Früh übt sich - Wie Zeitungen junge Leser gewinnen

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Früh übt sich – Wie Zeitungen junge Leser gewinnen Mehr Kinder und Jugendliche für Zeitungen zu begeistern, das gehört derzeit zu den größten Herausforderungen für die Verlage. Dabei hat sich eine Erkenntnis durchgesetzt: Erst in weiterführenden Schulen mit medienpädagogischen Projekten zu starten, ist zu spät. Deshalb verstärken die Zeitungen ihr Engagement im Vorschul- und Kindergartenbereich massiv, um frühestmöglich Spuren im Kopf der Kleinen zu hinterlassen.


Früh übt sich – Wie Zeitungen junge Leser gewinnen

Früh übt sich – Wie Zeitungen junge Leser gewinnen

positiv konnotierte Elemente wie beispielsweise Mobilität und selbstständig navigieren zu können. Beides sind Kompetenzen, die in der zunehmend digitalen Medienwelt auch für Kinder immer wichtiger werden. Das Zeitungsmonster geht zur Schule

Von Anja Pasquay

Wenn derzeit über redaktionelle Aktivitäten der Zeitungen für die jungen Zielgruppen gesprochen wird, kommen die Neuigkeiten vor allem aus dem Bereich für Kinder. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss man hingegen nach neuen Angeboten insbesondere in den gedruckten Ausgaben deutlich länger suchen. Ausnahmen wie die wöchentliche Seite „jetzt“ in der „Süddeutschen Zeitung“ (München) bestätigen die Regel. Tatsächlich wenden sich fast alle „Leuchtturmprojekte“ deutscher Zeitungshäuser, die in den zurückliegenden zehn Jahren national oder sogar international Lob und Anerkennung gefunden haben, an die Gruppe der Sechs- bis Zehnjährigen – oder sogar an Vorschulkinder. Zu nennen wäre da etwa die Kinder-Uni des „Tübinger Tagblatts“, die mittlerweile weltweit Nachahmer gefunden hat. Das Medienhaus Bauer in Marl ging erstmals mit einem Leseförderungsprojekt in die Kindergärten und inspirierte damit Verlage landauf, landab zu pädagogischen Angeboten für Vorschüler, die zwar vielleicht noch nicht lesen, aber mit einer gedruckten Zeitung trotzdem wunderbar spielen und lernen können.

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Der „Hellweger Anzeiger“ in Unna war der Erste, der täglich eine ganze Seite für Kindernachrichten freiräumte und die zwischenzeitliche Stabilisierung der Auflage unter anderem auf dieses besondere Angebot für junge Familien mit Schulkindern zurückführte. Fast parallel startete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ihren Kindernachrichtendienst mit einem täglichen Angebot an Artikeln, Schaubildern und Online-Beiträgen für Sechs- bis Zwölfjährige, das in dieser Form international einzigartig ist. Auch der Medienführerschein Presse, den Dritt- und Viertklässler an bayerischen Schulen dank der Zusammenarbeit des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV) mit dem bayerischen Kultusministerium erwerben können, hat eine ungewöhnliche Komponente: Gab es bis dato schon im Rahmen verschiedener Grundschulprojekte den „Lesepass“, der Kindern die erworbene Lesekompetenz abschließend bescheinigte, so endet der Medienführerschein Presse mit einem Test. Durchfallen ist wie beim Erwachsenen-Vorbild möglich. Dann muss das Kind noch einmal ran, ganz wie bei den Großen. Bemerkenswerterweise verbinden sich mit dem Begriff des „Führerscheins“ zusätzlich

Manchmal wächst auch aus bereits Vorhandenem ein neues Angebot. So kann sogar ein lila Monster der Ursprung für eine wöchentliche Kinderzeitung sein: „Kruschel“ heißt das knuddelige Vieh, das in Mainz und Umgebung zuerst als Logo und Identifikationsfigur bei Kinderaktivitäten in der „Allgemeinen Zeitung“ diente, dann als Maskottchen mobil machte und 2012 schließlich einer Kinder-Abozeitung der Verlagsgruppe Rhein Main Gesicht und Namen gab. Die Marktforschung des Hauses hatte prognostiziert, dass „optimistisch“ 3.352 Exemplare von „Kruschel“ abgesetzt werden könnten, „realistisch“ seien es 1.862 Abonnements. Grundlage war die Zahl der Haushalte im Verbreitungsgebiet mit Kindern im passenden Alter. Gut ein Jahr nach Erscheinen der ersten Ausgabe zählt „Kruschel“ im Sommer 2013 bereits 4.000 regelmäßige Käufer. Und mit Beginn des neuen Schuljahrs soll die Auflage möglichst weiter gesteigert werden. Denn dann geht das Monster in die Schule. Die hier beschriebenen Beispiele stehen Pars pro Toto. Es sind Schlaglichter auf die typisch mittelständisch geprägte Zeitungslandschaft, die ihren Lesernachwuchs nicht mehr erst in der Gruppe der 14- bis 19-Jährigen sieht, sondern die bereits bei den Kleinen ansetzt. Zu-

dem wird die Gewinnung künftiger Leser, Nutzer und Abonnenten immer stärker mehrgleisig gefahren. Die lokale oder regionale Verortung der Zeitungsprojekte für die jüngste Zielgruppe hat den Vorteil, dass sehr viele sehr verschiedene Ideen und kreative Einfälle verwirklicht werden. Sie bringt allerdings auch den Nachteil nur geringer Durchschlagskraft für den Zeitungsmarkt als Ganzes mit sich. Im schlechtesten Fall führt die regionale Fokussierung zum Verlust von Know-how, wenn erfolgreiche Projekte etwa aufgrund von Mitarbeiterwechseln in den Verlagen oder einer veränderten Strategie nicht fortgeführt werden. Wissenstransfer notwendig Hier für mehr Nachhaltigkeit zum Nutzen aller Zeitungen zu sorgen, war das Leitmotiv der vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) 2006 erstmals in Berlin ausgerichteten Konferenz „Kinder – Jugend – Zeitung“, die im Februar 2013 schon zum achten Mal veranstaltet wurde. Dieser Ansatz des Netzwerkes von Zeitungen für Zeitungen liegt auch der 2011 von BDZV und tbm Marketing (Burgwedel) gemeinsam gegründeten jule: Initiative junge Leser GmbH zugrunde, die mittlerweile 70 Mitgliedsverlage zählt. Bei allen Schwierigkeiten, den Erfolg des wachsenden Engagements der Zeitungen für Kinder heute schon in Euro und Cent auszudrücken, gibt es für den Zugewinn an Image doch unmissverständliche Hinweise: So verleiht der Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien (WAN-IFRA) bereits seit 1998 den

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Zeitungen 2013/14

World Young Reader Prize für vorbildliche und nachhaltige Zeitungsprojekte mit Kindern, Jugendlichen und jungen Leuten. Ein deutscher Titel wurde erstmals 2008 ausgezeichnet. Die „Rheinische Post“ (Düsseldorf) erhielt einen der fünf Hauptpreise für ihr „News to Use“-Angebot an Auszubildende. Seither stand fast jedes Jahr wieder eine Zeitung aus Deutschland auf dem Gewinnerpodest: 2009 die „Neue Osnabrücker Zeitung“, 2010 „Der Tagesspiegel“ (Berlin), 2012 die „Westdeutsche Zeitung“ aus Düsseldorf. Obendrein ging eine Fülle an Belobigungen und besonderen Erwähnungen an die Verlage, darunter „Hellweger Anzeiger“ (Unna), „Heilbronner Stimme“, sh:z Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag (Flensburg), „Südwest Presse“ (Ulm), „Berliner Zeitung“, „Welt Kompakt“ (Berlin), „Hamburger Abendblatt“ und „Braunschweiger Zeitung“. Verlage investieren in Jugendwebsites Ausgezeichnet wurden mit wenigen Ausnahmen immer redaktionelle oder pädagogische Angebote für Kinder beziehungsweise für Grundschulklassen. Parallel ist zu beobachten, dass die deutschen Zeitungen ihr redaktionelles Angebot für Kinder auch quantitativ deutlich ausgeweitet haben. Eine Umfrage von BDZV und jule aus dem Februar 2013 zeigt, dass 77 Prozent der teilnehmenden Verlage mittlerweile eine Kinderseite veröffentlichen. Ein Drittel publiziert Kindernachrichten. Eine eigene Kinderzeitung legen wöchentlich oder monatlich 19 Prozent der Verlage bei und 23 Prozent sind auch online speziell für die jüngste Zielgruppe da.

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Gegenüber der letzten Umfrage aus dem Jahr 2006 bedeutet dies einen Zuwachs um 20 Prozent bei Kinderseiten und Kindernachrichten, der Online-Bereich wuchs um 17 Prozent. Während bei Kindern die gedruckte Zeitung als Trägermedium deutlich im Vordergrund steht, haben sich bei den Zeitungsinhalten für Jugendliche und junge Leute die Akzente verschoben: Hier sollen immer häufiger OnlineInhalte statt Jugendseiten zum Surfen durch Nachrichten, Unterhaltung und Informationen anregen. Hatten 2006 noch rund 70 Prozent der Verlage eine eigene Jugendseite, waren es Ende 2012 nur noch 54 Prozent. Eine eigene Jugendwebsite bieten 24 Prozent an (2006: 18 Prozent).

Schaubild 1 Medienpädagogische Projekte von deutschen Zeitungen

55 Prozent der Kinder- und Jugendangebote erscheinen mittlerweile täglich. Enorm zugelegt haben aber auch die pädagogischen Projekte der Zeitungen. Aktuell bieten drei Viertel der Verlage (75 Prozent) Leseförderungsaktionen wie „Zeitung in der Schule“ an; 2006 waren es 66 Prozent. 63 Prozent offerieren „Zeitung in der Grundschule“ (2006: 34 Prozent). Und 17 Prozent gehen mit der Zeitung in den Kindergarten (2006: sechs Prozent). Vergleichsweise neu sind Förderprojekte für Auszubildende. Allein 2012 hatten 41 Prozent der Verlage diese Maßnahme für Unternehmen und Betriebe und deren Auszubildende in ihrem jeweiligen Verbreitungsgebiet auf der Agenda.

Quelle: Kinder- und Jugendstudie 2012 von BDZV und jule

Lesen als Schlüssel zum Schulerfolg Der Blick über den Tellerrand, zu den Kinderzeitschriften, zeigt, dass das Interesse an altersgerechtem, periodisch erscheinendem Lesestoff unverändert hoch ist. Wie die im

Zeitungen im Kindergarten

17% 6% 63%

Zeitungen in der Grundschule

34% 75%

Zeitungen in der Schule

66% 41%

Azubi-Projekte k.A.

Studie 2012

August 2013 veröffentlichte KidsVerbraucherAnalyse (KidsVA) aus dem Berliner Egmont Ehapa Verlag zeigt, greifen drei von vier Kindern im Alter zwischen sechs und 13 Jahren regelmäßig zu Kindermagazinen. Der Wert blieb in den vergangenen Jahren stabil. Ferner ist laut KidsVA eine Erkenntnis aus der Erwachsenenwelt eins zu eins auf die junge Zielgruppe übertragbar: „Kinder, die Zeitschriften lesen, sind generell medial interessierter“, heißt es da. Laut Studie nutzen Kinder mit mehrmaliger Zeitschriftenlektüre pro Woche zum Beispiel auch überproportional Bücher (126 bei einem Indexwert von 100), Hörspiele/Hörbücher (120) und Videofilme/DVD (118). Internet (104) und Computer (103) liegen kaum über dem Index. Hier nimmt zwar die Nutzung bei

Studie 206

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den Sechs- bis Neunjährigen leicht zu, doch erst die Zehn- bis 13-Jährigen gehen regelmäßig ins Internet: 89 Prozent geben an, täglich oder fast täglich online zu sein, was sicher auch mit dem Übertritt auf weiterführende Schulen und den Anforderungen des Unterrichts zu tun haben dürfte. So sehr mit dem steigenden Alter die Begehrlichkeit der Kinder auf Handy und PC, Smartphone und Tabletcomputer steigt – Bücher sind vom Einzug des Digitalen in die Kinderzimmer bisher noch weitgehend ausgenommen: Nur zehn Prozent der befragten Sechsbis 13-Jährigen lesen elektronische Bücher auf E-Reader oder Tablet-PC. Sicherlich macht sich hier auch der Einfluss der Eltern noch stark bemerkbar. So berichte-

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Zeitungen 2013/14

Früh übt sich – Wie Zeitungen junge Leser gewinnen

Schaubild 2 Angebote deutscher Zeitungen für Kinder und Jugendliche

77%

gedruckte Kinderseiten

schallung und Rauschen wahr. Jede Stunde, die ein Kind, das jünger als 16 Monate ist, mit elektronischen Medien verbringe, führe zu einer „signifikanten Sprachverschlechterung“.

57%

Kinderwebsites

Ältere Kinder und insbesondere Jugendliche könnten jedoch durch elektronische Medien auch positiv stimuliert werden. Zu bedenken gelte es jedoch immer, dass Kinder unter 13 Jahren größte Schwierigkeiten hätten, virtuelle Realität, wie sie in Computerspielen abgebildet werde, und die reale Welt zu unterscheiden. „Man muss sich Gedanken machen, zu welcher Lebenszeit man Kindern und Jugendlichen was anbietet“, forderte der Wissenschaftler.

54%

gedruckte Jugendseiten

70% 23% 6% 24%

Jugendwebsites 18%

Studie 2012

Quelle: Kinder- und Jugendstudie 2012 von BDZV und jule

te die Medienpädagogin Karin Viertel beim 3. Kindermedienkongress der Akademie des deutschen Buchhandels im November 2012 in München aus ihrer Beratungspraxis, dass bei Eltern bisher grundsätzlich eher Skepsis gegenüber digitalen Medien für Kinder herrsche, während Gedrucktes durchgehend positiv beurteilt werde. Ihr Resümee: „Eltern wissen, Leseerfolg ist gleich Schulerfolg.“

Studie 206

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Frühkindliche Projekte ausweiten

der Kinder zu hinterlassen“, empfahl der Wissenschaftler bei der bereits erwähnten 8. BDZVKonferenz „Kinder – Jugend – Zeitung“. Es sei ein sinnvoller Einsatz von Ressourcen, wenn Zeitungen noch intensiver als bisher in Programme wie Zeitung im Kindergarten und in der Grundschule investierten. Denn in diesem Alter seien die Kinder besonders aufgeschlossen für neue, herausfordernde Aufgaben. „Und die Zeitung ist eine spannende Herausforderung.“

So oder so ähnlich könnte das auch der Wiesbadener Neurowissenschaftler Professor Dieter F. Braus formulieren. Aus seiner Sicht liegen die größten und bisher weitgehend ungenutzten Chancen für die Verlage in frühkindlichen und vorschulischen medienpädagogischen Projekten. „Sie können gar nicht früh genug damit anfangen, Spuren zur Zeitung im Kopf

Vor einem zu frühen Einsatz von elektronischen Medien warnte Braus dagegen nachdrücklich. Nach seiner Erkenntnis lernen Menschen am schnellsten nicht durch „Trial and Error“, sondern durch Beobachten, Imitieren und soziale Interaktion. So erlernten sehr kleine Kinder Sprache beispielsweise nicht durch elektronische Medien; diese nähmen sie nur als Be-

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Irgendwann wird, auch das ist klar, den Eltern die Hoheit über die Inhalte, mit denen sich ihre Kinder beschäftigen (dürfen), aber mehr oder weniger offensiv aus der Hand genommen. Der Münchner Journalist Anatol Locker, der sich beruflich viel mit elektronischen Spielen beschäftigt, hat dafür eine Faustregel parat: Bei Kindern unter acht Jahren entscheiden die Eltern. Dann gehen die Kinder zunehmend online, und ab zwölf Jahren spielen sie Spiele, die sie nicht spielen sollten – also mit einer Altersbegrenzung für 16-/18-Jährige. 14-Jährige schließlich spielen, was sie wollen.

Die Autorin Anja Pasquay, Pressereferentin beim BDZV, Berlin

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