Die Tradition verwandeln Anouar Brahem und seine Musik
Kevin Le Gendre
„Blue Maqams“ ist eine interessante Wortkombination. Es ist der Titel des jüngsten Albums und Live-Programms des tunesischen Oud-Virtuosen Anouar Brahem, gleichzeitig stellen diese Worte aber auch eine faszinierende Begegnung zwischen englischer und arabischer Sprache dar – ein Gedanke, der aus dem Wunsch des Künstlers entspringt, etwas Spezi fisches zum Ausdruck zu bringen, ohne dabei zu viel zu verraten. „Ich wollte unbedingt ein arabisches Wort im Titel haben, deshalb ‚maqam‘, und ich hatte die Farbe Blau im Kopf, ohne eine besondere Bedeutung“, erklärt Brahem. „Der Titel fiel mir ein, bevor ich das Album gemacht habe. Aber als wir dann im Studio waren, stellte ich fest, dass ich im maqam spielte.“ Dieser Ausdruck bezeichnet die uralten Melodiemuster oder Modi, die das Herzstück der hochexpressiven klassischen Musik Nordafrikas und des Nahen Ostens bilden. Dies ist die Kultur, in der Brahem aufwuchs und von der seine musikalische Identität durchdrungen ist, doch hat er sich in einer seit mehr als drei Jahrzehnten andauernden, experimentierfreudigen Karriere auch vielen westlichen Kunstformen z ugewandt. Dazu zählt vor allem Musik afroamerikanischer Herkunft. „Ich habe nie versucht, Jazz musiker zu sein, und ich halte mich auch für keinen“, sagt Brahem. „Aber ich glaube, ich habe die Mentalität eines Jazzmusikers, jedenfalls fühle ich mich dieser Musik sehr verbunden.“ Ganz unabhängig davon ist Blue Maqams klingende Bestätigung seiner kompositorischen und improvisator ischen Fähigkeiten zusammen mit amerikanischen und europäischen Musikern, die sich auf dem allerhöchstem Niveau der Kreativität bewegen: dazu gehören der Bassist Dave Holland, der Pianist Django Bates und (für die Aufnahme) der Schlagzeuger Jack DeJohnette, an dessen Stelle im heutigen 5