Die Beiträge dieses Bandes gehen der Frage nach, mit welchen Wegen und Methoden Demokratiegeschichte erfolgreich vermittelt werden kann und welchen Beitrag demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit zur Stärkung unserer Demokratie zu leisten vermag.
DEUTSCHE DEMOKRATIE GESCHICHTE II EINE AUFGABE DER VERMITTLUNGSARBEIT
LARS LÜDICKE ( HG. )
Mit Beiträgen u. a. von Hatice Akyün, Bernd Faulenbach, Claudia Christiane Gatzka, Martin Hanke, Ingo Juchler, Michael Parak, Ruth Rosenberger, Christoph Stölzl, Brigitte Vogel-Janotta.
DEUTSCHE DEMOKRATIEGESCHICHTE II
Steckt die Demokratie weltweit in der Krise? Kann demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit zur Abwehr populistischer und autoritärer Gefährdungen beitragen? Wodurch muss sie sich in Gegenwart und Zukunft auszeichnen – und was kann sie bewirken? Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Viele Menschen wollen augenscheinlich davon nichts wissen – doch wieso ist das so?
LARS LÜDICKE (HG.)
24,– € [D]
ISBN 978-3-95410-282-2
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www.bebra-wissenschaft.de
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DEUTSCHE DEMOKRATIEGESCHICHTE II
Michael Kunze
EINE AUFGABE DER VERMITTLUNGSARBEIT
Sigmund Neu
Herausgegeben von Lars Lüdicke im Auftrag der Deutschen Gesellschaft e. V.
Demokratielehrer im Zeit des internationalen Bürg
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Inhalt
Vorwort 7 »Deutsche Demokratiegeschichte – eine Aufgabe der Vermittlungsarbeit« 11 Maria Bering Zu Konzeption, praktischen Ansätzen und neuen Herausforderungen demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit 15 Bernd Faulenbach Die deutsche Demokratiegeschichte und der Blick ins Ausland Claudia C. Gatzka
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Außerschulische Lernorte, Narrationen und Theater – Perspektiven der klassischen Vermittlungsarbeit zur Demokratiegeschichte Ingo Juchler
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Exemplarität als Kriterium für die Beschäftigung mit und die Vermittlung von Demokratiegeschichte Michael Parak
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Mini-Manual zur Demokratie-Vermittlung im digitalen Zeitalter Ruth Rosenberger
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Demokratie und ihre Geschichte im Museum Brigitte Vogel-Janotta
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Das Projekt Exilmuseum Berlin Christoph Stölzl
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Digitale Erinnerungs- und Vermittlungsarbeit: Projekte in der Arbeitsgemeinschaft Orte der Demokratiegeschichte Annalena Baasch / Maike Hausen / Markus Lang / Lars Lüdicke Demokratie ohne Empathie? Hatice Akyün Integration durch Geschichte? Demokratiegeschichte in der Einwanderungsgesellschaft Martin Hanke
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Mitwirkende 145
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Vorwort
»Demokratiegeschichte hat längst Konjunktur – nachdem sie über viele Jahre vernachlässigt wurde«: Mit dieser These begann der 2020 erschienene Band zur deutschen Demokratiegeschichte als Aufgabe der Erinnerungsarbeit. Innerhalb der eineinhalb Jahre, die seither vergangen sind, ist einiges passiert, das diese These stützt. So ist die Zahl der Mitglieder, die sich in der Arbeitsgemeinschaft »Orte der Demokratiegeschichte«1 zusammengeschlossen haben, von 46 (2019) auf über 60 Organisationen (2021) gewachsen. Sie alle sind Träger der politischen Bildung und Vermittlung, die zweifellos ganz unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer vielfältigen Stiftungs-, Gedenkstätten-, Museums- oder Vereinsarbeit setzen, um die Entwicklung der freiheitlich-demokratischen Tradition in Deutschland am authentischen Ort zu thematisieren. Aber sie eint auch das Ziel, die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern und dadurch demokratische Teilhabe und Zivilcourage anzuregen. Ihr Engagement erfährt durch die kürzlich angebahnte Errichtung der neuen Bundesstiftung »Orte der deutschen Demokratiegeschichte« eine weitere Stärkung. Geplant ist, die neue Stiftung in Frankfurt am Main, im Umfeld der Paulskirche, anzusiedeln, in der sich 1848 die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments versammelten und über eine freiheitliche Verfassung mit Grundrechten sowie über die Bildung eines deutschen Nationalstaats debattierten. Es gilt, wie Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, als programmatisches Motiv der Stiftungsgründung beschrieb: »Mehr Demokratiegeschichte wagen«2. Mit dem am 9. Juni 2021 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz zur Errichtung einer »Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte«3, das durch ein Rahmenkonzept zur neuen Linie der Erinnerungskultur zur deutschen Demokratiegeschichte4 flankiert wird, setzte die Bundesregierung einen im Koalitionsvertrag vom 12. März 7
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20185 vereinbarten Auftrag um. Innerhalb einer Legislaturperiode wurde somit eine Förderkonzeption erarbeitet und institutionell verankert, die »anhand historischer Leitlinien und unter Bezug auf konkrete Orte das lange Ringen um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte gezielt und systematisch zum Gegenstand erinnerungskultureller Anstrengungen«6 machen soll. All diese Entwicklungen, in denen sich der gewachsene Aktivitätsgrad zeigt, stützen zugleich den zweiten Thesenteil, dass die Demokratiegeschichte in der Vergangenheit eher vernachlässigt wurde – zumal die gegenwärtige Konjunktur der Demokratiegeschichte ihre vormalige Vernachlässigung ins Verhältnis setzt. So war und blieb, Ergebnis der ungeheuerlichen Verbrechen des Nationalsozialismus, die Erinnerungsarbeit in der Bundesrepublik lange Zeit auf die NS-Diktatur konzentriert, die gewissermaßen den negativen Bezugspunkt des deutschen Geschichtsbewusstseins markiert. Seit einiger Zeit gewinnt jedoch die Erinnerung an die positiven Traditionslinien der deutschen Geschichte an Bedeutung, die allerdings weder in Konkurrenz zur Pflege des »negativen Gedächtnisses«7 treten noch die Bedeutung der nationalsozialistischen Vergangenheit relativieren will. Vielmehr ergänzen sich beide Erinnerungskomplexe in spezifischer Art und Weise, da sich demokratische Lehren für Gegenwart und Zukunft nicht nur aus der Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur, sondern auch aus der Beschäftigung mit der Demokratiegeschichte ziehen lassen. Auf das Orientierungspotential dieser Perspektiverweiterung, die Vergangenheitskritik und Traditionsvergewisserung als komplementäre Komplexe einer auf Stärkung des demokratischen Wertebewusstseins abzielenden Erinnerungsarbeit begreift, rekurriert auch die Errichtung der neuen Bundesstiftung. Wie die Kulturstaatsministerin konzedierte, mahne zwar »die leidvolle Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts uns Deutsche zu erinnerungskultureller Bescheidenheit.« Und doch, so Monika Grütters: »Gerade weil unsere Demokratie auf den Trümmern der nationalsozialistischen Diktatur aufgebaut wurde, gerade weil wir aus dem Gedenken an den Holocaust und an die Opfer totalitärer Diktaturen Lehren für die Zukunft ziehen wollen, sollten wir Orte der deutschen Demokratiegeschichte stärker sichtbar machen. Denn national bedeutsame Ereignisse wie die Geburtsstunde der parlamentarischen Demokratie zu veranschaulichen und zu vergegenwärtigen, fördert die 8
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kritische Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Zusammenlebens in einer freiheitlichen Gesellschaft und stärkt die emotionale Verbundenheit und damit auch die Identifikation mit unserer Demokratie. In »zeitgemäßen Vermittlungsformaten« könne Demokratiegeschichte somit »dazu beitragen, dem schleichenden Gift der Demokratiemüdigkeit entgegenzuwirken und die gesellschaftliche Widerstandskraft gegen Demokratieverächter zu stärken.« Die »Orte der Demokratie und das lange Ringen um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte müssen dafür stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Diese Orte brauchen und verdienen mehr Respekt und mehr Raum in unserem historischen Selbstverständnis: als motivierende Erinnerung, dass Demokratie kein Geschenk ist, sondern eine Errungenschaft, kein ständiger Besitz, sondern stetes Bemühen.«8 In Sinne dieses funktionalen Ansatzes der Erinnerungsarbeit gewinnt die Frage an Bedeutung, wie es gelingen kann, die deutsche Demokratiegeschichte stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Einen Beitrag dazu soll diese Publikation leisten, die den Stand vom Frühjahr 2021 widerspiegelt. Sie basiert auf dem im Oktober 2020 durchgeführten Symposium »Deutsche Demokratiegeschichte. Eine Aufgabe der Vermittlungsarbeit« (Oktober 2020), dem im Februar 2019 das Symposium »Deutsche Demokratiegeschichte. Eine Aufgabe der Erinnerungsarbeit« vorausging. Beide Veranstaltungen wurden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert, ohne deren Unterstützung auch die Veröffentlichung der gleichnamigen Publikationen nicht möglich gewesen wäre. Beide Veröffentlichungen ergänzen einander: Der Band zur Erinnerungsarbeit beleuchtet die theoretischen Grundlagen sowie die Entwicklungslinien und Meilensteine der modernen Demokratiegeschichte; er hinterfragt zudem den Stellenwert der Demokratiegeschichte innerhalb der Erinnerungskultur und sondiert unterschiedliche historische Anknüpfungspunkte, die sich nicht auf Ereignisse und Daten beschränken, sondern ebenso Haltungen und Handlungen von Personen oder die Geschichte von Institutionen, Bewegungen, Orten, Sprache oder Symbolen umfassen. Stand im Mittelpunkt dieses Bandes also, grosso modo, die Frage danach, was Erinnerungsarbeit charakterisiert, rückt im Fortsetzungsband die Frage in den Vordergrund, wie sich die Vermittlung von Demokratiegeschichte bewerkstelligen lässt. Mit diesem Ansatz bleibt er dem übergreifenden Ziel verpflichtet, Impulse für 9
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die Beschäftigung mit Demokratiegeschichte zu setzen – die ihrerseits unsere Demokratie stärken kann und soll. Berlin im Mai 2021 Lars Lüdicke
Anmerkungen 1 Vgl. Orte der Demokratiegeschichte, https://www.demokratie-geschichte. de (25.05.2021). 2 Grütters, Monika: Das Ringen um Freiheit zeigen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.11.2020, https://www.faz.net/-gsf-a5t1p (25.05.2021). 3 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer »Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte«, https:// www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1875758/84562969947dc22b0bac03d7b94d2392/2021-03-11-gesetzentwuf-bundesstiftung-orte-der-deutschen-demokratiegeschichte-data.pdf?download=1 (25.05.2021). 4 Vgl. Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte, https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/ 1888580/2c893225f6604d90eca888c58173d29d/2021-04-12-bkm-rahmenkonzept-ortederdemokratiegeschichte-data.pdf?download=1 (25.05.2021). 5 Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhang für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12.03.2018, https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwishOqAy-fwAhX14uAKHWGsDioQFjAAegQIBRAD&url=https%3A%2F%2Fwww. bundesregierung.de%2Fresource%2Fblob%2F656734%2F847984%2F5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7%2F2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf&usg=AOvVaw0ESDfIu15qrRXmd9up1Qv3 (25.05.2021). 6 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Bundeskabinett beschließt Rahmenkonzept zu Orten deutscher Demokratiegeschichte – Kulturstaatsministerin Grütters: »Erinnerung an Freiheitstradition nimmt Gestalt an«, Pressemitteilung 112 vom 13.04.2021, https://www.bundesregierung. de/breg-de/aktuelles/bundeskabinett-beschliesst-rahmenkonzept-zu-orten-deutscher-demokratiegeschichte-kulturstaatsministerin-gruetters-erinnerung-an-freiheitstradition-nimmt-gestalt-an--1888784 (25.05.2021). 7 Vgl. Koselleck, Reinhart: Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Knigge, Volkhard / Frei, Norbert (Hrsg.): Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 21-32. 8 Grütters, Monika: Das Ringen um Freiheit zeigen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.11.2020, https://www.faz.net/-gsf-a5t1p (25.05.2021).
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»Deutsche Demokratiegeschichte – eine Aufgabe der Vermittlungsarbeit« Maria Bering
Demokratie muss gestaltet, gelebt und weiterentwickelt werden. Eine lebendige Demokratie wird beständig diskutiert und hinterfragt, kritisch bewertet und neu gedacht, mit vergangenen Erfahrungen verglichen und auf die Zukunft hin justiert. So besehen, führt die Frage nach erfolgreichen Formaten und Methoden demokratiegeschichtlicher Vermittlungsarbeit direkt in das Zentrum eines demokratischen Gemeinwesens und einer starken Zivilgesellschaft. Gerade unsere unterschiedlichen Traditionen, Lebensweisen und Weltanschauungen innerhalb der Gemeinschaft erfordern einen ständigen Austausch sowie eine aktive Auseinandersetzung mit den positiven Beispielen der Geschichte. Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen spielen zeitgemäße Vermittlungsformate ebenso wie einschlägige Angebote musealer Präsentation und Information eine wichtige Rolle – gerade für jüngere Menschen.
Der Bund als Impulsgeber und Förderer Die zentralen Fragen der vorliegenden Publikation lauten: Wie kann man Demokratieentwicklung sichtbar machen, insbesondere junge Menschen zur kritischen Diskussion und Meinungsbildung anregen, ihnen damit die Bedeutung von Demokratie in Vergangenheit und Gegenwart vermitteln? Wie kann man in Zeiten pandemiebedingter Grundrechtseinschränkungen und derzeit mitunter spürbarer Uneinsichtigkeit in erforderliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz erklären, dass die repräsentative Demokratie dennoch der beste Weg zur Interessenwahrnehmung ist? Wie kann der Wert einer parlamentarischen Demokratie vermittelt werden, wenn es in extremistischen Parteien einen gezielten Missbrauch eben dieses Systems gibt? 11
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Diese Fragen setzen in der Vergangenheit an, beeinflussen aber maßgeblich auch die Gegenwart. Das Bewusstsein für diese Zusammenhänge prägte bereits die Kanzlerschaft von Helmut Kohl, bekanntermaßen ein promovierter Historiker. 1983 machte er dieses Anliegen in seiner Regierungserklärung deutlich. Es müsse »der jungen Generation«, so sagte er, »die deutsche Geschichte in ihren europäischen Bezügen und Bedingungen wieder geistige Heimat werden.«1 Nicht zuletzt dieses Ziel verfolgen das Deutsche Historische Museum in Berlin und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, die von ihm begründet wurden. Insgesamt stellt sich der Bund als Impulsgeber und Förderer der Aufgabe, das geschichtliche Bewusstsein zu stärken, in vielerlei Hinsicht. Genannt seien an dieser Stelle nur die Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 und deren Fortschreibung aus dem Jahr 2008 oder das Programm »Jugend erinnert«.
Orte der Demokratiegeschichte Der Demokratiegeschichte kommt dabei zunehmende Bedeutung zu. Sie kristallisiert sich an vielfältigen Orten in Deutschland. Diese Orte geben der Erinnerung gleichsam eine Gestalt, regen zur Beschäftigung mit Vergangenheit und Gegenwart an. Dabei gibt es offensichtlich ein tiefes Bedürfnis in Politik und Gesellschaft, im Sinne eines guten, nicht ausgrenzenden Nationalbewusstseins an authentischen Orten Geschichten erzählen zu dürfen, die tatsächlich stolz machen können – nicht im Sinne von Überheblichkeit, sondern im Sinne von Freude: weil es sich um einen kleinen oder großen Schritt im Hinblick auf eine demokratische Entwicklung des Rechtsstaates handelt (wobei so manches Mal nach einem Schritt nach vorne ein Schritt zurück folgte). In diesem Sinne haben die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung für die 19. Legislaturperiode festgelegt, eine vom Deutschen Bundestag zu beschließende Konzeption zur Förderung von Orten der deutschen Demokratiegeschichte zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang müssen selbstverständlich auch die Vermittlungsarbeit, die Nachhaltigkeit und die Ausstrahlungskraft solcher Orte intensiv mitgedacht werden. Damit verbindet sich die Aufforderung an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Orte der Demokratiege12
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schichte sichtbarer zu machen. Einige Meilensteine sind bereits gesetzt und erste wichtige Zwischenziele erreicht. So haben wir bereits 2020 mehrere Pilotprojekte zu diesem Thema aktiv unterstützt und die Dinge damit in Bewegung gebracht, etwa das Symposium, dessen wichtigsten Ergebnisse in dieser Publikation zusammengefasst sind. Im Haushalt 2021 konnte die Summe zur Förderung der Orte der Demokratiegeschichte gegenüber 2020 versechsfacht werden.2 Wir fördern zudem anteilig den Bau und die Ausstattung eines zukünftigen Besucher- und Dokumentationszentrums am Friedhof der Märzgefallenen in Berlin. Und auch für die Sanierung der Paulskirche, die gemeinsam mit der Stadt Frankfurt am Main und dem Land Hessen durchgeführt werden soll, sind bereits Mittel im Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien etatisiert. Wir sehen die Paulskirche als einen Erinnerungsort von gesamtstaatlicher Bedeutung. Und wir wollen die Stadt Frankfurt am Main sowie das Land Hessen dabei unterstützen, die Paulskirche zu einem attraktiven Erinnerungsort deutscher Demokratiegeschichte zu machen. Bundesseitig ist bei der konkreten Umsetzung der Maßnahme Zurückhaltung geboten, aber wir legen Wert darauf, dass eine wissenschaftlich basierte Konzeption vorliegt, bevor wir mit Bauarbeiten beginnen. Die Beispiele zeigen: Es geht mit großen Schritten voran. Dies gilt auch für die Bundesstiftung »Orte der deutschen Demokratiegeschichte«, die in Verbindung mit einem Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung dieser Orte Grundlage sein soll für die Förderung einer Vielzahl demokratiegeschichtlich bedeutsamer Projekte auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene.3 Somit lässt sich festhalten: Die Diskussion zielgruppenspezifischer Vermittlungsprogramme, das lässt sich nicht bestreiten, ist und bleibt auch ein Thema von gesamtstaatlicher und gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Zu dieser Diskussion soll der vorliegende Band einige Impulse beitragen. Denn eine fundierte Auseinandersetzung mit positiven Aspekten unserer Vergangenheit gibt stets wichtige Anstöße für einen öffentlichen Diskurs, der zur Heimat, der Demokratie zugewandt, in unserem Bewusstsein werden muss.
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Anmerkungen 1 Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vom 04.05.1983, https://www.helmut-kohl-kas.de/index.php?msg=1948 (18.04.2021). 2 Vgl. Titel 685 61, in: Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2021 (Haushaltsgesetz 2021) vom 21.12.2020 (BGBl. I S. 3208), S. 76. 3 Vgl. Gesetz zur Errichtung einer »Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte« vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 3014) sowie das »Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte« (Drucksache 19/28535 vom 15. April 2021).
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Zu Konzeption, praktischen Ansätzen und neuen Herausforderungen demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit Bernd Faulenbach
»Demokratiegeschichte« wird in der Geschichtswissenschaft seit dem Zweiten Weltkrieg – allerdings meist nicht unter diesem Label – erforscht. Und auch Politikwissenschaft und politische Bildung haben sich mit unserer Demokratie und ihrer Vorgeschichte durchaus seit der Nachkriegszeit beschäftigt.1 »Erinnerungsarbeit« und »Erinnerungskultur« spielen in der deutschen Diskussion jedoch erst seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts eine größere Rolle. Sie kreisten und kreisen um die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und den in dieser verübten Massenverbrechen und ihren Opfern. Ihre Formen sind vielfältig; bedeutsam für sie sind zahlreiche Gedenkstätten und Orte, die zum Teil erst seit den 80er Jahren entstanden sind oder ältere Bemühungen um sichtbare Erinnerung aufgegriffen haben. Der Begriff »demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit«, ein zusammengesetzter Begriff, ist sehr jungen Datums und versucht, die verstärkte Hinwendung zur Demokratiegeschichte in Erinnerung, Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur begrifflich zu fassen. Im Hinblick auf das Arbeitsfeld »demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit« möchte dieser Beitrag (erstens) die Konzeption, die hinter den demokratiegeschichtlichen Bemühungen erkennbar wird, umreißen. Zu fragen ist: Was macht die Erinnerungsarbeit aus? Dabei geht es um das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart, von Wissenschaft und Erinnerungsarbeit, um die Wertbezüge demokratischer Erinnerungsarbeit, das heißt um die normative Dimension und die Zielsetzungen. Zweitens ist die Praxis der demokratiegeschichtlichen Erinnerungsarbeit, wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat, zu charakteri15
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sieren, Ansätze, Akteure, Tendenzen und Inhalte sind zu erfassen, das Gesamtphänomen einzuordnen. Drittens gilt es neue Herausforderungen für die demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit zu bestimmen und damit verknüpfte Probleme zu erörtern. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit auf die gegenwärtige Konstellation, die durch eine Krise der liberalen Demokratie charakterisiert scheint, reagieren kann und soll. Alle drei Fragen haben im Hinblick auf die »Vermittlung« von Demokratiegeschichte Relevanz. So ist am Ende nach den Konsequenzen für die Vermittlungsarbeit zu fragen.
Zur »Theorie« demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit Geschichte eignen sich Menschen in sehr verschiedener Form an: als Erfahrung, als Erinnerung, als Ergebnis von Wissenschaft. Dies gilt auch für die Demokratiegeschichte; in ihr geht es in besonderer Weise um Erinnerungen. Diese Unterscheidung berührt sich mit der Unterschiedlichkeit, in der sich idealtypisch Richter und Staatsanwälte, die nach Verantwortung und Schuld fallbezogen fragen, von der Sichtweise der Bürgerinnen und Bürger, für die herausragende Ereignisse, Persönlichkeiten und Bewegungen besondere Bedeutung haben, sowie beide von der Arbeit der Historiker, die die Vergangenheit sine ira et studio unter Einsatz ihres methodischen Instrumentariums zu rekonstruieren suchen, abweichen.2 Klar, dass – legt man diese idealtypische Unterscheidung zu Grunde – bei der demokratiegeschichtlichen Erinnerungsarbeit die Perspektive des Bürgers (des Citoyen) dominiert. Schließlich sind auch die Formen und Ergebnisse unterschiedlich: die Schaffung von Erinnerungsorten und Denkmälern, die Arbeit von Gedenkstätten und Museen, das Begehen von Gedenktagen, die Durchführung von Bildungsveranstaltungen, die Publikation von Büchern. In dieser Hinsicht ist Erinnerungsarbeit nicht festgelegt, doch spielen Erinnerungsorte (auch im übertragenen Sinne) eine besondere Rolle.3 Erinnerungsarbeit, über die Maurice Halbwachs, Jan und Aleida Assmann und andere theoretisch und programmatisch gearbeitet haben4, weist – nicht nur, aber auch bezogen auf die Demokratiegeschichte – bestimmte Kennzeichen auf: 16
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1. Bezogen auf die Vergangenheit ist die Erinnerungsarbeit sehr selektiv. 2. Das ausgewählte Stück Vergangenheit, das vergegenwärtigt wird, hat eine besondere Bedeutung für die Gegenwart, für die eigene Orientierung, für die Identität, das Selbstverständnis von Gruppen, Nationen, Gesellschaften, Demokratien und so weiter. 3. Erinnerungsarbeit weist unübersehbar besondere Wertbezüge auf, sie besitzt implizit oder auch explizit eine normative Dimension. Dennoch wäre es falsch, Erinnerungsarbeit und Geschichtswissenschaft als diametralen Gegensatz zu begreifen. Nicht wenige namhafte Zeithistoriker arbeiten seit Jahren in der Erinnerungskultur mit. In Deutschland ist das Eigengewicht der Zeitgeschichtsforschung so groß, dass sich Erinnerungsarbeit an den intersubjektiv überprüfbaren Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung orientieren muss. Bezogen auf unsere Fragestellung bedeutet dies: Selbst in den Politikergedenkstätten fehlen hagiographische Züge bei den dort dokumentierten und dargestellten Lebensbildern.5 Dennoch ist letztlich die Erinnerungsarbeit an anderen Zielen orientiert als die Wissenschaft, die ihren Zweck in sich hat und in der es keine Fragetabus gibt. Ihre Fragen und Interessen sind dementsprechend weitergefasst. Demokratiegeschichte ist für sie ein Themenfeld, gewiss keine Teildisziplin oder ein selbständiger Bereich. In der demokratiegeschichtlichen Erinnerungsarbeit geht es um die Vorgeschichte und Geschichte unserer gegenwärtigen Demokratie, die verschiedene Komponenten aufweist: die Geltung von Menschen- und Bürgerrechten, Gewaltenteilung, Herrschaft auf Zeit, das repräsentative Prinzip (parlamentarische Demokratie), doch auch Rechts- und Sozialstaatlichkeit. Von daher lassen sich Anfänge, Stationen, Weggabelungen, Rückschläge, Protagonisten und herausragende Gestalten, Parteien und Bewegungen, die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft oder die Verteidigung von Demokratie als Ziel hatten (und haben), benennen und Erinnerungsarbeit durchführen. Dabei empfiehlt sich ein nicht zu enger Ansatz. Einem breiten Trend historischer Betrachtung in den letzten Jahrzehnten entsprechend, setzt demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit in der Regel bei den Subjekten an. Selbstverständlich sind die jeweiligen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse und die Zeitkontexte 17
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jedoch zu berücksichtigen. Die Entwicklung der Demokratie ist als Prozess zu sehen, in dem »Demokratie« sich erweitert und dynamisiert hat und es Regressionen gab, weshalb auch die Gegner der Demokratie einzubeziehen sind. Bedeutsam sind auch die internationalen und transnationalen Kontexte und damit gegebene Gegensätze wie auch positive Kommunikation. Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts wird man sich hüten müssen, der Demokratieentwicklung eine Teleologie zu unterstellen: Die Erinnerung fordert vielmehr vor einem offenen Horizont immer wieder neu zu verantwortlichem Denken und Handeln auf. Für die Erinnerungsarbeit in der Deutschland ist bedeutsam, dass sie seit den 80er Jahren vor allem um die NS-Zeit, die ungeheuerlichen Verbrechen des Nationalsozialismus und deren Opfer kreiste.6 Auf eine recht komplizierte Weise waren und sind die kritischen Auseinandersetzungen mit dem NS-Regime mit der Hinwendung zur Demokratie und der Entwicklung demokratisch politischer Kultur verbunden. Die Diktatur von 1933-1945 zeigt, wohin eine Politik führt, die Menschenund Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Herrschaft auf Zeit aufgibt. Insofern enthält die Auseinandersetzung mit dem NS – neben anderen Einsichten – ex negativo eine Begründung für Demokratie; sie fordert im Übrigen den klaren Bruch mit einem Denken, das für diese Politik und ihre Verbrechen verantwortlich war. Wenn nunmehr seit einigen Jahren in der Erinnerungsarbeit nicht nur das »negative Gedächtnis«7 seinen Ausdruck findet, sondern auch die Geschichte der Demokratie in Deutschland behandelt wird, so kann diese Erinnerungsarbeit die Zeit des Nationalsozialismus nicht ausklammern, verhält sich jedoch dieser gegenüber komplementär. Keineswegs haben wir es mit konkurrierenden Erinnerungen zu tun; zum Teil berühren sie sich oder überschneiden sich sogar – etwa bei Widerstand, Exil und bei den Nachwirkungen des Nationalsozialismus für die Demokratie. Beide Erinnerungskomplexe zusammen können dazu beitragen, ein realistisches Nationalbewusstsein herauszubilden, das den seit dem späten 19. Jahrhundert geradezu vorherrschenden Gegensatz von Nation und Demokratie überwindet und doch zugleich den Holocaust als bedeutsame Komponente des deutschen Identitätsbewusstseins anerkennt. Die NS-Zeit als negativer Bezugspunkt des deutschen Geschichtsbewusstseins und eine letztlich positive demokratiegeschichtliche Perspektive schließen sich nicht aus, bedingen sich sogar bis zu einem gewissen Grade, gehen jedoch nicht ineinander auf. Beide 18
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besitzen eine normbegründende Dimension, die sich in der Betonung von Kontinuitäten und Vorbildern, doch auch im Lernen aus Fehlern und Katastrophen konkretisieren kann.8
Zur Praxis demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit heute Demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit findet – abgesehen von der politischen Bildung der Schulen und der Arbeit der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung – vor allem im öffentlichen Raum statt, etwa in historischen Museen wie dem Deutschen Historischen Museum in Berlin und dem Haus der Geschichte in Bonn; hinzu kommen Einrichtungen im öffentlichen Raum, die man als besondere »Erinnerungsorte« fasst, beispielsweise Gebäude, Denkmäler, Plätze mit symbolischer Bedeutung (wobei freilich der Begriff zum Teil – wie von dem französischen Historiker Pierre Nora vorgeschlagen – auch auf ereignisgeschichtliche Phänomene übertragen wird).9 Initiatoren und vielfach auch Träger sind politische Institutionen oder auch zivilgesellschaftliche Vereine und Stiftungen; sie reichen von den Bundespräsidenten (besonders engagiert war hier etwa Gustav Heinemann, doch ist es auch der gegenwärtige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Demokratie und Demokratiegeschichte zu einem der großen Themen seiner Amtszeit gemacht hat), über Regierungen, Parlamente, Länder bis zu den Kommunen und Kreisen, hinzu kommen die parteinahen Stiftungen sowie vielfältige zivilgesellschaftliche Akteure. Die Vielfalt demokratiegeschichtlicher Bemühungen spiegelt sich insbesondere im Netzwerk »Orte der Demokratiegeschichte« wider, das im Juni 2018 gegründet worden ist.10 Zu erwarten ist, dass die gegenwärtige Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode ein – im Koalitionsvertrag angekündigtes – Förderkonzept für die Orte der Demokratiegeschichte vorlegen wird; inzwischen wird erwogen, dafür eine Bundesstiftung zu gründen.11 In den letzten Jahren haben sich einige Schwerpunkte der Orte der Demokratiegeschichte herausgebildet, die aufschlussreich für das vorherrschende Verständnis von Demokratiegeschichte und ihrer Stationen in Deutschland sind. Zu ihnen sind diverse Erinnerungsorte entstanden, zum Teil durch Überarbeitung älterer Erinnerungsorte. Dies korrespondiert mit dem Tatbestand, dass es große Lücken und offene Fragen gibt. 19
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Zu letzteren gehören die Anfänge der deutschen Demokratiegeschichte, zu denen die Französische Revolution mit ihren unmittelbaren Reaktionen in Deutschland sowie die Befreiungskriege zu rechnen sind.12 Ungleich stärker entwickelt ist die Thematisierung der folgenden Epoche, die sich vom Vormärz, über das Hambacher Fest bis zur Revolution von 1848 erstreckt (mitsamt der herausragenden Rolle des Paulskirchenparlaments und der Beendigung der Revolution durch Waffengewalt) – zu diesen Ereignissen gibt es eine ganze Reihe von Erinnerungsorten, so zum Beispiel das Hambacher Schloss, der Platz des 18. März und der Friedhof der Märzgefallenen in Berlin, die Paulskirche in Frankfurt und das Schloss in Rastatt.13 Von besonderem Gewicht ist der Tagungsort des ersten nationalen Parlaments, die Paulskirche, bei der geplant ist, sie zu restaurieren und mit einer neuen historischen Ausstellung auszustatten und in ihrem Umfeld ein Haus der Demokratie zu errichten. In der Tat spricht vieles dafür, die Paulskirche in neuer Weise zu einem herausragenden demokratiegeschichtlichen Erinnerungsort in Deutschland zu gestalten.14 Zu den Desideraten wird man Orte der demokratischen Arbeiterbewegung zu zählen haben, die in Deutschland nicht nur eine Emanzipationsbewegung der arbeitenden Bevölkerung war, sondern auch eine Demokratiebewegung, die bezeichnenderweise Ideen und Symbolik der 48er Revolution weitergeführt hat. Otto von Bismarck, für den ein Erinnerungsort in seinem Alterssitz im Sachsenwald mit Mitteln des Bundes geschaffen worden ist, war dagegen gewiss kein Repräsentant der Demokratie in Deutschland; aus demokratiegeschichtlicher Perspektive kann er jedoch mit seiner ambivalenten Politik in den Blick kommen – samt seiner entschiedensten Gegner, zu denen die Sozialdemokraten, das katholische Zentrum und der Linksliberalismus zählten, die gemeinsam nach dem Ersten Weltkrieg zu den wichtigsten Trägern der ersten Demokratie in Deutschland, der Weimarer Republik, werden sollten. Zu den demokratischen Kräften vor dem Ersten Weltkrieg mangelt es an Erinnerungsorten. Ein Schwerpunkt demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit lag in den letzten Jahren auf der Weimarer Republik, ihrer Entstehung am Ende des Ersten Weltkrieges durch Revolution und Verfassungsgebung sowie ihrer Bedeutung für die Geschichte der Demokratie in Deutschland, die naturgemäß auch das Scheitern der Republik 1933 einbezieht, doch auch die Leistung der demokratischen Kräfte, die meist unter20
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schätzt werden, würdigen muss. Wesentlichen Anteil daran hat Bundespräsident Steinmeier, der 100 Jahre nach der Ausrufung der demokratischen Republik durch Philipp Scheidemann an gleicher Stelle, im Reichstagsgebäude, eine vielbeachtete Rede hielt, in der er – wie in einer weiteren Rede in Weimar - auch den Verfassungsgebungsprozess durch die Weimarer Nationalversammlung besonders würdigte.15 Wie vorher schon ein Trend der zeitgeschichtlichen Diskussion, akzentuierte auch der Bundespräsident eine Interpretation der ersten Republik, die in der Weimarer Epoche weit mehr sieht als die unmittelbare Vorgeschichte der NS-Zeit: Die Weimarer Republik ist eine wichtige Station der deutschen Demokratiegeschichte, auf der – auch in der Verarbeitung der Erfahrungen ihres Endes – die Geschichte der deutschen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg aufbaut. Dass angesichts der Krise der Demokratie in jüngster Zeit zugleich nach den Faktoren gefragt wird, die die deutsche Republik und andere Demokratien in der Zwischenkriegszeit destruiert haben, ist verständlich. Kurz: Die Weimarer Republik findet heute vielfältiges Interesse aus demokratiegeschichtlicher Perspektive. Dem entspricht in der Erinnerungskultur das neue Gewicht von demokratiegeschichtlichen Orten zur Weimarer Republik, herausragend ist das Reichstagsgebäude, neu errichtet wurde in den letzten Jahren das Haus der Weimarer Republik gegenüber dem 1919 als Tagungsort der Nationalversammlung dienenden Nationaltheaters in Weimar. Hinzu kommen Gedenkorte für Märtyrer und von anderen Repräsentanten der Demokratie wie das Geburtshaus von Matthias Erzberger in Münsingen-Buttenhausen oder die Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, die seit vielen Jahren in dessen Geburtshaus an den ersten Präsidenten der Republik mit Dauer- und Wechselausstellungen erinnert. Unschwer ließen sich weitere Orte für die demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit zur Weimarer Zeit auf den verschiedenen politischen Ebenen finden und gestalten. Zu Unrecht sind wichtige Persönlichkeiten und ihre Leistungen vergessen; Erinnerungsorte können dem entgegenwirken. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt, der zugleich die Demokratiegeschichte mit der Diktaturgeschichte verknüpft, ist die Geschichte des deutschen Widerstandes. Der Widerstand ist definiert durch den entschiedenen Gegensatz und Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus, ein Widerstand, der nicht in jedem Fall Ausdruck von demokratischer Haltung war, gleichwohl aber Interesse verdient in 21
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Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock in Berlin ist der zentrale Ort des Gedenkens und der Dokumentation des Widerstandes, für den es vielfältige weitere Gedenkorte, zum Teil für einzelne Repräsentanten des Widerstandes, gibt. In welchem Verhältnis diese zur Geschichte der Demokratie und des demokratischen Denkens standen, lässt sich in vielen Fällen bei der Darstellung der Kontextualität, die von der Diktatur entscheidend bestimmt wurde, ansprechen. Im Übrigen ist darauf zu achten, dass neben den Vertretern des am 20. Juli 1944 kulminierenden Widerstandes auch andere Gruppen oder auch Einzelne (wie der erst in jüngster Zeit verstärkt beachtete Georg Elser) gewürdigt werden. Auch hier gilt, dass trotz der Vorbildfunktion, die manche Repräsentanten des Widerstandes ausüben, diese nicht idealisiert werden, zumal einige von ihnen zeitweilig Anhänger Hitlers gewesen sind. In diesem Kontext zu erwähnen ist, dass bislang in der Erinnerungsarbeit das Exil als Lücke zu betrachten ist, die jetzt durch das geplante Exil-Museum in Berlin geschlossen werden soll.16 Einen inzwischen unstrittigen Schwerpunkt demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit bildet der Prozess der Demokratieneugründung nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Stationen der Erarbeitung des Grundgesetzes vom Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee bis zur Eröffnung des Parlamentarischen Rates im Museum König und seinen weiteren Beratungen in der früheren Pädagogischen Akademie. In Bonn gibt es eine ganze Reihe von weiteren Orten17, die für die junge Demokratie wichtig waren, deren Geschichte im Haus der Geschichte in Bonn die zentrale politische Perspektive bildet. Kontrastiv wird dabei der andere Teil Deutschlands einbezogen, in dem unter anderem beim Aufstand am 17. Juni 1953 ein nach Demokratie strebender Selbstbestimmungswille manifest wurde. Bezogen auf die Nachkriegsepoche sind noch viele Persönlichkeiten und Ereignisse der Demokratiegeschichte bis 1989/90 wiederzuentdecken – bundesweit, auf den verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Ebenen und in diversen Kontexten. Selbstverständlich kann es bei der demokratiegeschichtlichen Erinnerungsarbeit nicht nur um »heroische« Zeiten gehen. Besondere Leistungen für die Demokratie wurden auch in normalen Zeiten, bei der Bewältigung der Mühen der Ebene, etwa bei Reformen auf verschiedenen Politikfeldern und bei Fragen der deutsch-deutschen Poli22
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tik und der Außenpolitik erbracht. Im Laufe der Jahre sind eine Reihe von Politikgedenkstätten entstanden, die sich mit einigen herausragenden Gestalten der Nachkriegsgeschichte beschäftigen, so mit Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Willy Brandt und Helmut Schmidt; Helmut Kohl dürfte irgendwann hinzukommen.18 Die Reihe dürfte fortgesetzt werden. Während größere Projekte, die institutionell gefördert werden, weiterhin selten bleiben werden, wird womöglich die neuerdings geplante Gründung einer Bundesstiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte vielfältige kleinere Projekte demokratiegeschichtlicher Erinnerungsarbeit fördern können.19 Zu diskutieren wird sein, inwieweit auch die zweite formative Phase der Geschichte der Bundesrepublik, die vom Ende der 60er Jahre und in den frühen 70er Jahren reicht und einerseits die Studentenbewegung und anderen Basisbewegungen, andererseits die Politik der inneren Reformen sowie die Neue Ostpolitik einbezieht, als wesentliche Weichenstellung der Demokratiegeschichte der Bundesrepublik zu begreifen ist. Offen sind Fragen, welche »Erinnerungsorte« dafür in Betracht kommen und inwieweit die Neuen sozialen Bewegungen der Folgezeit als Themen der Demokratiegeschichte begriffen werden müssen. Zu den Problemen demokratischer Erinnerungsarbeit gehört insofern auch die Einbeziehung der DDR, als das SED-System als Akteur bei der Verfolgung der – in vielfältiger Form – durchaus vorhandenen demokratischen Bestrebungen in den Blick kommt. Der Herbst 1989 und die Entwicklung in der DDR in Ostdeutschland 1990 (sowie in der Folgezeit) bieten jedenfalls vielfältigen Stoff für demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit: Es gilt, an die Arbeit von Bürgerrechtsgruppen und politischen Vereinigungen zu erinnern, ebenso an die Massendemonstrationen oder an den Sturm auf die Stasi-Zentrale, kurzum, an Handeln und Geschehnisse, für die zum Teil Erinnerungsorte noch zu suchen und zu gestalten sind. Wichtig ist, dass das Geschehen in eine gesamtdeutsche demokratiegeschichtliche Perspektive gerückt wird. Allerdings ist eine geschlossene demokratiegeschichtliche Meistererzählung20 schon angesichts der Komplexität dieser Geschichte schwerlich möglich. Es kann auch keinen starren Kanon über Geschehnisse, Persönlichkeiten und Bewegungen geben, die die deutsche Demokratiegeschichte ausmachen. Diese grobe Skizze lässt im Übrigen erkennen: Für demokratiegeschichtliche Erinnerungsarbeit gibt es in Deutschland vielfältige Auf23
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gaben. So sind die Orte der Demokratiegeschichte stärker zu vernetzen. Sehr wichtig war deshalb die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft im Jahr 2017, in der sich 34 große und kleine Institutionen, Vereine und Initiativen der Demokratiegeschichte – inzwischen sind es mehr fast 60 – zusammengeschlossen haben.21 Vieles spricht dafür, dass sich die Orte als Akteure eines größeren demokratiegeschichtlichen Zusammenhangs in Deutschland begreifen. Zu den bislang kaum angesprochenen Fragen gehören die transnationalen und internationalen Kommunikationszusammenhänge, die die deutsche Demokratiegeschichte beeinflusst haben. Ein europäisches Netzwerk wichtiger Erinnerungsorte könnte auch im Hinblick auf geschichtspolitische Gegenwartsprobleme nützlich sein.
Neue Herausforderungen Die gesamte Erinnerungsarbeit in Deutschland sieht sich – wie die Gesellschaft überhaupt – den Herausforderungen neuer Kommunikationstechnologien ausgesetzt. Die Entstehung neuer Medien und überhaupt die Digitalisierung verändern Denk- und Kommunikationsformen, auf die Erinnerungsarbeit und Kultur reagieren müssen. Einerseits entstehen neue Möglichkeiten, sich zu informieren, etwa ergänzendes historisches Wissen in den Erinnerungsstätten abzufragen, andererseits aber produzieren und verbreiten die neuen Sozialen Medien, die auf den neuen Techniken basieren, verschiedene Mythen und Theorien, die sich auf Geschichte und Erinnerung beziehen, allerdings weder der Geschichte noch der Gegenwart gerecht werden. Eine wissenschaftlich fundierte, der Aufklärung verbundene Erinnerungsarbeit hat sich mit derartigen Phänomenen auseinanderzusetzen beziehungsweise ihnen entgegenzutreten, die zum Teil auf veränderte Rahmenbedingungen verweisen, doch auch eine inhaltliche Dimension aufweisen. Damit aber sind Fragen der gegenwärtigen Konstellation und ihrer historischen Einordnung angesprochen.22 Charakteristisch für diese scheinen die teils vermeintliche, teils reale Krise der liberalen Demokratien und die Zunahme von Extremismen zu sein, vor allem des Rechtspopulismus, teilweise auch des Linkspopulismus, die in unübersehbarem Gegensatz zu unserer repräsentativen Demokratie und ihren ideellen Grundlagen stehen und diese zum Teil mehr oder weniger offen bekämpfen. 24
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Vor diesem Hintergrund gilt es, das demokratische Bewusstsein sowie die Identifikation mit der Demokratie zu stärken, wozu die Erinnerungsarbeit wichtige Beiträge leisten kann. Sie kann die historische Fundierung der Gegenwartsdiskussion erleichtern. Gerade aus historischer Perspektive sind die unvergleichlichen Fortschritte und Vorzüge von Demokratien gegenüber autoritären und totalitären Systemen erkennbar, doch auch der mühsame Prozess der Durchsetzung von Demokratie und Rechtsstaat und deren nie gänzlich verschwundene Gefährdung; unübersehbar sind zugleich tiefgreifende Regressionen, die schlimmste ist die der NS-Zeit. Generell ist Demokratie dem Wandel unterworfen, der keineswegs nur auf politischen Faktoren beruht, auch ökonomisch-gesellschaftlich mitbedingt ist, doch gerade deshalb politisch gestaltet werden muss, was Engagement verlangt, das über gruppenbezogene oder individuelle Interessenvertretung hinausgeht und der res publica und demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Werten und nicht zuletzt den Menschen- und Bürgerrechten verpflichtet sein muss. Allerdings hat die repräsentative Demokratie gleichzeitig ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen und bedarf konsensualer Grundlagen in der Gesellschaft. Bezogen auf die Geschichte ist der Populismus unterschiedlich engagiert, doch meist nationalistisch geprägt. Hierzulande ist heftige Kritik an der Erinnerungskultur in Deutschland unüberhörbar; diese schließt nicht nur die Weigerung ein, aus der Geschichte der NS-Zeit zu lernen, sondern nimmt der demokratischen Ordnung in Deutschland auch jenen Teil ihrer Legitimation, den sie aus der Überwindung dieser Geschichte erhält. Zu den nationalistischen Kategorien gehört ein Volksbegriff, der ein fiktives »wahres« Volk der Heterogenität des realen Volkes in der Geschichte und dem Pluralismus der demokratischen Zivilgesellschaft der Gegenwart gegenüberstellt.23 Dementsprechend ist hier das Bild der Demokratiegeschichte und -gegenwart verengt und verzerrt, so dass Aufklärung über den komplizierten Prozess hin zur heutigen demokratischen politischen Kultur dringend geboten erscheint. Insbesondere die Geschichte der repräsentativen Demokratie ist offensichtlich erklärungsbedürftig, angesichts des populistischen Plädoyers für Plebiszite, die sich in spezifischen Konstellationen der Vergangenheit und Gegenwart demokratieschädigend ausgewirkt haben und durchaus kompatibel mit autokratischer Regierungsweise waren. Darüber bedarf es dringend differenzierter historischer Aufklärungsarbeit. 25
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Die gegenwärtige Diskussion über Grundfragen unserer politischen Existenz scheint allzu häufig durch sterile Aufgeregtheit gekennzeichnet zu sein. Gerade die Beschäftigung mit Geschichte gibt die Möglichkeit, wichtige Fragen in eine Distanz zu rücken, was bei aller Einmaligkeit historischer Konstellationen der Behandlung der gegenwärtigen Fragen zugutekommen kann. Kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte kann Identifikation mit unserer Demokratie fördern und die Entstehung eines demokratischen Nationalbewusstseins, das man als »Verfassungspatriotismus« bezeichnen mag, ermöglichen. Erinnerungsarbeit kann zugleich vor Fehlentwicklungen warnen, etwa vor einem exklusiven Identitätslernen diverser Gruppen, das die große Mehrheit der Bevölkerung und demokratische Prinzipien aus den Augen verliert.24 Es gilt Differenzierung mit Integration zusammenzubringen. Konsequenzen für die Vermittlung der Demokratiegeschichte durch Erinnerungsarbeit
Die hier angestellten Überlegungen zu Konzeption, Praxis und aktuellen Fragen der Demokratiegeschichte weisen Konsequenzen für die Vermittlungsarbeit auf, die in diesem Beitrag nicht mehr genauer beleuchtet werden können und die für besondere Zielgruppen, auch im Hinblick auf die verschiedenen Formen der Erinnerungsarbeit, Probleme implizieren. Festzuhalten ist aber, dass es um die Vermittlung eines realistischen Bildes von Demokratie, ihrer Durchsetzung und Behauptung, ihrer Leistungen und Ambivalenzen geht. Die gegenwärtige Beurteilung von Demokratie leidet zum Teil an unrealistischen Idealvorstellungen. Es geht um Einsicht in wesentliche Momente, die Demokratie ermöglicht oder erschwert haben, um wichtige Ereignisse, um Leistungen, Grenzen und Scheitern von Protagonisten, Bewegungen und Parteien der Demokratie, was naturgemäß die jeweiligen Hindernisse, Widerstände und Gegnerschaften mit einbeziehen muss, doch auch Tendenzen zur Selbstzerstörung nicht ausblenden darf. Auch bei Menschen, die ihr Leben für demokratische Ideen einsetzten oder als Vorbilder betrachtet werden können, sind idealisierende oder hagiographische Tendenzen zu vermeiden. Eine Begrenzung auf Phasen heroischen Kampfes wäre ebenfalls wenig sinnvoll. Es geht um eine differenzierte multiperspek26
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tivische Erfassung beziehungsweise Darstellung von Demokratiegeschichte. Andererseits findet die Demokratiegeschichte in der Erinnerungsarbeit ihre Begründung in ihren Wertbezügen zur gegenwärtigen komplexen Demokratie, die – obgleich selbst im historischen Prozess stehend – als humane Ordnung zu verstehen ist, die nicht nur als Fortschritt der Geschichte begriffen werden kann, sondern in der Gegenwart auch zu verteidigen und – bei Bewahrung ihrer konstitutiven Prinzipien – weiterzuentwickeln ist. Nur diejenigen können Demokratiebewusstsein bei den verschiedenen Zielgruppen, zu denen Jugendliche und Migranten gehören, glaubhaft vertreten, die selbst von den Werten und Prinzipien der Demokratie überzeugt sind. Wertfragen dürfen nicht ausgeklammert werden. Die Methoden der Vermittlung, zu denen Selbständigkeit und Partizipation zu zählen sind, müssen selbstverständlich zu den Zielen der Erinnerungsarbeit passen, für die die Festigung einer demokratischen Haltung in einer Umbruchphase eine zentrale Aufgabe darstellt.
Anmerkungen 1 Vgl. Faulenbach, Bernd: Demokratiegeschichte in der Erinnerungskultur – Zum Stand der Diskussion, in: Lüdicke, Lars (Hrsg.): Deutsche Demokratiegeschichte. Eine Aufgabe der Erinnerungsarbeit, Berlin 2020, S. 35-56, hier S. 36-38. 2 Ricœur, Paul: L’écriture de l‘histoire et la représentation du passé, in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 55, 2000, S. 744. Vgl. François, Etienne: Meistererzählungen und Dammbrüche. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zwischen Nationalisierung und Universalisierung, in: Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Eine Ausstellung des DHM, Berlin 2004, Bd. I, S. 13-28, hier S. 25f. 3 Zur Theorie der Erinnerungsorte vgl. Robbe, Tilmann: Historische Forschung und Geschichtsvermittlung. Erinnerungsorte in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, Göttingen 2009. 4 Vgl. ebd. Ferner: Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt am Main 1985. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 3. Aufl., München 2006. 5 Zu den Politikergedenkstätten vgl. Hertfelder, Thomas / Lappenküper, Ulrich / Lillteicher, Jürgen: Erinnern an Demokratie in Museen und Erinnerungsstätten der Bundesrepublik, Göttingen 2016.
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6 Auch die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur spielte besonders seit 1989 eine erhebliche Rolle, doch war die NS-Vergangenheit als negativer Erinnerungskomplex durchweg dominant. 7 Zum Begriff vgl. Koselleck, Reinhart: Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Knigge, Volkhard / Frei, Norbert (Hrsg.): Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 21-32. 8 Zur Frage der normativen Orientierung der Zeitgeschichte vgl. Sabrow, Martin: Zeitgeschichte als Aufarbeitung, in: ZeitRäume. Potsdamer Almanach 2020, S. 105-121. 9 Nora, Pierre (Hrsg.): Les Lieux de mémoire, 7 Bde., Paris 1984-1994. Ders.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990. Ders.: Das Abenteuer der Lieux de Mémoire, in: François, Etienne / Siegrist, Hannes / Vogel, Jakob (Hrsg.): Deutschland und Frankreich im Vergleich. 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 83-92. 10 Vgl. Faulenbach: Demokratiegeschichte in der Erinnerungskultur, S. 44. 11 Vgl. Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhang für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12.03.2018. Inzwischen liegt ein von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien erarbeiteter erster Entwurf für ein Förderkonzept »Orte der Demokratiegeschichte« vor (Stand 24.11.2020). 12 Zu fragen ist auch nach der Vorgeschichte, etwa der Bedeutung der Verfassung der Städte und des sich hier entwickelnden politischen Lebens. 13 Vgl. dazu auch die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Einweihung des Robert-Blum-Saals mit Kunst zur deutschen Demokratiegeschichte am 09.11.2020 im Schloss Bellevue, (20.12.2020). 14 Vgl. den Entwurf des Förderkonzeptes (Anm. 11). 15 Die Rede zum 9. November wurde nicht nur im Internet publiziert, sondern erschien auch in einer Printversion: Steinmeier, Frank Walter: Es lebe unsere Demokratie! Der 9. November 1918 und die deutsche Freiheitsgeschichte, München 2018. 16 Vgl. den Beitrag von Christoph Stölzl in diesem Band. 17 Genannt seien etwa das frühere Bundestagsgebäude mit einer Ausstellung zur Entstehung des Grundgesetzes im früheren Bundesratsflügel, das Palais Schaumburg und der Kanzlerbungalow oder auch das Erich-OllenhauerHaus, die zum Teil durch das Haus der Geschichte zugänglich gemacht werden. 18 Vgl. Anm. 5. 19 Vgl. Anm. 11. 20 Für die deutsche Erinnerungskultur fordert Thomas Hertfelder eine neue Meistererzählung der Demokratie, die aus seiner Sicht letztlich auch das »negative Gedächtnis« zu integrieren vermag. Vgl. Hertfelder, Thomas:
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Opfer, Täter, Demokraten. Über das Unbehagen an der Erinnerungskultur und die neue Meistererzählung der Demokratie in Deutschland. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 65, 2017, S. 365-393. 21 Vgl. Anm. 11. 22 Vgl. Geiselberger, Heinrich (Hrsg.): Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin 2017. Hacke, Jens: Existenzkrise der Demokratie. Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit, Berlin 2018. 23 Vgl. Müller, Jan-Werner: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016. 24 Vgl. dazu Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, 4. Aufl., Hamburg 2019.
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