Gedanken zum Beethoven-Jahr
Isabel Mundry
Das Werk Beethovens steht paradigmatisch für eine Musik im Geist der Aufklärung und des Fortschritts. Aus guten Gründen haben wir begonnen, diese Werte kritisch zu befragen, und je konsequenter wir das tun, desto ehrlicher müssen wir auch die Bedeutung von Beethovens Musik neu reflektieren. Ich höre diese Musik zunehmend auch aus der Perspektive von Menschen, die aus anderen Kulturkreisen kommen und die Paradigmen des mitteleuropäischen Kanons kritisch betrachten. Das beeinflusst auch mein eigenes Hören. Ich höre zum Beispiel deutlicher die Grenzen des Subjektbegriffs, wie er sich in Beethovens Musik emphatisch zeigt. Die Bedeutung, die ich dieser Musik früher zugeschrieben habe, als Kind deutscher Bildungsbürger, ist längst zerfallen. Doch sie hat das überlebt. Ich höre sie immer noch, aber inzwischen anders. Das ist das Gute an konsistenter Musik, dass sie langfristig immun gegenüber Vereinnahmungen zu sein scheint. Es gibt Werke, die ich schon dutzende Male recht und schlecht als Straßenmusik gespielt gehört habe – und ich liebe sie immer noch. Insofern beeinflusst die Omnipräsenz von Beethovens Musik auch in einem Jubiläumsjahr mein Verhältnis zu ihr nicht wesentlich. Als schöpferische Künstlerin ist Beethoven für mich ein Kom ponist, dessen Werk ich bewundern kann, aber nur selten direkt zu mir sprechen lasse, während ich selbst eine Komposition entwickle. Etwas Entscheidendes habe ich dennoch von seiner Musik gelernt: dass jedes Detail mit der Zeit wesentlich werden und jeder Moment Aussage und Frage zugleich sein kann. Manche seiner Zeitgenossen wie Schubert oder Brahms haben Beethovens Vorbild vermutlich als Last empfunden – doch aus dieser Last scheint letztlich Anregung geworden zu sein. Ich glaube, man sollte Einflussängste möglichst gelassen nehmen: sollte das Werk einer anderen Person mich derart
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