Utopische Musik? Die Ausnahme als das Eigentliche
Jörg Widmann
Das erste Stück von Beethoven, mit dem ich mich als larinettist beschäftigt habe, war das „Gassenhauer-Trio“ op. 11. K Als junger Mensch hat mich das Verhältnis von Strenge und jugendlichem Ungestüm in der Musik des frühen Beethoven besonders fasziniert. Entscheidend für meine Wahrnehmung des Komponisten war aber schon damals die Siebte Symphonie, die ich in der berühmten Aufnahme von Carlos Kleiber mit den Wiener Phil harmonikern kennengelernt habe. Dies war für mich der Inbegriff von beseelter Musik – aber auch von Musik, die kompromisslos ist in ihrer Entgrenzung, ihrem bacchantischen Rausch, ihrer Unbarmherzigkeit. Richard Wagner hat das Allegretto der Siebten Symphonie als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet und damit vielleicht einen wichtigen Aspekt dieses Werks auf den Punkt gebracht. Andererseits begegnen uns in dieser Partitur auch Momente, die eben nicht schön, Akkorde, die nicht mehr ästhetisch sind. Ich glaube, wir machen uns oft zu Unrecht über die Zeitgenossen lustig, die mit der Musik Beethovens ästhetisch überfordert waren. Carl Maria von Weber, selbst ein großer Neuerer des Orchesterklangs, hat über den letzten Satz der Siebten gesagt: „Jetzt ist er endgültig reif fürs Irrenhaus.“ Ich bin überzeugt, dass wir uns keine Vorstellung davon machen können, wie diese Musik für damalige Ohren geklungen haben muss. Der Beginn des vierten Satzes ergeht sich in manischem Umkreisen ein und desselben Gedankens. Zuvor im Kopfsatz beißt sich Beethoven seitenlang an einem punktierten Rhythmus fest – mit solch einer insistierenden Ausdauer, dass die Partitur optisch an ein Tapetenmuster erinnert. Im Finale wiederum gelingt es ihm, den Taktschwerpunkt so zu verschleiern, dass man als Hörer fast über Minuten in die Irre geführt wird. Der Puls, die Energie, die
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