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Manfred Gläser / Kristina Hübener / Michael Kindler / Falko Neininger / Wolfgang Rose
gierungspräsidium, ihm Bericht zu Pfr. Beyers Unterstützungsgesuch zu erstatten, löste umfangreiche Recherchen der Behörden aus.18 Die Angaben des Pfarrers wurden dabei bestätigt: In Werder, Glindow und Petzow gab es eine katholische Bevölkerungsminderheit, die insgesamt 263 Menschen umfasste, von denen die meisten aus dem Eichsfeld und eine größere Gruppe aus dem Fürstentum Lippe-Detmold stammten.19 Unter ihnen waren 59 Kinder.20 In verschiedenen Abteilungen der Potsdamer Regierung gab es unterschiedliche Auffassungen zu Pfr. Beyers Vorhaben. Während es von der offenbar vorrangig auf die Interessen der evangelischen Landeskirche achtenden Abteilung für die Kirchen und Schulen abgeleht wurde, gab die Abteilung des Innern eine positive Stellungnahme ab, ebenso der Potsdamer Polizeidirektor. Die Tatsache, dass es auch zahlreiche evangelische Kinder gebe, »für welche Fürsorge und Anstalten gleicher Art nöthig wären«, sei kein Grund, eine katholische Einrichtung abzulehnen. Im Übrigen sei es »die Hauptsache, die Kinder – deren Eltern in bitterster Armuth Tag für Tag der schwersten Beschäftigung obliegen, und sich daher um die Kinder nicht bekümmern können – an Sitte und Ordnung sowie an einem geregelten Lebenswandel zu gewöhnen und sie dem unbeaufsichtigten Sichselbstüberlassensein und den daraus hervorgehenden üblen Folgen zu entziehen«.21 Letztlich setzte sich hier die moderne Idee vom weltanschaulich neutralen Staat gegen ältere Auffassungen durch, denn der Regierungspräsident übernahm die befürwortende Einschätzung in seinen Bericht an den König. Zugleich wird noch einmal deutlich, dass der Begriff »Waise« nicht im Sinne von Elternlosigkeit benutzt wurde, denn es ist davon auszugehen, dass – wenn überhaupt – nur wenige der katholischen Arbeiterkinder in den aufgezählten Gemeinden tatsächlich Waisen waren. Auch die Armut der Ziegeleiarbeiterfamilien war nicht der eigentliche Grund für Pfr. Beyers Initiative und die positive Resonanz in der Potsdamer Regierung. Sie war es nur mittelbar, weil befürchtet wurde, dass die dürftigen materiellen Verhältnisse zu einer Verwahrlosung der Kinder führen würden, die wiederum Konflikte mit der Gesellschaft und dem Staat hervorrufen könnte. Für Pfr. Beyer und seine Mitstreiter kam noch die kirchliche Komponente hinzu, dass wegen der relativ großen Entfernung zu den nächsten katholischen Einrichtungen die Gefahr bestand, die Kinder der Ziegeleiarbeiter als »Glieder« der Kirche zu verlieren.22
Die ersten Borromäerinnen Schon im Gründungsaufruf war die Absicht bekundet worden, das geplante Waisenhaus unter die Leitung katholischer Ordensschwestern zu stellen.23 Pfr. Beyer suchte daher im August 1861 Kontakt zum Orden der Borromäerinnen.24 Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus war 1679 in Nancy in Lothringen gegründet worden; sie ist eine Genossenschaft von Ordensschwestern, die sich dem Lob Gottes und der Pflege der Kinder, der Alten, der Kranken, der Verwundeten und anderer Hilfloser widmen. Die Borromäerinnen berufen sich in ihrem Wirken auf den Mailän-
St-Josefs-Krankenhaus.indb 16
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