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Bewertung der deutschen Industrie

Positionsfindung in der EU-Ratsarbeitsgruppe1

Die Ratsposition ist relativ klar. Die im Folgenden genannten Punkte werden von der breiten Mehrheit der MS getragen. Lagerbildung wie noch in früheren Trilogverhandlungen besteht derzeit im Rat nicht.

Catch-All Regeln: - Bei einer militärischen Endverwendung will der Rat weiterhin nur die Ausfuhr in Embargoländern kontrollieren. Es wird keine Alternative gesehen, wie die Wirtschaftsbeteiligten – die ja zivile Dual-Use-Güter ausführen – sonst rechtssicher solche Transaktionen verantworten könnten. Die Schwäche des Kommissionsvorschlages liegt aus Sicht des Rates und besonders der deutschen Ratspräsidentschaft darin, dass der Export in Embargoländer bereits weitestgehend untersagt ist. - Bei terroristischen Endverwendern ist die Ablehnung im Rat ebenfalls aufgrund der Sachlage eindeutig. Individuen mit terroristischem Hintergrund werden bereits gelistet. Es darf daher jetzt schon nicht an diese Personengruppe ausgeführt werden. - Eine dezidierte Cyber-Catch-All, die wirklich auf den oben genannten Bereich beschränkt bleibt, ist denkbar; allerdings bestehen die Mitglieder der Ratsarbeitsgruppe darauf, dass dies nur gelten kann, solange das Anwendungskriterium wie oben beschrieben eindeutig bleibt.

Beschlussfassungsregeln: Was die strukturellen Änderungen am Entscheidungsmechanismus angeht ist der Rat vorsichtig optimistisch, dass ein solcher Beschlussfassungsmechanismus politisch möglich sein könnte. Dieser gäbe allen MS ein Vetorecht und berge daher wenig Gefahren.

Transparenz: Ein Auflistungsmechanismus, wie das EP ihn spätestens seit der Auflistung der Exportgenehmigungen im Zuge der COVID-19-Restriktionen mit Nachdruck fordert, soll es nicht geben; die Bundesregierung lehnt eine Einzelnennung von Ausführern und Endverwendern ab.

Für die Bundesregierung, und damit den derzeitigen Ratsvorsitz, ist eine wie oben beschriebene Cyber-CatchAll durch die prozeduralen Änderungen nach dem Einstimmigkeitsprinzip denkbar. Die Bundesregierung glaubt auch unter den derzeitigen Bedingungen, die Verhandlungen im November realistisch zum Abschluss führen zu können.

Der Vorschlag der KOM hat die deutsche Industrie überrascht, gerade weil im Bereich der Terror-Catch-All und der militärischen Endverwendung doppelverwendungsfähiger Güter Positionen aus dem Jahre 2016 wieder aufgegriffen werden. Aus Sicht der deutschen Industrie wäre eine verwendungsbezogene Ausfuhrkontrolle zu terroristischer oder militärischer Endverwendung eine fatale Fehlregulierung mit unabsehbaren Folgen für die Wirtschaftsbeteiligten und die internationale Nicht-Verbreitung. Ohne eine penibel geführte Liste zu Personen mit terroristischen Verbindungen ist es unmöglich eine terroristische Endverwendung sinnvoll abzusehen. Gleiches gilt für eine militärische Catch-All für doppelverwendungsfähige Güter. Auf der Basis von Kunden- und Geschäftsdaten und ohne behördliche Weisung können Wirtschaftsbeteiligte nicht einschätzen, ob die Ausfuhr eines Dual-Use Gutes – wie es im Entwurf der Europäischen Kommission heißt – möglicherweise

1 Die folgenden Informationen basieren auf öffentlich zugänglichen Informationen der Bundesregierung bis zum 30. Juni 2020.

den internationalen Frieden bedroht. Aus Sicht der deutschen Industrie wären die Terror- sowie die militärische Catch-All redundant. Im besten Falle würden derartige Kontrollen neue bürokratische Hürden in einem bereits intensiv kontrollierten Bereich schaffen.

Ebenfalls kritisch sieht die deutsche Industrie das Vorhaben einer TKÜ-Catch-All. Gute Ausfuhrkontrollen fußen auf penibler Detailarbeit. Die schwierigen Verhandlungen zwischen den europäischen Ko-Gesetzgebern haben gezeigt, wie komplex es ist, Technologien so zu definieren, dass nur offensive und nicht auch defensive Cyber-Instrumente erfasst werden. Dem geänderten Vorschlag der Kommission vom August 2020 fehlt noch eine genaue Definition von „verdeckter Datenermittlung“. Solange dies der Fall ist, werden möglicherweise Cyber-Abwehr-Instrumente erfasst.

Grundsätzlich ist die verwendungsbezogene Ausfuhrkontrolle ein Instrument, mit dem die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihren Trägersystemen unterbunden werden soll. Nicht-Verbreitung ist ein hohes Gut – es darf nicht leichtfertig riskiert werden. Die Legitimation der Catch-All-Kontrollen wird untermauert durch die Fähigkeit der Wirtschaftsbeteiligten, Risiken zu erkennen und dezentral zu prüfen. Im Bereich der Nicht-Verbreitung ist dies technisch machbar und sinnvoll. Die deutsche Industrie lehnt weiterhin eine über die Nicht-Verbreitung hinausgehende verwendungsbezogene Ausfuhrkontrolle strikt ab. Politisch schadet zudem der Vorschlag der KOM der Integrität der multilateralen Nicht-Verbreitungsregime. Durch substantielle Änderungen könnte jedoch aus Sicht der deutschen Industrie während der deutschen Ratspräsidentschaft ein solider Verhandlungskompromiss erreicht werden.

Aus Sicht der deutschen Industrie sollte eine EU-autonome Liste angestrebt werden, die den von der KOM gesteckten Anwendungsrahmen für die Wirtschaftsbeteiligten besser nachvollziehbar macht. Kontrolliert werden sollten erstens TKÜ mit doppeltem Verwendungszweck, die speziell dafür entwickelt wurden, Informationsund Telekommunikationsdaten natürlicher Personen verdeckt abzuhören mit dem Ziel, die oben genannten Daten zu überwachen, zu extrahieren, zu sammeln oder zu analysieren.

Zweitens sollten vor einer Listung behördliche Nachweise darüber vorliegen, dass fundamentale Menschenrechte, wie das Recht auf Privatsphäre, sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, durch eine Ausfuhr dieser TKÜ in ein bestimmtes Drittland schwerwiegend, tatsächlich 2 und nachweislich gefährdet sind. Aus Sicht der deutschen Industrie ist es wichtig, dass es im Zusammenhang mit der EU-autonomen Liste zu einem strukturierten Informationsaustausch zwischen den Ausfuhrkontrollbehörden der EU-Mitgliedsstaaten kommt.

Drittens sind zur Prävention verstärkter unilateraler Kontrollen und Stärkung der Nicht-Verbreitungsregime aus Sicht der deutschen Industrie zwei Dinge unbedingt notwendig:

1. Eine EU-autonome Liste sollte nach den Regeln der qualifizierten Mehrheit erweitert werden können. Zusätzliche Listenpositionen würden demnach von mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten verabschiedet, die 65 Prozent der Unionsbevölkerung ausmachen. Auch bestünde nach diesem Mechanismus die Möglichkeit einer Sperrminorität, bei der vier Ratsmitglieder, die mindestens 35 Prozent der Unionsbevölkerung vertreten, eine Entschließung verhindern können. Durch einen solchen Beschlussfassungsmechanismus würde garantiert, dass zentrale Europäische Sicherheitsinteressen zügig umgesetzt werden könnten, ohne zentrale Souveränitätsrechte der MS zu stark einzuschränken.

2 Eine tatsächliche Gefährdung liegt z.B. vor, wenn eine missbräuchliche Nutzung nicht durch bindende rechtliche Rahmenbedingungen verhindert werden kann.

2. Um die Gefahr von Mission-Creep, also eines ungehinderten regulatorischen Ausgreifens EU-autonomer Kontrollen weit jenseits der Nicht-Verbreitungsziele zu verhindern, sollte eine weitere Bedingung erfüllt werden: der Beschlussfassungsmechanismus sollte mit einer Selbstverpflichtung der EU einhergehen, gemäß der sich die im Wassenaar-Arrangement vertretenen MS gemeinsam für eine Regime-Listung des betreffenden Gutes einsetzen.

Konkret fordert die deutsche Industrie daher eine Qualifizierung EU-autonomer Kontrollen äquivalent zur 0Y521-ECCN Series in den USA (Hintergrund s. blauer Kasten). So wäre ein befristeter Mechanismus sichergestellt, durch den die europäische Exportkontrolle an die Prozesse im Wassenaar-Arrangement gekoppelt bliebe. Somit würden in Zukunft politische Konflikte um die europäische Exportkontrolle vermieden und gleichzeitig ein Ausufern unilateraler Kontrollen eingehegt. Ein solches Vorgehen würde dabei rechtlich kein Neuland betreten. Im deutschen Außenwirtschaftsgesetz existiert bereits ein Recht auf befristete Einzeleingriffe gemäß AWG § 6 Absatz 1:

Hintergrund 0Y521-ECCN-Series

„[…U]m eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die Hierbei handelt es sich um eine Klassifikationsserie, in § 4 Absatz 1 [nationale Sicherheit], auch in Verbin- die in den USA bereits 2012 eingeführt wurde und eidung mit Absatz 2 [internationale Verpflichtungen], ge- nen Prozess für grundsätzlich zivile Güter eingeleitet nannten Rechtsgüter abzuwenden [kann] das Bereit- hat, der zuvor nur unter Kategorie XXI (Verschiedestellen von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen nes) der United States Munitions List (USML) möglich zu Gunsten bestimmter Personen oder Personenge- war. Anliegen der 0Y521-Serie ist es, eine unilaterale sellschaften beschränkt werden. “ Ausfuhrkontrolle kurzfristig zu ermöglichen. Im Unterschied zu Kategorie XXI USML jedoch muss die USBei den vorgeschlagenen EU-autonomen Kontrollen hanRegierung ein Gut, das in der 0Y521-Serie befristet delt es sich um einen unilateralen Eingriff in die Freiheit gehalten wird, in den multilateralen Prozess des Wasdes Außenhandels. Dieser sollte im Idealfall der Durchsenaar-Arrangements einbringen. Die Befristung unsetzung multilateraler Sicherheitsinteressen dienen. Eine ter 0Y521 ist zunächst auf ein Jahr begrenzt mit der Rückbindung der EU-Kontrollen an den Entscheidungsfin- Möglichkeit, diese Kontrolle zweimal um jeweils ein dungsprozess im Wassenaar-Arrangement ist daher unJahr zu verlängern. In dieser Zeit müssen das Verteibedingt notwendig. Dies würde die listenbasierte globale digungs, Handels- und Außenministerium übereinKontrolle von doppelverwendungsfähigen Gütern stärken kommen, ob sich eine Initiative zur multilateralen Konund zudem Wettbewerbsnachteile für europäische Wirt- trolle in Wassenaar lohnt. In Ausnahmefällen kann, schaftsbeteiligte verringern. nach Feststellung durch den US Under Secretary for Die deutsche Industrie lehnt umfassende Offenlegungs- Industry and Security, eine Verlängerung über die drei pflichten, wie sie vom Parlament gefordert werden, ab. Jahre hinaus erfolgen. Mehraufwand für die Wirtschaftsbeteiligten und Behörden sowie der unklare informationelle Mehrwert für die öffentliche Sicherheit sind hierfür die Hauptgründe. Geschäftsbeziehungen von zunächst einmal zivilen Gütern, die in den falschen Händen auch militärisch genutzt werden können, sollten vertraulich bleiben. Stark aggregierte Daten, in denen Ausführer und Endverwender ungenannt bleiben, könnten hier ein guter Kompromiss sein.

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