
POSITION | DIGITALPOLITIK | MIKROELEKTRONIK
Elemente einer nationalen Mikroelektronik-Strategie
Stärken stärken, Lücken schließen – für ein resilientes MikroelektronikÖkosystem in Deutschland und Europa

März 2025
Executive Summary
Bei der fortschreitenden digitalen und grünen Transformation nimmt die Mikroelektronik eine Schlüsselrolle ein. Die globale Nachfrage nach Halbleiterchips hat in den letzten Jahren, insbesondere durch den Einsatz in der Digitalwirtschaft und Unterhaltungselektronik, kontinuierlich zugenommen. In Europa sind die Automobilindustrie und der Maschinenbau große und wachsende Abnehmer. Gleichzeitig ist es angesichts geopolitischer Spannungen und Handelskonflikte entscheidend, die Versorgungssicherheit und technologische Souveränität Europas zu gewährleisten, indem das MikroelektronikÖkosystem strategisch gestärkt wird
Jährlich wird über eine Billion Mikrochips produziert1 – mit langfristig steigender Tendenz. Dabei dauert der Produktionsprozess von Mikrochips bis zu zehn Monate und beinhaltet mitunter 1.500 Arbeitsschritte, von denen ein Großteil in komplex isolierten Reinräumen der Halbleiterfabriken - sogenannten Fabs - stattfindet Der Return on Investment (ROI) tritt in der Mikroelektronik dementsprechend später ein als bei anderen Industrieprodukten, da die Herstellung mit hohen Anfangsinvestitionen, fortlaufenden Innovationskosten und langen Entwicklungszyklen einhergeht. Gleichzeitig bestimmt der Zugang zu Mikrochips den Fortschritt bei der digitalen und grünen Transformation, weswegen die politische Unterstützung der Mikroelektronik als einer Schlüsseltechnologie unerlässlich ist
Die folgenden Ausführungen bündeln Beiträge der deutschen Industrie zu einer umfassenden Mikroelektronik-Strategie2, die Deutschland und die EU in die Lage versetzen soll, in diesem entscheidenden Technologiebereich Führungskompetenzen auf- und auszubauen Sie soll zur Resilienz der Lieferketten und zur technologischen Souveränität und Innovationskraft des Standortes beitragen und in die weitere industrie-, forschungs- und gesellschaftspolitische –Diskussion zur Zukunft des Mikroelektronikstandorts Deutschland und Europa einfließen.
1 Europäische Kommission (2023). European Chips Act – Stärkung der technologischen Führungsrolle Europas
2 In diesem Papier wird unter Mikroelektronik die Gesamtheit der Technologien und Anwendungen verstanden, die auf der Nutzung von Halbleitern basieren. Halbleiter sind somit eine Teilmenge der Mikroelektronik. Zur Vereinfachung wird in diesem Beitrag auch auf Elektronikkomponenten eingegangen, die streng genommen nicht zur Mikroelektronik gehören.
Polina Khubbeeva | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028-1586 | p.khubbeeva@bdi.eu | www.bdi.eu
Kernforderungen: Mikroelektronik für die deutsche Wirtschaft
Das von der Europäischen Union im Rahmen des EU Chips Acts formulierte Ziel, bis zum Jahr 2030 20% der weltweiten Halbleiterproduktion in Europa zu erreichen, ist angesichts der globalen Marktentwicklungen und des Kapazitätsausbaus in anderen Regionen äußerst ambitioniert und die Erreichbarkeit damit fraglich. Weltweit wird intensiv in die Mikroelektronik und die Halbleiterfertigung investiert Obwohl diese allgemeine Marktentwicklung für die Mikroelektronik-Industrie grundsätzlich positiv ist, besteht die zentrale Herausforderung darin, die Diskrepanz zu den angestrebten 20% am Standort Europa zu überwinden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, den aktuellen Marktanteil von etwa 10% zu erhöhen, um die steigende Nachfrage zu befriedigen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas nachhaltig zu sichern, indem unter anderem regionale Ökosysteme wie in Sachsen, Bayern und Norddeutschland gestärkt werden Gleichzeitig muss drüber hinaus der Fokus der MikroelektronikPolitik auf der Lieferketten-Resilienz liegen.
Autarkie bei der Mikrochipproduktion ist in naher und fernerer Zukunft nicht realistisch, weil gerade die Mikroelektronik global besonders arbeitsteilig aufgestellt ist. Die Akteure in Europa sollten sich vielmehr darauf konzentrieren, durch einzigartige High-End Produkte einen unentbehrlichen Platz in der Wertschöpfungskette im Sinne einer strategischen Unverzichtbarkeit zu sichern und das Mikroelektronik-Ökosystem auszubauen. So lässt sich im Falle von geopolitischen Spannungen und Lieferkettenproblemen die nötige Marktmacht erzeugen, um den eigenen Bedarf an Halbleitern zu garantieren Einseitige Abhängigkeiten werden durch diese Diversifizierung wirksam vermieden Die Resilienz der gesamten europäischen Wirtschaft und Gesellschaft über die Mikroelektronik hinaus wird so gestärkt. Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit und technologische Souveränität sollten somit die Ziele sein, denen eine nationale Mikroelektronik-Strategie effektiv untergeordnet ist. Im Detail lassen sich daraus folgende Kernforderungen ableiten:
Berücksichtigung der gesamten Mikroelektronik-Wertschöpfungskette: Der politische Diskurs über eine effektive Halbleiterpolitik sollte auf die gesamte Mikroelektronik-Wertschöpfungskette ausgeweitet werden, um eine umfassende und nachhaltige nationale Mikroelektronik-Strategie zu entwickeln und das Ökosystem als Ganzes zu stärken
Forschung und Industrie: Synergien zwischen Forschung und Industrie müssen gefördert werden, um Innovationen voranzutreiben und den Transfer vom Labor zur Fabrikation zu stärken. Insbesondere beim Übergang vom Chip- zum Systemdesign müssen beispielsweise verstärkt die Fabless Chip Design sowie die Software- und Systemintegration berücksichtigt werden.
Anwenderbedarfe antizipieren: Es ist wichtig, die Bedürfnisse der Anwenderindustrien zu berücksichtigen und Förderprogramme gezielt nach diesen Bedürfnissen auszurichten.
Berücksichtigung von Leiterplatten und EMS: Im Hinblick auf Europas Wettbewerbsfähigkeit ist die Integration der Leiterplatten- und Elektronikfertigung (EMS) in Fördervorhaben und eine Senkung der Zollbelastung für Basismaterialien unerlässlich
Investition in Zukunftstechnologien: Investitionen in Technologien wie Quantencomputing und Künstliche Intelligenz sind neben der Berücksichtigung essenzieller Halbleiterprodukte entscheidend, um die technologische Souveränität Europas zu stärken und Wertschöpfung in aufkommenden Technologiebereichen und deren industriellen Anwendungsfeldern zu generieren.
Erforschung neuer Technologiepfade: Notwendig sind die Forschung und Entwicklung innovativer Technologiepfade (wie RISK-V), für neue Funktionalitäten und Anwendungen der Mikroelektronik. Die
deutsche und europäische Forschungslandschaft muss auch zukünftig im internationalen Vergleich an der Spitze stehen.
Fachkräftesicherung: Die Schließung der Fachkräftelücke in der Mikroelektronik erfordert eine umfassende Strategie, die die gesamte Bildungskette, Geschlechtergleichheit, Integration ausländischer Fachkräfte und sektor- und regionenübergreifende Transformationsprozesse umfasst.
Standortpolitik und Verwaltung: Die Kommunen müssen bei der Flächenentwicklung für die Mikroelektronikbranche unterstützt werden. Eine strategische Standort- und Verwaltungspolitik muss im Sinne der Zielgerichtetheit der Fördermaßnahmen etabliert werden.
Rohstoff- und Chemikalienpolitik: Die Rohstoffabhängigkeiten der deutschen und europäischen Halbleiterindustrie müssen berücksichtigt werden, indem die Diversifizierung der Rohstoffimporte und die Erschließung eigener Potenziale vorangetrieben werden sowie spezifische Ausnahmeregelungen für den Einsatz von PFAS im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung ermöglicht werden Ein drohendes Totalverbot der gesamten Stoffgruppe im Rahmen des PFAS-Beschränkungsverfahrens unter der europäischen Chemikalienverordnung REACH muss durch einen risikobasierten Regulierungsansatz abgewendet werden.
Internationale Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland und die EU sollten ihre Position im internationalen Wettbewerb stärken. Öffentliche Mittel sollten als Anstoßfinanzierung gezielt und effizient eingesetzt werden und auch KMUs zugutekommen
Ausgewogene Exportkontrollen: Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten einen ausgewogenen Ansatz bei der Umsetzung von Exportkontrollen verfolgen. Dieser Ansatz sollte sowohl die Sicherheitsinteressen als auch die Bedürfnisse der Unternehmen berücksichtigen.
Handlungsfelder im Ökosystem
Das Ökosystem der Mikroelektronik umfasst alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette – von der Grundlagenforschung über die Entwicklung und Produktion bis hin zur Anwendung. Hersteller von Equipment sowie Lieferanten von Komponenten und Rohstoffen spielen eine ebenso große Rolle wie die Chip-Produzenten, da sie die notwendigen Ressourcen für die verschiedenen Phasen der Wertschöpfung bereitstellen. Ein robustes Mikroelektronik-Ökosystem ist entscheidend für die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Was das gesamte Forschungsaufkommen angeht, können europäische Einrichtungen auf ähnlichem Niveau mit den USA und China konkurrieren So sind europäische Forschende mit spezialisierten Instituten wie IMEC oder Fraunhofer international führend Es gilt, Synergien zwischen Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette, Forschungseinrichtungen und politischen Entscheidungsträgern zu schaffen mit dem Ziel, deutsche Technologien in der globalen Wertschöpfungskette unentbehrlich zu machen und die Innovations- und Skalierbarkeit des gesamten Ökosystems zu erhöhen
Vom Chip- zum Systemdesign
Europa strebt danach, bei der Chipherstellung zur Weltspitze zu gehören und seine Marktposition auszubauen. Der Übergang vom Chip-Design zum Systemdesign (Product to System) ist hierfür grundlegend und erfordert einen inklusiven Ansatz, bei dem nicht nur die Hardware, sondern auch die Software und Systemintegration berücksichtigt werden müssen, um maßgeschneiderte Lösungen für spezifische Anwendungen zu entwickeln. Deutsche Unternehmen sollten Ihre Kompetenz in der Entwicklung und Produktion von anwendungsspezifischen integrierten Systemen weiter ausbauen. Dazu braucht es eine Förderkulisse, die diese Entwicklung unterstützt.
Sogenannte „Fabless“ Chipsunternehmen, die sich auf das Design von Halbleiterbauelementen fokussieren und ihre Fertigung auf die Foundries auslagern, sind in Deutschland und Europa unterrepräsentiert. Diese Unternehmen konzentrieren sich jedoch primär auf Innovation, ohne selbst das Produktionsrisiko tragen zu müssen Insofern ist es wichtig, sowohl starke Fabs in Europa zu errichten als auch global konkurrenzfähige “Fabless” Kapazitäten zu fördern Der Fokus sollte auf der Erweiterung der Design-Fähigkeiten und der Stärkung des Transfers vom Labor zur Serienfertigung liegen Speziell das Leading Edge Design ist sehr kostspielig, weswegen unter anderem KMUs und Start-ups hier von Unterstützung profitieren.
Anwenderbedarfe antizipieren
Aus gesamtindustrieller Perspektive muss eine Mikroelektronik-Strategie die Anforderungen der Abnehmer von Mikrochips einbinden. Daher sollten formelle Dialogplattformen geschaffen werden, die den Austausch zwischen allen Beteiligten in der Mikroelektronik-Wertschöpfungskette fördern, also neben Herstellern und Material- und Ausrüstungslieferanten auch den Anwendern von MikroelektronikProdukten aus verschiedenen Branchen Förderprogramme sollten sich noch gezielter auf diesen Anwenderbedarfen ausrichten und Anwenderunternehmen sollten frühzeitig in die Konzeption der Fördermaßnahmen einbezogen werden
Die deutsche Automobilindustrie als eine der größten Abnehmerindustrien für Halbleiter benötigt, vorrangig Strukturgrößen >90nm. Diese bieten die notwendige Spannungs- und Temperaturfestigkeit, z.B. für Anwendungen im elektrischen Antriebsstrang oder für Hochspannungsbatterien. Darüber hinaus zeichnet sich jedoch ab, dass besonders Innovationen wie autonomes Fahren, Konnektivität, Shared Services und die Elektrifizierung der Antriebstechnologie langfristig über den Erfolg am
Weltmarkt bestimmen werden. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich die Menge der pro Fahrzeug benötigten Halbleiter verdoppeln wird 3 Für die letztgenannten Innovationen werden dabei zunehmend Chips führender Technologieknoten ins Auto Einzug halten. Hierfür müssen dezidiert Fabless Designkompetenzen speziell auch im Bereich 2–16 nm aufgebaut werden, da diese Kompetenz in Zukunft erfolgskritisch sein wird.
Im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus liegt der Schwerpunkt der Halbleiterbedarfe auf Strukturgrößen über 28 nm. Hier stehen Leistungselektronik für industrielle Anwendungen, elektronische Sicherheitskomponenten, Mikrocontroller, integrierte Schaltungen und Prozessoren im Fokus. Auch hier führen der zunehmende Einsatz von KI in der Produktion und die Smart Factory zu steigenden zukünftigen Chip-Bedarfen.
Technologien der Digitalwirtschaft tragen zu 75% des weltweiten Halbleiterumsatzes bei, wobei 2022 nur 37% in der EMEA-Region erwirtschaftet wurden 4 Allerdings haben die Rechen- und Kommunikationstechnologie (v.a. 5G und 6G) eine hohe strategische Bedeutung in allen Bereichen der Volkswirtschaft, zum Beispiel im Kontext von Industrie 4.0, IoT, XR, KI oder Datenverarbeitung und Kommunikation von Rechenzentren. Die Nachfrage an Halbleitern wird in Europa durch die fortschreitende Digitalisierung massiv getrieben, wobei die High-End Chips einen wesentlichen Anteil des Bedarfs ausmachen werden. Deswegen ist es von essenzieller Bedeutung, dass diese Technologien in eine umfassende Halbleiterstrategie einbezogen werden.
Es ist für die deutsche Industrie wichtig, bestehende Stärken weiter auszubauen und Schwächen zu minimieren, indem (absehbare) Versorgungslücken bei größeren Knotengrößen geschlossen werden und gleichzeitig der steigende Bedarf an Chips unter 10 nm berücksichtigt wird Hierzu gehört eine übergroße Abhängigkeit vom Ausland bei High End Chips für Zukunftsthemen, wie autonomes Fahren und dem Advanced Packaging, zu reduzieren. Zur Schaffung von mehr Transparenz entlang der Halbleiterfertigung ist die Digitalisierung der Lieferkette wichtig. Um langfristige und präzise Prognosen angesichts der schnellen Innovationszyklen zu ermöglichen, ist der laufende Dialog mit Abnehmerunternehmen von Halbleitern unerlässlich.
Bedeutung der Halbleiter für die Dekarbonisierung der Wirtschaft
Halbleiterinnovationen spielen eine fundamentale Rolle auf dem Weg zu einer klimaneutralen Industrie und Gesellschaft, Der Einsatz von Mikrochips in Anwendungen für klimaneutrale Technologien wird in Zukunft überproportional wachsen. Die Halbleiterindustrie leistet bereits heute einen wichtigen Beitrag zur grünen und digitalen Transformation. Halbleiter reduzieren den globalen CO2-Footprint und tragen auch im Bereich der Datenverarbeitung in energieintensiven Rechenzentren zu signifikanter Einsparung von Energieemissionen bei. Dies sollte angesichts des steigenden Stromverbrauchs von Rechenzentren bei der Formulierung industriepolitischer Ziele für die Halbleiterbranche einbezogen werden.
Future / Quanten Computing und Intelligent Edge Technologien (KI)
Investitionen in neue Computing Architekturen, wie z.B. Quantencomputing, optisches Computing oder neuromorphes Computing u. a. für KI-Anwendungen, sind entscheidend für die strategische Souveränität in Deutschland und der EU. Intelligent Edge-Technologien haben den Vorteil, dass Latenzzeiten
3 VDA (2023). Halbleiterkrise – Voraussetzungen für künftige Relevanz, Kompetenz und Resilienz für Europa. S.5.
4 Bitkom (2022). Entwicklung des Halbleiterökosystems in Deutschland und Europa. S. 2.
reduziert und der Bandbreitenbedarf minimiert werden können, da Daten nicht über weite Strecken übertragen werden müssen. Darüber hinaus trägt Intelligent Edge Computing so zur Wahrung der Datenhoheit bei. Die Stärke Europas in diesem Bereich sollte auch im Hinblick auf eine holistische Mikroelektronik-Politik gezielt ausgebaut werden, da Intelligent Edge-Technologien als Ergänzung zum High-Performance-Computing (HPC) genutzt werden können. Mit dem Aufkommen von Edge-Technologien und der zunehmenden Verbreitung lokaler KI-Anwendungen wächst der Bedarf an leistungsfähigen und skalierbaren Speicherlösungen. Europa steht vor der Herausforderung, die erforderlichen Speicherkapazitäten bereitzustellen, um diese Entwicklungen zu unterstützen. Ein weiterer alternativer Technologiepfad, dessen Ausbau zur Wettbewerbsfähigkeit des Mikroelektronik-Ökosystems beitragen kann, ist das Neuromorphe Computing, welches künstliche neuronale Netzwerke verwendet, die auf Hardwareebene implementiert sind, um komplexe Aufgaben effizienter zu lösen als traditionelle Computerarchitekturen es können
Darüber hinaus ist Quantencomputing eine derjenigen Zukunftstechnologien, bei denen Deutschland das Potenzial hat, eine globale Führungsrolle einzunehmen und technologische Standards mitzuprägen. Quantentechnologien sind sowohl sicherheitsrelevant als auch ein Faktor von technologischer Souveränität. Die Bundesregierung sollte ihre Unterstützung für industrienahe Entwicklung von Quantencomputern/-prozessoren und entsprechender Anwendungen fortführen und somit sicherstellen, dass hochinnovative Prototypen „Made in Germany“ in marktreife Industrieanwendungen überführt werden
Angesichts der wachsenden Dominanz einzelner Akteure in der Mikroelektronik-Industrie müssen Deutschland und Europa diese neuen Technologiepfade erforschen und weiterentwickeln. International diversifizierte Partnerschaften und Kooperationen müssen gefördert werden, um eine stärkere Position in der globalen Technologielandschaft zu sichern.
Advanced Packaging / Heterogeneous Integration
Mit steigender Nachfrage nach kleineren IoT-Geräten, Sensoren und medizinischen Geräten wächst auch die Bedeutung des Advanced Packaging, da die Leistungsfähigkeit und Miniaturisierung von Halbleiterprodukten verbessert wird Wichtig ist auch die erhöhte Datensicherheit durch Advanced Packaging. Es ermöglicht die Integration verschiedener Funktionen auf einem einzigen Chiplet, was zu einer höheren Leistung bei gleichzeitiger Miniaturisierung durch erhöhte Packungsdichte führt Auch hier lassen sich noch Potenziale für eine Technologieführerschaft identifizieren
RISC-V
RISC steht für "Reduced Instruction Set Computer". Diese Art von Prozessoren verwendet eine vereinfachte Befehlssatzarchitektur (Instruction Set Architecture), die eine kleinere Anzahl von einfachen, schnellen Befehlen enthält. Die Vereinfachung dieser Anweisungen ermöglicht es, die Prozessoren effizienter zu gestalten, was sie besonders für Anwendungen geeignet macht, die hohe Leistung und niedrigen Energieverbrauch erfordern.
RISC-V als offene und lizenzfreie Befehlsarchitektur trägt zur Marktdiversifizierung bei, indem eine Vielzahl von Akteuren eigene Prozessoren entwickelt und anbietet. Darüber hinaus tragen RISC-VAktivitäten zu mehr Souveränität Europas bei. RISK-V wird in Deutschland bereits genutzt, eine Verstärkung der Aktivitäten ist sinnvoll, da Europa durch die Nutzung der offenen RISC-V-Architektur die Wertschöpfung seiner Halbleiterindustrie ausbauen und stärken und somit die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten reduzieren kann. Eine nationale Mikroelektronik-Strategie sollte die Potenziale von RISC-V für die strategischen Ziele Europas berücksichtigen.
Testing und Design
Design und Testing gewährleisten die Leistung und Zuverlässigkeit von produzierten Chips. Nur zehn Prozent des weltweiten Chipdesigns wird jedoch aktuell in Europa ausgeführt. Testing und Design von Halbleiterchips sind aber nicht nur entscheidende Aspekte in der Halbleitertechnologie, sondern versprechen zudem innerhalb der Wertschöpfungskette Renditemöglichkeiten. In Europa sollten Kompetenzen im Chipdesign und Chiptest gestärkt werden, um Engpässe zu verhindern und ROI-Raten zu verbessern
Berücksichtigung von Leiterplatten und EMS
Die Integration der Leiterplatten- und Elektronikfertigung (EMS) in die europäische Wertschöpfungskette ist von besonderer Bedeutung, da diese wesentliche Prozesse in der Weiterverarbeitung und Nutzung von Mikroprozessoren darstellen. Momentan entfallen nur 3 Prozent der weltweiten Leiterplattenproduktion auf die EU.5 Während andere Regionen der Welt Leiterplatten und Elektronikfertigung als kritische Teile der Wertschöpfung erkannt haben und umfangreiche Förderprogramme auflegen, steht auch Europa unter Druck, seine Wettbewerbsfähigkeit und strategische Unabhängigkeit in diesen Bereichen zu stärken.
Fachkräfte
Qualifizierte Fachkräfte sind entscheidend für den Erfolg der Mikroelektronik-Strategie in Deutschland. Die Fachkräftelücke in den für die Halbleiterindustrie relevanten Berufsfeldern ist im Jahr 2023 um 30 Prozent gestiegen, von etwa 62.000 auf über 82.000 unbesetzte Stellen.6 Angesichts dieser Fachkräftelücke muss Deutschland in Aus- und Weiterbildung investieren, um den Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften zu decken sowie das spezifische Halbleiter Know-How von der Industrie in die Universitäten zu bringen Ein Teil der benötigten Fachkräfte könnte durch die Erhöhung des Frauenanteils in technischen Berufen gewonnen werden, wozu Investitionen in bessere Betreuungsangebote für Kinder nötig sind Obwohl auch die Bindung von ausländischen Absolventen der technischen Universitäten an den deutschen Arbeitsmarkt gestärkt werden kann, wird es weiterhin auch notwendig sein, aktiv im Ausland Fachkräfte für die Mikroelektronikbranche anzuwerben. Die Einführung von Chip-Design als (softwarebasiertem) Ausbildungsberuf oder maßgeschneiderte duale Ausbildungskonzepte können ebenso Teilstrategien sein, den Bedarf an Fachkräften in der Mikroelektronikbranche zu decken. Zusätzlich braucht es einen grundsätzlichen kulturellen Wandel, der die gesamte Bildungskette von der frühkindlichen Bildung über die Grundschule, die weiterführende Schule, Ausbildung und das Studium bis hin zu MINT-übergreifenden Programmen berücksichtigt. Da zudem einige Industriezweige (z.B. die Solar- und Kohleindustrie) schrumpfen, könnte die Weiterbildung oder Umschulung von Fachkräften aus betroffenen Industriebranchen für die Mikroelektronik eine Teillösung sein. Es ist wichtig, diese Ansätze regionenübergreifend und interdisziplinär zu denken und in standortpolitische Maßnahmen zu integrieren
5 ZVEI (2024). Leiterplatten und Elektronikfertigung (EMS) als Voraussetzung für den Aufbau eines Ökosystems Mikroelektronik.
6 IW Köln, ZVEI, BDI (2023). Fachkräftemangel in Berufen der Halbleiterindustrie; Köhne-Finster, Sabine (2023). Berufe in der Halbleiterindustrie. Immer mehr Stellen können nicht besetzt werden, IWKurzbericht, Nr. 90
Standortpolitik und Verwaltung
In der Standortpolitik spielt die Flächenentwicklung und Vorsorge eine entscheidende Rolle. Die Kommunen müssen dabei unterstützt werden, Flächenpotenziale für die Mikroelektronikbranche auszuschöpfen. Dies kann durch gezielte Stadtplanung und die Bereitstellung von Ressourcen für die Entwicklung von Industriegebieten erreicht werden. Die Investitionslandschaft sollte so gestaltet werden, dass Investitionen auch KMUs zugutekommen Die personellen Ressourcen und die konsequente Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung müssen selbstverständlich ebenfalls gestärkt werden, um einen effektiven und effizienten Einsatz der Fördermittel sicherzustellen. Chips Competence Center sind ein Bestandteil dieser Verwaltungspolitik.
Energie-, Wasser- und Stoffpolitik sind ebenfalls elementare Rahmenbedingungen für den Industriestandort Deutschland, die den Anforderungen an ein global wettbewerbsfähiges Mikroelektronik-Ökosystem standhalten müssen Hier benötigt die Mikroelektronik verlässliche Regelungen und eine klare Langzeitstrategie seitens der Kommunen, Landesregierungen und der Bundesregierung. So braucht es Planungssicherheit seitens der Politik, beispielsweise in Bezug auf Energiepreise, um langfristige Investitionen zu ermöglichen. Gleichzeitig muss die vorhandene Infrastruktur, wie die Wasserversorgung, den steigenden Anforderungen gerecht werden, insbesondere im Hinblick auf den zunehmenden Wasserbedarf aufgrund klimatischer Veränderungen
Rohstoff- und Chemikalienpolitik
Zu geopolitischen Realitäten gehören auch Rohstoffabhängigkeiten in der deutschen und europäischen Halbleiterindustrie, die auf zu importierende kritische Rohstoffe wie Gallium und Silizium angewiesen ist. Eine umfassende Mikroelektronik-Strategie muss diese Rohstoffabhängigkeiten berücksichtigen. Es ist dringend erforderlich, die Diversifizierung der Rohstoffimporte und die Erschließung eigener Potenziale voranzutreiben, einschließlich der Weiterverarbeitung von Zwischenprodukten und der Förderung der Kreislaufwirtschaft von Halbleiterprodukten
Die Herstellung von Halbleitern benötigt eine wachsende Zahl von chemischen Produkten, die häufig nicht mehr in Europa hergestellt werden. Im Zuge des Ausbaus europäischer Halbleiterproduktion muss parallel die Versorgung an Rohstoffen durch eine balancierte Importstrategie und durch lokale Produktion gesichert sein.
Die Herstellung chemischer Rohstoffe ist kleinteilig und auf ein Ökosystem mit einer Vielzahl verschiedener Lieferanten ausgegliedert. Diese befinden sich oft in Asien und den USA, wo sich Ökosysteme von Herstellern von Zwischenprodukten für Halbleiterchemikalien und deren Kunden, den Herstellern der Halbleiterchemikalien, gebildet haben. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, die den Zugang zu chemischen Zwischenprodukten leicht und kostengünstig verfügbar machen und deren wettbewerbsfähige Produktion durch skalierbare Herstellung und Erhalt der Chemikalien-Vielfalt ermöglichen.
Die europäische Chemikalienverordnung ist dementsprechend eine Herausforderung für das Ziel einer wachsenden wettbewerbsfähigen Mikroelektronikindustrie So sind PFAS aufgrund ihrer hohen thermischen Stabilität und geringen Oberflächenspannung in der Halbleiterindustrie unverzichtbar. Sie werden in verschiedenen Produktionsschritten von der Frontend- bis zur Backend-Produktion eingesetzt. Ohne PFAS wäre die Herstellung moderner Halbleiterprodukte erheblich beeinträchtigt. Daher ist für die Mikroelektronik und die gesamte Halbleiterzuliefererindustrie eine risikobasierte Regulierung von Chemikalien im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung erforderlich. Dort wo durch den gezielten und kontrollierten Einsatz von PFAS kein Risiko besteht, muss der Einsatz weiter erlaubt
bleiben. Maßnahmen zur Entwicklung von nachhaltigeren Ersatzsubstanzen und Materialforschung sollten parallel unterstützt werden.
Positionierung Deutschlands und der EU
Der Kampf um die technologische Vorherrschaft in der Mikroelektronik insbesondere zwischen den USA, China und Europa ist in vollem Gange und wird sich zukünftig noch verstärken. Es gilt, Deutschland und die EU in diesem Wettbewerb so stark, souverän und innovativ wie möglich aufzustellen. Bei der Mikroelektronik handelt es sich um eine strategisch relevante Technologie von sektorübergreifender Bedeutung für Industrie und Gesellschaft.
Subventionen sind grundsätzlich langfristig kein nachhaltiges Mittel zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Aber nach klar definierten Kriterien ausgearbeitete Subventionen in der Wertschöpfungskette sind ein entscheidendes Instrument im globalen Wettbewerb um die technologische Führung im Halbleiterbereich. Der geopolitische Blick spielt bei der Mikroelektronik also eine entscheidende Rolle. Ein Subventionswettbewerb birgt dabei immer große Risiken. Aktuell befinden wir uns in einem internationalen Subventionswettlauf. Hier sollten angemessene, transparente und degressive Subventionen, die im Wettbewerb vergeben werden sollten, als Investitionen in eine unabhängige und souveräne Zukunft verstanden werden. Gleichzeitig müssen Opportunitätskosten berücksichtigt und relevante private Investitionen incentiviert werden, sodass diese die geleisteten Subventionen deutlich übertreffen.
Die EU wird auch im Sicherheitsbereich mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen, etwa bei Dual-Use Anwendungen im Halbleiterbereich, ebenso wie bei der Berücksichtigung von Cybersicherheitsvorkehrungen bei Soft- und Hardware. Eine klare Differenzierung zwischen sicherheitsrelevanten und nicht-sicherheitsrelevanten Produkten muss dafür die Basis sein.
Zielgerichtete Investitionen
Der Umgang mit Investitionslücken, die sich aus dem internationalen Subventionswettbewerb ergeben, ist eine Herausforderung in der Mikroelektronik-Politik Die Konsequenz muss eine fokussierte und risikobewusste Förderung sein. Anreize für private Investitionen müssen gezielt dort eingesetzt werden, wo es Schwachstellen in der Wertschöpfungskette und Potenzial für Ausbau gibt Das mit ihnen verbundene Risiko muss sorgfältig bewertet und abgewogen werden Für Europa setzt dies voraus, dass zuerst einmal eine zuverlässige Bestandaufnahme des Status Quo erfolgt.
Darüber hinaus ist die strategische Reflexion geopolitischer Realitäten unerlässlich. In einer vernetzten und interdependenten Welt können geopolitische Veränderungen, Pandemien und Exportrestriktionen Stressfaktoren sein, die erhebliche Auswirkungen auf die Mikroelektronik-Lieferkette und somit auch auf die gesamte Industrie haben. Daher ist es wichtig, diese Realitäten in die Investitionsentscheidungen einzubeziehen, um Abhängigkeiten von kritischen Komponenten aus anderen Regionen zu verringern
Europäische Zusammenarbeit vorantreiben
Europas Mikroelektronik-Ökosystem steht global großen Konkurrenten gegenüber. Das macht die Förderung europäischer Zusammenarbeit unerlässlich Die politische Interessensvertretung auf EUEbene muss unbedingt gestärkt werden, indem die deutsche Politik sich offensiver einbringt Dies beinhaltet auch eine personelle Verstärkung der innerhalb der Bundesministerien dafür zuständigen
Referate. Außerdem sollten europäische Technologiecluster – wie der Standort Dresden, Bayern und Norddeutschland – weiter gefördert und nach ihrem Beispiel weitere Standorte ausgebaut werden
Der nächste Finanzrahmen der Europäischen Kommission bietet eine hervorragende Gelegenheit, diese Ziele zu erreichen. Eine Berücksichtigung in Form eines Joint Undertaking könnte eine effektive Methode sein, um die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.
Internationale Abkommen intensivieren
Die Verwirklichung von internationalen Abkommen ist ein zentraler Aspekt in der Mikroelektronik-Politik und erfordert eine proaktive und strategische Herangehensweise der politischen Verantwortlichen. Europa muss sich in diesem Bereich international stärker vernetzen und existierende Partnerschaften in langfristige belastbare Beziehungen überführen. Dies beinhaltet die Vertiefung der Kooperationen zu wertvollen Schlüsselpartnern wie Taiwan, Südkorea, Japan und den USA. Diese Länder sind führend in der Mikroelektronik und können wertvolle Partner für Europa sein. Es ist daher zu begrüßen, dass die G7-Staaten eine Contact Group für das Thema Halbleiter eingerichtet haben. Der Trade and Technology Council zwischen EU und den USA hat sich ebenfalls als sinnvolles Format zum Austausch erwiesen.
Positivagenda European Economic Security Strategy (EES)
Die Mikroelektronik spielt eine entscheidende Rolle für die digitale Souveränität Europas und sollte daher im Mittelpunkt der Positivagenda für die European Economic Security Strategy stehen, um die Sicherheitsvorkehrungen für die europäische Wirtschaft bei kritischen Technologien und die Förderung globaler Partnerschaften im Sinne des Dreiklangs „Protect“, „Promote“ und „Partner“ zu ergänzen
Die von den USA verstärkt eingesetzten Exportkontrollen bei Schlüsseltechnologien wie Mikrochips haben erhebliche Auswirkungen auf die globale Lieferkette und die wettbewerbsstrategischen Interessen der europäischen Industrie Aus Industrieperspektive besteht der Wunsch nach einheitlichen EURegeln in Form einer eigenen Exportkontrollstrategie anstelle nationaler Alleingänge als Reaktion auf diese Entwicklungen. Unternehmen bevorzugen eine kohärente und vorhersehbare Politik, die es ihnen ermöglicht, ihre Geschäftsstrategien effektiv zu planen und anzupassen Es ist daher wichtig, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten einen ausgewogenen Ansatz bei der Umsetzung von Exportkontrollen verfolgen. Auf dieser Basis können dann eigene Exportkontrollmaßnahmen getroffen und, soweit nötig, mit den USA abgestimmt werden. Dieser Ansatz sollte sowohl die Sicherheitsinteressen als auch die Bedürfnisse der Unternehmen berücksichtigen.
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