Mehl Gries Beton. Die Rösselmühle im Gespräch. Texte zur Ausstellung.

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MEHL GRIES BE TON

die Rösselmühle im Gespräch

Texte zur Ausstellung

Projektgruppe

„Gedächtnis

und Zukunft der Grazer Arbeiter:innen-Vorstadt“

MEHL GRIES BETON

die Rösselmühle im Gespräch

Texte zur Ausstellung

Die Wanderausstellung „MEHL GRIES BETON – die Rösselmühle im Gespräch“, die im Februar und März 2024 im öffentlichen Raum in Graz gastiert, geht auf das Master-Studienprojekt „Die Rösselmühle – Gedächtnis und Zukunft der Grazer Arbeiter:innen-Vorstadt“ im Sommersemester 2023 und Wintersemester 2023/24 am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Graz zurück. Die vorliegende Textbroschüre versammelt alle Texte und Zitate der Ausstellung und ergänzt sie durch weitere Erzählbeispiele aus den Interviews mit Anwohner:innen und Belegschaftsmitgliedern der Rösselmühle.

Zur zweiten durchgesehenen Auflage, 5.3.2024

Nach dem Auftakt am 1. Februar am Griesplatz und der zweiten Station im Volkskundemuseum am Paulustor ist die Ausstellung weitergewandert zur Universitätsbibliothek, von dort kommt sie von 14. bis 16. März zum Eisernen Tor. Zu diesem Zeitpunkt sind der Nordund Südturm der Rösselmühle weitgehend abgebrochen. Ob es noch gelingt – ob der politische Wille reicht – die Rösselmühle und weitere wertvolle Industrieerbe-Areale am Mühlgang und im nördlichen Gries zu erhalten und als sozialen und kulturellen Freiraum zu nutzen, ist fraglich. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

© 2024 Projektgruppe „Gedächtnis und Zukunft der Grazer

Arbeiter:innen-Vorstadt“

Coverbild: Erika Thümmel

Modell Rösselmühle: Florian Rumpl

Layout: Patricia Wess, Thomas Kalcher

Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Graz Attemsgasse 25/I, 8010 Graz, Österreich

Druck: Servicebetrieb ÖH - Uni Graz GmbH

Inhalt der Ausstellung

MEHL GRIES BETON – Die Rösselmühle im Gespräch

GEDÄCHTNISORTE - Zukunft im Erinnern

ARBEITSLEBEN – Die Rösselmühle

Täglich läuft die Mühle

Arbeit, Hnadwerk, Identität?

Ende des Mühlenbetriebes

Wege des Mehls

Mitten im Gries

GRIES GESCHICHTE – Gewachsenes Griesviertel

GRIESPERSPEKTIVEN – Rechts der Mur;

Alles beginnt am Griesplatz

Topografie eines lebendigen Viertels;

Fluktuation im Ankunftsviertel

Unsichtbar: Veränderung und Verlust

Wer gehört zum Viertel?; Zwischen Krieg und Flucht

Politik im Widerspruch

Fragwürdiger Ruf

„Graz stirbt abrissweise“

ES BRENNT! – 1. April 2023 – Neue Tatsachen

GESCHICHTE DER MÜHLE – Älteste Mühle von Graz?

MÜHLGANG – Energielieferant Mühlgang; Kulturerbemeile

INDUSTRIEERBE – Kulturerbe als soziale Ressource

Stadtentwicklung

WIE GEHT’S WEITER? - Was geschieht mit der Rösselmühle?

Chronik des Abbruchs

BETEILIGUNG – Kämpfe und Konzepte

BETEILIGUNG – Hat die Mühle Zukunft?

Noch ragen sie hoch über dem Vorstadtviertel Gries auf, die Silotürme der Rösselmühle. Noch grüßen sie über die Mur hinüber zur Welterbestadt Graz. Der imposante Bau steht für die industrielle Geschichte der Stadt, für postindustriellen Wandel und soziale Grenzziehungen. Neuerdings auch für Protest und den Wunsch nach nachbarschaftlicher und politischer Teilhabe.

Über 750 Jahre hat die Rösselmühle für Mehl, Brot und Arbeit gesorgt, für Gemeinschaft und Austausch in der Stadt und hinaus aufs Land. 2014 wurde der Betrieb eingestellt.

Seit März 2023 forschen wir als Studierende und Lehrende der Kulturanthropologie diesen Beziehungen rund um die Rösselmühle nach. Wir haben mit ehemaligen Belegschaftsmitgliedern über ihr Arbeitsleben, das Mehlmahlen und ihre Verbundenheit mit der Mühle gesprochen.

Im umliegenden Griesviertel haben wir den Erzählungen von Anwohner:innen unterschiedlicher Generationen und Herkunft gelauscht. Wir haben gelernt, wie sich Erinnerungen an gebaute Orte, an das gewachsene kulturelle Erbe der Murvorstadt heften – und an Erfahrungen des Verlusts, des Nicht-gesehen-Werdens.

Keine akademische Befragung war unser Ziel, sondern ethnografisches Zuhören, Mitgehen, Mitleben. Nur so lassen sich die Widersprüche und Vieldeutigkeiten gelebten Alltags verstehen. Nur so werden Bedürfnisse und Wünsche sichtbar, wachsen Zukunftsideen.

Dabei geht es auch um Macht, um Recht und Besitz. Es geht um Stadtentwicklung, wie sie auf der anderen Murseite, im politischen Zentrum der Stadt geplant wird. Als mitten in den Diskussionen um ein Nachbarschaftszentrum Rösselmühle die Eigentümer den Abbruch von zwei der drei Silotürme beantragten, starteten wir einen öffentlichen Appell zur Rettung der Rösselmühle.

Wo liegen die Grenzen, was sind die Möglichkeiten wissenschaftlichen Engagements? Skandal um Rösi!

Graz-Gries, zum 1. Februar 2024

Die Rösselmühle im Gespräch

001:DasForschungsgebietim Griesviertel.

002:DieProjektgruppeim AnschlussderVeranstaltung „RundumdieRösselmühle.Ein ErzähltagfürdieZukunft“, 2.7.2023

003:DasGebäudeder Rollgerstefertigungvordem BrandundAbriss2023.

Zukunft im Erinnern

GEDÄCHTNISORTE

004:BlickindenInnenhofder Rösselmühle.Erzählrunde inderRösselmühlebeider Veranstaltung„PrekARTe“, 1.10.2023

Erinnerung braucht Orte, und Zukunft braucht Erinnerung. Beim Erzählen – untereinander und in den Gesprächen mit uns Kulturanthropolog:innen – verorten die Menschen ihre Erinnerungen. Sie wandern altbekannte Straßen im Viertel entlang, lassen das Korn durch die Maschinen rauschen, erzählen Geschichten von Häusern, Familien, Arbeitsalltag und Geschäftsbeziehungen. Die gewachsene Stadtlandschaft wird zum sozialen Raum, sie schafft Gemeinsamkeit, Unverwechselbarkeit und Heimat.

Die Teilhabe am Kollektivgedächtnis des Griesviertels macht Mut und lässt Ideen wachsen. Dagegen schürt der Verlust von Gedächtnisorten wie der Rösselmühle oder Altstadthäusern z.B. in der Karlauerstraße, der Idlhofgasse und Lazarettgasse Ohnmacht und Wut.

Wer bestimmt das Gedächtnis des Viertels? Wessen Erinnerungen zählen – und wessen Interessen?

Jahrhundertelang wurde am Standort der Rösselmühle Mehl produziert. Wurde zunächst noch mechanisch gemahlen, erzählt uns die letzte Generation der Mühlenbeschäftigten, wie die Mühle vollautomatisiert ohne Schichtbetrieb Mehl erzeugen konnte. Das Handwerk der Müllerei entwickelte sich parallel zum technischen Fortschritt in einem Prozess der kontinuierlichen Veränderung. Konstant blieb der Mühlgang als Energiequelle.

Für die umliegenden Bäckereien, Gasthäuser und den Handel war die Rösselmühle ein wichtiger Einkaufsort, für die Nachbarschaft im Gries ist sie mit ihren markanten Türmen ein Identifikationspunkt. Sie steht stellvertretend für Brot und Kulinarik, und für das industrielle Erbe der Stadt Graz. Die Schließung des Familienbetriebes 2014 folgte einem Trend: 1995 existierten 300 Mühlen in Österreich, heute sind es noch knapp 80. Mit dem EU-Beitritt Österreichs wurde das Mühlengesetz abgeschafft. Es regelte bis dahin den Mehlpreis und sicherte so den Fortbestand der lokalen Mehlproduktion. Nach Stilllegung, Leerstand und Brand sollen nach dem Willen der Eigentümer:innen Teile oder auch die ganze Mühle abgerissen werden. Doch die Rösselmühle erzählt Jahrhunderte Grazer Geschichte und ist ein bedeutsames Symbol für gesellschaftlichen Wandel. Aktuell entwickelt sie sich zu einem Sinnbild des Widerstands gegen die Grazer „Bauwut“.

Die Rösselmühle

005:AußenansichtRösselmühle.

006:DiedreiSilotürmeder Rösselmühle,Sommer2023.

Seit Generationen ein Familienbetrieb

Außer kleineren Reibereien beschreiben die ehemaligen Angestellten eine familiäre Atmosphäre und intensiven Zusammenhalt – eine Gemeinschaft bis zum letzten Tag. Auch gute Kontakte zur Eigentümerfamilie aus Wien, die im „Arbeiterhaus“ eine Wohnung unterhält, werden hervorgehoben. Gemeinsame Freizeitaktivitäten waren eher die Ausnahme, so z.B. das jährliche Wettfischen gegen die Interspar-Bäckerei oder ein Ausflug in die Sportkegelbahn Scheff.

Bis heute hält die Belegschaft untereinander Kontakt.

007:Mühlenmitarbeiter:innen mitKunden.

ARBEITSLEBEN

„„Wieichangefangenhabe,binichvorgestelltworden.Ichwerde nievergessen,wiederIngenieurErnstPolsterer,daswarder Patriarchsagichjetzteinmal,gesagthat:WennSieallesrichtig machenbeiuns,dannkönnenSiehierinPensiongehen.Und damalswarich23.Undwiemansieht,zehnJahrespäter,ist dann alles anders gekommen.“ – Mühlenmitarbeiter Verwaltung

„Es hat sehr viel Spaß gemacht, dort zu arbeiten. Die Leute warensehrnett.NatürlichhatesimmerReibereiengegeben, wieüberallsoKleinigkeiten.Abereswarschönundichhab hauptsächlichmitMännerngearbeitet.Dasistsehrlustig.“ –MühlenmitarbeiterinVerwaltung

„NatürlichhabeichmichindieAufgabehineingefunden,sodass ichesdochüberJahrzehntedortausgehaltenhabe.Undeswar einewunderschöneZeit.JanatürlichvielLehrgeld,dasman zahlenmuss.Aberesistmireinfachgemachtwordenseitens meinerVorgesetztenundauchseitensmeinesTeams,dasich damalsgehabthabe.“ –MühlenmitarbeiterProduktion

„Ich musste Mitarbeiter auch mal motivieren. Als erstes versuchte ich mit viel Geduld auf die Leute einzugehen. Versuchteihnenzuerklären,dasssichvielesgeänderthat,dass diefettenJahreinderMüllereivorbeisind.Wirhabendannso kleineFeiern,soWeihnachtsfeierngehabt,womeistensdann dasGanzeeinbisschenabdiskutiertwurde.BeiAlkoholredet es sich anscheinend leichter. Ja, und so haben wir das dann hingekriegt.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

„Undwasicheigentlichalstollempfinde:Wirhabenfastkeine Fluktuationgehabt.WirhabensehrtreueMitarbeitergehabt, die eigentlich über viele Jahrzehnte, zum Teil, bei der Rösselmühle gearbeitet haben.“ – Mühlenmitarbeiter Verwaltung

„JedesJahrhateseinWettfischengegendieIntersparBäckerei gegeben. Das war dann immer so ein Wanderpokal. Der ist dann immer hin und her gelaufen zwischen Interspar und Rösselmühle,werhaltdanngewonnenhat.Daswarsehrlustig. Wirhaben,mussichgestehen,sehr,sehrvieleFischerdabei gehabt.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

„Ichglaube,dassdaswireinesehrfamiliäreundmenschliche Art haben, einen Betrieb zu führen, manchmal entgegen wirtschaftlichen Entscheidungen. Aber ich habe noch nie erlebt, dassessichhinterhernichtbezahltgemachthat,weilesauch einfachnettistvomArbeitsklimaher,wennmandajedenTag ist.Einfachnetter,wennsichalleverstehenundallemiteinander reden können, als wenn man jetzt nur Euros zählt und nur spart.Natürlichsparenmüssenwiralle,aberichsparlieber beimiralsbeianderen.“–Eigentümerin

„Positiv zu erwähnen ist einfach die Gemeinschaft, die wir gehabthaben,diewarwirklichgroßartigundaucheinzigartig dadurch.UnddaswarbiszumletztenTag.“–Mühlenmitarbeiter Verwaltung

008:DieMühleinBetrieb,2005.

“„DieRösselmühlewareinegroßeFamilie.DasRösselmehlhat einjedergekannt.WasdaArbeiterdrinnenwaren!WennSie das hätten sehen können. Das hätte eine Geschichte zu erzählen.“–ÄlteAnwohnerin

„Wir haben noch immer eine WhatsApp-Gruppe. Also der Kontakt ist da. Man gratuliert sich zum Geburtstag.“ –MühlenmitarbeiterVerwaltung

Zuletzt arbeiteten rund 20 Beschäftige in der Mehlerzeugung, der Verwaltung und Auslieferung. Um 6 Uhr startete ein Arbeitstag, bis 17 Uhr hatten die meisten die Mühle wieder verlassen.

Je nach Auftragslage wurde das Getreide auch nachts und am Wochenende gemahlen. Bei einer Störung oder der jährlichen Generalreinigung stand die Produktion still. Jede:r Mitarbeiter:in war auf seine und ihre Aufgaben spezialisiert. 2005 wurden die Maschinen vollautomatisiert.

Auf dem Produktionsgelände betreibt der Mühlgang bis heute ein Wasserkraftwerk zur Stromerzeugung. Damit wurde ein Teil des Energiebedarfs der Anlagen gedeckt.

„Man war um 7 Uhr präsent, da sind die Telefone schon gegangen. Mein Kollege hat den Verkauf gemacht, ich hab die anderensämtlichenTätigkeiten[imBüro]gemacht,wasauch soangefallenist.Undzwischendurchistdannjemandanderes gekommen, zur Unterstützung. Es hat sich dann immer wiederholt,alsovonWochezuWoche.“–Mühlenmitarbeiterin Verwaltung

„Spannend war das Getreide-Anliefern. Da haben sie immer probiertetwasunterderHandreinzuhauen.Einmal,dahaben wir bei einem Getreidehandel im Burgenland 1000 Tonnen gekauft. War ein super Weizen. Und dann denk ich mir, das kannnichtsein.Derwarum8UhrinderFrühda.Undjetztist erzuMittagschonwiederda!Dasgibtesjanicht,dassdernach Kulmgefahrenist,geladenhatundschonwiederdaist.Dann wareinhinundher.Dannsindwirdraufgekommen:Isternach Ehrenhausen runtergefahren, hat dort einen Futterweizen geholt.Denhaterunszwischenreingetan.Wirhabenaberfür einen Vollweizen gezahlt. Für einen Qualitätsweizen.“ –MühlenmitarbeiterProduktion

Täglich läuft die Mühle

009:Abfüllprozessinder Rösselmühle.

010:DieKleinpackungen werdenautomatischbefüllt.

011:Rohrleitungenübereiner Grießputzmaschine.Durchdie Grießputzmaschinewerden dielosenSchalenteileentfernt unddieGrießezugleichsortiert. DiesewerdendannzuMehl vermahlen.

012:DerMüllerkontrolliert denMahlprozessanden Walzenstühlen.

„Der Bäcker hat immer das gleiche Rezept. Der hat sich auf das eingestellt. Und deswegen sagt man, die Mühle hat ein stabiles Mehl, also eine ziemlich gleichbleibende Qualität. Und diese Qualität als Müller herzustellen, das ist mehr als eineKunst.WeildasGetreideistimmerandersunddasMehl sollaberimmergleichsein.“–MühlenmitarbeiterProduktion

„Ichhaboftimprovisiert.Dabinichgut-bisheute.Ausdem Zwang, denn ein Problem das tritt auf. Das kann man nicht lernen.Ichwerdenichtvergessen,wirhabeneinMehlgehabt, ein Teil hat den Motor zerstört. Und dann habe ich improvisiert,dasserinzweiStundenwiederangefahrenist.Dahabe ich von der Konservenbüchsen Blech abgeschnitten und beigelegt. Das kannst heut nicht sagen, weil das ist voll der Murks. Aber das geht. Das war kein Einzelfall.“ –MühlenmitarbeiterProduktion

„WasmachenwirdafüreinGerät,dasswirdiezweiLinienauf ein Förderband bringen, dass die Packerl den richtigen Abstandhaben.DasistzumBeispieleinDinggewesen,dases nicht zu kaufen gibt. Das kann man mit Lego bauen. Das ist jetztnichtweißGottwasBesonderes.Daskannjedermachen imEndeffekt,wennmansichwasüberlegt.Dannmussmanes haltumbauen,wennesnichtfunktioniert.Ichsage,dumusst nicht Ingenieur sein. Einen Hausverstand brauchst! Das war‘s.“–MühlenmitarbeiterProduktion

„Es gab Gehörschutz, aber den hab ich nicht getragen. Die Betriebsärztinwarjadort.UndichwarinmeinemKammerl mitdenComputernunddortwarimmerdasRauschen.Und ich konnte das nicht so hören mit dem Gehörschutz. Das war dannfürmichuninteressant.Dennsohabichimmererkannt, wenneineStörungkamunddasnochvordenComputern.“–MühlenmitarbeiterProduktion

„Als Geschäftsführer trägst du die volle Verantwortung für alles. Ich möchte das in meinem Leben jedoch nicht mehr machen,sovielkannstdugarnichtverdienen.Eskannimmer irgendetwaspassieren.WirhabeneinenVorfallgehabt,dahat der Mitarbeiter in eine Schnecke gegriffen und hat sich die Handabgetrennt,alsosieistnurmehrganzleichtdrangehängt. Dann kommt die Frage auf ,Wie kann der während des BetriebesvondieserSchneckeüberhauptdareingreifen?‘Hat eraberimmersogemacht.DasisteingewachsenerBetriebund dakommenhaltArbeitsunfällevor.DuwirstandenPranger gestellt und mit einem Fuß bist bald mal im Häfen drinnen. Alsodasistschonheftig.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

“Wenn wir mal Generalreinigung gehabt haben, dann ist die Mühlefür14TagegestandenunddawurdenalleMaschinen nachMöglichkeitgeöffnet.DieganzenMaschinenzerlegthat allesderMüller,ausgesaugthabichunddannhatereswieder zusammengebaut. Da war es immer sehr kalt, weil wir das meistensimWintergemachthaben.ImJänner,Feberwirdsehr wenig Mehl braucht. Vor Weihnachten, da gibt es so viele Aktionen,dawirdsovieleingekauft.”–Mühlenmitarbeiterin Reinigung

„DaswardannauchgeradesoderAufbauderEDV.Dennwir haben damals in der Rösselmühle noch mit den alten Lochkarten-Maschinen gearbeitet. Das haben wir dann langsamumgestellt.Natürlich,eintraditionellerBetriebwie dieRösselmühleerfordertschoneinehoheStandqualitätvon einem Vorgesetzten. Die Mitarbeiter waren eigentlich nicht sehrbegeistertdavon.EswareinWegderkleinenSchritte.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

013:DiePackmaschinesortiert dieKleinpackungenaufeine Palette.

014:DieMaschinenÜberwachungskammerdes MüllersinderMühle

015:Walzenstühlein derRösselmühle.Der Walzenstuhlisteine Zerkleinerungsmaschine,in derdasMahlgutvonobennach untenzwischenrotierenden Walzenaufgebrochenund zerriebenwird.

“„DawarniemandinderFirma.Sieistnur,wenneineStörung war,damussichdannhinfahren,dassichdenFehlerbehebe. AbersonstistdieMühlesoautomatisiertgewesenamSchluss, dass sie eben da alleine gegangen ist. Also da hat keiner irgendwas überwachen müssen. Eigentlich so, vom Elektrischenher,warjedeMaschineüberwacht.WenneinSieb zumBeispielbeschädigtwar,unddasMehlzudunkelwaroder einanderesMehlzuhellwar-dahatsiesichauchabgestellt, automatisch.“–MühlenmitarbeiterProduktion

Unsere Forschungen geben uns Einblick in das kollektive Gedächtnis und das handwerkliche Selbstbewusstsein einer industriellen Arbeiterschaft. Der zyklische Arbeitsalltag der Arbeiter:innen und Angestellten in der Rösselmühle ist einerseits in den Jahresrhythmus der Mehlproduktion eingebettet. Anderseits ist er tief im proletarisch geprägten Griesviertel verwurzelt. Die Erzählungen führen ein gelebtes Handwerk vor Augen, Arbeit, die mehr als Mehlmahlen ist, sondern Leidenschaft und Berufung. Sie reicht in das Privatleben hinein, und in die Körper der Arbeitenden. Alle Mitarbeiter:innen waren in eine hierarchische Unternehmensstruktur eingebunden. In ihren Erinnerungen dominieren die familiäre Organisation und die in der Mühle gepflegte Gemeinschaftlichkeit. Trotz starker Identifikation mit „meiner Mühle“, als lokaler Standort und sozialer Raum, werden Ambivalenzen deutlich: die Trauer über den Verlust von Arbeit und Gemeinschaft einerseits, Gefühle der Verpflichtung gegenüber der Eigentümerfamilie und die Akzeptanz externer Wirtschaftsfaktoren andererseits. Für viele Erzähler:innen drückt sich dieser Konflikt in der Verbundenheit mit dem Mühlengebäude aus, das sie zugleich als Schande empfinden und abgerissen sehen wollen.

Arbeit, Handwerk, Identität?

Ende des Mühlenbetriebes

016:DieRösselmühlenachder Schließung.

017:DieRösselmühlenachder Schließung.

018:DieRösselmühlenachder Schließung.

Nach fast 750 Jahren wurde die Rösselmühle 2014 geschlossen. Um die Mühle weiter zu halten, wäre eine Modernisierung notwendig gewesen. Der Standort mitten in der Stadt war dafür nicht geeignet. Für die Mitarbeitenden bedeutete die Schließung den Verlust der oft jahrelang ausgeübten Beschäftigung. Für die Eigentümerfamilie war sie die Konsequenz aus einem unwirtschaftlich gewordenen Betrieb. Die letzten Maschinen wurden nach Russland verkauft, manche laufen in der Kiendlermühle in Ragnitz weiter. In Niederösterreich wird weiter Mehl der Marke Rösselmehl erzeugt. Die Mühlengebäude stehen seit der Schließung weitgehend leer und fielen wiederholt Vandalismus und Bränden zum Opfer.

„Wir waren Arbeiterfamilien! Wir waren Arbeiterfamilien. Früher haben da alles Arbeiter drinnen gewohnt, in diesen Häusern.Ichhabevielegekannt,diedagearbeitethaben.“–ÄltereAnwohnerin

„Es ist sehr überraschend gekommen. Auf einmal hat die Geschäftsführung gesagt: „Nein, wir machen nicht mehr weiter“.EsistdaszweiteUnternehmenschongewesen,indem ichbeschäftigtwar,woeseigentlichzuEndegegangenist.Alle miteinanderhabendieArbeitverloren.Daswarschonschlimm fürjedenEinzelnen.“–MühlenmitarbeiterinVerwaltung

„Unddannistzugesperrtworden.Ichmusssagen,eswarschon großartig.EswareineschöneZeit,eswareineinteressante Zeit, hab sehr, sehr viel gelernt. Man lernt doch daraus, was Lebenbedeutet:AlsogehteineTürezu,irgendwanngehteine neueauf.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

„DieSchließungwarschlimm.Wenndusolangearbeitestdort -30Jahre.Dasistungefährso,wiewenninderFamiliejetzt einer auswandert. Die gibt es halt nicht mehr, die Arbeitskollegensindweg.JedermusseineandereArbeitsuchen.Es zerstreutsich.“–MühlenmitarbeiterProduktion

„EsistschadeumsoeineInstitutionwiedieRösselmühle.Nur eswäresowiesoimmerschwierigergeworden,denStandort zuhalten.Lärmbelästigung,Staub,LKW-Verkehr-warschon immerkritisch,weilsichdieAnrainerbeschwerthaben.Also es hätte einiges investiert werden müssen, damit man den Standorthaltenhättekönnen.Aberichdenkmirganzoft,dass dannbeisoInstitutionenwieeinerMühlezumBeispieloder auch demNachtlebenundKultur,dawirdimmersehrschnell auf die Lärmbelästigung bezogen. Also ich hab das Gefühl, dieLärmbelästigungistschnellermalsoeinSchließungsgrund für irgendwas, das man halt eh nicht haben will. Aber wird imAlltaggernemalignoriert.IchmeineGries,vorallemdie Rösselmühlgasse, ist keine Ruheoase.“ – Mühlenmitarbeiter Verwaltung

„Es hat einen sehr starken Preiskampf gegeben. So richtig gewinnbringendistdieMühledamalsnichtgelaufenundes wärengroßeInvestitionenangestanden.DerIngenieurErnst Polsterer,dereingroßerLiebhaberderRösselmühlewar,ist leiderverstorben.DienachfolgendeGenerationderEigentümer hateinbisschenmehrmiteinemkaufmännischenAugeaufdas Unternehmen geblickt und ein bisschen weniger mit dem Herzen. Die Zeiten sind generell für die Mühlen schwierig geworden. Man kann so effizient und so günstig und mit so wenig Personalaufwand wie auch nur immer produzieren. WennderRohstoffzuteuerist,dannschafftmanesnicht.Dann schafftmanesnicht.“–MühlenmitarbeiterProduktion

019:DieRösselmühlenachder Schließung.

020:StreikderArbeiterinder Rösselmühle,1963.

021:DaszweiteSilowirdgebaut, 1963

„Ich habe dort den Betrieb immer als eher schwieriger empfunden.Platzmäßig,lärmmäßig,umfeldmäßig.Daherwar es für mich eigentlich eine logische Folge, dass man den stilllegenmuss.Weilmodernisierenließsichnichtsmehr.Also dasträgtkeinBetriebunddaherhatesnichtwehgetan,das stillzulegen“–Eigentümerin

„Dasistnichtso,dassesnichtwirtschaftlichgegangenwäre.Es wäre sicher gegangen. Weil die Mühle war maschinell nicht veraltet. Mit den ganzen kleinen Mühlen, die es in der Steiermark noch gibt, mit denen hätten wir alle mithalten können.DaswärenichtdasProblemgewesen.Dashatsicher auchmitdenEigentümernzutun.DieEigentümersind–die jungen Eigentümer sind eher, dass sie keine Mühle haben wollen.DiewollenImmobilienhaben.Diewollenirgendwas vermieten, die wollen was mit dem Grund machen. Und die wollendanichtineineMühleinvestieren,undsichdanndamit denKundenabplagen.“–MühlenmitarbeiterProduktion

„Ja,wirhabenallesversucht,dieInstitutionbiszumSchlussam Leben zu erhalten. Aber da hast halt gegen Windmühlen gekämpft. Das hat nichts mehr gebracht. Aber es waren wirklich bis zum letzten Tag waren alle Mitarbeiter da. Wir haben,ichweißjetztnichtwasder31.12.füreinTagwar,aber wenn das ein Freitag war, dann haben wir da bis 12.00 Uhr nochMehlausgeliefert.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

„Ansichhatjedernurinsgeheimfürsichgehofft,vielleichtgeht dasjadochirgendwieweiter.Aberja,eswarhaltleidernicht derFall.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

“Schade, schade, wieder eine Tradition, die zu Ende geht.” –MühlenmitarbeiterVerwaltung

022:Zeitungsartikelüberdie Gleichenfeierbeimersten Großsilo.KleineZeitung, 29.4.1950.

023:Zeitungsartikelzum„neuen GrazerWahrzeichen“.NeueZeit, 28.3.1950.

Wege des Mehls

024:LagerungderMehlsäcke mitneuerAbfüllanlageimHof derMühle.

Über drei Vertriebswege gelangte das Mehl zu den Kunden: per Silowagen zu den größeren Handwerksbäckereien. Als Sackware in 25-Kilo-Säcken zu Bäckereien, Gastronomie und Großhändlern oder als Kleinpackung zu 1 bis 5 Kilo in den Handel. Industriebetriebe wurden nicht beliefert.

Die damaligen Mühlenvertreter setzten auf eine enge, persönliche und langjährige Kundenbindung.

Zu den Abnehmern zählten auch alle Billa- und Spar-Filialen in Graz, die steirischen Krankenhäuser, die Justizanstalt Karlau und Bäckereien wie Strohmayer und Kara. Die Kundschaft reichte weit über Graz hinaus bis nach Tschechien, Slowenien, Kroatien und Griechenland. Im Rahmen einer Charity-Aktion brachte der Verein Chiala Afrika Rösselmehl nach Kamerun.

„Weil unser Kundensegment war ziemlich klein strukturiert. BeiderRösselmühledawarderKundeKönig.Jederhateinpaar Packerlgekriegt.Wirhaben30,40Zielpunkt-Märktegehabt. Das war so eine Kette, da haben wir jedes Geschäft einzeln beliefert!NichteineZentrale,sonderndahatdereine50Kilo gekriegt,derandere100Kilo.UndsoGasthäuserhabenwir beliefert.DiehabendasMehlbeiderRösselmühlegekauft,und wirhabenesgeliefert.“–MühlenmitarbeiterProduktion

„DieMühlehat sicheinmal dahingehendverändert, dasswir natürlich schon einige Investitionen machen mussten. Wir haben einen neuen Mehl-Silo gebaut und konnten damit auf großeTankwägenverladen.UnddamitdannauchdasMehlzu großenBäckernhinfahren.“–MühlenmitarbeiterVerwaltung

„Aberwirhabendanndasgemeinsamgeschafft,dassmandie RösselmühleaufeineEbenegebrachthaben,nichtnurjetztin Sachen kundenseitig, sondern auch werbetechnisch mit der Kleinpackung,dasswirimgesamtenBundesgebietjetztvon derSteiermark,südlichesBurgenlandundinKärnten vertretenwaren.UnddaswareigentlicheinetolleGeschichte. WirhabenauchzumBeispieldiekomplettenKrankenhäuser

inderSteiermarkbeliefert.DaswarimmereinAushängeschild für uns. Ja, ich habe meinen eigenen Fuhrpark gehabt.“ –MühlenmitarbeiterVerwaltung

„Wir sind ja die ganze Südsteiermark gefahren bis Birkfeld, Felber,diehabensogareineSchokoladefabrikdabei.Wirsind schonziemlichsteilgegangen.UnddannBurgenland,Kärnten. DieSlowenenhabenfastnur480ergebraucht-fürdasBurek. WirhabendieKarlaugehabt,inGraz!Diehabennichtwenig Mehlgebraucht.DiehabengebackenfürsämtlicheGefängnisse inGraz.Kundenhabenwirauchgenuggehabt.BeideVertreter warennichtschlecht,diewirhatten.Derzweitehatsichsehr reingesteigert. Der hat auch viel neue Kunden gebracht.“ –MühlenmitarbeiterProduktion

„HatmirSpassgemacht,ja.ManchmalwarderAußendienst voll Scheiße. Voll Scheiße. Eine Preiserhöhung gibt es, die beschimpfen dich. Die schmeißen di außi bei der Tür. Verschwind! Red mi net on! Verschwind! Pfiati. Tschüss. Servus.Gehstwieder.Daskannnichtlustigsein.Damüsstest du lügen, dass das lustig ist, oder? Warum verdient der Außendienstmitarbeiter so viel? Das hat einen Grund. Der bekommt den Beton von der Firma und der bekommt den Beton vom Kunden. Das ist der Grund.” – Mühlenmitarbeiter Produktion

„90 % sprichst du private Dinge mit dem Kunden und 10 % sprichstnurwirklichübersdasreineMehlgeschäft.Aberich glaube,derKundeerwartetes,weilwassollichdennvomMehl erzählen,eristselberBäcker,derweißeseh.Ichbinzueinem Bäckerhingefahrensovier,fünf,sechsJahrelang.Derhatmir nichtsabgekauft,nichteinSackl.DieanderenVertreterkommenjaauch.Undjederwirdversuchen,seineKundensogut wiemöglichzuhaltenunddamussschonwaspassieren,da mussechtwaspassieren,dassdermehrmalsmitirgendwas nichtzufriedenwar,mitderQualitätodermitdemPreisoder mitdemVertreterodermitdemZusteller.DannhastduChance,

025:AndieAbfüllanlage angeschlossenerSilowagenim HofderMühle.

026:StapelungderMehlsäcke aufPalettenimHofderMühle fürdenAbtransport.

dass du mal was verkaufst. Und sonst? Das war eher mein Zugang, sonst muss er Probleme haben irgendwo, bei irgendeiner Maschine, irgendeinem Gerät oder bei irgendeinem Produkt. Und ich kann helfen. Dann wird er mir vielleicht einmal was abkaufen. Nicht weil wir das beste Mehl haben, oder wegen dem billigsten Preis.“ –MühlenmitarbeiterProduktion

„Olivenöl,dashabenwirvonGriechenlandimmerbekommen, weil wir einen Zug jede Woche oder alle 14 Tage nach Griechenland gehabt haben. In Chalkidiki war das. Und da habenwirebeneinenganzenZugimmerruntergeschicktüber Spedition.“–MühlenmitarbeiterinVerwaltung

„Daswirdjaallesnurmehraufgeheizt,beimSpar,beimBilla. Nach einer halben Stunde, wenn du die Semmel dann essen willst,bröseltsieschon.EsgibtkeingutesGebäckmehr.Alles eingefroren und aufgebacken! Früher ist halt der Bäcker aufgestandeninderNachtundhatTeiggemachtundgebacken. Wir haben ja eine Bäckerei oben gehabt, den Fuchs in der Idlhofgasse. Eine große Bäckerei. Ist heute auch ein Türke drinnen.WenndudainderFrühdieFensteraufgemachthast, hastdudenBäckerschongerochen.Aber...Griesbäcker!Alles! Wirhabenallesgehabt.“–ÄltereAnwohnerin

„Eshatsichkomplettallesverändert,schonalleinevomMarkt her. Graz war mal die Brothauptstadt von Österreich, eben aufgrund der Bäckervielfalt. Wir haben aber keine Vielfalt mehr.AlsoeshateinenamhafteBäckereigegebenfrüheram Griesplatz, da wo die drei goldenen Kugeln einmal drinnen waren, jetzt steht das Gebäude leer. Und da schaut halt die Zukunftteils,teilsaus.Wasaufstrebendwarvondenletzten 15Jahren,dasistderEthno-Sektor,alsomitdemtürkischen undmitdemBalkan-Volksagichjetzteinmal,dasbeiunsFuß gefasst hat, weil die noch sehr viel selber machen.“ –MühlenmitarbeiterVerwaltung

Die Beziehungen des Mühlenbetriebs zur Nachbarschaft gestalteten sich ambivalent. Einerseits beschwerten sich Anwohner:innen über die lauten Gebläse, die an- und abliefernden LKWs und die Staubbelastung. Anderseits konnten durch regelmäßige Führungen durch die Mühle positive Assoziationen geschaffen werden. Interviewpartner:innen erinnern sich an die Belegschaft der Mühle als eine große Familie.

Zeitweise lebten einzelne Angestellte mit Familie in den Wohnungen über den Büros im so genannten Arbeiterhaus. Obwohl das Griesviertel einen „schlimmen Ruf“ hat, fühlten sie sich davon nie betroffen.

„Die Mühle hat natürlich nicht nur Freunde in der unmittelbaren Nachbarschaft gehabt. Wir haben, was die Lärmemissionen und ebenfalls die Staubentwicklung bei einer Getreideübernahme beispielsweise angeht, immer wieder zu tun gehabt. Es war aber nie eine katastrophale Situation. Aber gerade der Industriebetrieb und beispielsweiseauchdasWasserkraftwerk,dasebenfallseinengewissen Lärmproduziert,undseiesnureinRauschendesWassersbei Kraftwerk-StillstandodereinKlapperndesRechnerswährend desKraftwerksbetriebs.”–MühlenmitarbeiterProduktion

„Die Anlage hat es dann trotzdem immer geschafft, viele Menschenzuverzaubern:Ichhabesicher400Führungenin meinen elf Jahren mit verschiedenen Interessensgruppen gehabt.WenndieMühleklappert,dannhörtman‘s.Undwenn sienichtklappert,danngehtsiezugrunde.“

–MühlenmitarbeiterProduktion

Mitten im Gries

„Es hat sehr viele Bordelle hier gegeben. Und da war eine Eigenschaft:DasMaxim,daswarinunmittelbarerNähevon derRösselmühle.Vielleicht50Meterweiteroben.Eswarzum ausderHautfahren!Denn,eswarallesimmerverparktvor demHaupteingangstor.UndwennwirumfünfodersechsUhr inderFrühmitTankwagenhättenrausfahrensollen,dannwar dasalleszu,weilkeinerrausgekommenist.Dannhabenwir halt die Polizei geholt, und es wurden mal wieder welche abgeschleppt.Unddannhabeich–damalswareineBesitzerin, habeichgesagt:,Sie,ichhabeeinegroßeBitte!Sogeht‘snicht weiter.‘ - ,Nein!‘ hat sie gesagt ,Meine Kunden.‘ - ,Ach, ich habe Ihnen das erklärt, wie wichtig das ist, dass sie sich hiernichthinstellen.‘–,AberesistjasonstnirgendseinPlatz.‘ ,Nein‘, habe ich gesagt, ,das kann ich nicht mehr gelten lassen.‘,Mah!‘hatsiegesagt:,WennSieZeithätten,könnten wirdasbeimirobenimLokalbesprechen?‘Ichhabedasdann meinerFraugesagt.Dannhatsiegesagt:,Dukannstehruhig raufgehen,aberdannwahrscheinlichistdasdasEnde,wenn ich dich da oben rausgehen sehe!‘ Dann habe ich nur knapp gesagt,dasswirdaslassen.,WirbleibenbesserguteBekannte, weilwirjaGeschäftsnachbarnsind.AberschauenSie,dassdas inOrdnunggeht!‘Esistdannsogarbessergeworden,abernach einer gewissen Zeit ist es wieder das gleiche gewesen. Aber, die Rösselmühle hat es damals auch überlebt.“ –MühlenmitarbeiterVerwaltung

„Ich habe sehr wenig Kontakt zu den Nachbarn gehabt. Das GriesviertelhatdamalseinensehrschlimmenRufgehabt,da wirdsichnichtallzuvielgeänderthaben.Manhörtimmer,es istdasViertelimAufbruch.DieStimmungwardamalsschon so. Ich könnte nichts Negatives sagen. Also, es hat sich eigentlichjasehrzumPositivenentwickelt.IndenelfJahren ist mir nicht einmal irgendwo was passiert. Ich bin nicht einmalirgendwoschiefangesprochenworden.Mirwurdees soerzähltundichhabeeseigentlichselbstnichtsoerlebt.“MühlenmitarbeiterProduktion

Der Flurname „Gries“ bezieht sich auf das zu Kies vermahlene Geröll im früheren Überschwemmungsgebiet der Mur. Das Kanalsystem der Mühlgänge lieferte dort ab dem 13. Jahrhundert die Energie für Mühlen, Stampfen und Handwerksbetriebe. Entlang des Mühlgangs rechts der Mur, an den Handels- und Einfahrtsstraßen nach Südosten entwickelte sich die Murvorstadt, das historische Gries und Lend. Hier lebten Menschen von der Arbeit am Fluss, wie Flößer, Fischer und Wäscherinnen, siedelten sich Handwerksbetriebe und Kaufleute an. Müller und Bäcker spielten von Anfang an eine große Rolle. Die Bevölkerung im alten Gries wuchs vor allem durch Zuwanderung von reisenden Gewerbetreibenden, ungebundenen Arbeitskräften, Kriegsflüchtlingen oder z.B. auch, im frühen 18. Jh., durch italienische Baumeister, Händler und Handwerker. Einen großen Bevölkerungsanteil stellten die Armen und sog. NichtEhrbaren wie Bettler:innen, Künstler:innen und Gaukler:innen, sowie Frauen, die sich und ihre Kinder durch Prostitution ernährten. Im 16. Jh. wurden sie aus der Innenstadt in die Vorstadt vertrieben.

Das aufgeklärte 18. Jh. brachte die Anstalten der Fürsorge und der Disziplinierung der Ausgegrenzten; gleich neben der Rösselmühle (auf dem Gelände des Geriatrischen Zentrums) wurden ein Armen- und späteres Siechenhaus, eine Gebäranstalt für ledige Mütter und ein Zuchthaus eingerichtet. Dem folgten um die Wende zum 19. Jh. die nahegelegene Strafanstalt und heutige Justizanstalt Graz-Karlau, 1988 der dominante Bau der Grazer Polizeidirektion. Mit dem industriellen Aufschwung im 19. Jh. entstanden die handwerklichen Industrielandschaften am Mühlgang und das gründerzeitliche Straßenbild des Gries. Bis zur Vernichtung und Vertreibung im Holocaust lebte hier rd. 35% der jüdischen Stadtbevölkerung. Weiterhin war die Bevölkerung von Kleinhandwerkern und Armen geprägt, sowie von einer wachsenden industriellen Arbeiterschaft. Mit der Anwerbung von Gastarbeiter:innen aus Jugoslawien und der Türkei und weiteren Migrationswellen des 20. Jahrhunderts erhielt das Viertel sein heutiges multikulturelles Gepräge.

Gewachsenes Griesviertel

027:Merian-AnsichtGrazvon Süden1656.

028:PostkarteGriesplatz.

Rechts der Mur

In der Nachbarschaft des Griesviertels rund um die Rösselmühle werden ganz verschiedene Geschichten erzählt. Das historisch gewachsene Arbeiter:innenviertel gilt auch als ein „Ankunftsviertel“ und ist für viele zuwandernde Menschen die erste Wohnadresse in Graz. In keinem anderen Grazer Stadtbezirk ist die soziale und kulturelle Mischung prägender als im Gries. Dadurch kann es immer wieder zu sozialen Spannungen kommen.

Viele Erzählungen rund um den Griesplatz sind, unter anderem aufgrund der hohen Dichte von Rotlichtetablissements bis Anfang der 2000er Jahre, mit negativen Zuschreibungen behaftet. Der Griesplatz ist außerdem eine vieldiskutierte Hauptverkehrsachse nahe des Stadtzentrums. Und schließlich gilt der Griesplatz als Mittelpunkt kultureller Vielfalt in Graz: Nirgendwo sonst in Graz ist die Auswahl an Kulinarik aus den verschiedensten Ländern der Welt derartig groß.

Das einst so vielgestaltige, kleinstrukturierte Ambiente des Viertels hat sich in den letzten Jahren städtebaulich stark verändert. Viele der im Gries erbauten Häuser aus dem 17. und 18. Jh. sind den Plänen von Immobilienfirmen und der Politik zum Opfer gefallen und mussten zum Unmut vieler Bewohner:innen uniformen Neubauten weichen.

“Wennichdortunterwegsbin,seheichimmerLeute,dieich kenne. Grüße sie und komme manchmal zu kurzen Gesprächen mit ihnen. Ja, das erinnert mich schon ein bisschenanmeineHeimatstadtinKurdistan.”–Mitglieddes kurdischenVereinsGraz

“FürmichistessoeinStadtgefühl.EsgibtganzvieleMärkte, verschiedene Kulturen und gutes Essen. Ein bisschen abgeranzt,abercoolabgeranzt.”–Hausbesetzer

“VonmeinerMamadieFamiliekommtausLondon,unddaist mirirgendwiederSatzhängengeblieben,dasssichdieMama nuramGriesplatzwieineinerrichtigenStadtvorkommt.Und

ichsehedaseigentlichsowiesie.”–JüngererAnwohner

“AlsoimGriesfühleichmicheigentlichganzgut,mussichsagen. AuchWohnenwarganzokay.Ichwohnejetztnichtmehrdort, aberichbinoftimGries.Wennwirwasessengehen,dannist dashauptsächlichamGriesplatz.”–EhemaligerAnwohner

“EshattejafrühersehrvielStraßenstrich.Unddaswardann auchdieSchwierigkeit,dassdannafrikanischeMädchenoder Frauen sich nicht über den Platz getraut haben. Sobald du dunkelhäutigwarst,bistduaufDrogenangesprochenworden. OderaufDrogenvonderPolizeikontrolliertworden.”–Obfrau desVereinsBoadoimNIL

Der Griesplatz ist das Herzstück des fünften Grazer Stadtbezirks. Viele Menschen assoziieren den Bezirk als erstes mit dem Platz.

Viele Erzählungen aus unseren Interviews mit Griesbewohner:innen handeln von Veränderungen rund um den Griesplatz. Wo sich früher Fleischereien, Bäckereien oder Greißler aneinanderreihten, finden sich jetzt neben Restaurants und Imbissen aus den verschiedensten Ländern der Welt Handyshops, Wettlokale und Minimärkte.

Alles beginnt am Griesplatz

Topografie eines lebendigen Viertels

029:DerGriesplatzmitBlick RichtungSüden,2024.

Das Griesviertel um die Rösselmühle birgt reiche Geschichten vergangener Tage, besitzt aber auch ein pulsierendes Leben in der Gegenwart. Die Alteingesessenen erinnern sich, wie sich das Leben im Gries vor allem um Familienbetriebe drehte. Gasthäuser, Nahversorger oder Geschäfte – diese Institutionen waren soziale Begegnungsorte, versorgten die Menschen im Gries und brachten sie zusammen. Auch heute noch pflegen vor allem migrantische Communities diese Netzwerke, in denen Häuser und Straßen, Familien, Betriebe und nachbarschaftliche Kommunikation zusammenwirken. Viele dieser Orte sind Ausgangspunkte für persönliche Erzählungen.

Fluktuation im Ankunftsviertel

Der Bezirk Gries ist für viele Menschen die erste Wohnadresse in Graz, wenn auch nur temporär. Die im Vergleich günstigeren Mietkosten sind einer der Hauptgründe, sich hier eine Wohnung zu suchen. Als klassisches „Ankunftsviertel“ hat der Bezirk jedoch eine recht hohe Fluktuation im Vergleich zu anderen Stadtteilen. Was bewegt viele Zugezogene zum Umzug in andere Wohngegenden oder an den Stadtrand von Graz?

„UnddaswarjasoeinpulsierendesLebenda.DieLeutehaben dann am Samstag so eine richtige Runde gehabt. Die sind zuerst zum Fleischhacker gegangen und zum Treuer in der Lazarettgasse.DannsindsiezumKaufhausgegangen,wodie Oeverseegasse beginnt, dort an der Ecke zwischen Treuer, nach der Apotheke war so ein Lebensmittelgeschäft. Dort habensiedasGebäckunddieMilchgekauft.Unddannsindsie zuunsgekommen,umObstundGemüsezukaufen.“

–Ehem.GeschäftsmannimGries

„Unddortwarich10Jahre.Daswarhalteinganzeinkleines GeschäftmitJausengeschäft.Undimmerfürdieumliegenden Pensionisten: Die haben halt eingekauft, und da bin ich viel zustellengewesen,imganzenViertelherum.Dannhabenwir viele Brötchen gemacht. Jausengeschäft. Es war sehr lustig. UndauchvondemPublikum,warensehrvieleArbeitslosedort,

die da gewohnt haben, Kindermanngasse und dort. Und die sind immer gekommen aufschreiben lassen. So Bücherlkundschaft. Und dann, wenn sie ein Stempelgeld gekriegt haben, sind sie zahlen gekommen. Da sind sie gekommen;dannhabensiewiedereinmaleinBiergetrunken oder einen Kaffee. Es waren auch ältere Damen, die dann zusammengekommensindundeinenKaffeegetrunkenhaben.“ –Ehem.LadenbesitzerimGries

„DieseGstettendaunten.UnddortamRand,dortwarjader BernhardmitdemZoo.EswarjaeinZoodort:Derhatteeinen Löwen,einenAffen.DerhatteverschiedenstesGetier.Derhat denAffenimmermitheimgenommen.Underistauchmitdem AffenimmerwiederzuunsinsGasthausgekommen.Undder Affe hat immer ein Frankfurter gekriegt. Und einmal hat es keine Frankfurter mehr gegeben und wir stellen dem ein Krainerhin.DahaterdieKrainergenommenunddurchsganze Lokalgeworfen.Undeinmal:Also,wirhabeneinenNussbaum gehabt–alsodaamEck.UnddaistderAffehaltauchrauf.Und der Volksschullehrer hat gemeint, er muss rauf klettern, mussdenAffenrunterholen.DerAffeistobengeblieben.Der LehreristruntergefallenundhatsichdenFußgebrochen.Also dagibteseinigesolcheGeschichten!“–Anwohnerinundehem. Wirtshausinhaberin

„IchbinimmernocheinbisschenWirtshaus!Undwirhabenim GasthausmiteinemSägespäne-Ofengeheizt.Dasheißt,man hat einen großen Kessel gehabt. In der Mitte war so ein Holzstößeldrinnen.DannhatmanrundherumdieSägespäne schonreingestopft.Unddasisthaltsoschönlangsamverglüht, verkohlt.Daskannmansichgarnichtvorstellen,dieKüche! Undwennwirzugehabthaben,Ruhetaggehabthaben,sinddie Gäste hinten reinkommen und es war schon wieder was los.“ –Anwohnerinundehem.Wirtshausinhaberin

„Also,afrikanischesEssenistjaauchsehrvielvegetarisches undveganesEssen.Dadurchhabenwirdannauchrelativviele

030:Gasthofinder Lazarettgasse.

031:Gasthofinder Lazarettgasse, Endeder1930erJahre.

032:GriesplatzmitBlick RichtungSchlossberg,1914.

033:DerObsthofinder Rösselmühlgasse.Vom Straßenstandzum Großhandelsgeschäft,1930er Jahre

034:DerObsthofinder Rösselmühlgasse.Vom Straßenstandzum Großhandelsgeschäft.

GästevonderPostgaragegehabt.“–ObfraudesVereinsBoado imNIL

„SiehabeneineNahversorgunggehabt,füralteLeute.Dabistdu zum Greißler. Mein Sohn und ich haben am Wochenende zusammengerechnet:Prankergasse,oderfangenwiranbeider Josef-Huber-Gasse,Elisabethinergasse,Prankergasse,hinauf biszumGürtel.Unddrübenwiederhinunter:Dahabenwir19 Lebensmittelgeschäftegehabt!Diehabenallegelebt,vonden Leuten.“–ÄltereAnwohnerin

„Dann war das Gasthaus Innsbruck, und der Ungerhof. Dann oben der Doppler. Den gibt es glaube ich auch noch. Ja der Hirschvogelistauchnoch,derGlaserer.DieDestillerieBauer. UnddieKaffeehäuserherüben,dasKaffeeRomawarseinerzeit. DortwodasNachtlokalist,undnochweiterheruntenistdas KaffeeRomagewesen.DiehabenauchallweilBrötchenbestellt für ihre Vitrine, die haben wir auch gemacht. Dann herüben, dasistinderElisabethinergasse,vorne,damitderKegelbahn.“ –Ehem.LadenbesitzerimGries

„MeinVaterwarauchfürdenHandelmitItalienzuständig.Weil zuerstgabesinderSteiermarknichtgenugÄpfelfürdenBedarf. Und der Opa war für die Obstgärten zuständig. Und meine TantefürdasGeschäftinderRösselmühlgasse.UndderOnkel, derhatdieGasthäuserundGastronomieunddieKasernenund allediebeliefertmitWaren.“

„Also Großfamilie. Und jeder hat seinen Bereich gehabt. ich glaube, dass die Türken das so ähnlich machen.“ –Anwohnerinnen

„DiehabenallebeimireingekauftdieTürken.Diehabendas Blaukrautbraucht,denEisbergsalat,dieTomaten,diehaben das alles gebraucht für Kebab. Die haben das ganze Monat eingekauft und am letzten sind sie dann dagestanden und habengezahlt.IchkannnichtklagenüberdieTürken.“–Ehem. GeschäftsmannimGries

Unsichtbar: Veränderung und Verlust

Soziale und bauliche Veränderungen sind in unseren Forschungsgesprächen ein viel genanntes Thema. Die ehemalige Arbeitervorstadt ist für viele Alteingesessene nicht mehr wiederzuerkennen. Der vormals stattgefundene nachbarschaftliche Austausch beim Greißler um die Ecke ist passé. Auch die Kegelbahn, der Fleischer, das altgewohnte Kaffeehaus oder Lieblingswirtshaus haben zugesperrt oder wurden durch andere Läden ersetzt.

Gerade bei vielen Älteren ist die Angst, kein Gehör mehr zu finden, allgegenwärtig. Zu schnell hat sich das Griesviertel für sie verändert, ohne dass sie darauf Einfluss nehmen können. Jüngere Gesprächspartner:innen sehen diesen Konflikt weniger und genießen das multikulturelle Ambiente um den Griesplatz. Einig sind sich die unterschiedlichen Generationen zumeist bei den baulichen Eingriffen in das gewachsene Gewebe des Viertels, die auf wenig Verständnis stoßen.

„WirwarenwieeinekleineStadt.Wirhabenallesgehabt.Jetzt haben wir nur mehr Ramsch-Zeug, ehrlich.“ – Ältere Anwohnerin

„Bis zuletzt haben wir das sauber geputzt gehabt. Und dann schautessoaus.WasJugendlichealleszerstören.Mirhates manchmal echt weh getan im Herzen. Also, wie schön die Mühlewar,trotzdemsiesoaltwar.Unddannschautessoaus. UndwieesjetztnachdemBranddaist.“–Mühlenmitarbeiter

„WissenSiewas:Fürmichisteseigentlichsoschlimmgeworden, weilichmichfrage:Warumhatmandasallesweggetan,fürdie alten Leute? Es gibt ja doch noch viele alte Leute.“ – Ältere Anwohnerin

„Jetzt haben unsere immer schon gesagt: Mama, geh einmal deineWege.IchhabedieGegendsogerngehabt.Undichwill abernichtwirklichweg.IchhabedochnocheinigeFreunde.Es ist ganz schwierig, das Ganze. Für mich ist die Natur das

Allerschönste.IstdasnichtetwasSchöneshier?DerBaumda drüben. Da sitze ich oft, am Nachmittag, wenn die Sonne scheint.GibteswasSchöneres?DieJugendnimmtdasgarnicht mehrwahr.–ÄltereAnwohnerin

„Früher kannte man sich. Es war anders, ruhig, kultiviert. Professoren,Lehrer,solcheLeute.Abernichtsowiejetzt.Im Haus, wo ich gewohnt hab, da schaut es aus, ich schwöre es ihnen.Daskannmansichnichtvorstellen.Alleskaputtinnen. DieLeutepassennichtmehrauf.Alleskaputtgemacht.Dasist wirklichganzschlimm.“–ÄltereAnwohnerin

Es war auch viel mehr - wie soll man sagen, familiär ist übertrieben, aber fast so wie ein Zusammenhalt. Es hat ein jedereinemjedengeholfen,wennduirgendwoSchwierigkeiten gehabthast,isteinergekommenundhateserledigt.Unddas ist heute halt auch durch das, ich meine, man kennt sich ja kaum.DuwohnstineinemHochhausdrinnenundweißtaber nicht, wie dein Nachbar heißt. Der eine weiß vom anderen nichts.–Ehem.LadenbesitzerimGries

„DasViertelhatsichsoverändert!Früher,amGriesplatzwar es schön. Da war früher so viel los. Ich habe ein Geschäft am Griesplatzgehabt.“–TürkischerGeschäftsmannimGries

Und dann sind auch gekommen, die ganzen Geschäfte, die TürkenmitdenFriseurläden,dannmitObst-undGemüseläden. UnddieanderenLeutesinddaweggestorben.Undsohastdu keinGeschäftgemachtmitdenen.–Ehem.Ladenbesitzerim Gries

„Also die Leute, die sehr lange hier wohnen, sagen ja, es ist sicherergeworden,eshatsicheinigeszumBesserenverändert. Von den vielen hört man eben auch, dass es sich so brutal schnell verändert, dass man fast gar nicht mitkommt. Also geradevondenGebäudenher.“–JüngereAnwohnerin

Im Griesviertel prägt eine bunte Mischung aus Kulturen und Religionen das tägliche Leben. Doch nicht alle begrüßen diese Multikulturalität. Stetige Fluktuation der Einwohner:innen im Viertel, fehlender Austausch in der Nachbarschaft, aber auch die Veränderung ihrer Umgebung und Erfahrungen sozialen Abstiegs können vor allem bei alteingesessenen Bewohner:innen xenophobe Vorurteile aufkeimen lassen. Vielen Gesprächen entnehmen wir den Wunsch nach mehr nachbarschaftlichem Miteinander, um der Tendenz zur Ausgrenzung entgegen zu wirken.

Im Erzählen und Erinnern der Menschen im Griesviertel zeichnen sich deutlich die Spuren vieler Kriege ab. Der Zweite Weltkrieg ist dem Viertel noch durch die Bombardierungen ablesbar. Die Zerstörung der Synagoge im Jahre 1938 markiert die darauf folgende Ermordung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung des Gries. Viele heutige Griesbewohner:innen kamen als Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien, ihre Erinnerungen werden nicht zuletzt durch den Ukrainekrieg lebendig. Ebenso spürbar sind gegenwärtige Konflikte im Nahen Osten und in Afrika. Viele Menschen beobachten mit Sorge die Ereignisse in ihren Heimatländern. Manche übertragen dortige Konflikte in den Gries, andere knüpfen Verbindungen zu den Kriegserfahrungen ihrer Nachbar:innen.

„AbereigentlichgibtesvieleMenschenamGriesplatz,diedas stört,ebendasMultikulturelle,vieleMigrantenusw.Dadurch, dass ich aus einem Land komme, wo multikulturell zu sein ganznormalist,habeichdasgutaufgenommen.Ichmagdas Multikulti,dennMultikulturalitätstörtmichnichtunbedingt.“ –BosniakinundReligionslehrerin

Wer gehört zum Gries?

Zwischen Krieg und Flucht

035:GrazerSynagogenachder Zerstörung.

036:Bombentrefferim Griesviertel.

“IchmutemirdakeinUrteilzu,warumdasViertelkaputtist. Da spielt viel zusammen, aber auf jeden Fall kannst nicht immernursagen,dieAusländersindschuld.Ichhabmitsehr vielenTürkenGeschäftegemachtundichhabimmermehrbei denÖsterreicherndraufgezahlt,alsbeidenTürken.Türken arbeitenvoninderFrühbisindieNacht.Undmiristegal,ob derjetztHindu,Muslimoderrömisch-katholischist.”–Ehem. GeschäftsmannimGries“

„HauptsächlichhabeichkeinenegativeErfahrungen.Aberwir habeneineNachbaringehabt.SiewargenerellgegenMigranten negativeingestelltundsiehatunssehroftangezeigt,istnichts rausgekommen,weileswarnichts.Alsosiehatversuchtuns rauszukriegenausdemLokal.AberjetzthatsiewiederRuhe gegeben.”–ObmanndeskurdischenVereinsimGries

„Ich kann mich erinnern, gegenüber von uns ist ein österreichisches Ehepaar gekommen. Der Mann hat immer gegrüßt,aberdieFrauwarirgendwiezurückhaltend.Ichhabe sie immer gegrüßt und sie hat am Anfang nie geantwortet, wennwirunsimLifttreffenoderso.EinmalhatmeineTochter zumirgesagt,Mama,warumgrüßtdudieNachbarin,wennsie ehnieantwortet?Undichsag,ichmachdas,wasichalsMensch oder als Muslimin machen soll. Ich grüße meine Nachbarin. Wirst sehen, sie wird irgendwann grüßen. Und das hat sich tatsächlichgeändert.NacheinigerZeithatsiedannauchselber angefangenzugrüßenodereinpaarWörterzuwechseln.Also dakannmansehen,dassbeidenÖsterreichernsehroftdie Hemmung oder die Angst den Anderen oder Fremden gegenüber mit Kopftuch stark ist.“ – Bosniakin und Religionslehrerin

„IchhabenichteinMalimBezirkeinnegativesErlebnisgehabt. IchkönntenichtsNegativessagen.Also,eshatsichjaeigentlich sehrzumPositivenentwickelt.“–Mühlenmitarbeiter

Also,wasdiemitunsgemachthaben,inunsererGegend!Ich

glaubwirhaben70%Ausländer.WissenSie,ichhabenichts gegen das Ganze. Aber die sollten sich auch ein bisschen integrieren.–ÄltereAnwohnerin

„Das waren die ersten Bomben. Und hier überall diese Neubauten, das ist alles zerbombt. Das war nurmehr Schutt. Unddasistallessehrspätgebaut,schau,dieseschrecklichen Häuserda.Passtjagarnichther.“–ÄltereAnwohnerin

„MeinVaterhatimGartenunteninderGärtnereieinenBunker gebaut,vierMetertief.UndwennFliegeralarmwar,sindwir dort hinein. Und dann sind 1944 plötzlich zwei Bomben in unseren Garten hineingegangen. Daneben war ein Riesengebäude, das wollten sie erwischen. Das war das Zeugsdepot.DorthatmanWaffenundsolcheSachengelagert. UnddeswegensindhiersovieleBombengefallen.“-Ältere Anwohnerin

„Ich habe auch in Bosnien alles gehabt. Also wir haben gut gelebt und unser Plan war nie, dass wir nach Österreich ausreisen. Meine Eltern haben beide gearbeitet, Haus neu gebautundebenstudiert.Alldashabeichvorhergehabt.Und dann,wennduherkommstundzuerstmitderFamilieineinem kleinenZimmerwohnst,istfürunsaucheinSchockgewesen. UnddasistauchbeidenanderenFlüchtlingenso.Mansollte FlüchtlingeschonmiteinbisschenmehrRespektbehandeln.“ –Anwohnerin

„SeitdieSyrerundAfghanendasind,istallesanders.DieLeute trauen sich abends nicht mehr heraus. Sie haben Angst.“ –TürkischerGeschäftsmannimGries

„Ja,alsodenkurdischenVereininGrazgibtesseit1992.Unser ZielalsVereinisthauptsächlichpolitischeArbeit.Alsowiedie Situation in Kurdistan ist, welche Unterdrückungspolitiken es von von den Staaten und von der Türkei, Iran, Irak und Syrien gibt, Menschenrechtsachen. Wir organisieren auch 037:KurdischeDemonstration

038:OffiziellesTreffen vonVertreter:innender AfrikanischenCommunity undderGrazerPolizei,um VorurteileundÄngstezu beseitigen.Abgebildetaufder TitelseitederGrazerZeitschrift „AfricanVoice“.

sehroftDemos. SonsthabenwirauchKulturarbeit.Wirhaben eineFrau-engruppe,dieorganisierensichselbst.Diesindbei unssehrstark.“–ObmanndeskurdischenVereinsinGraz

„InAfrika,woallessehr,sehrwillkürlichist,diePolizeiunddie Soldaten willkürlich schießen und Leute erschlagen, also schlimmste Verhältnisse. Bei uns macht die Polizei nicht Rechtsprechung. Wichtig ist, Ausweispapiere zu haben. Wichtigist,nichtdavonzulaufen.Dahabenwirzweiangestellte Afrikanergehabt.UndPolizeiistgekommen,undzackwaren alleweg.Ichbindanndagestanden,ichhabemitderPolizei geredet und gesagt, dass sie nicht Angst haben müssen.“ –ObfraudesVereinsBuadoimNIL

„Ach,dasmussichihnennocherzählen,dasistsehrinteressant. WirhattennursoeinenganznormalenZaun.Unddasindjadie Russenschondagewesen.UndinderNachtwirdmeinVater wachundsieht,dassdiedenZauneinfachumgerissenhaben undhineinspaziertsind.UndwirhabenPorreegesetztgehabt. Diesindhineinundhabenallesabgerissen,dasganzeGemüse warweg.UndmeinVateristrunterundhatgesagt:Dasgeht nicht, wir brauchen das. Aber er hat nie mit den Leuten gestritten.Erhatnurgesagt,dasgehtnicht,wirhabenselber HungerundhabenkeinBrotundgarnichts.Undamnächsten Tag ist ein Offizier gekommen und hat uns einen Teller mit Blumen gebracht. Das werde ich nicht vergessen. So ein Blumenteller,undwissenSiewasdaobenwar?AufdemTeller warReis,gekochterReis.Wirhabengarnichteinmalgewusst, dass das Reis ist. Und der hat sich mit meinem Vater ziemlich langundsehrgutunterhalten.Erwarsehroffen.Ja,eshilftja nichts, wenn die kommen, dann darfst du nicht schreien.“ –ÄltereAnwohnerin

Die Geschichte der Murvorstadt zeichnet sich auch in politischer Hinsicht ab. Die hohe Zuwanderung und eine kleinbürgerliche bzw. proletarische Prägung machen die rechte Murseite gleichsam zum „Alter Ego“ des bürgerlichen Graz. Ältere Österreicher:innen im Gries sind häufig arbeiterkulturell sozialisiert. Anders als in vergleichbaren europäischen Vorstädten findet der Rechtspopulismus in Kommunalwahlen wenig Resonanz.

Viele Gastarbeiterfamilien sind über Generationen in die Arbeiterbevölkerung integriert. Zugleich nehmen migrantische Gruppen und Geflüchtete Anteil an der politischen Situation ihrer Herkunftsregionen: Weltpolitik ereignet sich im Gries. Die Buntheit des Viertels macht es attraktiv für eine junge alternative und künstlerische Szene. Zunehmend rückt der Gries in den Fokus der Stadtentwicklung, mit zwiespältigen Gentrifizierungseffekten: Neue Communities wirken belebend, während Preissteigerung und Anonymität gewachsene Sozialstrukturen bedrohen.

Politik im Widerspruch

039:Imundrundumdas Rösselmühlareal.

040:Imundrundumdas Rösselmühlareal.

041:Imundrundumdas Rösselmühlareal.

Fragwürdiger Ruf

042:SeitAnfangdes19. Jahrhundertsgibtesdas Gefängnisimehemaligen SchlossKarlau.

Die negativen Zuschreibungen der Murvorstadt lassen sich weit in die Vergangenheit zurückverfolgen. Sie beeinflussen bist heute die äußere Wahrnehmung, Gerüchte und (Medien-) Erzählungen in Graz. Auf der anderen Murseite, hinter den hohen Geschäfts- und Wohnhausfassaden entlang des Grieskais, wurde versteckt, was nicht in das Bild der bürgerlichen Gesellschaft passte: Besitzlose und Kranke wurden im Armen- und Siechenhaus ferngehalten, Kriminelle im Zuchthaus und später im Karlauer Gefängnis weggesperrt. Im Mühlgang fanden sich Leichen, die im Rechen der Rösselmühle geborgen wurden. Kriminalität und Rotlicht werden noch immer mit dem Gries assoziiert. Medial und politisch wurde und wird der Bezirk gerne vernachlässigt und zum „Schandfleck“ erklärt.

„„Meine Mutter, die sehr etepetete war, die hat immer so nebenbei fallen lassen, dass die Elisabethinergasse und die Oeverseegasse,dassdajadasRotlichtmilieuistunddassdas soganzpfuiist.Ichmussgestehen,dassichdieerstenMale,als ich allein dort spazieren gegangen bin, hatte ich das offensichtlichnocheinbisschenimHinterkopf.Unddannhabe ichaberschondurchmeinevielenJahrederReiseninAfrika und Asien gelernt, dass man sich eigentlich nicht fürchten braucht,sondernwennmanaufmerksamundoffendurchdie Gassengeht,dassmaneigentlichsehrvielSchönesentdeckt.“

–Unternehmerin

„Die Grazer, und vor allem Grazerinnern, haben nachts ein unsicheresGefühlimGries,esheißt,dassdieKriminalitäthier höherist.Also,derBezirkhateinensehrschlechtenRuf.Aber die Politik macht nichts.“ – Gesprächspartner Verein Chiala Afrika

„Für mich war es immer faszinierend, wie mit jedem Schritt, denmanvomGriesweggeht,dieGeschichtenüberdenGries ein bisschen haarsträubender werden. Und wenn man dann

die Stadtgrenze verlässt, werden es wirklich nur mehr Märchen.“–JüngererAnwohner

„Ich selbst habe in meiner Dienstzeit drei oder vier Leichen erlebt. Wie ich einmal in der Früh runtergegangen bin zum Mühlgang. Dann dachte ich mir, Mensch noch einmal, jetzt hauendiedaschondieKleiderpuppenrein!Dannschaueich genau hin. Natürlich liegt dort einer – der hat sich dann verfangen. Der ist oben bei der Brücke, ja, wahrscheinlich Alkohol. Dann ist er ausgerutscht und ist reingefallen. Aber jetztkommtes:CircadreiWochenspäterkommtdieSekretärin. Sagtsie:‚MeinGott,daistwerausSlowenienhier.KannerSie sprechen?‘‚Sageich,jawasmöchteerdenn?‘–‚Ja,wegendem Unfall da draußen.‘ Dann kommt er rein: Da war das der Zwillingsbruder! Das sind dann die Erlebnisse! Dann ist einmal eine Frau, eine Prostituierte reingesprungen. Ja, es wareneinpaarsoSachen.“–Mühlenmitarbeiter

„Anderswofälltesdannnichtauf.Vermüllung,dasistehder Dauerbrenner im Griesviertel, weil es ist tatsächlich oft dreckiger um den Griesplatz und die Kebab-Papierl und Pipapo.Daistestatsächlichso,dassvonderStadtauseinfach wesentlichwenigergeputztwirdalsinderInnenstadt.Inder Innenstadtwürdeeswesentlichschlimmerausschauen,wenn nichtständiggeputztwerdenwürde.“–JüngererAnwohner

„Das ist es, warum ich mich auch gerne in dieser ganzen Sache da hier engagiere. Einfach das, dass aufgrund der Situation,dasssehrvieleneueHäuseroderneueWohnungen hier gebaut werden, es fast nicht mehr möglich ist, so ein Haus wie dieses wirklich zu erhalten. Aber es wäre so wichtig,dasssieerhaltenbleiben,weilsiesindZeugeneiner Zeit … Wenn ich das hier sehe, dann sehe ich die gleichen Spuren auch in meinem hinteren Teil des Hauses. Unser Haus ist ja auch teils Gewerbe, teils Wohnhaus, weil die FamilieoberhalbvomGeschäftgewohnthat.Esistsoschade, weil eben diese Struktur verschwindet, die hier noch

durchgängigist,dieGewerbeundLebensraumineinemist. DieselangenInnenhöfewodieganzenWerkstättenwaren. UnddannistdieseganzegewachseneGeschichteisteinfach weg.“–Anwohnerinundehem.Geschäftsbesitzerin

„Wie gesagt, also Nummer eins ist Verkehr. Ich finde, da ist noch ganz viel Luft nach oben. Richtung Umweltschutz, dassmandaeinbisschenvomAutowegkommt.Undja,halt ebenWohnbau,VerdichtungundfehlenderDenkmalschutz.“ –JüngereAnwohnerin

„Und hier überall diese Neubauten. Und das ist alles sehr spät gebaut, schauen’S, diese schrecklichen Häuser da. Passtjagarnichther.“–ÄltereAnwohnerin

„Ich bin nur mehr für Grünflächen in Graz. Ich finde, der Wohnungsbau kann ab sofort gestoppt werden, da revitalisiert. Aber man darf nichts mehr zu bauen, es ist genug.“–ÄltereAnwohnerin

„WaswarindenanderendreiHäusern,diejetztwegkommen?“ - „In einem war ein Fleischhauer drinnen. Das ist das Erste, was abgerissen wird. Das, und noch zwei. Da kommt ein siebenstöckiges Gebäude. Ein Haus! Ich habe gesagt, das muss toll aussehen. Wir haben lauter so kleine Häuser, verschiedenfarbig. Da haben sie gesagt: Nein! Da kommt jetztnurmehreinHausher.“–Anwohnerin

„Wenn man die Umgebung betrachtet, was man alles verbauen kann, ist phänomenal, also das hätte ich mir nie gedacht. Wenn man die Elisabethinergasse zum Oeverseepark hin schaut, da sind reihenweise Siedlungen hinter Häuserreihen reingebaut. Schlimm, meines Erachtensnach.BrauchtkeinMensch.“–ÄltereAnwohnerin

„Ichbinviel mitRadunterwegsunddenkemirso,oh,woist dennjetztdasHaus?Plötzlichschonwiederganzweg?Und

dann ist natürlich immer die Sorge: Oh Gott, was kommt jetzt da hin? Jetzt allein hier in der Straße und die Nebenstraßen,womansichsodenktbeimanchenGebäuden, daswarensoschöneHäuser!“–JüngereAnwohnerin

„IchkriegejaimmerwiederlustigeBriefe.Siewollenmirdas Hausabkaufen.“–„DiehabenjaganzgemeineGriffe!Dagibt eseineImmobiliendameinderElisabethinergasse.‚Golden House.‘ Also die war sehr aufdringlich. Die hat auf meine Tochter einfach so eingeredet: ‚Was werdet ihr denn da machen. Verkauft es doch!‘ – „Eine hat mir auch einmal geschrieben. Und dann habe ich auf die Homepage geschaut unddaistdanndaraufgestanden:Wirhabenauchsehrtolle Seniorenresidenzen. Also Sie sind gut versorgt, wenn Sie das nehmen, wenn Sie das verkaufen.“ – HauseigentümerinnenimGries

„Graz stirbt abrissweise“

Das Viertel hat sich in den letzten Jahren baulich stark verändert. In enger Kooperation mit der Stadt sind viele der im Gries vom 17. bis 19. Jh. erbauten Häuser und Altstadtensembles den Bauvorhaben von Immobilienfirmen zum Opfer gefallen und mussten (und müssen noch immer) profitablen Wohnbauprojekten weichen. Teilweise wird von den Firmen Druck auf Mieter:innen und Eigentümer:innen ausgeübt, um Häuser zum Abriss zu entmieten und aufzukaufen. Diese Entwicklungen verändern nicht nur das optische Bild von Gries, sondern auch die Miet- und Kaufpreise und die Sozialstruktur des Viertels. Grüne Innenhöfe und wildwachsende Natur verschwinden, ebenso kreative Nutzräume in den Hinterhöfen und Begegnungsorte wie z.B. das BAN oder der Obsthof.

043:Baugrubebiszur Hausgrenze.

1. April 2023 - Neue Tatsachen

044:Brandfotografiertvom Schlossberg.

045:Löscharbeiten.

046:Drohnenflugdurchdie verfalleneMühle,2023.

Der Großbrand in der „Rollgerstefabrik“ – einem historischen Nebengebäude der Rösselmühle - hat die Aufmerksamkeit der Grazer Bevölkerung auf das vergessene Grazer Wahrzeichen gelenkt. Gespräche über den Vorfall sind allgegenwärtig, und die Menschen tauschen sich über ihre Erlebnisse und über Vermutungen zur Ursache des Brandes aus.

Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Brandes, wie haben Sie davon mitbekommen?

Obwohl eine Feuerwand verhinderte, dass das Feuer auf die Hauptbetriebsgebäude und die Silotürme übergriff, berichteten die Medien von der unrettbar abgebrannten Rösselmühle. Im September 2023 wurde die Brandruine abgerissen. Anfängliche Spekulationen über Brandstiftung wurden rasch aufgeklärt. Ähnlich wie im Jahr 2017 geht der Brand auf jugendlichen Vandalismus zurück. Der Brand wirft jedoch nicht nur Fragen nach seiner Ursache auf, sondern regt auch zu Diskussionen über die Zukunft der Mühle an.

„Aus dem Fester habe ich den Brand gesehen. Ich rieche es immernoch.Eswarunheimlich.“–Anwohnerin

„Ich bin um 1 Uhr mittag zum Lidl gegangen, an diesem Samstag.Undwieichzurückgekommenbin,habeichmichda hergesetzt. Und wie ich um 13 Uhr rüber gegangen bin, sindvierJugendlichehineingeklettertdaoben.Unddannhat es gebrannt, aber wie. Hätten die es doch gleich ganz niederbrennenlassen.“–Anwohnerin

„WiederBrandwar,hatmanjagehört,wiedasalteHolzrichtig runtergekrachtist.“–Anwohnerin

„Also die Mühle ist nicht abgebrannt! Das möchte die Investmentfirmagerne,dassessowäre.Eshatnurgebrannt inderMühle,nichteinmalinderMühleselbst.“–Anwohnerin „Meine Tochter hat mich angerufen. Ich bin gerade drinnen beimComputergesessen.Undsieruftan.Dannsagtsie:‚Du, bei dir in der Gegend brennts. Es muss irgendwo beim Gymnasium unten sein.‘ Und wir sind dann zwei Stunden späteroderwasdannindieStadtgegangen.AmGriesplatzhat mandenganzenRauchgerochen.“–Anwohnerin

„Drumistesschade.Dashatmanangezündet.Nichtsanderes. Undmansolldasjanichtwegreißen,dasistganzalt.“–Ältere Anwohnerin

„Aberwasjetztdannwirklichrauskommt,istjaeigentlichauch interessant. Anscheinend war da ein großes Bauprojekt im Gange.UndjetztwareineZeitlangRuhe.Undjetztnachdiesem Brandisteswiederanscheinendsehraktuellundjetztdrängen sie drauf. Und jetzt sagen sie halt, naja, wir machen verschiedeneWohnmöglichkeiten.“–Anwohnerin

Älteste Mühle von Graz?

GESCHICHTE

047:Dieältestebisherbekannte DarstellungderRösselmühleam „Mühlbach“von1657.

048:Hauptansichtdesalten Mühlen-Hauptgebäudes.

049:Wickenburg-Planvon 1834-1838.Diebeidseitig desMühlgangsbestehenden Mühlengebäudesindnungrößer ausgebaut,nördlichbefindet sichentlangdesMühlgangs einekunstvollangelegte Gartenanlage.

Die heutige „Rösselmühle“ ist eine der ältesten urkundlich erwähnten Mühlen Österreichs. Wie zahlreiche andere Gewerbebetriebe nutzte sie den Mühlgang als Energiequelle, da die Mur in weiten Bereichen dafür ungeeignet war.

1270 stiftete Ortolf der Pfarre St. Andrä die Mühle mit einer Stampfe für Früchte, Wolle und Flachs. Der Standort entspricht der jetzigen Rösselmühle, wobei erst archäologische Untersuchungen feststellen werden können, ob sich Fundamente aus dem ausgehenden Mittelalter unter den aktuellen Gebäuden erhalten haben. 1401 wird sie erwähnt als Wohlgemutsmühle, 1427 als Aumühle, 1446 als Einpachermühle. Zu Beginn des 18. Jhs. wurde sie von Georg Pamberger übernommen, dem Bäcker „Zum Weißen Rössel“ – daher der Name Rösselmühle. Infolge von Baufälligkeit erfolgt eine umfassende Erneuerung und Erweiterung im 18. und 19. Jh.

Erst im 20. Jh. erhielt der Komplex sein heutiges Erscheinungsbild als moderner Industriebetrieb. So wurden 1921/1925 die Mühlenhauptgebäude aufgestockt, 1948 das Büro- und Wohngebäude. 1950 wurde der West-Silo errichtet. Über die Gleichenfeier dieses Silos berichtete die Presse ausführlich: Mit einer Firsthöhe von 40 m wird es als der höchste Industrie- und Nutzbau der Stadt bezeichnet, nach der Herz-Jesu-Kirche das höchste Gebäude von Graz und ein neues Wahrzeichen.

1963 erfolgte der Bau zweier weiterer Silo-Türme in Stahlbeton-Bauweise.

Der Nord-Silo ist 42 Meter hoch und fasst 1.636 Tonnen Getreide (rund 160 Eisenbahnwaggons), der Süd-Silo 3.000 Tonnen. 2014 wurde die Produktion von Mehl in der Rösselmühle stillgelegt.

050:Übersicht,Alterund NutzungderGebäude,markiert ineinemLuftbildvon2017.

Energielieferant

Kulturerbemeile

Wassermühlen sind bereits seit dem 11. Jh. belegt, treten aber erst zwei Jahrhunderte später vermehrt auf, so auch in Graz. Im 13. Jh. wurden entlang der rechten und linken Murseite zwei Kanäle für den Betrieb von Mühlen gegraben. Die Mühlenverordnung von 1346 regelte die Wasserzufuhr unter den Mühlenbesitzern am gleichen Wasserlauf, ebenso wie das Kehren der Mühlgänge und die Errichtung neuer Wehrbauten. Insbesondere im 15. Jh. wurden die Mühlgänge auf Initiative einiger Müllermeister ausgebaut. Während der Kanal an der linken Murseite, durch Geidorf fließend, 1977 wieder zugeschüttet wurde, fließt der rechte Mühlgang noch heute rund 25 km von Weinzödl im Norden, durch Gösting, Lend, Gries und Puntigam bis Kalsdorf bei Graz, wo er wieder in die Mur mündet. Mühlgänge prägten durch die Ansiedlung von Handwerks- und später Industriebetrieben entscheidend die Entwicklung und das Erscheinungsbild der vorstädtischen Gebiete. Der rechtsseitige Mühlgang wird mit zwölf Wasserkraftwerken nach wie vor zur Energiegewinnung genutzt.

Von der (teils denkmalsgeschützten) Postgarage aus, die 1892 als Artillerie-Reitschule erbaut wurde, durchfließt der Mühlgang die Turbine der Rösselmühle, von dort den Oeverseepark und eine blühende Heimgartenanlage. Die Köstenbaummühle (ehem. mittelalterliche Kaisermühle) mit ihrer vielfältigen Gewerbegeschichte produzierte bis 2014 Strom für die Rösselmühle. 1896 – 1934 erweiterten hier die Styria Fahrradwerke die Produktion von Puch-Fahrrädern in der benachbarten ehemaligen Lederstampfe. Das dazugehörige, kunsthistorisch bedeutsame Direktorenwohnhaus an der Karlauerstraße, im Kern aus dem 17. Jh., ebenso wie die Werksgebäude sind teils noch im Original erhalten und erinnern an ein industrielles Klein-Venedig. Hier liegt die Abbruchgenehmigung bereits vor! Am ehemaligen Mauthaus (18. Jh.) vorbei fließt der Mühlgang weiter zur ehemaligen Strumpfwirkerei des Volkshauses mit seiner 350jährigen Arbeiterkulturgeschichte und von dort in Richtung Mur.

Die Rösselmühle ist ein prägendes Wahrzeichen von Graz und ein identitätsstiftendes Landmark des Gries. Sie erzählt von Arbeit, Handwerkswissen und den historisch gewachsenen Beziehungen in Stadt und Land. Entlang des Mühlgangs fügt sie sich ein in eine einzigartige Landschaft industriellen Bauerbes.

In ihren Kulturerbe-Konventionen schützt die UNESCO historische Bauten und Ortsbilder und verbindet sie mit gemeinschaftlichen Praxen und kollektivem Erinnerungswissen als soziale Ressourcen. Während das Welterbe hochkulturell von oben definiert ist, wird der sinnstiftende Wert immateriellen Kulturerbes immer neu von den Menschen verhandelt. Österreich hat 2015 die „Rahmenvereinbarung des Europarats über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft“ (FaroKonvention) ratifiziert. Sie verpflichtet Politik und Kommunen dazu, kulturelles Erbe zu wahren und nachhaltig unter Gewährleistung demokratischer Teilhabe, kultureller Vielfalt und Lebensqualität zu entwickeln. Das “Recht auf Kulturerbe” bezieht sich besonders auf die zivilgesellschaftliche Beteiligung an Entwicklungsprozessen und -projekten.

Die Kulturerbemeile am Mühlgang mit Zentrum Rösselmühle könnte als Modellprojekt zur Umsetzung der Faro-Konvention entwickelt werden. Wird die Welterbestadt Graz diese Chance nutzen?

Kulturerbe als soziale Ressource

Stadtentwicklung

051:DieEntwicklungder RösselmühlealsWahlkampfProjektvonGrünen-Chefin JudithSchwentner.Rösselmühle (links)undPostgarage(rechts)..

An etlichen Orten im Gries fügen sich historische Werkstätten und Industriebauten zu vielgestaltigen Kulturerbe-Arealen. Hier wird der Weg vom Handwerk zur Mechanisierung und Industrialisierung lebendig. Vielfach böte sich hier Raum für die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedarfe der Gegenwart.

Vieles – wie die Bauensembles des 18. und 19. Jh. an der Karlauerstraße – wurde in den letzten Jahren zerstört. Zwischen Rösselmühlgasse und City-Park durchfließt der Mühlgang – noch – eine einzigartige Landschaft des industriellen Kultur- und Naturerbes von Graz.

Im Vorfeld der Bebauungsplanung werden derzeit Abstimmungsgespräche zwischen Stadt und Eigentümer:innen geführt. Im „Grazer Modell“ unterstützt die Stadt Graz generell private Investor:innen bei der Durchführung von Wettbewerbsverfahren und stellt die städtebaulichen Rahmenbedingungen und verbindliche Planungsaussagen zur Verfügung.

Was geschieht mit der Rösselmühle?

Wer entscheidet, wer redet mit? Das Griesviertel, so scheint es, liegt im toten Winkel politischer, medialer und zivilgesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Etwa ein Viertel der Bevölkerung hat kein kommunales Wahlrecht. Die in Graz grassierende Altbauspekulation trifft den Gries noch stärker. Altstadtensembles werden aufgekauft und durch Wohnanlagen ersetzt. Läden und Treffpunkte verschwinden. Für die industrielle Bauerbelandschaft des Gries gibt es weder Denkmals- noch Altstadtschutz. Frustration und Protest fokussieren sich auf das Schicksal der Rösselmühle. Sie richten sich auf eine Stadtregierung, die 2021 für einen Stopp der Grazer Abriss- und Bauwut angetreten ist. Es liegt an der Stadt, Gewerbegebiet für Wohnbau umzuwidmen und damit dem Druck der Eigentümergesellschaft der Rösselmühle nachzugeben.

Im Jänner 2022 wurde das Komitee Rösselmühle gegründet. Im Frühjahr 2023 starteten die Aktionen der Zwischennutzer:innen im Arbeiterwohnhaus und auf dem Mühlengelände. Architekt:innen, Künstler:innen, Kulturanthropolog:innen und – nicht zu vergessen –Anwohner:innen entwerfen Zukunftsvisionen für ein Nachbarschaftszentrum Rösselmühle.

Wie kann eine andere Stadtentwicklung gelingen? Wie finden Bedürfnisse nach Heimat, Vielfalt und Mitsprache Raum und Gehör? Wie lassen sich Gentrifizierungsfallen vermeiden?

052:Demonstration,12.01.2024.

053:Demonstration, 12.01.2024..

054:NeugestaltetesGraffitiam Siloturm.

Chronik des Abbruchs

Am 1. April brennt die alte Rollgerstefabrik. Das Hauptbetriebsgebäude der Rösselmühle bleibt unversehrt.

Am 4.4.2023 wird in der Kleinen Zeitung verlautbart, dass die abgebrannte Mühle nicht zu retten, die Silos für eine Nachnutzung nicht zu gebrauchen seien. Auf dem Gelände solle ein neues Wohnquartier entstehen.

Ab 11.9.2023 wird die Brandruine abgebrochen und das Dach des Nordsilos abgedeckt.

Am 22.12.2023 stellt die Römü GmbH Antrag auf Abbruch des Nord- und Südturms der Rösselmühle.

Am 15.1.2024 erlässt die Stadt den Abbruchbescheid.

Am 16.1.2024 wird der Start der Abbrucharbeiten für den übernächsten Tag angekündigt.

Am 13.2.2024 beginnt der Abbruch des Nordsilos.

Weiterhin wird den zivilgesellschaftlichen Akteuren vage ein „partizipativer Prozess“ in Aussicht gestellt – aber nur, wenn zuvor zwischen Stadt und Eigentümern die Rahmenbedingungen ausgehandelt sind.

„Betreff: Information zu Abbrucharbeiten auf dem Areal der RösselmühleinGries,Graz,5.Bezirk

SehrgeehrteDamenundHerren, nachdemkurzfristigenStoppderAbbrucharbeitenaufdem ArealderRösselmühleanderPostgarageimNovember2023 werden die Arbeiten nun mit 18. Jänner 2024 wieder aufgenommen. Der Nordturm, der Südturm und ein kleines GebäudeüberdemMühlgangwerdenabgetragen.Dazuliegt ein Bescheid der Baubehörde vor. Die Arbeiten sind voraussichtlichEndeAprilabgeschlossen.“

–RundmailderRöMüGmbH,16.1.2024

„DemKomiteeRösselmühleliegenInformationenvor,wonach derStatiker,dervonderRöMümiteinemstatischenGutachten für die Türme beauftragt wurde, bis dato noch gar kein Gutachten, sondern nur einen Zwischenbericht nach einer Begehungerstellthat.

LautseinerAuskunftgibtesausstatischerSichtderzeitkeinen Grund den Nordturm und schon gar nicht den Südturm abzubrechen.[…]

DasKomiteeistderMeinung,dasseineEntscheidungüberden ErhaltderGebäudedesArealserstnachDurchführungeines ergebnisoffenen Prozesses sowie konkreter baulicher Gutachtenfallendarf. […]

Zudem widerspricht ein unbegründeter Abbruch den Klimazielen der Stadt Graz sowie dem Weltklimaabkommen zurErreichungdes1,5GradZiels.[…]

Unverständlich ist, dass die Politik in Graz weiterhin zum Abbruchschweigt.“

–ErklärungKomiteeRösselmühle,9.1.2024

Kämpfe und Konzepte

BETEILIGUNG!

Das Komitee Rösselmühle

055:Abrissderabgebrannten Rollgerstefabrik,2023.

„056:Abrissarbeiten,2023.

Im Komitee Rösselmühle engagieren sich Expert:innen aus Architektur, Stadtentwicklung, Wissenschaft, Gemeinwesenund Kulturarbeit für die Entwicklung der Rösselmühle als Nachbarschaftszentrum und Leuchtturmprojekt einer inklusiven und klimagerechten Stadtentwicklung. Das Komitee erarbeitet Best Practice Beispiele, es spricht mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, Politik und Stadtverwaltung und den Eigentümer:innen. Es eruiert Finanzierungsmodelle und Raumbedarfe von Bildungs- und Sozialeinrichtungen als potentiellen Nutzern. Das Komitee fordert – bislang vergebens – einen ergebnisoffnen partizipativen Entwicklungprozess unter Einbeziehung aller Interessent:innen, bevor zwischen Stadt und Investor:innen Tatsachen geschaffen werden.

„DasKomiteefordertdahervonderStadtGraz,dasssieunverzüglich aktiv wird und als politischen Willen formuliert, Stadtentwicklung am Beispiel ‚Leuchtturmprojekt Rösselmühle‘ als Prozess für die Bedürfnisse und das GemeinwohlderBewohner*innenzufördern.UndalsGewinn für alle, denen Graz, seine Besonderheiten und historischen SpureneinAnliegensind.Heute,TagenachdemBrand,giltdies fürdaseinzigartigeArealderRösselmühleundseinPotenzial mehr denn je.“ – Pressemeldung Komitee Rösselmühle, 3.4.2023

Johann-Josef-Fux-Konservatorium – ein Haus der Musik

Die Kulturhauptstadt Graz braucht ein Haus der Musik. Die Betriebshallen der Rösselmühle bieten viel Platz für dringend benötigte Veranstaltungssäle und Probenräume für Musikensembles von Klassik bis Volkskultur. Das Konservatorium schlägt zudem Räume für Elementarpädagogik und soziale Musikprojekte wie das Vivaldiprojekt oder superar vor, musiktherapeutische Kooperationen mit dem Geriatrischen Krankenhaus und Unterbringungsmöglichkeiten für Schüler:innen des Musikgymnasiums. Und: eine kleine Open-Air-Bühne zum Oeverseepark.

Grazer Geriatrisches Zentrum – ein Ort der Pflege

In unmittelbarer Nachbarschaft, eingebettet in die Geschichte der Grazer Vorstadt, bringen sich die Grazer Geriatrischen Zentren mit dem Thema Pflege in die Neukonzeption der Rösselmühle ein. In der Mühle untergebracht werden könnten eine Pflegeschule, ein Internat und Personalwohnheim, betreutes Wohnen für 40 Personen, Werkstätten und weitere Nutzräume.

Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie –Erinnerungswerkstatt und Soziomuseum

Das kulturanthropologische Ausstellungs- und Beteiligungsprojekt „Gedächtnis und Zukunft der Grazer Arbeiter:innen-Vorstadt“ versteht sich als Pilotprojekt für einen dezentralen Erzähl- und Erinnerungsraum für Graz. Vorbild ist das Modell des Soziomuseums, das in brasilianischen Vorstädten entwickelt wurde. Am Gedächtnisort Rösselmühle verständigen sich Anwohner:innen in Ausstellungen, Erzähl- und Begegnungsveranstaltungen über ihren Alltag, ihr Woher und Wohin. Bilder, Orte und Erzählungen schaffen Zugehörigkeit, geteilte Erinnerungen und Identitäten.

Graz – Forum Demokratieforschung

Die Universität Graz begegnet aktuellen Herausforderungen der Demokratie durch den Aufbau eines Forums Demokratieforschung als offener Ort der Forschung, Lehre, der öffentlichen Begegnung und politischen Bildung. In Zusammenarbeit mit der Stadt Graz und anderen Akteuren soll das Forum als konkreter Ort an der sozialen Peripherie rechts der Mur verwirklicht werden. Das Rektorat hat das Vorhaben im Entwicklungsplan der Universität verankert. Die Universität bietet an, sich mit dem Forum Demokratieforschung in ein Nachbarschaftszentrum Rösselmühle einzubringen.

Universität

Hat die Mühle Zukunft?

MA-Arbeiten der TU Graz – Junge Architektur

An der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Graz entstand in den letzten Jahren eine Serie von Masterarbeiten, die sich der Entwicklung und Umnutzung des Industriedenkmals Rösselmühle unter neuen städtebaulichen Gesichtspunkten widmen. Industrielles Erbe wird nicht als tabula rasa, sondern als tabula plena betrachtet. Leerstände werden gerade nicht als Spekulationsobjekte verwertet, sondern als Freisetzung von Stadt- und Lebensraum mit hohem gesellschaftlichem Potenzial neu gedacht.

057:AnnaMariaJäger/ Marie-TheresSchweighofer: ModellprojektRösselmühle –Prinzipienfüreine chancengerechte undregenerative Stadt(teil)entwicklungimGries

058:JudithWeiss:Rösselmühle ArchitekturfüreinMiteinander -Zentrumfürpsychosoziale GesundheitundIntegration

„HierinderStraßehabeicheinpaarneueFahrradständeruns organisiert und die Ungergasse soll jetzt begrünt werden nächstesFrühjahr.DahabichjetztdieZusagebekommen,dass da Bäume gepflanzt werden. Aber ja, das war ein längerer ProzessmitUnterschriftensammelninderNachbarschaftund so. Letztes Jahr war ich bei einer Bauverhandlung für die Papierfabrik,alsonebenuns,diesolljaabgerissenwerdenund wolltemalschauen,ja,wasmandamachenkann.Alsoentweder obichalleinnochmalaufdieStadtzugehenkann,oder…Ich habedamalsauchpaarLeutekennengelerntundichhabedann die Erfahrung gemacht, dass das Interesse schnell wieder abreißt,dassmansagt,meiblöd,aberirgendwiehatdanndoch keinerZeitundLustweiterwaszumachen.“–JüngereAnwohnerin

„Diehabendassehrverkommenlassen.Vorallem,manhätteja auch,alsesnochineinembesserenZustandwar,wasanderes darausmachenkönnen.Aberjetztisteshaltwahrscheinlich schonzuspät.“–ÄltereAnwohnerin

„Undja,ansonstenwürdeichmirauchvondenStadtentwicklern odervomBauamt,vondenzuständigenBehördenmehrAuge für den Denkmalschutz wünschen. Also mir kommt es so paradox vor, es wird immer von Aufwertung von Gries gesprochenunddannwerdenalleschönenSachenabgerissen.“ –JüngereAnwohnerin

„Was ich mir wünschen würde ist, dass man da sinnvolle Entwicklung hinkriegt. Wenn man sich stadtplanerisch anschaut, es ist eine Riesenfläche für die Innenstadt. Das ist mitungeheuremPotenzialverbunden.Gleichzeitigistessehr gefährlich, weil wir sind dort überall im Griesviertel. Wir haben eine der höchsten Wohnbaudichten in Graz und sind dafür verkehrsmäßig mäßig angeschlossen. Jetzt kann man sagen okay, in den nächsten 5 bis 7 Jahren wird dort eine Straßenbahnkommen,dieüberdenPlatzfährt.DieAnbindung wirdbesser,abermanmusshaltwirklichaufpassen,dassman

dortnichtüberdichtenWohnbaureinsteckt.Wennmaneinen schönenTagimOeverseeparkist,daistsoviellos,dassman sich fragt, dass es nicht noch mehr Konflikte gibt. Einfach wegenderÜbernutzung.“–JüngererAnwohner

„Ichbinjetztdagewesen,amAbendbeidieserVersammlung. DannsindwirineinerGruppeindieInnenhöfegegangen.Sage ich: ;Was wollt ihr denn noch alles zubauen!‘ Da ist ein alter Mann dort gestanden. Hat er gesagt: ,Sie, ich wohne jetzt fünfzigJahreda.IchlassemirvormeinemSchlafzimmerkein Haus hinbauen!‘ So schöne Waldbäume da drinnen, in der Kindermanngasse.DassindwirklichschöneInnenhöfe.Und daswollendiealleszubetonieren.Wasistdennjetztlos?Ja,für wenauch?EsbrauchtdennniemandsovieleWohnungen? DasolltensiediealtenWohnungeneinbisschenherrichten.Die schönen Wohnungen. Die lassen das alles vergammeln.Da unten,hatmirjetztmeineFreundingesagt,daamEck.Wissen Sieeh,wennSiedarunterkommen,Kärntnerstraße.Dortwo das Eck frei ist. Da kommt ein elfstöckiges Hochhaus hin.“ –ÄltereAnwohnerin

„Also einerseits sehe ich viel Potenzial schon beim Thema Verkehr,dassdasvielleichteinbisschenberuhigterwird.Weil einerseitshatjadieJudithSchwentnersehrmitderBeruhigung desGriesplatzesundderJosef-Huber-Gassegeworben.Istjetzt dieFrage,wasdavonumgesetztwird,weilmannichtsogenau. AndererseitsbeimWohnbauglaubeichschon,dasseseherein bisschen weitergeht in Richtung Gewinnmaximierung. Und dasistjaauchvonderStadtgewünscht.DasseinfachWohnraum verdichtetwird.“–JüngereAnwohnerin

„Mein Traum ist es halt immer irgendwie so, ich würde es einfachsüßfinden,wennesmitteninderStadtsoeinDinggibt, womansicheinfachhinsetzenkann,unddannkannmanessen undtrinken,oderwasauchimmer.EinfacheinenRaum,derfür nichtsvorgesehenist,aberwomanallesmachenkannhalt.“–Hausbesetzer

Eigentümerfamilie Polsterer – „Rohdiamant in Zentrumsnähe“

Die Eigentümerfamilie Polsterer/Polsterer Kerres Ruttin Holding GmbH möchte das Areal der Rösselmühle in Kooperation mit der Stadt und benachbarten Eigentümern bis zur Postgarage entwickeln. Wichtig sind Öffnung, Durchwegung, Begrünung des Gebiets, sowie (u.a. durch Erhalt des Wasserkraftwerks) Autarkie und Nachhaltigkeit. Die abgerissenen Gebäude sollen vor Ort recycelt und wiederverwertet werden. Geplant ist eine gemischte Wohnund Lebenssituation, die den Gries aufwertet. Erhalt und Nutzung der bestehenden Industriegebäude ist fraglich, man ist jedoch offen für entsprechende Nutzungskonzepte (Musikschule, Pflege).

Seit 1922 war die Rösselmühle im alleinigen Familienbesitz. Seit Mai 2022 gehört die Rösselmühle der Römü GmbH (50,01% ÖSW Wohnbau GmbH, 49,99% Polsterer Kerres Ruttin Holding GmbH).

„EswäredortmeinWunsch,etwasNeuesentstehenzulassen. Wie weit das mit den vorhandenen noch bestehenden Baulichkeiten möglich ist oder nicht, das zu entscheiden, würdeichmalsagen,würdeichgernedenExpertenüberlassen, den Architekten und den Planern.“ – Miteigentümerin der Rösselmühle,PolstererKerresRutinHoldingGmbH

„Es ist in der Kommunikation mit der Stadt nach Jahren der Stagnation endlich etwas in Bewegung gekommen. Ich bin guten Mutes, dass an dem Standort etwas Gutes entstehen wird.“–MiteigentümerinderRösselmühle,PolstererKerres RutinHoldingGmbH

Stadt Graz – Städtischer Grünraum?

„In Gesprächen mit den Eigentümern habe das Stadtbauamt das Ziel erklärt möglichst viele Flächen als Grün-, Frei- und Aufenthaltsflächen für die Allgemeinheit zu erhalten.“ (Kleine Zeitung 17.1.2024)

Zu weiteren Zielen und Konzepten der Stadt für die Rösselmühle erhielt die Projektgruppe keine Auskunft.

Abbildungsverzeichnis

001: Grafik: Erika Thümmel, 2024.

002: Foto: Erika Thümmel, Juli 2023.

003: Foto: Stefan Pajman, Kleine Zeitung, o.A.

004: Foto: Erika Thümmel, Oktober 2023.

005: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

006: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

007: Foto: Archiv Rösselmühle, o.A.

008: Video: ,Die Mühle in Betrieb‘, Norbert Prettenthaler 2005. https://www.youtube.com/watch?v=SX21m9IUQgM

009: Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner, 2009.

010: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

011: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

012: Foto: Clemens Schilcher, 2006.

013: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

014: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

015: Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner, 2009.

016: Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner, 2020.

017: Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner, 2020.

018: Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner, 2020.

019: Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner, 2020.

020: Foto: Egon Blaschka. Archiv: MMS/UMJ, 1963.

021: Foto: Uto Laur. Archiv: MMS/UMJ, ca. 1960.

022: Archiv: Steiermärkische Landesbibliothek.

023: Archiv: Anno/Österreichische Nationalbibliothek.

024: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

025: Foto: Clemens Schilcher, 2009.

026: Foto: Kleine Zeitung GmbH & Co KG / Gernot Eder, 2014.

027: Archiv: Stadtarchiv Graz.

028: Archiv: Stadtarchiv Graz

029: Foto: Felix Baptist, 2024.

030: Archiv: Annelies Berdé, o.J.

031: Archiv: Annelies Berdé, ca.1939.

032: Archiv: Graz Museum, 1914.

033: Archiv: Sonja Rosbergen-Rumpf, 1930er Jahre.

034: Archiv: Sonja Rosbergen-Rumpf, 1930er Jahre.

035: Foto: Karl Hierzer, Archiv: MMS/UMJ, November 1938.

036: Archiv: Sonja Rosbergen-Rumpf, 1945.

037: Foto: Alexander Danner, 2019.

038: Archiv: Veronika Dreier, 2012.

039: Foto: Erika Thümmel, 2023.

040: Foto: Erika Thümmel, 2023.

041: Foto: Erika Thümmel, 2023.

042: Foto: Felix Baptist, 2024.

043: Foto: Katharina Eisch-Angus, 2023.

044: Foto: Helmut Groschwitz, 1.4.2023.

045: Foto: Helmut Groschwitz, 1.4.2023.

046: Video: ,Drohnenflug durch die verlassene Mühle‘, Konstantin Prabitz, 2023. https://www.youtube.com/watch?v=kXR_heC0ZuQ

047: Archiv: https://grazerbe.at/Oeverseegasse_1

048: Archiv: Bettina Hutzl/Stadtarchiv Graz, 1880.

049: Archiv: https://grazerbe.at/Oeverseegasse_1

050: Grafik: Erika Thümmel

051: Grafik: pixLab, 2020.

052: Foto: Felix Baptist, 2024.

053: Foto: Felix Baptist, 2024.

054: Foto: Mark Angus, 2024.

055: Foto: Elena Laaha, 2024.

056: Foto: Elena Laaha, 2024.

057: Grafik: A nna Maria Jäger/Marie-Theres Schweighofer, 2022.

058: Grafik: Judith Weiss, 2022.

Impressum zur Ausstellung

Geforscht haben: unter der Leitung von:

Ausstellungsgestaltung und Grafik:

Texte:

Ann-Sophie Aue, Jonathan Coenen, Katharina Eisch-Angus, Johannes Maier, Laura Riedl, Florian Rumpl, Erika Thümmel, Lucie Trummer

Katharina Eisch-Angus, Erika Thümmel

Erika Thümmel

Jonathan Coenen, Katharina Eisch-Angus, Johannes Maier, Laura Riedl, Florian Rumpl, Erika Thümmel

Dank an:

Felix Baptist, Laura Bäumel, Claudia Baumgartner, Alexander Danner, Aglaee Degros, Erich Freidl, Helmut Groschwitz, Elisabeth Kabelis-Lechner, Thomas Kalcher, Thomas Kain, Ulrich Kiendler, Peter Laukhardt, Eva Polsterer, Sonja Rosbergen-Rumpf, Hans-Peter Weingand und viele weitere Unterstützer:innen, sowie an das Stadtarchiv Graz, das Landesarchiv Steiermark, das Volkskundemuseum am Paulustor und die Uni Graz,

und an alle Gesprächspartnerinnen und -partner aus der Belegschaft der Rösselmühle, dem Griesviertel und drumherum!

2024

Graz,

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