
Resilienz im neuen geopolitischen Umfeld
Was Industrieunternehmen tun können Supply Chain Pulse Check

Der halbjährliche CFO Survey, den Deloitte seit 2012 unter Finanzvorständen deutscher Großunternehmen durchführt, zeigt in diesem Frühjahr gerade im Industriesektor ein stark gestiegenes Bewusstsein für geopolitische Risiken. Folgende fünf Take-aways stehen für den Sektor im Vordergrund:
1. Geopolitik als größter Risikofaktor
Für die nächsten zwölf Monate bewerten die CFOs deutscher Industriefirmen Geopolitik als den deutlich größten Risikofaktor für ihre Unternehmen, gefolgt von der schwächeren Nachfrage im In- und Ausland. Neben negativen Absatzeffekten werden auch Auswirkungen auf die Lieferketten erwartet.
2. Priorisierung von Effizienz, Digitalisierung und Kostenoptimierung
Die Stärkung der operativen Effizienz, Fortführung der digitalen Transformation und Reduktion der Kosten stehen bei den deutschen Industrieunternehmen ganz oben auf der Agenda, um ihre Resilienz weiter auszubauen und sich noch dieses Jahr besser auf globale Umwälzungen und anhaltende Krisen vorzubereiten.
3. Investitionen in Deutschland und Europa
Angesichts des Handelskonflikts mit den USA, dem größten Absatzmarkt der deutschen Industrie, hat sich der Investitionsschwerpunkt auf Deutschland und Europa verlagert. Investitionen in Nordamerika sind wesentlich durch lokale Produktion getrieben, zudem gewinnt Indien an Attraktivität.
4. Resilienzsteigerung durch Analysen, Reduktion von Abhängigkeiten und Stresstests
Viele Industrieunternehmen investieren in Szenarioanalysen und setzen auf die Reduktion von Abhängigkeiten innerhalb ihrer Lieferketten und Absatzmärkte. Auch die Integration von geopolitischen Risikofaktoren in die Unternehmensplanung oder in Stresstests dienen dem Ausbau der internen Resilienz. Weit stärker als die Großunternehmen warten aber viele Unternehmen aus dem Mittelstand die weitere Entwicklung erst einmal ab und ergreifen derzeit noch keine Maßnahmen.
5. Robustes internes Set-up für ganzheitlichen Blick nach außen
Um künftig geopolitische Schocks erfolgreich
überstehen zu können, braucht es klare Grundlagen – wie z.B. Frühwarnsysteme und dezidierte Verantwortlichkeiten, um Abhängigkeiten von Zulieferern und Klumpenrisiken in Absatzmärkten zu identifizieren. Zudem ist ein internes Set-up mit funktionsübergreifender Zusammenarbeit notwendig für bessere Proaktivität, Flexibilität und Agilität entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Datentransparenz und Zusammenarbeit im gesamten Ökosystem sind essenziell und müssen auch die Vorstandsebene umfassen, um den gemeinsamen Rundumblick zu wahren, d.h. den „Blick nach außen“ zu schärfen und den „Blick nach innen“ zu stärken. Nur so können im Zuge der neuen geopolitischen Realität die strategische Ausrichtung und die Standort- und Investitionsentscheidungen der Organisation erfolgreich getätigt werden.

„Wir sehen die deutsche Industrie fest im Auge des geopolitischen Sturms. Das Thema Resilienz drängt mit großer Dynamik auf die Agenda der Unternehmensführung. Dabei muss ein viel größeres Feld an Risiken, Chancen und Einflussfaktoren im Blick behalten werden als in der Vergangenheit. Das erfordert funktionsübergreifende Zusammenarbeit auf höchster Ebene, aber auch Mut, neues Selbstbewusstsein und einen klaren Plan für mehr Wachstum.“
Oliver Bendig, Partner, Lead Industrial Products & Construction, Deloitte


• Der aktuelle CFO Survey unter 216 Finanzvorständen deutscher Unternehmen, davon 65 CFOs des verarbeitenden Gewerbes, bestätigt die zuvor in der Studienreihe Supply Chain Pulse Check identifizierten Herausforderungen: Bei mehr als der Hälfte der befragten Industrie-CFOs war deren Agenda 2025 von geopolitischen Spannungen und Risiken geprägt. Mehr als ein Viertel bezeichnen Anpassungen der globalen Supply Chain als wichtigen Faktor, der sie aktuell beschäftigt.
• Geopolitische Risiken bleiben auch das dominierende Thema unter den Top-5-Risikofaktoren der nächsten zwölf Monate, gefolgt von schwacher Nachfrage im In- und Ausland (s. Abb. 1). Auch befürchtet knapp ein Drittel (31%) der Industrie-CFOs steigende Rohstoffkosten.
• Angesichts eines potenziellen Handelskonflikts zwischen der EU und den USA erwartet mehr als ein Viertel (27%) der Befragten zudem starke oder sehr starke Auswirkungen auf ihren Absatz und die Hälfte rechnet hier zumindest mit einigen Auswirkungen.
• Bei den Effekten auf die Lieferkette werden starke oder sehr starke Auswirkungen (15%) zwar etwas seltener genannt als beim Absatz –einige Auswirkungen befürchtet aber auch hier mehr als die Hälfte der Befragten.
Deloitte CFO Survey Frühjahr 2025
Für den 27. deutschen Deloitte CFO Survey wurden vom 20. März bis 10. April 2025
216 Finanzvorstände deutscher Unternehmen befragt – 65 davon stammen aus dem verarbeitenden Gewerbe. Dies erlaubt somit einen eigenen Pulse Check für den aktuellen Zustand der deutschen Industrie.
49 Prozent der befragten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes erzielen einen Umsatz von über 500 Millionen Euro, 14 Prozent liegen über 5 Milliarden Euro.
Die am häufigsten vertretene industrielle Branche ist der Maschinenbau mit 49 Prozent, gefolgt von der Automobilindustrie mit 23 Prozent. Bei den Unternehmen des Maschinenbaus sind viele Mittelstandsunternehmen dabei.
02 Ausgangslage: Druck von innen und außen
Abb. 1 – Top-5-Risikofaktoren der nächsten zwölf Monate
Frage: Welche der folgenden Faktoren stellen für Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein hohes Risiko dar?
Geopolitische Risiken
Schwächere Inlandsnachfrage
Schwächere Auslandsnachfrage
Steigende Lohnkosten
Zunehmende Regulierung in Deutschland
Anmerkung: Alle Prozentzahlen beziehen sich auf die verarbeitende Industrie. Quelle: CFO Survey, Deloitte.


Effizienz, Digitalisierung und Kostenoptimierung werden priorisiert
• Bei den Themenstellungen, die aktuell auf der CFO-Agenda Priorität haben, dominieren die Effizienzsteigerung und die digitale Transformation (s. Abb. 2). Mehr als die Hälfte der befragten Industrie-CFOs will im Zeichen von globalen Umwälzungen, geopolitischen Spannungen und potenziellen Handelskonflikten ihre operative Effizienz durch Prozesstransformation verbessern und Digitalisierung weiterhin zur Automatisierung und im Bereich Data Analytics nutzen. Effizienz und Prozesstransformation spielen eine weit größere Rolle für Maschinenbauer als für Automobilhersteller. Die digitale Transformation wird aber stärker von der Automobilindustrie priorisiert als vom Maschinenbau.
• Beide Themen – Effizienz und Digitalisierung –sind auch zentrale Hebel für Chief Procurement Officers (CPOs), um Kosten in der Beschaffung und den Lieferketten zu senken und insbesondere die Resilienz zu erhöhen.
Dass die Hälfte der Industrie-CFOs auf
Portfoliobereinigung und Kostenoptimierung setzt und ein weiteres Drittel zusätzlich eine Optimierung der Resilienz anstrebt, zeigt klar, wie sich wichtige Themen in unterschiedlichen Unternehmensbereichen (u.a. Beschaffung, Produktion, Verkauf, Finanzen) zunehmend überlagern.
• Als weitere Themen mit hohem Stellenwert für Industrie-CFOs erweisen sich zudem organische wie anorganische Wachstumsstrategien sowie die Verbesserung des strategischen und operativen Risikomanagements.
Abb. 2 – Top-5-Prioritäten der CFO-Agenda
Frage: Welche Themenstellungen haben dieses Jahr auf Ihrer
CFO-Agenda Priorität?
Operative Effizienz/Prozesstransformationen
Digitale Transformation
Portfoliobereinigung und Kostenoptimierung
Wachstumsstrategien (organisch/anorganisch)
Anmerkung: Alle Prozentzahlen beziehen sich auf die verarbeitende Industrie. Quelle: CFO Survey, Deloitte.

„Die neue geopolitische Realität mit ihrer Vielfalt an Themen – Handelskonflikte, Blockbildung, Verschiebungen im Absatz sowie die anhaltende Knappheit bei Rohstoffen – erfordert einen umfassenden Blick der Unternehmen und eine noch gezieltere Vorbereitung. Erste Reaktionsmuster wie Impactabschätzungen und die zunehmende Priorisierung von Resilienzmaßnahmen zeichnen sich aber ab.“
Dr. Alexander Börsch, Director, Chefökonom und Leiter Research, Deloitte

Investitionsschwerpunkte werden neu bewertet
• Die aktuelle geopolitische Lage und potenzielle Handelskonflikte beeinflussen auch die Investitionspläne. Dabei gibt es eine positive Tendenz in der Investitionsbereitschaft. Auch gibt es inhaltliche und geografische Schwerpunkte.
• Fast die Hälfte (40%) der befragten Industrie-CFOs führt ihre Investitionen in Technologie und digitale Transformation konstant weiter, während die andere Hälfte (49%) sie sogar priorisiert. Investitionen in Maßnahmen zum Aufbau von Resilienz (z.B. zur Absicherung der Lieferkette) werden im gegenwärtigen Klima von 68 Prozent konstant weitergeführt und von 28 Prozent priorisiert. Auch bezüglich der Ausweitung der Produktionskapazitäten führen mehr als die Hälfte
der Befragten diese konstant weiter oder priorisieren sie. Nur 25 Prozent fahren hier die Investitionstätigkeit zurück und 20 Prozent schieben sie auf.
• Für eine ungebrochene Investitionstätigkeit spricht auch, dass fast die Hälfte (43%) der Industrieunternehmen in den nächsten zwölf Monaten organisch wachsen und mehr als ein Viertel (28%) in neue Märkte expandieren will.
• Regionale Investitionsschwerpunkte werden jedoch auf absehbare Zeit neu bewertet (s. Abb. 3). Dabei stehen Deutschland (69% der befragten Industrie-CFOs) und Europa (40%) stark im Fokus – Europa sogar weit stärker für die Automobilindustrie (67%) als für den Maschinenbau (28%). Dieser Trend ist sehr getrieben durch die Ankündigung der US-Zölle. Inwiefern es sich dabei um effektive Erweiterungsinvestitionen oder um Ersatzin-
vestitionen und Modernisierungen handelt, ist noch nicht absehbar. Diese Schwerpunkte korrespondieren aber deutlich mit den Datenanalysen der Studienreihe Supply Chain Pulse Check zu den ungenutzten Absatzpotenzialen im europäischen Binnenmarkt.
• Auch wenn die Unsicherheit angesichts der aktuellen US-Zollpolitik die Investitionen in die USA derzeit etwas dämpft, will gut ein Drittel der Industrie-CFOs den Investitionsschwerpunkt Nordamerika ausbauen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, in wichtigen Absatzmärkten mit lokaler Produktion präsent zu sein. Hier gibt es keine Unterschiede zwischen Automobilindustrie und Maschinenbau.
• Die hohe Attraktivität von Indien (26%) als Investitionsschwerpunkt beruht teilweise auf der Wiederaufnahme der Freihandelsverhandlungen des Landes mit der EU und steht im Zeichen eines potenziellen Handelskonflikts mit den USA. Auch China bleibt in den nächsten Jahren weiterhin relevant als Investitionsschwerpunkt für gut ein Fünftel der befragten Industrie-CFOs.
Abb. 3 – Regionale Schwerpunkte für Investitionen
Frage: In welchen Regionen setzt Ihr Unternehmen in den kommenden drei bis fünf Jahren Investitionsschwerpunkte?
Anmerkung: Alle Prozentzahlen beziehen sich auf die verarbeitende Industrie. Quelle: CFO Survey, Deloitte.
„ Angesichts globaler Umwälzungen und ständiger Krisen ist mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Organisation notwendig.
Beispielsweise umfasst das Thema Beschaffung längst nicht mehr nur den Einkauf allein, sondern muss ganzheitlich und gemeinschaftlich gedacht werden. Nur zusammen mit anderen Unternehmenseinheiten aus Produktion, Vertrieb oder Finanzen können vorausschauende und ausgewogene Entscheidungen getroffen werden.“
Dr. Jürgen Sandau, Partner, Lead Supply Chain & Network Operations, Deloitte

Resilienzmaßnahmen erobern die Agenda
• Viele der im CFO Survey befragten Industrieunternehmen investieren bereits gezielt in Maßnahmen zur Reaktionsfähigkeit auf geopolitische Risiken. Trotzdem sehen sich vergleichsweise wenige, d.h. nur ein Drittel, gut vorbereitet und eine verschwindend geringe Minderheit investiert in den systematischen Aufbau eigener Kompetenzen im geopolitischen Bereich.
• Jeweils knapp die Hälfte der IndustrieCFOs will Szenarioanalysen und Impactabschätzung in ihrer Organisation vorantreiben oder übermäßige Abhängigkeiten in den Lieferketten und Absatzmärkten reduzieren (s. Abb. 4). Großunternehmen investieren dabei weit stärker in die Analysefähigkeit
als der Mittelstand. Bei Fragen der Beschaffungsabhängigkeit stehen viele mittelständische Maschinenbauer aber teilweise besser da als manche großen Automobilhersteller, weil sie hier bereits länger auf partnerschaftliche Strukturen und Netzwerke gesetzt haben.
• Jeweils mehr als ein Drittel der Industrie-CFOs will die Integration von handelsund geopolitischen Risikofaktoren in die Unternehmensplanung vorantreiben oder in die Neubewertung bzw. Verlagerung von Produktionsstandorten investieren, um künftig besser auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dies betrifft weit stärker die Automobilhersteller als die Maschinenbauer, die mit ihrer Produktion oft (noch) nicht in gleichem Maße global aufgestellt sind.
• Ein weiteres Drittel der Industrie-CFOs investiert in Bewertungsmethoden der internen Resilienz und in Stresstests. Interessanterweise wartet aber gut ein Viertel – darunter viele Unternehmen aus dem Mittelstand – die weitere Entwicklung erst einmal ab und will derzeit noch keine Maßnahmen ergreifen.
• Insgesamt noch wenig investiert wird zudem in den Aufbau von Ressourcen mit eigenen geopolitischen Kompetenzen oder in die Zusammenarbeit mit externen Experten zur Stärkung der geopolitischen Resilienz.
Abb. 4 – Maßnahmen als Vorbereitung auf geopolitische Risiken
Frage: In welche Maßnahmen investiert Ihr Unternehmen, um besser auf geopolitische Risiken vorbereitet zu sein?
Szenarioanalysen
Minimierung von Abhängigkeiten in Lieferketten und Absatzmärkten
Integration von geopolitischen Risiken in Unternehmensplanung
Verlagerung von Produktionsstandorten
Stresstests der internen Resilienz
Wir warten weitere Entwicklungen ab
Zusammenarbeit mit externen Ressourcen
Wir haben keine Maßnahmen ergriffen
Überprüfung von Chancen in neuen Freihandelszonen
Aufbau geopolitischer Kompetenzen
Anmerkung: Alle Prozentzahlen beziehen sich auf die verarbeitende Industrie. Quelle: CFO Survey, Deloitte.

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