Bieter erfolgreiche Nachprüfungsverfahren werden seit Jahren immer weniger, sagt Prof. Dr. Heiko Höfler. Screenshots: BS/Klawon

seien öffentliche Auftraggeber besser geworden. Das Know-how sei durch Datenbanken, bessere Personalausstattung sowie durch gestiegene Erfahrung im Zuge der regelmäßigen Vergabeverfahren gestiegen. Er sieht außerdem einen fehlenden gesetzgeberischen Willen für Nachprüfungsverfahren und eine ablehnende Haltung der Vergabekammern für diese Art von Verfahren. Letzteres wies Maimann jedoch entschieden zurück.

Erst mildere Mittel nutzen

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Aber ein Scheitern kann auch im Laufe eines Verfahrens für den Auftraggeber offensichtlich werden. Grundsätzlich sei ein Auftraggeber bei einem Vergabeverfahren zivilrechtlich nicht verpflichtet, den Auftrag zu vergeben, unterstrich Dr. Valeska Pfarr, Rechtsanwältin und Partnerin bei der Kanzlei

Menold Bezler. Dennoch dürfe ein Auftraggeber ein erfolgloses Verfahren nicht einfach im Sande verlaufen lassen, sondern es müsse formell aufgehoben werden. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen bzw. Aufhebungstatbestände sind nach § 63 I Vergabeverordnung (VgV) geregelt. Demnach kann ein Verfahren aufgehoben werden, wenn kein Angebot einging, dass den ausgeschriebenen Bedingungen entsprach, die Grundlage des Verfahrens sich wesentlich geändert hat, kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt werden konnte oder wenn andere schwerwiegende Gründe vorliegen. Bei Bau-Vergabeverfahren ähneln sich die Tatbestände nach § 17 I VOB/A. Einzig der Tatbestand des fehlenden wirtschaftlichen Ergebnisses ist nicht extra aufgeführt. Dies falle aber unter die anderen schwerwiegende Grün-

den, sagte Pfarr. Doch gerade beim Tatbestand des fehlenden wirtschaftlichen Ergebnisses ist der Auftraggeber gefordert. Ein unwirtschaftliches Ergebnis liegt dann vor, wenn selbst das wirtschaftlichste Angebot erheblich über der ordnungsgemäßen Schätzung liegt. Diese Schätzung müsse realistisch und aktuell sein. Dass dies der Fall sei, müsse der Auftraggeber darlegen und beweisen können, so die Juristin. Diese Beweislast umfasse eine genaue Darstellung der Schätzung sowie der angewandten Methodik. Doch wann ist ein Angebot “erheblich” zu teuer? Wie so häufig in der deutschen Rechtsprechung gibt es keine festen Grenzen und es kommt immer auf den Einzelfall an. Als Alternative zur Umgehung dieser Problematik, könnte der Auftraggeber zu Beginn des Verfahrens eine Preisobergrenze festlegen. Dies hätte den Vorteil, dass Transparenz für den Bieter ent-

Erfolglose Verfahren sollten formell beendet werden, sagt Rechtsanwältin Dr. Valeska Pfarr.

Komplex statt einfach Hürden bei IT-Beschaffungen und wie leichter beschafft werden kann (BS/Jörn Fieseler) Ein Videokonferenzsystem auszuschreiben ist nicht ganz so einfach und selbst in Corona-Zeiten fehlerhaft, wenn Kriterien nicht sauber definiert werden. Diese Erfahrung musste im letzten Jahr das Land Hessen machen. Auch bei den Leistungen, die nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) bereitzustellen sind, sind die vergaberechtlichen Hürden sehr komplex. Bei Letzterem wird aktuell an einer Konstellation für Inhouse-Vergaben gearbeitet. Dabei könnte das Vergaberecht mit wenig Aufwand deutlich vereinfacht werden, mit einem Vorschlag aus der kommunalen Landschaft. angeschlossen. Das bedeute aber auch, dass der Bieter darauf vertrauen können müsse, dass der öffentliche Auftraggeber sich an das Vergaberecht halte. Im zugrunde liegenden Verfahren sei dies jedoch nicht möglich gewesen. Der Senat sah sich deshalb gezwungen, selbst ein Mindestverständnis für die Anforderungen des Videokonferenzsystems zu definieren. Ein Videokonferenzsystem müsse die Kommunikation in Bild und Ton von mindestens drei Teilnehmern in Echtzeit ermöglichen. Hier sollte die gleichzeitige Nutzung in zahlreichen “Klassenzimmern” mit ca. 30 sichtbaren Teilnehmern möglich sein und die Lösung browsergestützt funktionieren. Diese Anforderungen konnte der Bieter, der den Zuschlag erhalten sollte, mit seiner Referenz nicht erfüllen. Er hatte als Referenz eine Fernwartungssoftware für medizinische Geräte hinterlegt, die in über 70.000 Arztpraxen zum Einsatz kam. Diese Referenz reichte am Ende nicht, entschied das OLG Frankfurt (23.12.2021 – 11 Verg 6/21). Das Produkt sei eher für eine Ende-zu-Ende-Kommunikation ausgelegt und nicht für mehrere Gesprächsteilnehmer. Damit habe der Auftraggeber seinen Beurteilungsspielraum überschritten. Er habe diesen, räumte Fehns-Böer ein, aber nur im Rahmen des Vergaberechts. Zudem seien die

Ebenso sei eine Aufhebung möglich, wenn sich der Bedarf des Auftraggebers geändert habe. Dies könne bei besonders langen Verfahren der Fall sein. Wichtig sei aber, dass der Bedarf nicht fahrlässig durch den Auftraggeber verursacht worden sei. Eine Aufhebung sei also in Grenzen zulässig. Sie sollte aber immer die Ultima Ratio sein, betonte die Rechtsanwältin. Zwar seien Aufhebungen ohne die genannten Gründe möglich, aber schwierig. Dabei bestünde immer die Gefahr, dass die Bieter auf Schadensersatz aufgrund von entgangenem Gewinn oder den Kosten, die bei einer Beteiligung entstanden, klagen könnten. Vor einer Aufhebung müssten immer erst mildere Mittel wie eine Zurücksetzung des Vergabeverfahrens genutzt werden. Es dürfe jedoch nicht einfach das komplette Verfahren auf den Tag null gesetzt werden, mahnte Pfarr. Dies sei zwar möglich, komme aber einer faktischen Aufhebung gleich. Eine Rückversetzung komme nicht in Betracht, wenn kein Angebot oder kein Teilnahmeantrag eingereicht worden sei. Wichtig sei aber immer, dass man transparent arbeite und die Gründe für eine Aufhebung oder eine Zurücksetzung nenne. Die Ursachen für ein fehlgeschlagenes Verfahren lägen jedoch oft schon in der frühen Phase der Verfahrenskonzeption. Pfarr empfahl, auf die häufigen Fehler wie eine unrealistische Kostenschätzung, einen undurchdachten Beschaffungsbedarf oder eine unzureichende Marktübersicht zu achten.

den die Länder die digitalisierten Verwaltungsdienstleistungen als Software as a Service (SaaS) abrufen können. Gegen die Teilnahme der Kommunen am FIT-Store sprechen jedoch die Regelungen des § 108 GWB zur Inhouse-Vergabe, wie Schulz darstellte.

Komplexität der InhouseVergabe

Während Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin im Vergabesenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, die Fallstricke bei Eignungskriterien und Referenzen anhand der Beschaffung eines Videokonferenzsystems für Schulen erläuterte, stellte Sönke E. Schulz, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Landkreistags, die komplizierten Fallkonstellationen der Inhouse-Vergabe bei den OZG-Leistungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen hin. Screenshot: BS/Fieseler

Anforderungen an die Referenz im Ergebnis zu intransparent. Das Verständnis des öffentlichen Auftraggebers, was er mit der Referenz prüfen wolle, müsse sich am durchschnittlichen Verständnis der Bieter orientieren. “Das wäre durch die positive Formulierung von Eignungskriterien vermeidbar gewesen”, betonte die Richterin.

Neue Ausschreibung nötig Zugleich kritisierte der Vergabesenat, dass ein weiterer wesentlicher Aspekt bei der Ausschreibung nicht beachtet worden sei. Die Ausschreibung sei wegen datenschutzrechtlicher Bedenken nötig geworden, in den Unterlagen hätten sich keine Anforderungen und Kriteri-

en diesbezüglich gefunden. Deshalb habe die Vergabekammer in erster Instanz richtig entschieden, ein objektives Beanstandungsverfahren durchzuführen und die Ausschreibung in den Zustand vor Veröffentlichung der Bekanntmachung zurückzuversetzen.

EfA-Prinzip und FIT-Store Deutlich anders und zugleich wesentlich komplexer ist die Rechtslage bei der Beschaffung von OZG-Leistungen. Knapp 600 Verwaltungsdienstleistungen müssen bis Ende des Jahres 2022 digitalisiert und in sämtlichen Kommunen ausgerollt sein. Was an sich schon eine Mammut-Aufgabe ist, wird durch die vergaberechtlichen Fragen bei

der Bereitstellung der Leistungen zusätzlich erschwert, berichtete Sönke E. Schulz, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Schleswig-Holsteinischen Landkreistag. Zur Erläuterung: Die Verwaltungsleistungen werden von einem Bundesland in Zusammenarbeit mit dem Bund digitalisiert und nach dem sogenannten EfA-Prinzip, Einer für alle, den übrigen Ländern und sämtlichen Kommunen bereitgestellt. Dies soll vergaberechtsfrei ablaufen. Bund und Länder haben dazu die Föderale IT-Kooperation, kurz FITKO, gegründet. Diese wiederum hat den sogenannten FIT-Store eingerichtet, eine Plattform analog zu den Stores für Handy-Applikationen, über

Generell basiert die Nutzung des FIT-Stores auf zwei Verträgen. Einerseits schließt die FITKO mit den jeweiligen Ländern, die die Leistung entwickeln, einen Einstellungsvertrag ab. Hinzu kommt ein Nachnutzungsvertrag, der mit den übrigen Ländern geschlossen wird, damit diese die Leistungen abrufen dürfen. “Damit sind die Verhältnisse zwischen der FITKO und Bund und Ländern als deren Träger geregelt und die Voraussetzungen für eine Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. IV Nr. 1 bis 3 GWB von der Mutter an die Tochter klar erfüllt”, so Schulz. Ebenfalls rechtlich zulässig sei Inhouse-Vergabe, wenn mehrere Mütter Träger einer Tochtergesellschaft seien oder die Vergabe von der Mutter an eine Tochter der Tochter, von Schulz als Enkel bezeichnet, erfolge. Auch die umgekehrte Vergabe von der Tochter an die Mutter hält er für zulässig, ebenso die Inhouse-Vergabe unter zwei Tochterunternehmen (Schulz: “Schwesternvergabe”), obwohl es dazu aktuell keine Rechtsprechung des EuGH gebe. Damit nicht genug. Der Vertreter des Landkreistages im “echten Norden”, hält sogar die eigentlich rechtlich unzulässige DirektverFortsetzung auf Seite 10


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