B&C Jahrbuch 2014

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Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Jahresbrief des Stiftungsvorstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Interview mit der Geschäftsführung: „Warum wir an uns glauben.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 THEMENSCHWERPUNKTE „Auf dem Weg zu Industrie 4.0“ (Brigitte Ederer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 „Die stillen Vereinbarungen“ (Franz Josef Radermacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 „Europa mit neuer Energie“ (Florian Ermacora) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 „Der Erfolg kommt aus dem richtigen Umfeld“ (Interview mit Hermann Hauser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 BETEILIGUNGSUNTERNEHMEN B&C weltweit – Produktionsstandorte der Kernbeteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

AMAG 32

Interview mit dem Vorstandsteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Facts & Figures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

LENZING

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Interview mit dem Vorstandsteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Facts & Figures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

SEMPERIT

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Interview mit dem Vorstandsteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Facts & Figures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

ÜBER DIE B&C INDUSTRIEHOLDING Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Bericht der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 B&C Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68


B&C | JAHRBUCH 2014

EDITORIAL Patrick F. Prügger, Michael Junghans

GESCHÄTZTE LESERINNEN UND LESER, wir freuen uns, Ihnen wieder unser bereits traditionelles Jahrbuch überreichen zu dürfen. 2014 war für uns ein Jahr, in dem die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Kernbeteiligungen im Fokus unserer Arbeit stand. Mehr denn je sehen wir die Weiterentwicklung von AMAG, Lenzing und Semperit als unsere Hauptaufgabe. Als Aufsichtsräte dieser Gesellschaften müssen wir dazu unseren Blick stets über den Horizont gleiten lassen und prüfen, welche Trends Wirkung zeigen könnten – weltweit und für den Industriestandort Österreich. Wir haben namhafte Autoren und Fachleute gebeten, ihre Gedanken zu diesen Entwicklungen mit uns und mit Ihnen zu teilen: Brigitte Ederer hat einen Beitrag zum Thema „Auf dem Weg zu Industrie 4.0“ verfasst, und wir freuen uns, dass sie in der Digitalisierung aller Prozesse viele Chancen für österreichische Betriebe sieht – auch für kleinere. Aber wer nicht aktiv an dieser technologischen Umwälzung teilnimmt, wird wenig Zukunft vor sich haben. „Europa mit neuer Energie“ beschreibt einen möglichen Weg hin zu verlässlicher Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit Energie zu erschwinglichen Preisen. Wie viele andere Experten sieht Florian Ermacora, leitender Mitarbeiter in der Europäischen Kommission in Brüssel, die Lösung in der raschen Schaffung PATRICK F. PRÜGGER Mitglied der Geschäftsführung B&C Industrieholding

eines einheitlichen europäischen Marktes für Energie. Dies gilt als Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb, der ohne Subventionen auskommt, trifft jedoch sicher nicht nur auf den Energiesektor zu. Angesichts der vielen Stimmen, die den Zerfall unserer Gesellschaft und den Verlust unserer Werte fürchten, beschreibt der deutsche Mathematiker und Denker Franz-Josef Radermacher die Mechanismen, die unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhalten: „Die stillen Vereinbarungen“. Und er beschreibt nicht nur, wie wir in einer globalisierten Welt unsere Balance wiederfinden können, sondern auch, welche Rolle dabei die Unternehmen spielen. Nicht zuletzt wird die Relevanz von aktiv gepflegter Unternehmenskultur auch in den Gesprächen mit den Vorständen unserer Beteiligungsgesellschaften thematisiert, und zwar als zentrales Element der Wettbewerbsfähigkeit. Last but not least sprachen wir mit Hermann Hauser, studierter Physiker und RisikokapitalUnternehmer, der eine führende Rolle beim Aufbau des „britischen Silicon Valley“ spielte. Aus seinen Worten schöpfen wir Optimismus und entdecken Perspektiven für die Zukunft der europäischen Industrie. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen! MICHAEL JUNGHANS Vorsitzender der Geschäftsführung B&C Industrieholding (bis 30. April 2015) 3


Das eigentlich „Neue“ am Jahr 2014 war, dass erstmals seit längerer Zeit geopolitische Spannungen entstanden, die die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich erheblich beeinflussen und die das Potenzial haben, bei längerem Andauern und bei regionaler Ausweitung in unserer Nachbarschaft ernsthafte Rückschläge für unser Land zu bewirken. Zwar sind Finanzierungen und Rohstoffe international betrachtet gut verfügbar und im Langfristvergleich billig – die Unsicherheit

sonst tatenlos zu bleiben. „Handeln statt sudern“ ist unsere Devise!

mancher Absatzmärkte, die global unterschiedliche, aber kaum irgendwo wirklich stabile Wirtschaftsentwicklung, die seit Jahren immer wieder enttäuschten Wachstumsprognosen sowie starke Schwankungen von maßgeblichen Währungen schränken hingegen die mittelfristige Planungssicherheit erheblich ein.

Nach dem Jahr 2011, als die Verwertung nichtindustrieller Assets und die Rückzahlung der zum Rückkauf der Substanzgenussrechte aus dem Jahr 2008 erforderlichen Finanzierungen weitgehend abgeschlossen war, hat die B&C Gruppe verstärktes Augenmerk auf die Geschäftsmodelle der Kernbeteiligungen gelegt. Dies war durch die andauernden makroökonomischen Risiken und die geopolitischen Spannungen auch notwendig geworden. Um diesen Herausforderungen besser gerecht zu werden, hat die B&C Gruppe ihr professionelles Beteiligungsmanagement um weitere Kompetenz erweitert und sich bewährte Erfahrung in der operativen Betriebsführung von Industrieunternehmen ins Haus geholt: Hanno Bästlein wurde zum Beirat und Aufsichtsrat ernannt, Felix Strohbichler mit Mai 2015 in die Geschäftsführung der B&C Industrieholding berufen.

Der Beschluss der AMAG, am Standort Ranshofen nach der Investition von 200 Millionen Euro in das neue Warmwalzwerk jetzt gleich unmittelbar anschließend in ein neues Kaltwalzwerk mehr als 300 Millionen Euro zu investieren, ist ein solcher mutiger Schritt des Handelns! Der AMAG „Glück Auf“ dafür!

JAHRESBRIEF DES STIFTUNGSVORSTANDES In solchen Phasen ist eine fast biedermeierliche Rückbesinnung auf das eigene Unternehmen, auf die Stärkung der eigenen wirtschaftlichen Basis angebracht. Die Dynamik kommt jetzt nicht so sehr von den Märkten, sie muss aus dem eigenen Unternehmen angestoßen werden. Deshalb wurde im abgelaufenen Jahr in den Kernbeteiligungen der B&C Gruppe damit begonnen, die Geschäftsmodelle noch stärker auf ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit zu überprüfen. Die prinzipiellen Wachstumsperspektiven der Absatzmärkte sind intakt, aber vor allem in Europa fehlt es am politischen Mut, Reformen entschlossen anzugehen und so die Märkte von teuren Fesseln zu befreien. Es ist unserer Meinung nach in dieser Situation die Hauptaufgabe der Unternehmensverantwortlichen, das eigene Haus gut zu bestellen, präzise zu analysieren, weise und zugleich mutig zu entscheiden – weniger aber, in der Öffentlichkeit gegen die Windmühlenflügel blockierter Strukturreformen anzukämpfen, aber 4

Es ist für österreichische Industrieunternehmen entscheidend, im globalen Wettbewerb der Exporteure zu bestehen. Globalisierung erlebt ein Land mit so kleinem Heimmarkt weder als Einbahnstraße noch als Sackgasse. Für Österreich ist der Erhalt seiner industriellen Basis absolut wichtig, denn allein mit Dienstleistungen können langfristig wohl nicht einmal die hartnäckigsten Steueroasen ihre Bevölkerung ernähren.


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War Lenzing beispielsweise zuerst ein Globalisierungsgewinner, kam das Unternehmen vor einigen Jahren durch sprunghaft angestiegene Produktionskapazitäten von Mitbewerbern, Verlust von nicht nachhaltigen Kostenvorteilen und ungewöhnlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen beim Konkurrenzprodukt Baumwolle massiv unter Druck. Bei Lenzing muss jetzt nicht nur durch Kostensenkungen, sondern auch durch bessere Produkte, optimierte Prozesse und intelligente Vermarktung die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt gesichert werden. Aufgabe wird dort weiters sein, die Rohstoffversorgung mit Zellstoff auf langfristig gesicherter Basis zu gewährleisten. Bei der AMAG, die mit den bereits erwähnten zwei österreichweit einzigartigen Großinvestitionen bis zum Jahr 2020 ihren vollintegrierten Aluminiumstandort in Ranshofen erheblich expandiert, liegt naturgemäß das Hauptaugenmerk auf dem anstehenden profitabilitätsorientierten Rollout des neuen Warmwalzwerkes sowie der Vorbereitung des Baues des neuen Kaltwalzwerkes. Semperit sieht sich vor der Aufgabe, einerseits die Marktchancen in den einzelnen Segmenten zu nutzen und andererseits aber die Komplexitäten im Konzern – auch mit Hilfe von vereinheitlichter IT sowie von gruppenstandardisierten Prozessen – zu reduzieren. Alle Beteiligungsunternehmen und auch die B&C Gruppe als Ganzes werden sich mit den Veränderungen, die die Digitalisierung aller Prozesse mit sich bringt, intensiv auseinandersetzen, um Chancen, die sich aus dem Thema Industrie 4.0 ergeben, erkennen und nutzen zu können. Vor kurzem haben wir uns von zwei wichtigen Funktionsträgern verabschiedet. Beiden – Peter Untersperger und Michael Junghans – gebührt der Dank der B&C Gruppe. Peter Untersperger hat Lenzing aus der Wirtschaftskrise 2008/2009 heraus auf neue Umsatz- und ErERICH HAMPEL Vorstandsvorsitzender

tragshöhen geführt. Er hat für den Standort Lenzing die Errichtung der weltweit ersten TENCEL® Anlage im industriellen Maßstab umgesetzt und sich damit bleibende Verdienste erworben. Wir danken ihm dafür. Dem Wettbewerbsdruck durch asiatische Mitbewerber und den Herausforderungen des Faserabsatzmarktes hat Lenzing unter seiner Führung eine tiefgreifende Reform der Kostenstrukturen entgegengesetzt. Mit den dabei erzielten Erfolgen sowie fortgesetzter Disziplin bei der Umsetzung der vom Management gesetzten Maßnahmen und Ziele geht Lenzing hoffentlich wieder einer gesicherten Zukunft entgegen. Michael Junghans hat in den vergangenen sechs Jahren mit großer Methodenkompetenz und Analyseklarheit die B&C Gruppe sowie die Aufsichtsräte unserer Kernbeteiligungen Semperit und Lenzing in neue Phasen begleitet. Für die B&C Gruppe waren diese Jahre ab 2009 einerseits durch den Abbau aller Kredite für die Erlangung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit gekennzeichnet, andererseits waren sie von den komplexen Auswirkungen der Eurostaatsschuldenkrise, der dadurch und durch die Subprimekrise ausgelösten Krise des weltweiten, aber insbesondere auch des europäischen Bankensystems und der dabei sichtbar gewordenen Strukturprobleme und zuletzt auch von der nachlassenden Dynamik der BRIC-Staaten geprägt. Keine leichten Zeiten, fürwahr! Dass sie bisher gut gemeistert und manche Chancen klug genutzt wurden, ist auch Verdienst von Michael Junghans. Wir danken ihm dafür. Für die kommende Zeit ist die Weiterentwicklung der professionellen Aufsichtsratstätigkeit eine der großen Aufgaben und Zielsetzungen. Für das vergangene Jahr wollen wir uns bei allen bedanken, die zur Absicherung und Weiterentwicklung der B&C Gruppe und der einzelnen Unternehmen beigetragen haben. Wir anerkennen voll Hochachtung den fachkundigen Einsatz und den Beitrag jedes Einzelnen zum Erfolg.

GEORG BAUTHEN Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden

WOLFGANG HOFER Mitglied 5



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WARUM WIR AN UNS GLAUBEN.

Österreich fällt in Rankings zurück, Standortvorteile wie Bildung und Produktivität geraten unter Druck: Müssen wir erst am Rande des Abgrunds stehen, bevor sich etwas ändert? Michael Junghans und Patrick F. Prügger im Gespräch mit Franz Schellhorn. Nehmen wir einmal an, Sie würden gerade Ihr eigenes Unternehmen gründen. Würden Sie das in Österreich tun? MICHAEL JUNGHANS: Diese Frage ist nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Schon deshalb, weil die Entscheidung nicht ausschließlich rational getroffen wird. Die regionale Verwurzelung der Menschen mit diesem Land ist nicht zu unterschätzen. Das prägt natürlich auch jene, die darüber nachdenken, ein Unternehmen zu gründen. Deshalb wandern die wenigsten ins Silicon Valley aus, sondern versuchen es zuerst in Österreich – leider muss ich sagen, wenn überhaupt.

PATRICK F. PRÜGGER: Rational würde ich diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Emotional noch mit einem Ja. Wobei die Betonung auf „noch“ liegt. Weil? PRÜGGER: Weil ich lieber in Wien lebe als in Peking. Die Lebensqualität ist in Österreich bekanntermaßen sehr hoch. Vor zehn Jahren hätte ich die Frage noch mit einem uneingeschränkten „Ja“ beantwortet. Heute können wir förmlich dabei zusehen, wie schnell wir in vielen relevanten Bereichen zurückfallen.

Woran liegt das? PRÜGGER: Nicht zuletzt an unserer Selbstzufriedenheit. Die merkt man auch in den vielen Bewerbungsgesprächen, die wir führen. Natürlich ist der Beruf nicht alles, natürlich ist eine Ausgewogenheit zwischen Privatund Arbeitsleben wichtig. Aber wenn Sie mit einem 24-jährigen UniAbsolventen im ersten Drittel eines Bewerbungsgesprächs ausschließlich über Work-Life-Balance sprechen, dann ist das schon ernüchternd. Ganz anders sind die Erfahrungen, die ich aus Gesprächen mit jungen Leuten im südostasiatischen Raum mitnehme. In diesen Menschen brennt ein Feuer, dort ist eine Motivation vorhanden, die uns weitgehend verloren gegangen ist. 7


Nun fällt der Wirtschaftsstandort Österreich in allen Wettbewerbsrankings kontinuierlich zurück, Vertreter der Bundesregierung verweisen aber darauf, dass die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Österreich die zweithöchste innerhalb der EU sei und die Arbeitslosenrate nur noch in Deutschland niedriger. So schlecht kann der Standort Österreich also nicht sein.

„In Österreich gibt es eine Kultur des Wollens: Die Menschen wollen arbeiten, und sie wollen etwas erreichen.“ MICHAEL JUNGHANS JUNGHANS: Wenn selbst Absolventen der Wirtschaftsuniversität am liebsten Beamte werden wollen, dann ist das schon überraschend. Den Nachwuchs für den öffentlichen Dienst zu formen wäre ja eher Aufgabe einer Verwaltungsakademie, nicht einer Wirtschaftsuniversität. Letztere sollte Unternehmer und Manager ausbilden. Mehr als die Hälfte der Wirtschaftsakademiker müssten das Gefühl haben, es sei toll, sich in Österreich auf eigene Beine zu stellen. PRÜGGER: Und jene, die mit einem Wirtschaftsabschluss im öffentlichen Dienst anheuern, sollten das mit einem stark ausgeprägten Verständnis für das Unternehmertum tun. Das täte dem ganzen Land gut.

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JUNGHANS: Wir sollten nicht übersehen, dass sich Österreich die hohe Wirtschaftsleistung pro Kopf zum Großteil über steigende öffentliche Ausgaben und explodierende Staatsschulden geliehen hat. Die implizite Staatsverschuldung Österreichs (verdeckte Schulden, die aus künftigen Verpflichtungen ohne ausreichende Deckung entstehen, etwa den Pensionszahlungen, Anm.) liegt nach Berechnungen von EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung zusammen mit der „offiziellen“ Verschuldung mittlerweile bei 271,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Zudem rühmt sich die Politik der niedrigen Arbeitslosigkeit, spricht aber nicht so gerne über jene 400.000 Nicht-Erwerbspersonen im Alter von 15 bis 64 Jahren, die grundsätzlich arbeiten würden. Worüber wir auch nicht so gerne reden, sind die 70.000 Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren, die in keiner Statistik zu finden sind. Also weder beschäftigt noch arbeitslos, noch in Ausbildung sind. Weitere 130.000 Menschen drängen von außen in den heimischen Arbeitsmarkt. Wenn wir all diese Menschen zu den offiziell in der Statistik geführten 455.000 Arbeitslosen zählen, dann haben wir hierzulande längst eine Arbeitslosenquote jenseits der 10 Prozent. Dennoch investieren die Unternehmen kräftig, im vergangenen Jahr wurde mit knapp 63 Milliarden Euro ein neuer Rekord erreicht. Stimmen die Rankings nicht oder investieren die Unternehmen am falschen Platz? PRÜGGER: All diese Rankings zeigen nur eine Momentaufnahme. Entscheidend ist die Einschätzung, wie die Lage in zehn Jahren aussehen wird. Und da besteht eben noch immer die Hoffnung, dass sich die Lage bessert. JUNGHANS: Zudem muss man sich die Statistiken im Detail ansehen. Selbst im umjubelten Deutschland lagen die Investitionen im Vorjahr unter den Abschreibungen. In Österreich werden vorwiegend Ersatzinvestitionen getätigt, neue Projekte aber oft im Ausland umgesetzt.


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Die Unternehmen der B&C Holding investieren ja noch in Österreich – sind das reine Ersatzinvestitionen? PRÜGGER: Bei der AMAG wurde der Entschluss gefasst, einen bereits integrierten Standort weiter zu optimieren und bei der angestrebten Expansion von dessen Stärken zu profitieren. Bei einem Greenfield-Bauvorhaben gingen diese Vorzüge verloren. Grundsätzlich steht aber fest, dass jedes Expansionsvorhaben gründlich geprüft wird und bei der Standortfrage reiner Patriotismus zu kurz gegriffen wäre. Das klingt nach Industrieabwanderung aus österreichischer Sicht. PRÜGGER: Das würde ich so nicht sagen. Richtig ist aber, dass es zusehends schwieriger wird, Österreich gegenüber anderen Investitionsstandorten den Vorzug zu geben. Dennoch: Wir investieren trotz aller offensichtlichen Schwachstellen noch immer gerne in Österreich, weil wir an die Qualität des Standortes glauben. Worin liegt denn neben der hohen Lebensqualität die Qualität des Standortes? JUNGHANS: In einem über Jahrhunderte gewachsenen, fest verankerten industriellen Gefüge. Das ist ein unschätzbarer Vorteil. Sehen Sie sich nur die Entwicklung der Länder nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an. Länder wie Polen und Tschechien haben sich zu kleinen Lokomotiven entwickelt, während sich traditionell landwirtschaftlich geprägte Volkswirtschaften wie Rumänien und Serbien schwertun, eine industrielle Basis aufzubauen. Das geht nämlich nicht von heute auf morgen. Wir dürfen diese Stärke, diesen kulturellen Schatz nicht leichtfertig aus der Hand geben. Zudem gibt es in Österreich eine Kultur des Wollens. Die Menschen wollen arbeiten, und sie wollen etwas erreichen. Das ist in unserer DNA.

PRÜGGER: Wunderbares Anschauungsmaterial für die Leistungsfähigkeit der österreichischen Köpfe liefert jährlich der Houskapreis der B&C Privatstiftung. Die nominierten Wissenschafter bestechen mit innovativen Lösungsansätzen und herausragenden Forschungsarbeiten. Ihre Projekte sind oft weltmarktfähig und befinden sich meist bereits in der kommerziellen Umsetzung. Was wir hier an kreativem Erfindergeist gepaart mit kaufmännischen Talenten erleben, lässt mich für die Zukunft optimistisch sein. Wir brauchen diese Vorwärtsstimmung – die gelebte Kultur des Wollens und die Freude an Spitzenleistungen – in viel mehr Köpfen und Bereichen, auch in der Verwaltung.

„Wir glauben an die Qualität des Standortes Österreich, denn entscheidend ist die Einschätzung, wie die Lage in zehn Jahren aussehen wird.“ PATRICK F. PRÜGGER Was genau bringt den Standort dann Ihrer Meinung nach unter Druck? JUNGHANS: Die Arbeitskosten liegen für einen qualifizierten Mitarbeiter in Indonesien bei weniger als 10.000 Euro im Jahr, in China bei weniger als 15.000 Euro und Österreich in manchen Industriesegmenten bei weniger als 70.000 Euro im Jahr. Die Produktivität ist hierzulande aber nicht fünf- oder siebenmal höher, der Vorteil liegt vielleicht noch bei 20 Prozent. Unter dem Strich geht sich das also nicht mehr aus.

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PRÜGGER: Österreich schwächt sich zudem selbst mit seinen versteinerten Strukturen. Das betrifft nicht nur die Politik, sondern auch unsere Interessenvertretungen. Selbst in der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung wird das österreichische BundLand-Gefüge abgebildet. Deshalb werden wir viele Probleme auch nur paneuropäisch lösen können, indem wir viele Entscheidungen an supranationale Ebenen abtreten.

„Kapitalmärkte sind die Voraussetzung für den Erhalt der industriellen Basis und damit für den Wohlstand im Land – das müssen die Bürger erkennen.“ PATRICK F. PRÜGGER PRÜGGER: Entscheidend sind aus meiner Sicht aber gar nicht so sehr die Arbeitskosten. Sondern die Frage, welche Marktchancen bestehen. Wo also wachsende Verbrauchermärkte zu finden sind. Und die liegen nicht in Europa. JUNGHANS: Deshalb sind heute selbst regionale Mittelständler gezwungen, in ausländische Standorte zu investieren.

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Viele der Probleme können wir doch auch im Land lösen. Wären Sie Regierungschef und könnten ohne Rücksprache Schritte setzen, um den Standort Österreich wieder an die Weltspitze heranzuführen: Was würden Sie tun? PRÜGGER: Vermutlich dasselbe, das auch bei der Sanierung eines Unternehmens zu tun wäre: alle Abläufe und Prozesse grundlegend hinterfragen. Wir müssen jetzt nicht das ohnehin offensichtliche Einsparungspotenzial in der Verwaltung bemühen. Den Menschen in diesem Land ist jedenfalls klar, dass strukturell etwas passieren muss. Beginnen würde ich aber damit, den Kapitalmarkt zu stärken. Das würde auch nicht viel kosten. Entscheidend ist es, den „Mindset“ der Bürger zu verändern. Die breite Masse soll erkennen, dass Kapitalmärkte nichts Schlechtes sind. Sondern die Voraussetzung für den Erhalt der industriellen Basis und damit für den Wohlstand in diesem Land. Bitte beachten Sie: Es gibt immens viel Vermögen, das es zu motivieren gilt. Hierzulande muss man sich aber fast schämen, wenn man Erfolg hat. JUNGHANS: Das Sparvermögen liegt in Österreich bei 550 Milliarden Euro. Gleichzeitig hat der gesamte österreichische Kapitalmarkt eine geringere Kapitalisierung als das größte Schweizer Unternehmen und eine kleinere Kapitalisierung als die zwei größten börsennotierten schwedischen Unternehmen.


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Was aber wäre neben der Stärkung des Kapitalmarktes noch zu tun, um den Standort Österreich nach vorne zu bringen?

Vielleicht muss ja jemand von außen kommen, um dieses Land wachzuküssen. Eine Krise zum Beispiel.

JUNGHANS: Lassen Sie mich zum Kapitalmarkt noch einmal herausstreichen, dass dieser höchsten Stellenwert zur Unternehmensfinanzierung hat. Tüchtige Unternehmer benötigen einen funktionierenden Kapitalmarkt, um Eigenkapital einsammeln zu können. Die Bedingungen hierzu müssen verbessert werden. Andernfalls sind diese Unternehmen auf Fremdkapital angewiesen und damit auf den Bankensektor, der von Strukturproblemen belastet ist. Davon losgelöst können wir unseren Wohlstand nur dann halten, wenn es uns Österreichern gelingt, die volle Leistungskraft der Bürger zu entfesseln. Das wird nur dann zu schaffen sein, wenn die Eigenverantwortung der Menschen in diesem Land steigt. Wir haben schon vom „Mindset“ gesprochen: Was es braucht, ist ein Zurücknehmen der schützenden Hand des Staates und einen Abbau der Abhängigkeiten.

PRÜGGER: Mittlerweile bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich glaube, dass Österreich am Rande des Abgrunds stehen muss, bevor etwas passiert. Ohne die Wirtschaftskrise wäre es zum Beispiel auch nie möglich gewesen, eine paneuropäische Bankenaufsicht auf die Beine zu stellen.

Sie plädieren also für einen Rückbau des Sozialstaates? JUNGHANS: Ich plädiere dafür, unsere VollkaskoMentalität zu hinterfragen. Der Staat zieht den Menschen Monat für Monat so viel Geld aus der Tasche, dass sie sich nie eine eigene Wohnung kaufen können. Im Gegenzug stellt der Staat günstige Mietwohnungen zur Verfügung. Das schafft Abhängigkeiten und unterbindet jegliches Vorwärtsstreben. Wir haben über die vergangenen Jahrzehnte einen Komfortstaat gezimmert, mit einer Transferquote von jenseits der 33 Prozent (etwas mehr als ein Drittel eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens kommt vom Staat, Anm.). Wir haben eine Steuer- und Abgabenquote jenseits der 43 Prozent vom BIP. Über diese Höhen müssen wir nachdenken. Und auch darüber, wie wir die Verantwortung des Einzelnen in den Vordergrund stellen. Weil wir in Österreich das Glück haben, dass viele Menschen vorwärtsstreben wollen. Das muss wachgeküsst werden.

JUNGHANS: Dass die Politik erst dann handelt, wenn sie muss, liegt in der Natur der Sache. Das ist in den Unternehmen ja nicht anders. FRANZ SCHELLHORN leitet seit 2013 die unabhängige Denkfabrik „Agenda Austria“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, neue Antworten auf wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen in Österreich zu finden. Zuvor war er mehr als 15 Jahre bei der Tageszeitung „Die Presse“, wo er das Wirtschaftsressort leitete, ab 2011 als stellvertretender Chefredakteur. PRÜGGER: Ein kluges Unternehmen belohnt aber das Gegensteuern seiner Vorstände. Die Wähler strafen die Politiker dafür gnadenlos ab. Der schwedische Sozialdemokrat Göran Persson hat sein Land mit unpopulären Reformen saniert und wurde zweimal wiedergewählt. Gerhard Schröder hatte großen Rückstand auf Angela Merkel und die Wahl trotz Hartz IV fast noch gewonnen. PRÜGGER: Deutschland lebt auch heute noch zu einem Großteil von dieser Arbeitsmarktreform. Entscheidend ist aber, dass jemand den Bürgern ausführlich erklärt, warum Reformen notwendig sind. Die Menschen wären schon froh, wenn auch nur eine strukturelle Reform angegangen würde. Allein das könnte schon das Vertrauen in den Standort entscheidend stärken und für eine Aufbruchstimmung sorgen.

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4.0 B&C | JAHRBUCH 2014

AUF DEM WEG ZU INDUSTRIE Von Brigitte Ederer

Bedrohung oder Chance, Vision oder Revolution: Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung von Produktionsabläufen für die europäische Industrie? Wie schaffen Unternehmen die Wende für neue Technologien? Ein Blick in die Zukunft. Ich kann mich an kein vergleichbares Technologiethema erinnern, das die Industrie in den vergangenen Jahren in einem ähnlichen Ausmaß beschäftigt hat wie Industrie 4.0. Europa, die USA, Asien – alle großen Industrienationen beschäftigen sich mit der Frage, wie mit intelligenter Produktion Wettbewerbsvorteile zu erzielen bzw. bestehende Nachteile auszuhebeln sind. Sicher, der Begriff Industrie 4.0 ist ein Wortkonstrukt, das eine vierte industrielle „Revolution“ beschreiben soll und den Aufbruch in eine neue Welt antizipiert. Unabhängig davon, welchen Namen wir dieser Entwicklung geben – Smart Factory, Future of Manufacturing oder Cyberphysical Production Systems –, es besteht weitgehend der Konsens, dass die Digitalisierung der größte Innovationstreiber der Welt ist. Hierzu zählt natürlich auch die Digitalisierung der Produktion. Kurzum: Es wird alles digitalisiert werden, was digitalisiert werden kann.

Auch wenn man sich am Begriff stößt, der für mich wichtige Punkt ist: Ohne Industrie 4.0 wird die Produktion nicht in Europa bleiben. Industrie 4.0 ist die große Chance, den internationalen Wettbewerb nicht mehr ausschließlich über Standortkosten führen zu müssen, sondern mit Know-how, integrativem Management von komplexen Systemen und gesteigerter Ressourcen- und Energieeffizienz entscheidende Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Wir wissen, dass die europäische Industrie einem zunehmenden globalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist. Der Industrieanteil war in vielen EU-Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren de facto rückläufig. Aufstrebende Wirtschaftsregionen hingegen, allen voran Asien, konnten ihren Anteil an der globalen industriellen Wertschöpfung signifikant steigern. Europa kann im Wettbewerb mit Billiglohnländern nicht reüssieren. Erfolg kann folglich nur in einer höheren Wertschöpfung liegen.

WAS IST INDUSTRIE 4.0? Frei nach Professor Wilfried Sihn, Fraunhofer Austria Research: Es ist ein intergalaktisch großes Thema. Modernste Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) werden in klassische physische Produkte und Prozesse integriert. Sensorik, Elektronik, Robotik, Internettechnologien wie Cloud Computing oder App-Entwicklung interagieren. Werkstücke, Maschinen und Logistik kommunizieren direkt miteinander, tauschen Informationen aus und treffen eigenständig Entscheidungen im Rahmen ihrer vorprogrammierten Möglichkeiten. Das geschieht ortsunabhängig selbst über Unternehmensgrenzen hinweg. Was früher die unternehmensinterne Ressourcenplanung abgewickelt hat, passiert in Zukunft autonom über einen unsichtbaren Webhub – die sogenannte Cloud.

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Möglich wird dies, weil industrielle Geräte künftig eine zweite Identität im Netz bekommen – ein virtuelles Abbild. Sie sind dort unternehmensunabhängig verfügbar und können ihre Zusammenarbeit miteinander verhandeln. Die Technologien dafür gibt es bereits, jetzt gilt es zu vernetzen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und Standards zu schaffen.

Vieles in der digitalisierten Produktion ist bereits Realität. Aber genauso vieles noch Theorie. Was ist Industrie 4.0 noch? Flexibilität und Individualität. Die Produktionskette wird anpassungsfähig genug sein, um Kundenwünsche zum Preis der Massenfertigung herstellen zu können. Bildhafter gesprochen werden autonome Roboter durch Werkshallen gleiten. Das Produkt weiß selbst, was es werden will: Die Werkstücke kommunizieren selbständig mit den Maschinen und organisieren ihre Fertigung weitgehend selbst. Fehlerquellen werden frühzeitig erkannt und eine Überprüfung oder Reparatur autonom initiiert. Die Vernetzung über die Cloud schließt Lücken oder Engpässe in der Zulieferkette weitgehend aus, die Auslastung der Maschinen wird optimiert, die Ausfallquote minimiert. Vieles ist bereits Realität. Aber genauso vieles noch Theorie. Die automatisierte Produktion mithilfe von intelligenten IKT hat bereits mit den ersten Robotern in den 1980er Jahren begonnen. Seither ist die IT-unterstützte Fertigung stark gewachsen. Wesentliche Elemente einer intelligenten Fabrik von morgen werden heute schon in Pilotfabriken 14

umgesetzt. Dort kommunizieren Produkte und Maschinen und sämtliche Prozesse sind IT-gesteuert – bei minimaler Fehlerquote. Das mag nicht Produktion 4.0 sein, aber doch 3.8. INTELLIGENTE PRODUKTE: CHANCE FÜR MITTELSTÄNDISCHE UNTERNEHMEN Industrie 4.0 beschreibt die vollständige Durchdringung der Wertschöpfungs- und Produktionsketten mit digitalen Prozessen und Systemen. Dies betrifft in Folge nicht nur die großen industriellen Produzenten, sondern auch Zulieferer und Dienstleister – also genau jene für Österreich so typische mittelständische Unternehmen. Den eingangs diskutierten Begriff Industrie 4.0 könnte – oder besser sollte – man daher auf Wirtschaft 4.0 ausweiten.


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Es ist ein Netzwerk, das nicht nur Fabriken, sondern auch Gewerbebetriebe und Dienstleister einbezieht. Zwar werden Großproduzenten den Takt vorgeben, aber die Zulieferer werden sich in den Rhythmus einreihen. Industrie 4.0 wird auch kein Thema der Hochtechnologieunternehmen bleiben, sondern auch das klassische Gewerbe betreffen. Denn auch die Produkte selbst werden intelligenter. Ein Beispiel: Ein Taschenhersteller, der bisher nur Leder oder Stoff verarbeitet hat, wird sich mit neuen Technologien auseinandersetzen müssen. Kunden werden es schätzen, wenn ihre Tasche mit Akkus und USB-Anschlüssen ausgestattet ist, um technische Gadgets unterwegs aufladen zu können. Ein Schneider wird zum Technologieanbieter.

Es gibt bereits mittelständische Unternehmen aus dem gewerblichen Bereich, die sich des Themas annehmen: Ein bekannter Möbelhersteller in Oberösterreich, der international erfolgreich tätig ist und den von Niedriglohnkosten getriebenen Wettbewerb mit Osteuropa spürt, setzt auf Effizienz und investiert in smarte Produktion. Untereinander vernetzte Maschinen steuern viele Abläufe selbst. Maßmöbel sind „Losgröße 1“. Jedes Stück wird auftragsbezogen hergestellt, die ganze Fabrik arbeitet wie ein Tischlereibetrieb. Durch die Investitionen in IKT können mehrere tausend Aufträge pro Monat effizienter und kostengünstiger produziert werden.

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LOSGRÖSSE 1

MAG. BRIGITTE EDERER ist seit September 2014 Aufsichtsratsvorsitzende der ÖBB-Holding AG. Zuvor war die ehemalige Politikerin Vorstandsmitglied der Siemens AG, München. Seit 2010 ist Ederer auch Obfrau des Fachverbandes der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI) in der Wirtschaftskammer Österreich.

Losgröße 1 bedeutet: Der Einzelwunsch zählt. Auch wenn sich die Diskussion derzeit um Produktion und Logistik dreht, wird es entscheidend sein, die Wertschöpfungskette bis zum Konsumenten auszudehnen. Diesen Gedanken zu Ende gesponnen bedeutet, dass der Kunde oder Geschäftspartner von Beginn an in den Prozess eingebunden wird. Das Unternehmen muss ein neues Geschäftsmodell aus Industrie 4.0 und einen Mehrwert für seinen Kunden entwickeln. Ein österreichischer Entwickler von Antriebssystemen hat sich weltweit als Marktführer etabliert. Sein Erfolgsgeheimnis: Motoren werden intelligent, das heißt virtuell entwickelt. Wo früher Prototypen gezeichnet, gebaut, getestet und anschließend verworfen und optimiert werden mussten, passiert dies nun fast ausschließlich virtuell. Die Entwicklung von Motoren hat sich in den vergangenen Jahrzehnten fundamental verändert. Am globalen Markt herrscht ein hoher Innovationsdruck, Motoren werden komplexer. In der Entwicklung sind zig Parameter zu berücksichtigen: Treibstoffe, Umweltauflagen, neue Werkstoffe, Kommunikation des Autos mit der Umgebung, Recycling und Risikomaterialien usw. Der Prototyp, der das Unternehmen verlässt, wurde exakt einmal und nach individuellen Kundenanforderungen gebaut, was eine enorme Zeit- und Geldersparnis bedeutet, die an den Kunden weitergegeben wird.

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Wohl eines der spektakulärsten Beispiele für Losgröße 1 ist der NASA-Marsroboter „Curiosity“. Der Weltraumroboter wurde virtuell entwickelt, virtuell konstruiert und seine Funktionen auf Herz und Nieren simuliert, bevor es einen physischen Prototyp gab. Die Software trug dazu bei, dass die vielen tausend Komponenten zusammenpassen, richtig arbeiten und den Bedingungen der Mission standhalten. In der Entwicklung galt die Null-Fehler-Vorgabe: Service-Einsätze auf dem Mars sind unmöglich. Erfahrungen aus diesen extremen Anwendungsgebieten fließen bereits heute in die Massenproduktion ein, zum Beispiel in der Automobilindustrie zur Verkürzung von Produktionszyklen. Die Zukunftsvision von Industrie 4.0 könnte also so aussehen: Ein Kunde gibt die Entwicklung eines Prototyps in Auftrag. Lieferung innerhalb von zwei Monaten. Ein Programm durchforstet die Cloud nach Zulieferern von geeigneten Komponenten. In Minutenschnelle ist eine Liste mit potenziell geeigneten Bauteilen zusammengestellt. Maschinenbauingenieure, Elektrotechniker und Software- und Automatisierungsspezialisten schließen sich mit Produktionsplanern und Mechatronikern kurz. Die Entwicklung basiert auf einem virtuellen Marktplatz, auf dem miteinander verknüpfte Maschinen ihre Dienstleistungen anbieten und Informationen mit Lieferanten in Echtzeit austauschen. INTELLIGENTE SERVICES 4.0 Der oben erwähnte Entwickler von Antriebssystemen und Messgeräten geht noch einen Schritt weiter und entwickelt Services auf Basis von Virtual-Reality-Datenbrillen. Die produzierten Messgeräte sind Einzelstücke, die nur von qualifizierten Mitarbeitern korrekt gewartet werden können. Mithilfe der Datenbrille kann nun ein Mitarbeiter im Headquarter eine Fachkraft vor Ort – egal wo auf


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der Welt – in Echtzeit anweisen, welche Schritte zu tun sind. Und zwar noch bevor ein echtes Problem auftritt, denn die Produkte senden automatisch Informationen, falls Reparaturen, Wartungsarbeiten oder Optimierungen notwendig sind. Diese Information in Echtzeit reduziert Stillstände, Zeit und Kosten.

Es ist selbstverständlich, dass ein Wandel dieser Größenordnung nicht über Nacht vonstatten gehen kann, sondern vielmehr eine Evolution in kleinen Schritten ist. Umstellungen in der Produktion funktionieren eben nicht von heute auf morgen. Unternehmen produzieren seit Jahren gleich. Jetzt muss die Wende für neue

Die Vorteile von Industrie 4.0 liegen also klar auf der Hand: Es ermöglicht eine höhere Effizienz. Die Produktion lässt sich besser planen und steuern. Daraus ergibt sich eine höhere Flexibilität und Qualität, was sich im Normalfall positiv auf die Kundenzufriedenheit auswirkt. Die sogenannte Timeto-Market – ein entscheidender Faktor für hochinnovative Unternehmen – reduziert sich signifikant: Produkte können schneller und kostenschonender entwickelt und produziert werden.

Industrie 4.0 ist eine große Vision und vor allem eine große Chance.

Studien gehen davon aus, dass in Österreich mit Industrie 4.0 in den kommenden Jahren zusätzliche Produktivitätssteigerungen von bis zu 10 Prozent zu erwarten sind, in Summe acht bis zwölf Milliarden Euro. Das Wachstumspotenzial wird auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschätzt, rund drei Milliarden Euro pro Jahr. In der Folge des Wachstums werden neue Arbeitsplätze entstehen. DER MENSCH IN DER DIGITALEN PRODUKTION Welche Qualifikationen wird ein Mitarbeiter im Zeitalter von Industrie 4.0 benötigen? Auf welche Arbeitswelt muss das Bildungssystem vorbereiten? Bei Industrie 4.0 werden Logistikaspekte immer wichtiger werden, ebenso Management und Analysen von Big Data, insbesondere auch die Datensicherheit. Maschinenbauingenieure werden ein grundlegendes Verständnis für ITSysteme mitbringen müssen, Softwareentwickler von Produktionsketten. Fachkompetenzen sind aber nur die halbe Miete, die Fähigkeit zu planen und zu kooperieren gewinnt an Bedeutung.

Technologien geschaffen werden. Ich habe einige Beispiele angeführt, die zeigen, wie viele Facetten Industrie 4.0 beinhaltet. Die Digitalisierung von Anlagen findet statt, aber erst punktuell innerhalb der Wertschöpfungskette. Der nächste Schritt wird daher sein, dass diese Ketten miteinander vernetzt werden. Industrie 4.0 ist tatsächlich ein intergalaktisch großes Thema, eine große Vision, und allem voran ist es eine große Chance. Österreich ist gut gerüstet und kann seine internationale Wettbewerbsfähigkeit ausbauen, wenn nun die richtigen Schritte gesetzt werden. Ich sehe dieser Zukunft positiv entgegen: Jede industrielle Revolution hat letztlich zu mehr Wachstum, Wohlstand und Kaufkraft geführt.

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DIE Von Franz Josef Radermacher

STILLEN

VEREINBARUNGEN Sind die Spielregeln für ein ausgeglichenes Zusammenleben unserer Gesellschaft durch die Globalisierung in Gefahr? Müssen wir geltende Vereinbarungen – ausdrücklich oder stillschweigend getroffen, sichtbar oder unsichtbar – neu definieren und ist dies vielleicht sogar eine Chance, unsere Gesellschaft neu zu gestalten? Zunächst eine Begriffsklärung: Unter „stillen“ oder „unsichtbaren“ Vereinbarungen verstehen wir Übereinkommen zwischen den Menschen innerhalb einer Gemeinschaft. Diese Übereinkommen gelten als „selbstverständlich“ und sind daher Bestandteil des kollektiven Selbstverständnisses und Teil der Kultur. Die stillen Vereinbarungen sind Voraussetzung dafür, dass Gesetze akzeptiert werden – auch ohne Furcht vor Sanktionen. Beispiele für stille Vereinbarungen kennen wir alle, oft sind sie uns jedoch nicht als solche bewusst. So gehen wir prinzipiell davon aus, dass in einem ernsthaften Gespräch die Wahrheit gesagt wird, dass wir nicht beliebig angelogen werden. Andere stille Vereinbarungen gibt es zwischen Männern und Frauen – das betrifft sowohl die gegenseitig akzeptierte Rolle in der Familie wie auch den Platz in der Gesellschaft; ein gutes Beispiel dafür,

wie langwierig es ist, solche Vereinbarungen neu zu definieren und für alle selbstverständlich zu machen. Stille Vereinbarungen sind nur so lange von nachhaltiger Gültigkeit, als sie für jedermann, der sich daran hält, einen Nutzen bringen, und jenen einen gesellschaftlichen Nachteil, die sich darüber hinwegsetzen. Sie sind der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Um den Bestand dieser Vereinbarungen dauerhaft zu sichern, bedarf es Autoritäten, die für die Gesellschaft normativ sind. Stille Vereinbarungen sind die Voraussetzung dafür, einander prinzipiell zu vertrauen. Soweit zum Grundsätzlichen. Nun ist es aber so, dass sich mit den tiefgreifenden Veränderungen unserer Welt – Stichwort Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel – auch unsere Möglichkeiten verändert haben. Aufgrund des gestiegenen Wohl-

standes und einer besseren Technik ergeben sich immer mehr Optionen für unsere Lebensgestaltung. Das bedeutet, dass wir immer häufiger entscheiden müssen, ob und welche Optionen wir wahrnehmen. DIE GRENZEN DES „SELBSTVERSTÄNDLICHEN“ Bei der Auswahl und Nutzung dieser vielfältigen Möglichkeiten kann schnell einmal etwas durcheinander geraten. Wir sind damit konfrontiert, dass die Freiheit des Einen die Freiheit des Anderen unterminiert. Früher führten „selbstverständliche“ Verhaltensgrenzen zu einem angemessenen Verhalten. Heute gilt es immer häufiger, entsprechende Punkte durch Regulierungen in den Griff zu bekommen.

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Regulierungen sind jedoch diffizil, denn sie sind zumeist auf bestimmte Rechtsräume beschränkt, selten sind sie wirklich grenzübergreifend. Wir erleben immer häufiger Konflikte – zwischen Personen, Gruppen, Staaten, ganzen Wirtschaftsblöcken –, wenn die Freiheit zu handeln genutzt wird.

Zwischen Markt und Politik gibt es seit jeher ein Ringen um die „richtige“ Ordnung. So gibt es in der Logik des freien Welthandels, für den supranationale Organisationen wie die WTO eine wichtige regulative Rolle besitzen, zum Beispiel den Anspruch von Unternehmen in bestimmten anderen WTO-Mitgliedsländern, Produkte bei uns verkaufen zu dürfen, selbst wenn bei der Herstellung dieser Produkte Kinderarbeit oder umweltzerstörende Prozesse involviert waren. Hinzu kommt, dass viele Menschen mittlerweile international aktiv tätig und global eingebunden sind. Wir werden dadurch mit anderen Werten und Sichtweisen vertraut, die unser Verhalten verändern. Zum Beispiel sind Einzelne heute im Sinne eines „Kismet“ in asiatischer Logik eher als früher bereit, Dinge geschehen zu lassen und anzunehmen, wie sie kommen. Das verändert unsere Welt gegenüber einer strikten katholischen und protestantischen Sicht der Verantwortung und Pflichterfüllung. Letztere besagt, dass wir als Individuen für die Verhältnisse in der Welt verantwortlich sind und jederzeit versuchen müssen, alles so zu regeln, dass die Verhältnisse in Ordnung sind.

DIE SUCHE NACH DER „RICHTIGEN“ ORDNUNG Zwischen Markt und Politik gibt es seit jeher ein Ringen um die „richtige“ Ordnung. Es geht um die adäquate Regulierung der jeweils herrschenden ökonomischen Sphäre. In Europa bestand und besteht hier mit der sozialen Marktwirtschaft und einer klaren Umweltorientierung ein Konsens, der teilweise durch die Globalisierung ausgehebelt wird. Das betrifft etwa – um beim oben bereits genannten Beispiel zu bleiben – den Umgang mit Kinderarbeit oder den Umgang mit Umwelt- und Klimabelastungen. Heute ist vieles anders bzw. möglich, was früher verboten war. „So etwas tut man nicht“, war die Antwort, wenn man in der Logik eines „ehrbaren Kaufmannes“ operierte, für den oftmals schon der Handschlag verbindlich war. Hier haben sich stille Vereinbarungen verschoben. Andererseits droht für die Unternehmer der Verlust der „licence to operate“, wenn der Ärger in der Gesellschaft über (modernes) „Freibeutertum“ zu groß wird. FAIRE VERTEILUNG DES WACHSTUMS Damit dies nicht geschieht, brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag, der die ökonomische Globalisierung und eine faire Verteilung des Wachstums reflektiert. Die generelle Position in Europa dazu war stets, dass die Eigentümerseite wie die Mitarbeiter, Führungskräfte und die Gesellschaft angemessen an den Überschüssen ökonomischer Aktivität partizipieren sollten. Diese Sichtweise bindet alle aneinander. Hierin zeigt sich die Gemeinwohlorientierung des Eigentums. Sie ist für uns immer noch die Basis für die „licence to operate“ der Unternehmen. Seit dem Fall der Berliner Mauer und damit dem Ende des Kommunismus in Europa haben sich aber die Gewichte zwischen Staat, Gesellschaft und Unter-

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nehmen verschoben. Heute fließt mehr zu den Unternehmen, weniger zu den Mitarbeitern und der Gesellschaft. In dem Bestseller von Thomas Piketty, „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, ist dies detailliert beschrieben. Insbesondere wird dargelegt, welche Mechanismen diese Veränderungen bewirkt haben – nämlich hohe Rückflüsse auf Kapital, gefördert über Deregulierung und Intransparenz in globalen Finanzmärkten, wobei diese Rückflüsse im Mittel prozentual im Verhältnis zum eingesetzten Kapital höher sind, wenn das verfügbare Kapital größer wird. Das begünstigt heute die immer stärkere Konzentration von Reichtum und schafft „inequality“.

angemessen zur Besteuerung herangezogen werden und andererseits wir alle auf dieser Basis erfolgreich in der Wertschöpfung sind – sprich diszipliniert arbeiten, diszipliniert Steuern zahlen und uns geistig und körperlich fit und gesund halten. Warum aber fallen immer mehr Beteiligte aus diesem „Vertrag“ heraus? (Ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen, Krankenstände und die Rate der Burnout-Fälle genügt.) Wir sichern nicht für alle Menschen Partizipationschancen, grenzen also manche Menschen aus und unternehmen nicht viel, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren bzw. sie für die digitale Wertschöpfung der Zukunft ausreichend zu qualifizieren.

Diese wiederum behindert das Funktionieren der Gesellschaft, weshalb vieles neu reguliert werden muss. Unsere Gesellschaft kann nur dann stabil sein, wenn auf der einen Seite die Unternehmen und große Vermögen

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SEHEN UND GESEHEN WERDEN

DDR. FRANZ JOSEF RADERMACHER ist promovierter Mathematiker und Wirtschaftswissenschafter sowie Professor für Informatik („Datenbanken und Künstliche Intelligenz“) an der Universität Ulm. Er tritt für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft ein und ist insbesondere durch sein Engagement in der „Global Marshall Plan Initiative“, die sich seit 2003 für eine gerechtere Globalisierung und eine „Welt in Balance“ einsetzt, bekannt geworden. Prof. Radermacher ist Vizepräsident des Ökosozialen Forums Europa und Mitglied im Club of Rome.

Tun wir das bewusst, oder haben wir etwas Wesentliches übersehen? Mangelnde Sichtbarkeit ist eine gefährliche Herausforderung. Sie stellt sich, wenn das ökonomische Geschehen nicht mehr nur in räumlicher Nähe stattfindet und die Folgen nicht mehr für alle sichtbar sind. Das war „früher“ anders. Wirtschaftliche Aktivitäten fanden im Nahumfeld statt, Verantwortungen waren klar zugeordnet. Das förderte die Vernunft und sorgte für einen „vernünftigen“ Umgang miteinander und mit seiner Umwelt, in der es unmittelbare Ansprechpartner gab. Diese gehen zunehmend verloren. Und dann wird es schwierig mit stillen und unsichtbaren Vereinbarungen. Wenn es Firmenpolitik ist, Führungskräfte insbesondere deshalb regelmäßig auszuwechseln, damit implizite Vereinbarungen und Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern oder externen Partnern sich in nichts auflösen, ist das keine faire Strategie. Sich systematisch impliziten Vereinbarungen zu entziehen wird zunehmend auf die Spitze getrieben. Bei manchen Unternehmen kann man heute nicht einmal mehr Beschwerde einlegen. Man steckt in unendlichen Telefonwarteschleifen auf der Suche nach einem Ansprechpartner. Andere Unternehmen bauen Kernkompetenzen darin auf, durch aggressive Steuerplanung in supranationalen Kontexten der Besteuerung vollends auszuweichen. Ein anschauliches Beispiel für unterschiedliche Standpunkte in einer prinzipiellen Frage ist die höchst kontroverse Diskussion um die Staatsschulden Griechenlands. IM DIENSTE DER MENSCHEN? Glücklicherweise ist seit der Finanzkrise 2007 einiges in Bewegung gekommen, um den beschriebenen Entwicklungen entgegenzutreten.

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Heute wird thematisiert, dass Unternehmen ihre „licence to operate“ verlieren können, wenn das ökonomische System nicht mehr das hervorbringt, was der großen Mehrheit der Menschen dient. Wenn das weltökonomische System einen nicht beherrschbaren Klimawandel herbeiführt und eine Milliarde Menschen nicht satt werden, obwohl wir in einer Welt von sieben Milliarden Menschen Nahrung für 13 Milliarden produzieren und die Überwindung des Hungers ein Millenniumsentwicklungsziel der internationalen Politik ist, dann stellt sich für viele die Frage, ob das noch akzeptiert werden kann. FORMALE VEREINBARUNGEN Die Forderung nach einem verstärkten Sichtbarmachen stiller Vereinbarungen und einer Formalisierung von Rechten und Pflichten muss gestellt werden. Jede Explizierung eines implizit als selbstverständlich angenommenen Verhaltens stabilisiert einerseits dieses Verhalten, andererseits kann es das Verhalten aber auch verändern. Das kann in die Richtung wirken, dass das Formulieren dazu führt, dass man sich der stillen Vereinbarung bewusst wird und sich auch daran hält. Es kann aber auch sein, dass man der stillen Vereinbarung dadurch entgehen will, dass man sich auf das Formulierte und Kommunizierte in enger Auslegung zurückzieht und dann die Grenzen austestet, zum Beispiel auf dem Rechtsweg. Wie Formalisierung die Situation verändern kann, zeigt folgendes Beispiel aus Deutschland: Als man in einigen Kindergärten Geldbußen einführte, wenn Eltern mit den Kindern zu spät kamen, hatte das nicht zur Folge, dass alle verspäteten Eltern unzufrieden waren. Einige Eltern waren froh, dass sie nun offiziell zu spät kommen konnten, die Strafe bezahlten und damit ihre Pflicht erfüllt hatten.


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„BETRIEBSSYSTEM DER MODERNEN WELT“ Manchmal wird die Position vertreten, dass wir in Europa eine stille Vereinbarung miteinander getroffen hätten, als die Besten zu gelten. Ist das wirklich so? Richtig ist, dass hier in Europa das „Betriebssystem der modernen Welt“ erfunden wurde, dass wir über ein paar Jahrhunderte führend waren und dass daraus viele Vorteile für uns resultierten. Wir haben diese Vorteile noch immer und sind bisher relativ erfolgreich darin, unsere Position zu halten. Wir werden aber vieles leisten müssen, um dies auch in Zukunft zu erreichen. Ein wichtiger Beitrag könnte in der Fortentwicklung des europäischen Ordnungsrahmens einer an Umwelt orientierten sozialen Marktwirtschaft, also einer Ökosozialen Marktwirtschaft, bestehen. Dabei geht es darum, dass die Öknomie grün und inklusiv sein muss. Wir müssen die Umwelt schützen, wir sollten einen bedrohlichen Klimawandel unbedingt vermeiden. Im Kontext der Globalisierung sollten wir dies nicht in der Weise tun, dass wir hiesige Probleme rund um den Globus exportieren. Wir müssen vielmehr versuchen, die Herausforderungen bei uns vor Ort anzugehen – etwa durch das Erfinden eines neuen Energiesystems. Wir müssen gleichzeitig darauf achten, dass die ökonomischen Prozesse inklusiv wirken, und das weltweit. Sie müssen also alle Menschen mitnehmen, insbesondere diejenigen, denen es am schlechtesten geht – und zwar in Form des höchsten prozentualen Zuwachses bei der Verteilung von Wohlstand, insbesondere bei den Ärmsten. Natürlich werden auch dann noch die größten absoluten Zuwächse im oberen Bereich der Einkommenspyramide erfolgen. Aber bisher ist es so, dass dort sogar die höchsten prozentualen Zuwächse realisiert werden.

Das ist auf Dauer nicht friedensfähig. Wir beachten leider diese notwendige Fokussierung auf die Ärmsten heute nicht in ausreichendem Maße. Das hätte nämlich Fragen der Adjustierung der Besteuerung und der Querfinanzierung zur Folge, denen die wohlhabendere Seite gerne aus dem Weg geht.

Globalisierung darf nicht bedeuten, lokale Probleme rund um den Globus zu exportieren. Durch die Globalisierung haben Staaten nicht nur ihren Alleinanspruch, sondern auch die Möglichkeit verloren, souverän Gesetze zu erlassen und wirkungsvoll durchzusetzen. Eine große Chance entsteht dadurch sowohl für Städte als auch für Unternehmungen, Vereinbarungen zu definieren und dadurch Werte zu bestimmen, die Verhaltensweisen normieren und so eine Kultur schaffen, die für einen definierten Raum bzw. für eine klar abgrenzbare Organisation identitätsstiftend ist. Identität und Unternehmenskultur als Produktivitätsfaktoren klingen zwar in humanistischen Ohren nicht sympathisch, sind aber in der zeitgenössischen Managementlehre ein zentraler Eckpfeiler.

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EUROPA MIT NEUER ENERGIE B&C | JAHRBUCH 2014

Von Florian Ermacora

Zuverlässige Energieversorgung zu erschwinglichen Preisen hat für die Industrie höchste Priorität. Um sie langfristig sicherzustellen, muss die europäische Energiepolitik weiter integriert werden. Das erfordert eine verständnisvolle, grenzüberschreitende Zusammenarbeit aller Beteiligten. Mit dem Thema Energie ist es ähnlich wie mit Fußball: Jeder hat dazu eine klare Meinung und glaubt sofort zu wissen, wer für die aktuelle Niederlage oder den Sieg seiner Mannschaft verantwortlich ist. Dumm nur, dass es nicht immer ganz so einfach ist. Die Energieversorger klagen über zu geringe Erlöse, zu viel Regulierung, zu strikte Umweltauflagen, zu starke politische Einschränkungen und zu wenig Geld für den Umbau ihrer veralteten Anlagen. Parallel dazu jammern die Industrie und die Verbraucher über zu hohe Preise, potenzielle Versorgungsengpässe und beklagen die Umweltverschmutzung und den Klimawandel. Schuld an allem ist „natürlich“ die EU, die sich entweder nicht ausreichend um die Energieprobleme kümmert oder sich zu viel

kümmert – die Beurteilung erfolgt abhängig von Sichtweise und Einzelinteressen. Eines steht jedoch fest: Eine nachhaltige, zuverlässige Energieversorgung zu dauerhaft leistbaren Preisen wird nur dann möglich werden, wenn alle einen Blick auf das „big picture“ werfen und sich dazu entscheiden, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Die relevanten Stellhebel dazu sind längst ausgemacht: Sie heißen Diversifizierung der externen Energieversorgungsquellen, Modernisierung der Energieinfrastruktur, Erhöhung der Energieerzeugung innerhalb der EU, Vollendung des Energiebinnenmarktes und Schaffung einer Energieunion. Eine begleitende Dämpfung der Energienachfrage wäre ebenso notwendig. Beginnen wir mit dem letzten Punkt:

WENIGER NACHFRAGE, MEHR ENERGIEEFFIZIENZ Die effiziente Energienutzung gehört zu den grundlegenden EU-Zielen für 2020. Bis dahin soll der Gesamtenergieverbrauch um 20 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, bis 2030 um mindestens 27 Prozent. Der Energiebedarf soll durch intelligente und wirtschaftliche Effizienzmaßnahmen reduziert, erneuerbare Energien vermehrt etabliert werden. Ansätze dazu finden sich bereits in vielen Mitgliedstaaten – in Österreich etwa durch das Energieeffizienzgesetz, das seit 1. Jänner 2015 in Kraft ist. Der Erfolg und die Treffsicherheit solcher einzelstaatlicher Maßnahmen werden sich noch weisen.

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ERNEUERBARE ENERGIEN Die erneuerbaren Energien sind das Kernstück der europäischen Energiestrategie. Durch sie wird das Ziel verfolgt, Treibhausgasemissionen zu verringern und Energieeinfuhren zu reduzieren, wodurch Europa unabhängiger wird. Die Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen soll in der EU dazu beitragen, den Import fossiler Brennstoffe im Gegenwert von rund 400 Milliarden Euro jährlich zu vermeiden. VOLLENDUNG DES ENERGIEBINNENMARKTES DR. FLORIAN ERMACORA ist Referatsleiter für Großhandelsmärkte Strom und Gas, Direktion B Energiebinnenmarkt in der Generaldirektion für Energie bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Der Jurist wirkte seit 2008 in der Generaldirektion u.a. an der Öffnung der Energiemärkte und der Errichtung der EU-Energieagentur ACER mit.

Wie schon in vielen anderen Bereichen der Europäischen Union muss auch auf dem Energiemarkt ein offener Wettbewerb herrschen. Administrative Hürden beim Zusammenschließen nationaler Märkte sind abzubauen. Ein Binnenmarkt bringt Kostenvorteile und kostengünstige Versorgungssicherheit, wobei sich Europa auf seine eigenen Ressourcen – insbesondere im Bereich erneuerbare Energien – konzentrieren muss. SCHAFFEN EINER ENERGIEUNION Eine Energieunion als nächster Integrationsschritt des Energiebinnenmarktes führt zu mehr Solidarität, Versorgungssicherheit und Wettbewerb. Derzeit sind wir noch ein gutes Stück davon entfernt. Mitgliedstaaten entsinnen sich Europas tendenziell nur dann, wenn die EU im Einzelfall nützlich ist, um nationale Interessen durchzusetzen. Widerspricht die europäische Idee dem nationalen Ansinnen, beruft man sich auf die nationale Souveränität. Dies ist – aus innenpolitischer Sicht – absolut verständlich, der Schaffung einer Energieunion jedoch abträglich. Die erforderliche Transformation des europäischen Energiesystems kann nur gelingen, wenn die Regierungen aller Mitgliedstaaten bereit sind, gesamteuropäisch zu denken und zu handeln.

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Das bedeutet natürlich auch, dass der Wildwuchs an unterschiedlichen Fördersystemen und Privilegien, die den Markt verzerren und zu höheren Gesamtbelastungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen, abgeschafft wird. Beispiele dafür sind etwa die Einspeistarife für erneuerbare Energien, Subventionen von konventionellen Energieformen in Form von Befreiungen von der Kohleabgabe, von Regierungen festgelegte Stromund Gaspreise für Unternehmen oder bevorrechtigter Zugang bestimmter Akteure zu den Netzen. KOORDINIERTER NETZAUSBAU Damit ein Energiebinnenmarkt und eine Energieunion funktionieren und erneuerbare Energien vermehrt genutzt werden können, muss das Netz ausgebaut werden. Es braucht ein leistungsfähiges Stromnetz, das die wichtigsten Erzeugungs- und Verbrauchszentren Europas miteinander verbindet. Dazu bedarf es eines koordinierten Übergangs von alter zu neuer Technologie, stabiler politischer Rahmenbedingungen und erreichbarer Ziele für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. Für den Netzausbau sind über die nächsten sieben Jahre rund fünf Milliarden Euro vorgesehen. Die Idee ist dabei jedoch nicht, Infrastrukturprojekte mit EU-Geldern zu fördern oder etwaige unternehmerische Fehlinvestitionen aus der Vergangenheit aufzufangen. Die EU gibt Impulse und unterstützt in Ausnahmefällen mit Zuschüssen über Regionalfonds – stets unter der Prämisse, dass sich das Projekt am Markt rechnen muss. REDUKTION DER IMPORTABHÄNGIGKEIT Ein Kennzeichen Europas ist seine energetische Abhängigkeit von der Außenwelt. Als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Erde verbraucht die EU gut ein Fünftel der weltweit


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erzeugten Energie, besitzt aber selbst nur sehr geringe Vorräte. Mehr als 50 Prozent des EU-Energiebedarfs werden aktuell durch Importe abgedeckt – das betrifft insbesondere den Gasmarkt. Hier sind derzeit einige EU-Mitgliedstaaten entlang der EUOstgrenze vollständig von einem Gasproduzenten oder gar einer einzigen Versorgungsroute abhängig. Im Bereich der Gasmärkte ist es im Sinne der Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit mehr als förderlich, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Das Gebot der Stunde heißt Diversifizierung der Gasquellen – etwa über den Einsatz von Flüssiggas oder den Ausbau von Gasleitungen in alternativen Gebieten. ABBAU VON BÜROKRATIE, SCHNELLERE VERFAHREN Kürzere Umweltverträglichkeitsprüfungen als bisher, klare Entscheidungsfristen und eine raschere Erteilung von Anlagengenehmigungen sind für den Netzausbau unverzichtbar. Brüssel beeinflusst diese Anforderung positiv über eine Infrastrukturregulierung. Diese sieht vor, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Genehmigungsabläufe verbessern müssen. Bei größeren Infrastrukturmaßnahmen konnte die Zeit schon von 8-10 Jahren auf 3 Jahre verkürzt werden. Brüssel ist außerdem bemüht, die Planung von großen Infrastrukturvorhaben stärker zu koordinieren, um Kleinteiligkeit zu vermeiden. EU-WEITE KOOPERATION Grenzüberschreitende Kooperation in einem Markt mit 500 Millionen Bürgern ist insbesondere im Stromsektor von zentraler Bedeutung. Durch eine solche Zusammenarbeit lassen sich die Kosten für die Integration erneuerbarer Energien senken. Eine verstärkte Zusammenarbeit macht vor allem auf regionaler Ebene

Sinn. Derzeit versucht noch jeder Mitgliedstaat selbst, Versorgungssicherheit zu definieren und sie zu bewerkstelligen. Das ist nicht kosteneffizient. Eine EU-weite Kooperation fördert auch die Solidarität der Mitgliedstaaten auf einem freien Energiemarkt.

Die erneuerbaren Energien sind das Kernstück der europäischen Energiestrategie. Gegenüber großen Gaslieferanten wie Russland ist es derzeit weder solidarisch noch mit dem europäischen Binnenmarkt vereinbar, wenn jeder Mitgliedstaat bilateral versucht, die besten Konditionen für sich herauszuholen. FAZIT Sowohl langfristige Versorgungssicherheit als auch günstige Energiepreise für die Industrie lassen sich im europäischen Kontext gut verwirklichen. Voraussetzung dafür ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft im Energiesektor. So können Skaleneffekte erzielt und Kosten durch das Teilen von Backup-Kapazitäten gespart werden. Die Importabhängigkeit kann durch die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien innerhalb der EU und Diversifizierung der Energiequellen reduziert werden. Unternehmen, deren Produktionskosten zu einem großen Teil von Energiekosten bestimmt werden, können durch die adäquate Auswahl geeigneter Energielieferanten in einem liberalisierten Markt den freien Wettbewerb unterstützen und die Preisbildung selbst beeinflussen.

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Es wird in Europa immer wieder von Reindustrialisierung gesprochen, und es gibt Versuche, Innovationen systematisch zu fördern. Welche Rolle spielt bei erfolgreichen Innovationen im Hochtechnologiebereich der Zufall, wie sehr kann man den Erfolg anstreben? Manchmal widerstrebt es mir, es zuzugeben, aber der Zufall ist der größte Erfolgsfaktor, wenn es um innovative Hochtechnologie geht. Ich würde ihn

zu haben, braucht man einen Star, der ein Magnet für die Teammitglieder ist – egal, ob das ein Techniker oder ein Kaufmann ist. Drittens habe ich beobachtet, dass ein A-Team mit C-Technologie bessere Erfolge aufweist als ein C-Team mit A-Technologie. Es kommt auf die Menschen an, und ein A-Team geht anders an den Markt heran, findet einen besseren Zugang oder kauft einfach das Team mit der A-Technologie.

ERFOLG KOMMT AUS DEM

„DER

RICHTIGEN UMFELD“

Hermann Hauser, der „Steve Jobs von England“, im Gespräch über Innovationskraft, unternehmerisches Denken und die gemeinsame Kultur des Wollens. mit 30 bis 40 Prozent ansetzen. Die Gründer müssen sowohl die Marktals auch die Technologieentwicklung fünf Jahre vorausdenken, und da gibt es viele Unwägbarkeiten. Aber man kann auch sagen, der Zufall macht „nur“ 40 Prozent aus, alles andere muss man selber gut machen. Entscheidend ist erstens, dass man sich einen Markt aussucht, der groß ist und dynamisches Wachstum aufweist. Wenn ein großer Markt wächst, bieten sich so viele Chancen, dass Fehler eher verziehen werden. Zweitens ist die Qualität der Menschen wichtig, und um ein glanzvolles Team

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Was sind die Voraussetzungen für erfolgreiches Innovationsmanagement? Das Umfeld ist enorm wichtig. Erfolgreiche Innovationen im Technologiebereich kommen fast immer aus Clustern. Dort gibt es Forschungseinrichtungen von Weltruf, das Know-how und die Verfügbarkeit von Unternehmern. Und was immer bedeutender wird: Es sind dort auch die sogenannten Serial Entrepreneurs, Serienunternehmer, die eine Firma nach der anderen gründen. Amadeus Capital Partners, der Fonds, an dem ich beteiligt bin, war früher zu 17 Prozent an Unternehmen beteiligt, die von Serial Entrepreneurs geleitet wurden – heute sind es 70 Prozent. Im richtigen Umfeld gibt es auch Anwälte, Steuerberater und Buchhalter, die


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über ein detailliertes Marktverständnis verfügen. Im richtigen Umfeld und mit einem Netzwerk aus Top-Leuten ist die Wahrscheinlichkeit, mit Innovation zum Erfolg zu kommen, deutlich höher. Wie kann Europa gegenüber den USA oder Asien bei der Innovationsstärke aufholen? Es muss die Kultur des jungen Unternehmertums, des gegenseitigen sportlichen Anspornens zugelassen und gefördert werden. In Cambridge, als ich meine erste Computerfirma gründete, hatten wir viele Träume und viel Freude an der Arbeit, aber dass wir einmal den meistverkauften Prozessor der Welt entwickeln würden, hätten wir nie zu träumen gewagt. Erfolgreiche Innovationen sind auch das Ergebnis von Lebensfreude. Es gibt in Österreich ein erstaunliches Phänomen, das beispielhaft für ganz Europa sein könnte, nämlich das Pioneers Festival. Das gibt ein gutes Gefühl dafür, in welchem Klima, in welcher Kultur des Miteinander Innovationen blühen können. Und ich glaube eines: Es geht in erster Linie um „Benign neglect“, also um das Zulassen. Innovationsarbeit darf nicht erschwert und behindert werden. Dann ist schon viel gewonnen. Für welche Sektoren sehen Sie Wachstumschancen? Ich glaube fest an die Biologie, insbesondere im Gesundheitswesen. Wir haben jetzt ein detailliertes Verständnis der Organismen, und die Gensequenzierung liefert Daten, die das Gesundheitswesen revolutionieren werden. Dies stärkt die präventive Medizin. Alleine in den USA ist das ein Markt, der bereits heute 1.000 Milliarden Dollar schwer ist – und er wächst weiter. Der Gesundheitsmarkt in den USA hat ein Volumen von 3.000 Milliarden Dollar, ein Drittel davon geht in die Prävention. In den kommen-

den drei bis fünf Jahren wird sich das Verhältnis von Gesundheitsvorsorge zu klassischer Heilung auf 50:50 ändern, der Markt wird wachsen und bietet enormes Potenzial. Und welche Chancen sehen Sie für Österreich? Die Österreicher sollten vom Megatrend „Industrie 4.0“ profitieren. Da entstehen gute Chancen. Und Österreich hat in der Biochemie eine Stärke, das muss genutzt werden. Kann die Politik Innovationen fördern? Die staatliche Verwaltung kann viel dazu beitragen, beispielsweise gibt es in England staatliche Zuschüsse für Forschungsinvestitionen. Ein kleines Unternehmen erhält für 100 Pfund 230 Pfund in Cash, ein großes Unternehmen 120 Pfund. Das führt dazu, dass große Unternehmen ihre Forschungsinvestitionen in kleinere Einheiten auslagern und die Innovationsszene dadurch belebt wird. Ein anderes Beispiel: In England können Business Angels ihre Beteiligung an Start-ups von der Einkommensteuer abschreiben. Das fördert auch die Freude am Unternehmertum, und ich glaube, hier liegt die wichtigste Aufgabe der Politik: die „Kultur des Wollens“ sorgsam zu pflegen.

Der Risikokapital-Unternehmer (Amadeus Capital Partners) und studierte Physiker HERMANN HAUSER, gebürtiger Tiroler, spielte eine führende Rolle beim Aufbau des „britischen Silicon Valley“ in der Umgebung von Cambridge. Bekannt wurde er vor allem durch seine Beteiligung an der Gründung von Acorn im Jahr 1978, die unter anderem den sehr erfolgreichen ARM-Prozessor entwickelte. Hauser hält zahlreiche EhrendoktorTitel und Fellowships und ist Knight Commander des Order of the British Empire.

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Wien, Österreich Wimpassing, Österreich Sopron, Ungarn Allershausen, Deutschland Surat Thani, Thailand Hat Yai, Thailand Kamunting, Malaysia Nilai, Malaysia Odry, Tschechische Republik Rovigo, Italien Shanghai, China Belchatów, Polen Argenteuil, Frankreich Roha, Indien Shandong, China Deggendorf, Deutschland Fair Lawn, USA

A AMAG Ranshofen, Österreich Sept-Îles, Kanada

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AM AG


Das Nachhaltigkeitsverständnis der AMAG basiert auf sechs definierten Prioritätsthemen und ist ein wesentliches Element in der erfolgreichen Unternehmensentwicklung.

Die AMAG AUSTRIA METALL AG mit Sitz in Ranshofen/OÖ ist ein weltweit tätiger Produzent von Primäraluminium und hochqualitativen Aluminiumguss- und -walzprodukten, die in verschiedensten Industrien wie der Flugzeug-, Automobil-, Sportartikel-, Beleuchtungs-, Maschinenbau-, Bau- und Verpackungsindustrie eingesetzt werden. Die eigene Primärmetallbasis ist durch eine Beteiligung (20 Prozent) am Unternehmen „Aluminerie Alouette“ in Kanada gesichert. Die Kombination eines hochspezialisierten, integrierten Gieß- und Walzwerks mittlerer Größe mit eigener Primärmetallversorgung ist einzigartig und bildet eine stabile Basis für die erfolgreiche Geschäftsentwicklung der AMAG. Darüber hinaus ist das Werk in Ranshofen weltweit das einzige, in dem alle Aluminium-Legierungsfamilien an einem Standort verarbeiten werden können. Weitere Informationen unter www.amag.at


HELMUT WIESER ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender der AMAG Austria Metall AG. Wieser hat mehr als 23 Jahre Erfahrung in der Aluminiumindustrie. Vor seinem Wechsel zur AMAG war er Global Executive Vice President von Alcoa, dem weltweit grĂśĂ&#x;ten Aluminiumhersteller.


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WO SIND DIE GRENZEN DES WACHSTUMS? Für intelligente Aluminiumproduktion und -verarbeitung scheint es so etwas nicht zu geben – oder doch? Ein Gespräch mit dem Vorstandsteam der AMAG. Herr Wieser, gibt es für die AMAG Grenzen des Wachstums? Wenn ja, wo liegen diese? HELMUT WIESER: Die Grenzen des Wachstums werden grundsätzlich von den Kunden und dem Wettbewerb bestimmt, also vom Markt. Wir gehen für die AMAG von einem substanziellen Wachstum in den kommenden Jahren aus: Im Bereich Transport mit Automobilen, Luftfahrt-, Schienen- und Nutzfahrzeugen erwarten wir auf mittlere Frist ein Ansteigen des Verbrauchs für Aluminiumwalzprodukte von 12 Prozent pro Jahr; der Aluminiumverbrauch wächst jährlich um 6 Prozent. Das bildet die solide Basis für unseren Wachstumskurs, der eine Verdoppelung der jährlichen Absatzmenge auf über 300.000 Tonnen Walzprodukte pro Jahr vorsieht.

Nach Abschluss des zweiten großen Investitionsprogramms „AMAG 2020“ wird Ranshofen zum voll integrierten Standort. Gibt es für die Zeit danach eine Vision für die weitere Aufwertung des Standortes oder sehen Sie Investitionen an anderen Standorten? WIESER: Ranshofen wird jetzt zu einem Spitzenstandort der europäischen Aluminiumindustrie entwickelt: „AMAG 2020“ macht uns zum Komplettanbieter im Bereich Bleche und Platten aus Aluminium. Wir erweitern unser Produktportfolio um größere Dimensionen und erfüllen so die Anforderungen unserer Kunden. Der zunehmenden Nachfrage nach nachhaltigen Produkten entsprechen wir durch die Ausweitung unserer Recyclingkapazitäten. Wir beschäftigen uns auch mit einem möglichen Ausbau der Elektrolyse Alouette in Kanada, an der wir mit 20 Prozent beteiligt sind. Dabei soll die Produktionskapazität von derzeit 600.000 Tonnen pro Jahr weiter gesteigert werden. Dazu benötigen wir einen wettbewerbsfähigen Stromvertrag, den das Eigentümerkonsortium, dem aktuell mein Vorstandskollege Gerald Mayer vorsteht, derzeit verhandelt.

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„Bis 2018 werden wir für das Projekt ‚AMAG 2020‘ 300 Millionen Euro in den Ausbau des Standortes Ranshofen investieren.“ GERALD MAYER

GERALD MAYER ist seit 2007 Finanzvorstand der AMAG. Zuvor leitete er Rechnungswesen, Controlling und M&A bei Siemens VAI Metals Technologies sowie das Konzernrechnungswesen bei VA Technologie AG.

Welche Bedeutung hat für die AMAG die Migration der industriellen Wertschöpfung von Europa nach Asien, aber auch in die USA? WIESER: Unsere Kernmärkte bleiben mittelfristig Europa und die USA mit erwartetem Marktwachstum von 3 beziehungsweise 5 Prozent pro Jahr für Aluminium-Walzprodukte. Wir setzen derzeit die Hälfte unserer Produktion in Westeuropa ab und rund 20 Prozent in Nordamerika. Asien ist für uns mit Wachstumsraten von 6 Prozent auch sehr interessant. Ranshofen ist und bleibt jedoch das Zentrum unserer Wertschöpfung. Wir entsprechen damit auch den Wünschen unserer Kunden, die uns als Wachstums- und Technologiepartner schätzen.

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Welche Maßnahmen setzen Sie in der Entwicklung der Unternehmenskultur, um durch all die Veränderungen und das Wachstum die Mitarbeiter mit voller Motivation mitzunehmen? WIESER: Entscheidend ist die Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen täglich gemeinsam daran arbeiten, besser zu werden. Dazu benötigen wir weltoffene und neugierige Menschen, die stets die Herausforderungen des Tagesgeschäfts bewältigen und an der Entwicklung innovativer Produkte und Produktionsverfahren arbeiten. Deshalb fördern wir Engagement und Leistung, und wir pflegen offene Kommunikation und gegenseitige Wertschätzung. Außerdem sind unsere Mitarbeiter über eine Arbeitnehmerstiftung am Unternehmenserfolg finanziell beteiligt.


„Die AMAG kann sortenrein rezyklieren: Beim ‚alloy-toalloy‘-Recycling ist im Endprodukt kein Unterschied zu Produkten aus der Primärproduktion zu erkennen.“ HELMUT KAUFMANN

HELMUT KAUFMANN ist seit 2007 Technikvorstand der AMAG. Der international anerkannte Leichtmetallspezialist war davor Geschäftsführer der ARC Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen GmbH. Er unterrichtet in ausgewählten Leichtmetall-Technologie-Kursen an der Montanuniversität Leoben und an der RWTH Aachen.

Herr Kaufmann, die AMAG erforscht immer neue Anwendungsmöglichkeiten von Aluminium und bringt sie zur Marktreife. Wo liegen aus metallurgischer Sicht die Grenzen des Wachstums für Aluminium? HELMUT KAUFMANN: Aluminium ist nach Sauerstoff und Silizium das dritthäufigste Element der Erde, etwa 7 Prozent der Erdkruste bestehen aus Aluminium. Unter Berücksichtigung aktueller Wachstumsraten beim Verbrauch gehen wir von Rohstoffreserven von bis zu 400 Jahren aus. Aluminium ist überdies ein Material, das unendlich oft rezykliert werden kann. Da Aluminium erst nach langer Nutzung wieder in den Stoffkreislauf kommt, gehen wir mittelfristig von einer Recyclingquote von 25 Prozent aus. Die AMAG hat in diesem Bereich über die Jahre hohe Kompetenz aufgebaut und kann dank der „alloy-to-alloy“Philosophie sortenrein rezyklieren, sodass im Endprodukt kein Unterschied zu Produkten aus der Primärproduktion zu erkennen ist. Wirklich spannend wird die Diskussion, wenn es um die physikalischen und mechanischen Eigenschaften von Aluminiumlegierungen geht. Für viele Anwendungen im Leichtbau ist das

Verhältnis zwischen Dichte und mechanischer Festigkeit gepaart mit guten Umform-Eigenschaften entscheidend. Da hat Aluminium sehr viel zu bieten, und es ist außerdem ein Werkstoff mit großem Steigerungspotenzial. Die AMAG nimmt auf diesem Gebiet mit der Entwicklung von superplastisch verformbaren Legierungen und der Adaption von hochfesten Legierungen für die Automobilindustrie eine Vorreiterrolle ein. Zunehmend spielt die Oberfläche eine entscheidende Rolle, Farbe und Glanz werden immer wichtiger. Aufgrund der hohen Affinität von Aluminium zu Sauerstoff bildet sich an der Oberfläche eine hauchdünne Oxidschicht, die das Metall weitgehend vor Korrosion schützt. Durch Anodisierung kann die natürliche Dicke auf das mehr als 1.000-fache gesteigert werden, und es können beliebig organische oder anorganische Farbstoffe beigemengt werden. Der Oberflächengestaltung sind somit kaum Grenzen gesetzt. Glänzende Aussichten eröffnen sich auch durch das Glanzwalzverfahren, bei dem die AMAG weltweit führend ist.

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RUND

Eröffnung des neuen Warmwalzwerks am 20.11.2014

220 MIO € INVESTITIONSVOLUMEN

.US0SB0AL0LFEM 0 5 L DER F 4 = 2

RUND

200

NEUE ARBEITSPLÄTZE

KAPAZITÄTS-

50% STEIGERUNG ANWENDUNGSFELDER DER NEUEN PRODUKTE: LUFTFAHRT, TRANSPORT UND MASCHINENBAU

GRÖSSERE BREITEN UND DICKEN

Das neue Warmwalzwerk ist das wichtigste Teilprojekt der Standorterweiterung „AMAG 2014“. Damit erhöht sich die Gesamtkapazität im Segment Walzen auf bis zu 225.000 Tonnen. Zugleich kann im Bereich von Aluminiumplatten und -trittblechen ein wesentlich größeres Lieferspektrum hin zu größeren Produktdimensionen angeboten werden.

Die Oberfläche wird beim finalen Walzvorgang geglättet – damit werden jene Eigenschaften erzeugt, die für die Endanwendung in Beleuchtungskörpern, Zierteilen oder Fassaden gewünscht sind. Aus Sicht der Materialentwicklung wird die Zukunft spannend und herausfordernd. Wir sehen uns durchaus in der Lage, da und dort die Grenzen zu verschieben.

Herr Mayer, Wachstum muss finanziert werden. Gibt es aus der Bilanzstruktur Einschränkungen? GERALD MAYER: Bisher konnten wir die Investitionen aus dem operativen Cashflow finanzieren und mussten keine externen Finanzierungen in Anspruch nehmen. Unser Geschäftsmodell bedingt aufgrund der Volatilität des Aluminiumpreises eine solide Bilanzstruktur.

„Mit dem Investitionsprogramm ‚AMAG 2020‘ wird Ranshofen zu einem Spitzenstandort der europäischen Aluminiumindustrie entwickelt.“

Mit einer Eigenkapitalquote von 55 Prozent und einem Verschuldungsgrad von nur 15 Prozent sind wir gut aufgestellt und verfügen über eine ausreichende Basis für weiteres Wachstum. Wir werden bis 2018 für das Projekt „AMAG 2020“ weitere 300 Millionen Euro in den Ausbau des Standortes Ranshofen investieren und müssen nicht an die Aktionäre herantreten. Wir schätzen unsere stabile HELMUT WIESER Aktionärsstruktur und die Tatsache, dass uns unser Aufsichtsrat bei der langfristigen Entwicklung unseres Unternehmens unterstützt.

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RUND

300 MIO € INVESTITIONSVOLUMEN

VERDOPPELUNG DER KAPAZITÄT AUF MEHR ALS

300.000

250

ZUSÄTZLICHE ARBEITSPLÄTZE

GEPLANTE INBETRIEBNAHME

2017

TONNEN

Mit dem Projekt „AMAG 2020“ wird der Wachstumskurs fortgesetzt. Mit einem Investitionsvolumen von über 300 Mio EUR soll die Produktionskapazität im Segment Walzen auf mehr als 300.000 Tonnen gesteigert werden. Es ist geplant, dass das neue Kaltwalzwerk im Jahr 2017 seinen Betrieb aufnimmt.

Für den möglichen Ausbau der Alouette werden wir auf Basis von wettbewerbsfähigen Kosten für die Investition und den Strombezug die Entscheidung treffen und sehen, welche Finanzierungserfordernis entsteht. Welche Rolle spielt der Aluminiumpreis für den Erfolg der Primärproduktion und welche Entwicklung erwarten Sie? MAYER: Eine Preisprognose ist seriöserweise nicht möglich. Mittelfristig erwarten wir ein Wachstum des Verbrauchs. Unter normalen Umständen, wenn also Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, wäre ein Anstieg des Preisniveaus zu erwarten. Wichtig für uns ist, die Risiken aus den Preisschwankungen richtig zu managen, und da haben wir für unsere beiden Standorte in Ranshofen und Sept-Îles unterschiedliche Zugänge.

In Ranshofen erwirtschaften wir unsere Ergebnisse mit den sogenannten Umarbeitungsmargen, also einer Vergütung für die erbrachte Wertschöpfung. Unser Ziel ist es hier, das Risiko von Preisschwankungen auszuschließen. Das Geschäftsmodell der Produktion von Primäraluminium ist anders gelagert. Der Verkaufspreis bildet sich an der London Metal Exchange (LME) und ist von uns nicht beeinflussbar. Es ist daher unsere Aufgabe, Primäraluminium zu wettbewerbsfähigen Kosten zu produzieren und die Preisschwankungen aktiv zu managen. Unser Ziel ist die Absicherung gegen fallende und die Partizipation an steigenden Preisen.

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Kennzahlen 2014

EBITDA

114,7 Mio EUR

Eigenkapitalquote

57,1 % 14,9 %

Verschuldungsgrad

823,0 Mio EUR Umsatz nach Segmenten

37 Umsatz

Umsatz nach Regionen

50 % Westeuropa (ohne Österreich) 62 % Segment Walzen

Standorte 15 % Österreich

23 % Segment Metall

12 % Übriges Europa

19 % Nordamerika 14 % Segment Gießen 1 % Segment Service

40

5 % Asien, Ozeanien, Sonstige

PRODUKTION: Ranshofen/Österreich, Sept-Îles/Kanada VERTRIEBSTÖCHTER: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Tschechien, Türkei, USA, Taiwan, Singapur HANDELSVERTRETUNGEN: Bulgarien, Italien, Polen, Schweden, Schweiz, Spanien, Indien, Israel, Korea, Mexiko, Taiwan, China


5.900 B&C | JAHRBUCH 2014

Absatz in Tonnen Rekordwert des Jahres 2013 um 6,9 % übertroffen

Forschung und Entwicklung in Mio EUR 6,2

7,0

8,0

9,6

225.000 Tonnen

Gesamtkapazität im Segment Walzen durch die planmäßige Umsetzung der Standorterweiterung „AMAG 2014“ und der neuen Plattenfertigung.

> 300 Mio EUR

Investitionsvolumen im Projekt „AMAG 2020“ zur weiteren Steigerung der Produktionskapazität im Segment Walzen.

2011

2012

2013

2014

Kurschart (EUR pro Aktie) 35

30

20 %

Reduktion der Metallbestände trotz gestiegener Produktionsmenge.

275.000 Tonnen Neuer Rekordwert der Schrotteinsatzmenge durch hohes Engagement der Mitarbeiter und Weiterentwicklung des Recycling-Centers Ranshofen.

52,7 %

Anteil der B&C Industrieholding am Grundkapital der AMAG.

25

20 41


LEN ZING


EINE EINZIGE PRODUKTIONSSTRASSE MIT EINER JAHRESNENNKAPAZITÄT VON

INBETRIEBNAHME

2014

TENCEL® ist eine Lyocellfaser botanischen Ursprungs, die besonders umweltfreundlich

67.000 TONNEN

MEHR ALS

DOPPELT SO VIEL WIE BISHERIGE TENCEL® PRODUKTIONSSTRASSEN

TENCEL® JUMBO-PRODUKTIONSANLAGE IN LENZING

hergestellt wird. Die herausragenden Materialeigenschaften dieser „New Age Fiber“ ermöglichen ein vielfältiges Einsatzgebiet.

140

NEUE, HOCHWERTIGE ARBEITSPLÄTZE

150 MIO

INVESTITIONSKOSTEN

Die LENZING GRUPPE ist ein international tätiger Viscosefaserproduzent mit Firmensitz in Oberösterreich und Produktionsstätten in allen wichtigen Märkten sowie einem weltweiten Netz an Verkaufs- und Marketingbüros. Lenzing versorgt die globale Textil- und Nonwovens-Industrie mit hochwertigen, industriell gefertigten Cellulosefasern und ist der führende Anbieter in vielen Business-to-BusinessMärkten – von Faserzellstoff, Cellulose-Standard- und Spezialfasern bis zu Engineering-Dienstleistungen. Mit mehr als 75 Jahren Erfahrung in der Faserproduktion ist die Lenzing Gruppe der einzige Hersteller weltweit, der in großindustriellem Maßstab alle drei Generationen von man-made Cellulosefasern – von der klassischen Viscose- über Modal bis zur Lyocellfaser (TENCEL®) – unter einem Dach vereint. Weitere Informationen unter www.lenzing.com


DR. STEFAN DOBOCZKY ist seit 1. Juni 2015 neuer Vorstandsvorsitzender der Lenzing AG. Der promovierte Chemiker verstärkt die Gruppe mit internationaler Managementerfahrung und langjähriger Asien-Expertise: Seit 1998 war er in unterschiedlichen Führungspositionen beim holländischen Chemiekonzern Royal DSM tätig.


B&C | JAHRBUCH 2014

WIR GLAUBEN AN DIE KRAFT DER UNTERNEHMENSGRUPPE. Der neue CEO von Lenzing, Stefan Doboczky, und seine Vorstandskollegen über die Herausforderung, ein seit über sieben Jahrzehnten erfolgreiches Unternehmen mit Innovationskraft, starken Marken und dem unbedingten Willen zu Exzellenz in die Zukunft zu führen. Herr Doboczky, Sie übernahmen per 1. Juni 2015 das Ruder bei Lenzing. Was sind Ihre langfristigen Perspektiven?

Welche Rolle hat in einer globalisierten Faserwelt der Standort Lenzing?

STEFAN DOBOCZKY: Ich sehe das wirtschaftliche Umfeld für Lenzing herausfordernd, aber positiv. Die langfristigen Prognosen für die Endmärkte unserer Fasern zeigen gute Wachstumstendenzen. Die Lenzing Gruppe ist sowohl von ihrer Technologie, ihrer Innovationsstärke als auch von ihren Produkten und Marken her in der Lage, mit jedem Wettbewerber mitzuhalten. Der Aufbau enormer Kapazitäten in China stellte die Unternehmensführung natürlich vor beachtliche Herausforderungen. Es liegt auf der Hand, dass deshalb der Fokus auf Kostenmanagement liegt, aber entscheidend für den Erfolg ist der Hunger der Mitarbeiter nach Exzellenz. Wichtig sind erzielte Resultate.

DOBOCZKY: Der Standort Lenzing ist das Herz der Gruppe. Als integrierter Standort mit einer leistungsfähigen Zellstoff- und Faserproduktion mit Forschung, technischer Entwicklung und Marketing ist er für die Identität und die Kultur der Unternehmensgruppe enorm wichtig. Durch die Integration der Zellstoffproduktion und die optimale Energieversorgung (fast 90 Prozent nicht-fossile Brennstoffe) ist der Standort ein perfektes Beispiel für Nachhaltigkeit. Lenzing ist aber nicht der einzige Standort, wo wir in Zukunft investieren werden.

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„Wir betreuen die Wertschöpfungskette vom Direktkunden bis zum Endkonsumenten: Das ist unsere besondere Stärke.“ ROBERT VAN DE KERKHOF

Robert van de Kerkhof, MBA, ist seit 2014 CCO der Lenzing AG. Der Flugzeugtechniker (Spezialist für Verbundstoffe) ist verantwortlich für den Bereich Marketing und Vertrieb und verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Faserindustrie. Was sind Ihre Kriterien für weitere Investitionen? DOBOCZKY: Die Fortsetzung des nachhaltigen, profitablen Wachstumskurses ist für die Lenzing Gruppe wichtig. Der Fokus wird auf organischem Wachstum liegen, allerdings werden wir sehr genau auf den erforderlichen Kapitaleinsatz achten. Eine wichtige Messgröße, um nachhaltiges Wachstum langfristig zu sichern, ist die Kapitalrendite. Sie kommen aus großen, international sehr erfolgreichen Unternehmen. Was hat Sie für Lenzing eingenommen? DOBOCZKY: Mich fasziniert an Lenzing der globale Ansatz mit den Standorten in China, Indonesien, USA und Europa sowie die hochinteressante Wertschöpfungskette. Am Standort Lenzing haben wir eine Bioraffinerie, die aus dem nachwachsenden natürlichen Rohstoff Holz Fasern für verschiedenste Anwendungen erzeugt. 46

Wir leisten damit einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, weil wir Nachhaltigkeit mit High-Tech-Produktion und innovativen Anwendungen verbinden. Ich glaube an die Kraft der Unternehmensgruppe: Ein Unternehmen, das seit 77 Jahren erfolgreich ist, hat auf jeden Fall das Potenzial, auch in Zukunft im Wettbewerb zu bestehen. Sowohl die Technologie als auch die Qualität der Mitarbeiter stimmen mich sehr optimistisch, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Bei Lenzing ist das entscheidende Knowhow in den Köpfen der Menschen, das ist mehr als ein bloßer Verbund von Maschinen. Überdies erkenne ich bei Lenzing eine solide Basis, auf der die Unternehmensführung aufbauen kann: Damit meine ich die Unternehmenskultur und die Werte, die es in der Gruppe gibt. Das ist die wichtigste Voraussetzung für den langfristigen Erfolg. Zum Zweiten ist in einem Niedrigkosten-Wettbe-


„Wir wollen selbst Großinvestitionen wie das neue TENCEL® Faserwerk grundsätzlich immer aus dem operativen Cashflow finanzieren.“ THOMAS RIEGLER

Dr. Thomas Riegler, seit 2014 CFO der Lenzing AG, bringt langjähriges Restrukturierungs-Know-how in die Gruppe ein: Er war zuvor zwölf Jahre beim Daimler-Konzern, wo er unter anderem die Restrukturierung von Chrysler begleitete.

werbsumfeld die Begeisterung für Prozess-Exzellenz besonders wichtig. Nur wenn jeder Mitarbeiter den Hang zur Perfektion lebt, kann die Qualität stimmen. Und drittens sind Kundennähe und Innovationsstärke Faktoren für den langfristigen Erfolg, die ich bei Lenzing vorgefunden habe.

Wertsteigerung in der Zukunft durch profitables Wachstum sind die Hauptargumente und zugleich unsere klare Zielsetzung.

Herr Riegler, die Lenzing Aktie hat in den vergangenen 18 Monaten eine gute Performance gezeigt, Analysten sind optimistisch für Lenzing. Was sind die finanziellen Eckpfeiler, die internationale Aktionäre zuletzt zu einem Einstieg bei Lenzing bewogen haben?

RIEGLER: Unser Ziel ist es, unsere Netto-Finanzverschuldung konservativ und niedrig zu halten. Das ist angesichts des zyklischen und kapitalintensiven Charakters unseres Geschäftes notwendig und sichert uns attraktive Finanzierungskosten mit niedrigen Zinsen. Gläubiger und Aktionäre können langfristig auf die gesunde Unternehmenssubstanz der Lenzing AG vertrauen. Das heißt aber auch, dass wir selbst Großinvestitionen wie zuletzt in das neue TENCEL® Faserwerk am Standort Lenzing grundsätzlich immer aus dem operativen Cashflow finanzieren wollen. Gleichzeitig priorisieren wir bei jeder Investitionsentscheidung nach klaren

THOMAS RIEGLER: Damit werden zum einen unsere Anstrengungen im Effizienzsteigerungs-Programm excelLENZ honoriert und zum anderen wird die Einschätzung bestätigt, dass Lenzing die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt hat und mittelfristig wieder sehr erfolgreich werden kann. Eine nachhaltige Kapitalrendite und

Das Fasergeschäft ist kapitalintensiv. Wie finanziert Lenzing seine Investitionen?

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Die Sanierungsleistung Der mit 31. Mai 2015 ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende, MAG. DR. PETER UNTERSPERGER, verabschiedet sich mit erfreulichen Zahlen: Eine stabile Nachfrage ermöglichte Lenzing im Geschäftsjahr 2014 einen neuen Rekordabsatz von 960.000 Tonnen (plus 8 Prozent gegenüber 2013). Die vorhandenen Faserproduktionskapazitäten waren das gesamte Jahr über komplett ausgelastet. Operativ konnte sich Lenzing trotz des niedrigen Preisumfeldes verbessern. Das Konzern-EBITDA (Betriebsergebnis vor Abschreibungen) stieg gegenüber dem herausfordernden Jahr 2013 von 225,4 Mio EUR um 6,6 Prozent auf 240,3 Mio EUR. Die EBITDA-Marge kletterte auf 12,9 Prozent (nach 11,8 Prozent im Jahr 2013). Das Verhältnis Nettofinanzverschuldung (Net Financial Debt) zu EBITDA verbesserte sich ebenfalls auf 1,9x (Vorjahr: 2,2x). Damit lag diese wichtige Kennzahl unterhalb der selbst definierten Obergrenze von 2,5x. Diese erfreulichen Ergebnisse konnten durch Kosteneinsparungen im Rahmen des excelLENZProgramms, Verbesserungen im Produktmix durch die Inbetriebnahme der neuen TENCEL®Faserproduktion in Lenzing und eine insgesamt schlankere Konzernstruktur erzielt werden. Die strategische Neuausrichtung der Gruppe, die unter CEO Peter Untersperger erfolgreich gestartet wurde, um den veränderten globalen Rahmenbedingungen in der Faserindustrie gerecht zu werden, ist auf einem guten Weg.

Mag. Dr. Peter Untersperger war mehr als 25 Jahre bei der Lenzing AG tätig, zuletzt als Vorstandsvorsitzender. Auf eigenen Wunsch legte er seine Funktion als CEO zum 31. Mai 2015 vorzeitig zurück.

Kriterien: Die Investitionen zielen darauf ab, unsere Anlagenintegrität zu sichern, raschen Mehrwert zu schaffen und die Qualität unserer Produkte gegenüber dem Wettbewerb zu verbessern.

„Nur wenn jeder Mitarbeiter den Hang zur Perfektion lebt, kann die Qualität stimmen.“ STEFAN DOBOCZKY

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Wie rasch kann die großindustrielle Erzeugung einer relativ neuen Technologie wie TENCEL® einen positiven Stimulus für das Wachstum des Unternehmens auslösen? ROBERT VAN DE KERKHOF: Forschung, Innovationskraft und starke Marken sind essenziell für den Erfolg unseres Unternehmens. TENCEL® ist unsere stärkste Marke, sie symbolisiert auch die Innovationsführerschaft von Lenzing in der gesamten man-made Cellulosefaserindustrie. Der Erfolg von TENCEL® strahlt daher auch auf unsere anderen Produkte und Marken aus, denn wer mit Spitzentechnologie TENCEL® Fasern so erfolgreich produziert und vermarktet wie wir, dem traut der Markt auch bei anderen Cellulosefaserprodukten und innovativen Lösungen mit nachhaltigen Fasern höchste Kompetenz zu.


Produkte der Lenzing Gruppe Textilien: Oberbekleidung gewebt und gestrickt; Nonwovens: Wischtücher für Kosmetik, Haushalt und industrielle Anwendungen, Wundauflagen, Komponenten für Operationsbekleidung, Damenhygiene

Textilien: Schutzbekeidung für Industrie, Feuerwehr und Militär, schwer entflammbare Stoffe für öffentliche Transportbereiche, Möbelstoffe, thermische Isolationssysteme für Schutzjacken

Textilien: Bettwäsche, Matratzen, Denim, Oberbekleidung, Sportbekleidung Nonwovens: Wischtücher, Wundauflagen, Komponenten für Operationsbekleidung, Damenhygiene

Textilien: Homeware, Oberbekleidung gestrickt, Unterwäsche, Socken, Frottierware

Industriell gefertigte Fasern aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz für die Textil- und Hygieneindustrie sind die Kernkompetenz der Lenzing Gruppe. Sie verbinden Eigenschaften von Naturfasern mit Verarbeitungsvorteilen von synthetischen Fasern. Wie könnte die Lenzing AG aus Sicht des Vertriebsvorstandes in fünf Jahren aussehen? Was wird 2020 der Wettbewerbsvorteil sein? VAN DE KERKHOF: Wir sind heute schon sehr global aufgestellt. Wir werden unseren globalen Fußabdruck als einen unserer wichtigsten Wettbewerbsvorteile in den kommenden Jahren noch weiter ausbauen und einen weiteren Schwerpunkt auf die Internationalisierung unserer Mannschaft legen.

Asien ist und bleibt der Wachstumsfokus für unsere Industrie, aber auch Europa und die USA bleiben absolut attraktive Absatzmärkte, etwa für Nonwovens-Produkte und Spezialfasern. Wir werden also unsere Marktpräsenz intensivieren und unsere Kunden mit innovativen Produkten und Anwendungen überraschen. Dabei wird unser Fokus ganz klar auf hochwertigen Spezialfasern wie TENCEL® und Lenzing Modal® liegen, wo wir heute schon globale Alleinstellungsmerkmale aufweisen und weiterhin Faserlösungen mit Nachhaltigkeit forcieren. Wir haben auch eine Menge neuer Innovationsideen in unserer Pipeline. Eine besondere Stärke von Lenzing ist, dass wir die Wertschöpfungskette vom Direktkunden bis hin zum Endkonsumenten betreuen. Lenzing wird also immer mehr zu einem Spezialitätenunternehmen.

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Kennzahlen 2014

EBITDA

240,3 Mio EUR

Eigenkapitalquote

Net Gearing

44,9 %

42,2 %

96

1.864,2 Mio EUR Umsatz nach Segmenten

Umsatz

Absatzmenge nach Regionen

63 % Asien

94,2 % Fibers

Standorte

27 % Europa inkl. Türkei

2,3 % Technik 3,5 % Sonstige

50

8 % Amerika 2 % Sonstige

PRODUKTIONSSTANDORTE FASER: Lenzing und Heiligenkreuz/Österreich, Mobile, Alabama/USA, Grimsby/Großbritannien, Nanjing/China, Purwakarta/Indonesien; Zellstoff: Paskov/Tschechien, Lenzing/Österreich PRODUKTIONSSTANDORTE TECHNIK: Lenzing/Österreich, Nanjing/China PRODUKTIONSSTANDORT ACRYLFASERN: Kelheim/Deutschland


0.000

B&C | JAHRBUCH 2014

Faserabsatz in Tonnen Steigerung gegenüber dem Vorjahr um rund 8 Prozent

Forschung und Entwicklung in Mio EUR 27,2

28,3

31,1

20,6

67.000 Tonnen

Jahresnennkapazität hat die erste TENCEL® Jumbo-Faserlinie am Standort Lenzing, die 2014 in Betrieb genommen wurde und weltweit die größte TENCEL® Anlage ist. Erstmals kann nun auf einer einzigen Produktionsstraße eine derart große Fasermenge hergestellt werden.

554.000 Tonnen

Gesamtproduktionsleistung Faserzellstoff entspricht einem Eigenversorgungsgrad der Lenzing Gruppe von 52 %. Das bedeutet eine leichte Steigerung gegenüber 2013.

2011

2012

2013

2014

Kurschart (EUR pro Aktie)

160 Mio EUR

ist die Höhe der Einsparungen, die durch weitere strukturelle Maßnahmen sowie durch eine Reihe von Einmaleffekten erzielt werden sollen, und zwar schneller als geplant. Ursprünglich waren Einsparungen von 120 Mio EUR bis zum Jahr 2016 beschlossen worden.

67,6 %

Anteil der B&C Industrieholding am Grundkapital der Lenzing; damit größter Aktionär des Unternehmens.

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SEM PER IT


Operational Excellence in der Semperit Gruppe

Operational Excellence bedeutet für Semperit, eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu etablieren. Erfahrungsaustausch und das Teilen von Best-Practice-Lösungen sollen fest in der Unternehmenskultur verankert werden, um damit Mehrwert für den Kunden zu schaffen.

Die SEMPERIT AG HOLDING ist einer der weltweit führenden Hersteller der Kautschuk- und Kunststoffindustrie. Die Zentrale des österreichischen Traditionsunternehmens befindet sich in Wien. Die Produkte werden hauptsächlich für die beiden großen Bereiche Industrie und Medizin entwickelt und hergestellt. So zählen zu den wichtigsten Produktgruppen Untersuchungs- und Operationshandschuhe, Hydraulik- und Industrieschläuche, Förderbänder, Rolltreppen-Handläufe, Bauprofile, Seilbahnringe, Skifolien und Produkte für den Eisenbahnoberbau. Bei der Forschung und Entwicklung setzt Semperit auf die Weiterentwicklung der Werkstoffe und der Fertigungsverfahren, um so das Sortiment ständig zu erweitern und die Qualität zu verbessern. Weitere Informationen unter www.semperitgroup.com


THOMAS FAHNEMANN ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender der Semperit AG Holding. Nach führenden Positionen bei Trevira und KoSa (USA) in den 1990er Jahren kehrte er 2003 als CEO und Vorstandsvorsitzender der Lenzing nach Österreich zurück. Bis 2010 war er Vorstandsvorsitzender der RHI AG.


B&C | JAHRBUCH 2014

DER LEIM, DER ALLES ZUSAMMENHÄLT. Die Vorstandsmitglieder von Semperit im Gespräch über Werte, Führungsleitlinien und eine gute gemeinsame Unternehmenskultur als Grundvoraussetzung für ein wirtschaftlich erfolgreiches Miteinander. Sie haben in den vergangenen vier Jahren einen umfassenden Kulturentwicklungsprozess im Konzern durchgeführt. Was war der Anlass? THOMAS FAHNEMANN: Ich bin Ende 2010 neu zu Semperit gekommen. Damals machte das Unternehmen einen Umsatz von 600 Millionen Euro. Den wollten wir in den folgenden fünf Jahren verdoppeln. Dafür mussten Strukturen geschaffen werden – einerseits organisatorisch durch die Neuordnung mit vier globalen Segmenten, andererseits kulturell. Was war schwieriger – das Strukturelle oder das Kulturelle? FAHNEMANN: Die Kulturarbeit war sehr herausfordernd. Über Zahlen, Marktpotenzial, technische Features und Produktionsziele lässt sich’s leichter reden. Das ist klar darstellbar und kommunizierbar. Beim Thema Kultur ist das deutlich schwieriger.

Was bedeutet für Sie Unternehmenskultur? FAHNEMANN: Für mich geht es dabei um Werte, die sich im Verhalten untereinander und im Umgang mit unseren Stakeholdern zeigen. Eine Wertediskussion hat für mich viel damit zu tun, welches Verhalten man jeweils vom anderen erwartet und umgekehrt. DECLAN DALY: Das Verhalten soll eine offene, transparente Kultur fördern, die uns voranbringt und unser Wachstum unterstützt. Unsere Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass sie sich entwickeln können und wertgeschätzt werden. JOHANNES SCHMIDT-SCHULTES: Für mich ist Unternehmenskultur gewissermaßen der Leim, der alles zusammenhält. Als ich zu Semperit gekommen bin, wurde zwar schon über Kultur geredet, allerdings ist das eher unsystematisch erfolgt. Über den Kulturprozess sind wir in eine ganz bewusste Interaktion getreten, die jetzt institutionalisiert ist. RICHARD EHRENFELDNER: Semperit hatte immer schon Werte, aber sie waren nicht für alle klar definiert. Das sind sie jetzt, und das macht einen großen Unterschied. Wenn alle das gleiche Verständnis vom Unternehmen haben, können Stärken besser genutzt werden – auch die des Einzelnen.

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„Sich nach 25 Jahren im Unternehmen zu öffnen und auf die Veränderung einzulassen, war für mich persönlich eine große Herausforderung.“ RICHARD EHRENFELDNER

Richard Ehrenfeldner ist seit 2001 Vorstandsmitglied der Semperit AG Holding, zuständig für Engineering & Maintenance, Technologie & Innovation, Operational Excellence und Qualitätssicherung. Als technischer Leiter von Sempermed war er verantwortlich für die Expansion der Werke sowie für die Errichtung und Entwicklung neuer Standorte. Wer hat alles bei der internen Wertedebatte zur neuen Kultur mitdiskutiert?

Wie haben Sie die Führungskräfte als wichtigste Multiplikatoren in diesem Prozess ins Boot geholt?

FAHNEMANN: Ich habe mich zuerst im kleinen Rahmen mit meinem Topmanagement hingesetzt. Nachdem die Werte festgelegt waren, haben meine Leute die Aufgabe bekommen, daraus Führungsleitlinien zu formulieren. Diese Teilhabe war mir besonders wichtig. Es hilft nichts, Leitlinien von oben vorzugeben. Sie müssen von den handelnden Personen selbst entwickelt werden, damit sie funktionieren.

FAHNEMANN: Wir haben eine Semperit Leadership Academy gegründet. Darin hat sich unser Topmanagement in mehreren Wochenendmodulen von Donnerstag abends bis Sonntag unter externer Moderation mit den Themen Strategie, Leadership und Change auseinandergesetzt. Parallel dazu haben wir das gleiche Programm für die nächstfolgende Führungsebene eingeführt und bis hinunter zu den Team-Leadern durchgezogen. Zusätzlich haben wir an jedem Standort einmal pro Quartal ein Townhall-Meeting mit dem Management eingeführt. Da wird zuerst über Werte und Führungsleitlinien geredet – wieder, wieder und wieder, dann erst über das operative Geschäft.

Und sie müssen verschriftlicht werden ... FAHNEMANN: Ja, aber nicht abstrakt mit ein paar Schlagwörtern am Leitbildplakat, das dann in irgendeinem Meetingraum hängt, sondern in einer Form, die für alle jederzeit zugänglich, sichtbar und begreifbar ist – im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben eine Wertebroschüre und einen kleinen Katalog mit den Führungsleitprinzipien gestaltet. Da sind unsere Werte allgemein verständlich erklärt und über leicht merkbare und wiedererkennbare Illustrationen verankert. Das Ganze haben wir in zwölf Sprachen – und damit zwölf verschiedene Kulturen – übersetzt, damit es auch in allen Ländern und in allen Niederlassungen von Semperit verstanden werden kann.

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Wie haben Sie sichergestellt, dass die Unternehmenswerte bei jedem einzelnen Mitarbeiter ankommen? FAHNEMANN: Es war natürlich nicht einfach. Ich habe mehr als einmal gehört: „Wir haben keine Zeit für so was, wir müssen unseren Job machen!“ Das größte Hindernis am Anfang war das Erkennen der Sinnhaftigkeit dieser „Kulturübung“. Genau da liegt der Hund begraben. Die Leute verstehen oft nicht, dass Unternehmenskultur kein „nice to have“ ist, sondern ein „must have“ und die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches, wirtschaftliches Miteinander. Das gilt für Führungskräfte genauso wie für


„Ideen und Erfahrungen teilen wir über unsere gemeinsame ‚Kultursprache‘ – das entlastet Ressourcen und steigert unsere Produktivität.“ DECLAN DALY

Declan Daly ist seit März 2014 Vorstandsmitglied und CIO der Semperit AG Holding und verantwortet die Bereiche ITAgenden, allgemeine Prozessoptimierung und Business Exzellenz. Zuvor war er Vizepräsident für Europa bei Western Union Financial Services und viele Jahre bei General Electric Corporation im Finanzdienstleistungssektor tätig.

Mitarbeiter und auch gerade dann, wenn es mit der Konjunktur einmal nicht so gut läuft oder es auf den Märkten oder mit dem Mitbewerb eng wird. DALY: Für mich ist entscheidend, dass wir die Werte, die wir formuliert haben, auch leben. Wir müssen tun, was wir sagen, und das fängt schon ganz oben beim Top-Management an. Eine gute Vorbildwirkung beschleunigt den Kulturwandel. Natürlich müssen wir auch schauen, inwieweit das Verhalten unserer Mitarbeiter im Einklang mit den vereinbarten Werten steht. Das erfordert klares Feedback zu Verhaltensweisen, die eben nicht okay sind. SCHMIDT-SCHULTES: In meinem Bereich hatte ich die Chance, ein neues Team aufzustellen. Damit ist zum Teil ein neuer Mindset ins Unternehmen gekommen bzw. war es leichter, den Change-Prozess durchzuführen. EHRENFELDNER: Ich hatte unsere Wertebroschüre, dieses kleine gedruckte Büchlein, immer dabei. Wenn es in Diskussionen einmal zu scharf zugegangen ist oder untergriffig wurde, habe ich es aus der Tasche gezogen. Dann war schnell wieder klar, worum es geht. Ganz wichtig in meinem Bereich war die Visualisierung unserer Werte, also das einprägsame Darstellen über Plakate und Bildschirmschoner am Computer.

Wie lange hat der Kulturprozess bislang gedauert? FAHNEMANN: Es hat insgesamt drei Jahre gebraucht, bis einmal ein gemeinsames Verständnis und ein gemeinsames Miteinander erreicht waren. Heute haben wir schon einen großen Teil des Weges zurückgelegt, es sind alle an Bord, und teilweise kommen schon Initiativen von den Mitarbeitern. Sie haben zum Beispiel beschlossen, unsere Werte für einige Bereiche noch weiter für sich zu übersetzen und weiter zu operationalisieren. Das ist großartig! Welche Möglichkeiten gibt es für Mitarbeiter, mit dem Management der „oberen Etagen“ in Kontakt zu kommen? FAHNEMANN: Ich gehe einmal pro Monat mit fünf bis sechs Mitarbeitern zum Mittagessen in die Kantine. Da gibt es die Möglichkeit zum direkten Austausch, dabei kommen natürlich auch die Werte zur Sprache. Anfangs waren die Leute noch recht skeptisch. Mittlerweile sind diese Mittagstermine bereits bis weit ins nächste Jahr hinein ausgebucht. Für neue Mitarbeiter haben wir eine Onboarding-Academy eingeführt. Da stellen sich alle Bereichsleiter vor, und wann immer ich Zeit habe, bin ich dabei und spreche über Werte und Führung. Da bekommen die neuen Mitarbeiter schon ein ganz gutes Gefühl dafür, wer Semperit ist und was Semperit ausmacht.

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EHRENFELDNER: Ich mache viel „Management by Walking Around“, rede mit den Arbeitern und halte offene Bürotüren für einen starken, positiven Kulturtreiber. Wie halten Sie es mit Feedback und dem Umgang mit Fehlern? FAHNEMANN: Ein wichtiger Teil unserer neuen Kultur ist aktives Feedback. Das schien anfangs fast unmöglich. Mittlerweile haben wir für Führungskräfte 360°-FeedbackReviews, bei denen wir auch Werte abfragen, und in den Segmentleitersitzungen ist es ganz normal, dass jemand offen über ein Problem spricht und einen Kollegen vor allen anderen um Hilfe bittet. Das war vor ein paar Jahren noch nicht möglich.

Was würden Sie im Kulturprozess von Semperit rückblickend anders machen? FAHNEMANN: Ich habe bei einigen Personalentscheidungen, bei denen absehbar war, dass es nicht funktionieren wird, zu lange zugewartet. Da hätten wir beiden Seiten die zusätzlichen Schleifen sparen sollen. Und für einige im Unternehmen waren wir zu schnell. Gewisse Dinge hätten wir langsamer machen und noch mehr Erklärungsarbeit leisten sollen. SCHMIDT-SCHULTES: Es war nicht immer einfach, den Druck im Kessel aufrecht und gleichzeitig unter Kontrolle zu halten. Man verliert sich zwischendurch immer wieder im Tagesgeschäft. Dadurch wurde vielleicht das eine oder andere auch mal auf die lange Bank geschoben, obwohl es klarere und raschere Schritte gebraucht hätte.

„Ohne unsere Unternehmenskultur wären die Komplexität und der weltweite Tätigkeitsradius von Semperit nicht zu schaffen.“

THOMAS FAHNEMANN SCHMIDT-SCHULTES: Es ist selbstverständlich, dass Fehler gemacht werden. Dazu muss den Leuten aber auch klar und unmittelbar Feedback gegeben werden. Wie können sie es sonst besser machen oder den Fehler künftig vermeiden? EHRENFELDNER: Fehlermachen hat viel mit Lernen zu tun – soferne man über den Fehler spricht. Fehler zuzugeben ist nicht einfach. Insbesondere für alteingesessene Mitarbeiter war das eine ziemliche Herausforderung. DALY: Für mich geht es in diesem Zusammenhang auch sehr stark um das Thema Erreichbarkeit und persönlichen Kontakt. Eine Führungskraft, die sich in ihrem Büro verschanzt und Mitarbeiter nur über einen Termin, den sie drei Wochen im Vorhinein mit der Assistentin ausmachen müssen, an sich heranlässt, wird nicht viel von dem mitbekommen, was im Unternehmen wirklich läuft. Ich habe mein Büro in unmittelbarer Nähe zu meinem Team. Die Leute wissen, wann ich da bin und dass sie dann einfach den Kopf zur Tür hereinstecken können, wenn sie kurz etwas besprechen wollen, schnell einen Rat brauchen oder eine rasche Entscheidung.

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EHRENFELDNER: Ich bin jetzt seit mehr als 25 Jahren bei Semperit. Der Kulturprozess ab 2010 war nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für mich persönlich eine Herausforderung. Immerhin bedeutet so ein Prozess, sich zu öffnen und sich auf die Veränderung einzulassen. Hat der Kulturprozess einen Mehrwert für den Konzern geschaffen?

FAHNEMANN: Bei Semperit haben wir es mit einem Unternehmen zu tun, das hoch komplex ist und aus Segmenten besteht, die praktisch gar nichts miteinander zu tun haben. Es bestehen kaum Synergien zwischen den einzelnen Bereichen – abgesehen von einer Einkaufsbündelung und ein paar gemeinsamen Möglichkeiten in Forschung & Entwicklung. Da bildet unsere Unternehmenskultur die verbindende Klammer. Ohne die Kulturarbeit an der Basis wären die Komplexität und der weltweite Tätigkeitsradius von Semperit nicht zu schaffen. Über die Kultur wird der Konzern zusammengehalten und ist dadurch – schaut man auf die Zahlen – selbst in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld erfolgreich. Wir sind letztes Jahr deutlich stärker als der Markt gewachsen. EHRENFELDNER: Ohne institutionalisierte Unternehmenskultur könnten wir unsere Aufgaben nicht bewältigen. Es ist alles viel komplexer geworden. Da ist bloße Top-downFührung mit zentralen Entscheidungen wie in der Vergangenheit nicht mehr möglich. Jetzt braucht es zusätzlich Bottom-up-Management. Damit beides zusammengeht, ist eine klar definierte Unternehmenskultur erforderlich.


„Wenn die Kultur nicht passt, scheitert das Unternehmen langfristig an seinen eigenen Unzulänglichkeiten.“ JOHANNES SCHMIDT-SCHULTES

Dr. Johannes Schmidt-Schultes ist seit 2011 Finanzvorstand der Semperit AG Holding. Bis 2007 war der promovierte Wirtschaftswissenschafter CFO von T-Mobile (Österreich, UK), danach stellvertretender Vorstand für Finanzen der australischen Telekom Telstra Corporation mit Sitz in Melbourne. SCHMIDT-SCHULTES: Eine gute gemeinsame Unternehmenskultur ist eine Grundvoraussetzung, um erfolgreich zu sein. Wenn die Kultur nicht passt, scheitert das Unternehmen langfristig – und zwar nicht aufgrund der Marktgegebenheiten, sondern aufgrund seiner eigenen Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Unternehmenskultur. DALY: Über unsere gemeinsamen Werte sprechen wir alle eine gleiche „Kultursprache“. Dadurch können wir gute Ideen und Erfahrungen viel leichter im Unternehmen teilen. Wir brauchen das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden, um ähnliche Probleme in den unterschiedlichen Bereichen zu lösen. Dieses „Best Practice Sharing“ entlastet Ressourcen und steigert unsere Produktivität. Noch kurz ein Blick auf die Zahlen: Semperit hat eine Sonderdividende ausgeschüttet. Hat der Konzern zu viel Geld?

überlassen das Geld unseren Aktionären. Ich bin sicher, dass sie Besseres damit anfangen können, als wenn wir es beim aktuell niedrigen Zinsniveau anlegen. Sie haben zuletzt rund 400 Millionen Euro investiert und wollen jetzt noch einmal wachsen. Wann hat Semperit die „richtige Konzerngröße“? FAHNEMANN: Für unsere derzeitige Größe sind wir relativ komplex. Damit haben wir Corporate-Kosten, zumal auch die Kosten für die Anforderungen des Kapitalmarkts immer höher und die gesetzlichen Regelungen immer schwieriger werden. Da braucht man eine gewisse relative Größe am Markt. Außerdem sind wir im Commodity-Geschäft tätig. Das erfordert ebenfalls eine bestimmte Größe, um Preise und Kosten gestalten zu können. Wir müssen nicht die Größten sein, aber wollen auch kein „me too“ sein.

FAHNEMANN: Ich habe 2011 bei meiner ersten Hauptversammlung gesagt, dass wir uns verdoppeln wollen. Das ist uns mengenmäßig gelungen. Damals wollten wir von den traditionellen 50 Prozent nur 30 Prozent ausschütten, um für das anstehende Wachstum Geld zu haben. Jetzt haben wir unser Wachstumsziel erreicht und unsere Gewinnrücklage dotiert. Die weiteren Wachstumsschritte können wir aus dem Cashflow finanzieren. Also gehen wir wieder auf die ursprünglichen 50 Prozent Ausschüttung zurück und 59


Kennzahlen 2014

EBITDA

136,1 Mio EUR

Eigenkapitalquote

Cashflow aus dem Ergebnis

54,0 %

104,7 Mio EUR

ÜBER

100.0

930,4 Mio EUR 48 % Sempermed

MEDIZIN

Umsatz nach Segmenten

Umsatz

Umsatz nach Regionen

58 % Europa

Standorte

16 % Sempertrans

INDUSTRIE

22 % Semperflex 19 % Asien, Afrika und andere Länder

23 % Nord- und Südamerika 14 % Semperform

60

ZENTRALE: Wien, Österreich SEMPERMED: Österreich, Ungarn, Frankreich, Großbritannien, Türkei, China, Thailand, Malaysia, Singapur, USA, Chile, Deutschland SEMPERFORM: Österreich, Ungarn, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China, Singapur, USA SEMPERTRANS: Österreich, Polen, Frankreich, Indien, China, Singapur, Indonesien, Australien, Kanada, Mexiko SEMPERFLEX: Österreich, Tschechische Republik, Italien, Deutschland, Frankreich, China, Thailand, Singapur, Indonesien, USA, Indien


B&C | JAHRBUCH 2014

00.000 EUR umfasst das größte Investitionsprogramm in der Unternehmensgeschichte: 50 Mio EUR für Sempermed, 40 Mio EUR für Sempertrans, 10 Mio EUR für Semperflex und 9 Mio EUR für Semperform.

Forschung und Entwicklung

RUND

200 MITARBEITER RUND

8 MIO EUR FÜR F&E

RUND

50

PATENTFAMILIEN

Kurschart (EUR pro Aktie)

6 EUR pro Aktie werden 2014 als Dividende ausgeschüttet – die auf 1,10 EUR erhöhte Basisdividende und eine einmalige Sonderdividende von 4,90 EUR.

OPAL

(Optimisation of Processes and Application Landscape) ist das Projekt zur konzernweiten Harmonisierung und Standardisierung effektiver und robuster IT-Systeme und Prozesse. Eine moderne IT ist unerlässlich für die Wettbewerbsfähigkeit der Semperit Gruppe.

> 100 Mio Meter

Schlauch in 11 Monaten produzierte Semperflex im Jahr 2014 erstmalig; das ist ein Rekord in der 190-jährigen Unternehmensgeschichte.

54,2 %

Anteil der B&C Industrieholding am Grundkapital der Semperit; damit größter Aktionär des Unternehmens.

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Sigrid Engleitner Brigitte Trebos

Edina Nemeth-Koczan

Patrick F. Pr端gger

Alexander Steffel

Michael Junghans Michael Hofner

Mariella Schurz


WIR SIND DIE B&C.

Marion Swoboda-Brachvogel

Silvia Wieselmayer Susanna Gvozdenovic

Mathias Breuer

Sonja Reichinger

Thomas Zimpfer Andreas Schmidradner

Nora Dvorak


Das Jahr 2014 war für die B&C und ihre Kernbeteiligungen von wesentlichen Entwicklungen geprägt. Bei der AMAG konnte die Kapitalmehrheit erlangt werden, womit aus Sicht der B&C Industrieholding ein wichtiges strategisches Ziel erreicht wurde. Für die AMAG war das Jahr 2014 von zwei Ereignissen gekennzeichnet: von der Inbetriebnahme des neuen Warmwalzwerks

Bei Lenzing griffen allmählich die harten und konsequenten Sanierungsmaßnahmen, die der Vorstand rechtzeitig entwickelte und diszipliniert umsetzte. Der Aufsichtsrat begleitete die Restrukturierung, ein eigener Restrukturierungsausschuss wurde eingesetzt. Im Strategieausschuss wurden die Grundlagen für eine Neupositionierung mit dem Vorstand vorbereitet,

in Ranshofen sowie vom Beschluss, weiter zu investieren – konkret in ein neues Kaltwalzwerk, ebenfalls in Ranshofen. Durch diese Investitionen wird der Standort zu einem der modernsten, weltweit anerkannten, vollintegrierten Hotspots der Aluminiumindustrie. Die neuen Anlagen ermöglichen größere Dimensionen der Produkte, und sie verdoppeln die Kapazität.

und im Prüfungs- und Finanzausschuss wurde das Management zu den enormen Volatilitäten, denen Lenzing ausgesetzt ist, beraten. Der Erfolg der Maßnahmen ist einerseits daran zu messen, dass die Lenzing AG eines der wenigen Unternehmen der Branche ist, die auch im Jahr 2014 operativ Gewinne schrieben, und andererseits daran, dass das operative Jahresergebnis trotz sich weiter verschlechternder Rahmenbedingungen um 25 Prozent gesteigert werden konnte. In diesem Zusammenhang ist dem im Mai ausgeschiedenen, langjährigen Vorstandsvorsitzenden Peter Untersperger unsere höchste Anerkennung für diese Sanierungsleistung auszusprechen.

BERICHT DER GESCHÄFTSFÜHRUNG Bei Semperit wurde der Bereich der Förderbänder durch die größte Investition der Unternehmensgeschichte über organisches Wachstum gestärkt, auch der Schlauchbereich wurde durch die Erweiterung des tschechischen Standorts ausgebaut. Alle vier Geschäftsbereiche der Unternehmensgruppe arbeiten erfolgreich. Semperit ist heute ein global aktiver Verbund mehrerer international erfolgreicher mittelständischer Unternehmen, und die Komplexität der Managementaufgaben ist enorm. Die Grundlage für den Erfolg liegt zu einem guten Teil auch in der gezielten Entwicklung der Unternehmenskultur, ohne die das starke Wachstum von Umsatz und Ergebnis in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen wäre.

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B&C | JAHRBUCH 2014

Für die kommenden 18 Monate sind wir zuversichtlich. Die Beteiligungsunternehmen sind für die zunehmenden Volatilitäten und die sich ständig stärker ändernden Rahmenbedingungen gut gerüstet. Wir alle in der B&C Gruppe haben seit der Finanzkrise die Erfahrung gemacht, dass die Komplexität und Volatilität sowie das Wirken disruptiver Entwicklungen stärker zunehmen als die Leistungsfähigkeit der Planungsinstrumente. Wir haben aus diesem Grund unsere unternehmerische Haltung dahingehend erweitert, dass wir neben langfristigen strategischen Zielen auch opportunistischen Chancen ihre Bedeutung für den Unternehmenserfolg zuerkennen. Die rasche, präzise Analyse der wirksamsten Treiber im Unternehmen und auf dem Markt sowie das prompte Gegensteuern haben unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen einen höheren Stellenwert in unserer Arbeit gewonnen. Das Ziel für die kommenden Monate und Jahre muss sein, die bestehenden und möglicherweise zukünftigen Beteiligungen weiter zu entwickeln, jedoch unter dem Gesichtspunkt, die Auswirkungen von ökonomischen Zyklen auf unser Portfolio gering zu halten.

Veränderung betrifft nicht nur die Beteiligungsunternehmen, sondern auch uns selbst. Der Wechsel in der Geschäftsführung der B&C Industrieholding ist Anlass, über mehrere Jahre den Blick zurück auf das Erreichte, auf die erzielten und erarbeiteten Veränderungen zu werfen. Besonders erfreulich sind die qualitativen Veränderungen, die uns gemeinsam mit dem Vorstand der B&C Privatstiftung gelungen sind: Erwerb der Substanzgenussrechte vom früheren Eigentümer der Industriebetriebe und die weitgehende Entschuldung der B&C Gruppe, eine klare strategische Ausrichtung auf die industriellen Kernbeteiligungen und deren offensive Weiterentwicklung sowie die behutsame Übergabe der nicht-strategischen Beteiligungen an Eigentümer, die für die jeweiligen Unternehmen eine aussichtsreiche Perspektive boten. Wir konnten gemeinsam mit den Kollegen in den Aufsichtsräten unsere Arbeit professionalisieren und werden dies auch in Zukunft kontinuierlich fortsetzen.

PATRICK F. PRÜGGER Mitglied der Geschäftsführung B&C Industrieholding

MICHAEL JUNGHANS Vorsitzender der Geschäftsführung B&C Industrieholding (bis 30. April 2015)

Wir bedanken uns bei unseren Mitarbeitern für ihre Leistung, die sie oft genug unter großer Anspannung zu erbringen hatten. Nicht zuletzt haben ihre positive Grundhaltung und das Gemeinschaftsgefühl, das sie entwickelt haben, wesentlich dazu beigetragen, die Herausforderungen erfolgreich zu bestehen. Wir bedanken uns bei den Führungskräften und den Aufsichtsräten unserer Beteiligungsunternehmen für das gemeinsame, unerschütterliche Festhalten an langfristigen Zielen und bei unseren Aufsichtsräten und beim Vorstand der B&C Privatstiftung für Rat, Unterstützung und Vertrauen.

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Die Organe der Gesellschaft GESCHÄFTSFÜHRUNG Michael Junghans Patrick F. Prügger

Vorsitzender der Geschäftsführung (bis 30. April 2015) Mitglied der Geschäftsführung

AUFSICHTSRAT Erich Hampel Georg Bauthen Werner Floquet Wolfgang Hofer Josef Krenner Hanno Bästlein

Vorsitzender des Aufsichtsrats (bis 27. August 2014) Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats Mitglied des Aufsichtsrats (bis 30. Juni 2014) Mitglied des Aufsichtsrats (Vorsitzender des Aufsichtsrats ab 16. September 2014) Mitglied des Aufsichtsrats Mitglied des Aufsichtsrats (ab 14. Jänner 2015)

Portfolio der B&C Industrieholding (per 31. Dezember 2014) KERNBETEILIGUNGEN

WEITERE BETEILIGUNGEN

AMAG Austria Metall AG 52,7 % Österreichische Lotterien GmbH 7,9 % Lenzing Aktiengesellschaft 67,6 %1 Vamed AG 10,0 % Semperit AG Holding 54,2 %

1) Anteilshöhe umfasst Anteil der B&C Privatstiftung (B&C Iota KG)

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B&C | JAHRBUCH 2014

Kennzahlen der drei Kernbeteiligungen der B&C Industrieholding (aggregierte Darstellung unter Erfassung der IFRS-Konzernabschlüsse der Kernbeteiligungen zu 100 %) BESCHÄFTIGTE 2014 (im Jahresdurchschnitt) Gesamt:

14.474

1

Davon in Österreich:

Angestellte gesamt

3.788

5.114

2

Arbeiter gesamt

10.686

1

Frauen gesamt

2.240 = 15%

1

Lehrlinge in Österreich

273 = 5 %

2

3

UMSATZENTWICKLUNG KERNBETEILIGUNGEN (Mio EUR) AMAG 4

Lenzing

Semperit

1000

2500

1000

800

2000

800

1500

600 2012

2013

2014

INVESTITIONEN 2011 – 2014

2010

600 2011

2012

2013

2014

2010

2011

2012

2013

2014

AUSGESCHÜTTETE DIVIDENDEN 2011 – 2014 5

Gesamt Anteil österr. Investoren (356,0 Mio EUR absolut)

Gesamt

70%

6

511,1 Mio EUR

1.466,0 Mio EUR

In Österreich

812,7 Mio EUR

1) Semperit: ab dem Jahr 2014 exklusive Erfassung Beschäftigte bei Siam Sempermed Corp. Ltd. · 2) bezogen auf Gesamtwerte · 3) bezogen auf Beschäftigte in Österreich 4) Einstieg B&C im Jahr 2012 · 5) Gesamtsumme Dividenden, 100 % des Aktionariats; AMAG: Dividendenerfassung ab dem Jahr 2011 · 6) Quelle: Thomson One

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B&C INDUSTRIEHOLDING GMBH Palais Ephrussi, Universitätsring 14 1010 Wien, Österreich Tel. + 43 1 531 01 - 0, Fax + 43 1 531 01 - 102 E-Mail office@bcholding.at www.bcholding.at Fotos Christina Anzenberger-Fink, AMAG Austria Metall AG, Lenzing Aktiengesellschaft, Semperit AG Holding Illustrationen Eva Vasari/carolineseidler.com Grafische Gestaltung Harald Ströbel, www.derstroebel.at Konzept und Umsetzung Scholdan & Company Redaktionsschluss: 12. Juni 2015

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