9 minute read

Das Bedürfnis der Konsumenten nach Nachhaltigkeit bringt die Verpackungsbranche zum Umdenken

Next Article
Finanzen

Finanzen

VERPACKT – VERTRACKT

Der Wandel in der Verpackungsbranche ist sichtbar. Neue Materialien umhüllen die Waren, die in den Regalen zum Verkauf stehen. Für den Konsumenten ist es nicht immer einfach zu verstehen, welche Verpackungen Sinn machen und welche nicht. Ein Umdenken findet zwar statt, doch was nachhaltig ist, ist nicht immer naheliegend.

TEXT DANIELA PALUMBO BILDER MICHAEL KESSLER

Korbgeflechte gefüllt mit Gemüse und Früchten statt Plastikbehälter signalisieren schon am Eingang des Ladens, dass die Lebensmittel hier anders aufbewahrt werden als gewöhnlich. «Wie früher», sagt der Kunde erfreut. Zusammen mit seiner Frau hat er zum ersten Mal den Unverpackt-Laden PeperOhni an der Webergasse in Schaffhausen betreten. «Als ich ein Kind war, kauften wir im Usego alles ohne Verpackung.»

Das Paar schaut sich neugierig im einladenden, hellen Lokal um. Warme Naturtöne dominieren und Behälter aus Glas und Karton: Raffiniert gestaltete Verpackungen sind hier nicht nötig, um die Kunden anzulocken. Die bunten Gewürze wie Kümmel, Paprika und Pfeffer in den luftdicht verpackten Einmachgläsern werben für sich selbst genau so wie die Teigwaren, Hirse und Bio-Cornflakes in den transparenten Abfüllstationen. Und auch die Butter im Kühlschrank macht ohne ihre Aluminiumhülle «gluschtig».

Der Unverpackt-Laden ist, wie die ergraute Kundschaft feststellt, ein altbekanntes Modell, das wieder angesagt ist, auch bei der jüngeren, die nicht damit aufgewachsen ist. Sie alle wollen mit ihrem Konsumverhalten die Umwelt vor Verpackungsmüll bewahren. In vielen Städten der Schweiz existieren mittlerweile solche No-Waste-Läden im Stil des PeperOhni in Schaffhausen.

ABFÜLLSTATIONEN FÜR MASSVOLLE

Einige Detailhändler wie die Migros und Coop haben Anstrengungen in dieselbe Richtung unternommen. Sie reagieren ebenfalls auf das Bedürfnis derjenigen Konsumenten, die Verpackungen möglichst vermeiden wollen. Seit November 2020 hat die Migros einige Abfüllstationen für Getreide und Hülsenfrüchte in sechs Filialen installiert. Dadurch konnten sie innerhalb von mehr als einem halben Jahr auf 42 000 Einzelverpackungen verzichten.

Das Angebot war so erfolgreich, dass nun weitere Regionen in der Schweiz davon profitieren sollen. Coop bietet seit diesem Sommer sogar Mineralwasser und Bier aus der Zapfsäule und ebenfalls Abfüllstationen für Reis und Teigwaren.

In den Regalen der Grossverteiler sind die meisten Produkte einzeln verpackt.

VERPACKUNG ALS SCHUTZ

In der Lebensmittelbranche ist die Verpackungsfülle besonders augenfällig, wie der alltägliche Gang durch die Regalreihen der Lebensmittelgrossverteiler zeigt. «Rund 70 Prozent aller Verpackungen fällt hier an», sagt Andreas Zopfi, Geschäftsführer des Schweizerischen Verpackungsinstituts (SVI), des Dachverbands der schweizerischen Verpackungswirtschaft. Den Rest verursachen die Pharmabranche und technische Verpackungen, wo vor allem Holz und Wellkarton zum Einsatz kommen. Denn Verpackung erfülle dreierlei Zwecke. Sie schützt nicht nur die Waren beim Transport, sondern sie macht sie auch länger haltbar und schliesslich dient sie dem Marketing. «Die Kundschaft entscheidet sich beim Erstkauf in 80 Prozent der Fälle aufgrund der Verpackung für ein neues Produkt», so Zopfi.

Verpackungen können also durchaus sinnvoll sein. Doch die grüne Welle hat diese Branche besonders erfasst, denn ihre Auswirkungen sind weit sichtbar – Abfallberge und Umweltverschmutzung. Dass die Waren beim Transport Schutz brauchen, ist unumstritten. Transportverpackung kann aber vermeiden, wer sich mit regionalen Lebensmitteln eindeckt, direkt beim Bauern oder auf dem Markt einkauft oder eben in einem Unverpackt-Laden. Denn dort sind Transportwege im Idealfall möglichst klein. Den Aceto Balsamico holt Diana Zucca, die Geschäftsführerin von PeperOhni zum Beispiel direkt bei Pasta Pizza Daniele ab. Sie fährt regelmässig mit dem Velo dorthin, wo der Produzent die Flüssigkeit im Fass lagert. Vorsichtig schöpft er mit einem riesigen Messbecher den köstlichen braunen Saft und lässt ihn in ihren Metallbehälter mit Zapfhahn einfliessen – die Übergabe findet ganz ohne Verpackung statt. Ansonsten bestellt die Geschäftsführerin möglichst grosse Mengen ihrer Waren in Säcken à 10 bis 50 Kilogramm aus Papier, um das Verpackungsvolumen zu reduzieren und lagert diese in Getreidebehältern aus Karton, die sich luftdicht verschliessen lassen.

«PLASTIKBASHING»

In den Detailhandelsläden hingegen sind die Regale voll mit kleinen Einzelpackungen, die dort stehen, als wären sie für die Ewigkeit präpariert. Das Ablaufdatum entscheidet, wann die Packungen das Gestell verlassen müssen, sofern die Kundschaft nicht zugreift.

Doch immer häufiger weichen poppige Plastikverpackungen dezenteren Naturmaterialien wie Papierbeutel oder Kartonverpackungen. Denn bei Plastik sieht mancher rot. «Plastikbashing», nennt das Zopfi. «Die Kunststoffbranche ist angeschossen. Ich verstehe das nicht. Plastikverpackungen sind unglaublich clever. Das Material hat tolle Eigenschaften.» Bei Gemüse und Früchten hilft es hinsichtlich Hygiene und Haltbarkeit. Die Beschichtungen schützen zum Beispiel Müesli vor Wasserdampf und Kaffee vor Sauerstoff. «Wir haben in der Schweiz kein Plastikproblem», ist er überzeugt. «Verpackungen sind Teil der Kreislaufwirtschaft oder landen in der Kehrichtverbrennungsanlage. Wir haben hingegen ein FoodWaste-Problem.» Der grosse Schwachpunkt bleibt indes bestehen. Plastik wird hauptsächlich aus Erdöl hergestellt und hat somit eine schlechte CO2-Bilanz. Daher sucht die Branche nach Alternativen. Coop

will bis 2026 rund 20 Prozent Plastik bei Verpackungen und Einwegartikeln einsparen.

BIOPLASTICS

Nachwachsende Kunststoffe könnten die erdölbasierten ersetzen. «Aus allem, was Stärke hat, kann man Kunststoffe machen», sagt Zopfi. Geeignet seien etwa Mais, Kartoffeln, Weizen. Die Industrie entwickelt laufend neue Materialien und Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen, einige sind bereits auf dem Markt. Beutel und Tragtaschen oder folienförmige Verpackungen, becherförmige Verpackungsprodukte wie Joghurt, PET-Flaschen, Kaffeekapseln. Schweizweit bekannt ist etwa der Kompostbeutel. Doch die Produktion von Bioplastics ist umstritten. «Die genaue Materialzusammensetzung von Bioplastics ist oft schwer nachvollziehbar», schreibt Coop in einem Positionspapier. Der Konzern steht Bioplastics kritisch gegenüber. Die Ökobilanz über den gesamten Lebensweg sei ähnlich wie bei konventionellem Kunststoff. Zudem konkurrenzieren nachwachsende Rohstoffe den Anbau von Lebensmitteln und seien im Wasser noch deutlich schlechter abbaubar als im Boden. spiel Produkte aus Polymilchsäure (PLA) – muss man separat rezyklieren. Es entsteht ein neuer Materialstrom. Ausserdem gibt es einen Unterschied, ob eine Verpackung industriell kompostierbar ist oder privat. Bei einer industriellen Kompostierung zersetzt sich der Kunststoff bei einer konstanten Temperatur in einem abgeschlossenen System. Privat dauert es zum Teil sehr lange. Und darauf weist Zopfi hin: «Das Material ist nicht mehr sichtbar, aber nicht verschwunden. Die Auswirkungen noch nicht erforscht.

Auch Coop kommt zum Schluss, dass der Fokus bei der Entwicklung geeigneter Ersatzmaterialien nicht auf den biologischen Abbau gelegt werden sollte, sondern auf die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen: «Die Kompostierung oder Vergärung verbessert die Ökobilanz nicht, da biologisch abbaubare Kunststoffe im Wesentlichen ‹totes› Material sind und daraus keinerlei Nährstoffe gewonnen werden können», so Coop. Verpackungen auf Stärkebasis, aus PLA und aus Zucker sind bei Coop aus den weiter oben genannten Gründen verboten. Geprüft werden hingegen Kunststoffe mit Faseranteilen und Biokunststoffe aus Abfallprodukten aus der Industrie.

Diana Zucca, die Geschäftsführerin vom Unverpackt-Laden PeperOhni, holt den Aceto Balsamico mit dem Velo direkt beim lokalen Produzenten ab, der diesen in Holzfässern lagert.

VIELSEITIGER NAHRUNGSMITTELABFALL

Tatsächlich gibt es in diesem Bereich einen raffinierten Ausweg – die Abfallprodukte, die in der Nahrungsmittelindustrie anfallen, lassen sich für die Herstellung von Bioplastics verwenden. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klatsche: «Plastik aus Food-Waste».

TIPPS FÜRS EINKAUFEN

Ohne Verpackung

Vor allem Lebensmittel mit langer Haltbarkeit wie Teigwaren, Linsen, Reis, Haferflocken, aber auch Kosmetikprodukte können im Unverpackt-Laden und teils bei Migros & Co. verpackungsfrei und in der gewünschten Portion gekauft werden.

Mehrfach verwenden

Leere Gläser, Papier- und Plastikbeutel sind wiederholt einsetzbar.

Schnell verbrauchen

Frische und regionale Produkte sind oft unverpackt. Konserviertes Obst und Früchte hält am längsten in der Dose und ist für Notvorrat sinnvoll. Nachhaltiger bleibt immer noch die Plastikverpackung, falls die Lebensmittel eine Zeit lang gelagert werden.

Leitungswasser trinken

Dann braucht man weder PET- noch Glasflaschen. Deren Ökobilanz ist nicht sehr gut – auch wenn sie recycelt werden.

Nachfüllbeutel kaufen

Bei Waschmittel, Flüssigseife und Putzmittel sind Kunststoffbeutel leichter und umweltfreundlicher als Hartplastik und Karton.

Quelle: nachhaltigleben.ch

aus Stein am Rhein stammende Linda Grieder, die Partner verschiedener Branchen in diversen Projekten zusammenbringt, um die Aufwertung (Upcycling) von Materialien für neue Produkte voranzutreiben, die nachhaltig und wirtschaftlich sind. Das Prinzip: Aus Nebenströmen der industriellen Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie Verpackungsmaterial erstellen, das biobasiert und biologisch abbaubar ist. Bei RethinkResource ist Klara Hauser für Verpackungen zuständig. Sie hat an der ETH Lebensmittelwissenschaft studiert. In der Hand hält sie drei Papiere in Brauntönen, die aus 45 Prozent Kakaobohnenschale bestehen. Diese wird normalerweise beim Herstellen von Kakaomasse weggeworfen oder als Tierfutter verwendet. Die übrigen 55 Prozent bildet normaler Holzzellstoff als Strukturgeber. Zellstoffe bestehen zum Beispiel auch aus Gras oder Biertreber (Rückstände des Braumalzes), ein Nebenprodukt aus dem Bierbrauprozess. Je nach Bier erhält das Papier eine andere Farbe: helles aus Weizenbier und dunkelbraun aus Bockbier.

Der grosse Vorteil dieser Nebenströme: Sie fördern nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern befeuern auch das Marketing: «Papiere aus Nebenströmen erzählen eine einzigartige Geschichte. Das wirkt attraktiv auf Konsumenten und weckt Interesse», sagt Hauser. Mit dem dünnen Kakaobohnenschalenpapier lassen sich zum Beispiel Pralinen verpacken, mit dem eher dicken, bereits marktfähigen Bierpapier hingegen Broschüren und Flyer.

Beschichtungen seien ebenfalls herausfordernd und ein grosses Thema. Denn sie kämen in Kontakt mit den Lebensmitteln wie etwa die Aluminiumkapsel Nespresso. «Aluminium und Plastik sind als Bar-

Verpackungen aus nachwachsendem Rohstoff: nach dem Essen wiederverwenden oder im Biomüll bzw. im Kehricht entsorgen. Bild dp

Dieses Papier besteht aus Kakaobohnenschalen (45 Prozent), die als Industrieabfall anfallen: Klara Hauser von RethinkResource. Bild dp

rieren sehr effizient», sagt auch Hauser. «Unsere Welt ist auf Plastik angewiesen, aber man will von Plastik wegkommen. Wir müssen daher die Systeme neu denken.» Aus Holz wird bereits Zellulosebeschichtung für Beutel hergestellt, um trockene Produkte wie Müesli und Pasta zu schützen. Dafür eignen sich auch Zuckerrübenschnitzel, die sehr faserhaltig seien. «Die Schritte in diese Richtung sind gross, aber einiges ist noch nicht fertiggedacht.»

DESIGN VOR RECYCLING

Umdenken sei wichtig, sagt auch SVI-Geschäftsführer Zopfi. Zwei Schlagworte beherrschen die Verpackungsbranche: «Design vor Recycling» und «Kreislaufwirtschaft». Zopfi fasst die Stossrichtung zusammen: «Man muss von Anfang an schauen, wovor man ein Produkt schützen muss und das Material wählen, das im Kreislauf bleibt.» Zum Umdenken gehöre auch, die Haltbarkeitsdauer infrage zu stellen. Man müsse sich überlegen, wie lange etwas halten solle. Eine Konservendose sei beispielsweise mehrere Jahre haltbar. «Reichen drei Wochen Haltbarkeit für ein konserviertes Gemüse oder müssen es Jahre sein?»

Unschlagbar bleibt in dieser Hinsicht der Regional- oder Frischmarkt, denn die Produkte werden rasch konsumiert. Die Haltbarkeit ist im UnverpacktLaden ebenfalls kein Problem. Natürlich spielt auch die Hygiene eine Rolle. Dreimal in der Woche kommt eine Raumpflegerin, die Abfüllstationen sind hygienisch einwandfrei. Die Kunden und Kundinnen schöpfen mit dem Löffel den Inhalt aus den sauberen Gläsern und füllen diesen in ihre Gläser, Tupperware, Stoffsäcke, Emailgefässe, Vegibags.

Aber da die Geschäftsleiterin auch Spezialitäten wie Honig, Konfi und Weinflaschen anbieten möchte, geht es bei PeperOhni nicht ganz ohne Verpackung. Auch Artischockenpaste ist im Offenverkauf nicht abfüllbar. Kunststoff verteufelt Zucca keineswegs, denn Getränke werden in Harassen und Gemüse in den grünen Gebinden angeliefert. «Kunststoff ist da immer noch eine gute Lösung – er ist leichter als Holzkisten und die Gebinde sind faltbar. Die überleben mich vermutlich», sagt Zucca schmunzelnd. «Sie können jahrelang, immer wieder verwendet werden und bleiben so im Kreislauf.» Daher sieht sie keinen Grund, Gebinde und Harasse aus Kunststoff ganz zu verbannen.

Unterdessen hat sich das Pärchen umgesehen und entschieden, dass es künftig hier im UnverpacktLaden Mehl, Rohrzucker, Haferflocken, Trockenfrüchte, Kartoffeln und Öl einkaufen wird. «Wir nehmen nächstes Mal den Behälter mit», sagt der Mann entschieden, bevor er den Laden verlässt. 

This article is from: