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Neue MVO sorgt für Handlungsbedarf
from B&I Die Industrie-Zeitung, Ausgabe 3/24 (Juni)
by B&I Die Industrie-Zeitung | Betriebstechnik und Instandhaltung
Terminsache: Neue Maschinenverordnung gilt ab Januar 2027
Wenn die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 (MVO) Anfang 2027 an die Stelle der aktuell gültigen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (MaschRL) tritt, ändert sich manches für Hersteller, Händler und andere Wirtschaftsakteure. So werden die Nutzer einer Maschine etwa zu Herstellern, wenn sie wesentliche Änderungen vornehmen. Damit können zusätzliche Pflichten vom ursprünglichen Produzenten auf Unternehmen übergehen – und Haftungsfragen neu geregelt werden. Hilfreich und empfehlenswert ist daher jetzt eine Auseinandersetzung mit dem Thema – also noch vor dem Ende der Übergangsfrist am 20. Januar 2027.
Zur Anwendung kommt die neue Maschinenverordnung im Wesentlichen auf demselben Gebiet wie die bislang gültige Maschinenrichtlinie. Das heißt, sie gilt unter anderem für Umwälzanlagen, Reaktoren, flüssigkeitsfördernde Komponenten, Drucklufterzeuger sowie weitere Maschinen und „dazugehörige Produkte“. Dazu zählen unter anderem sicherheitsrelevante Komponenten.
Erweiterter Geltungsbereich
Außerdem behandelt die Richtlinie auch Elektroroller und E-Bikes für betriebliche Fahrten auf dem Gelände sowie elektrisch höhenverstellbare Tische.
Die ausdrückliche Berücksichtigung von Sicherheitsmängeln und Risiken infolge der sich intensivierenden digitalen Arbeitsweise ist ebenfalls eine Neuerung.
In der bislang gültigen Maschinenrichtlinie ist dieses Thema ausgeklammert oder wird allenfalls am Rande behandelt.
Die Chemiebranche hat ihre technische Ausstattung in den vergangenen Jahren um Bestandteile erweitert, die der Sicherheit im Zuge der Digitalisierung dienen.
Die neue Maschinenverordnung sieht diese Bauteile als Teil einer vernetzten Sicherheitsarchitektur und betrachtet das komplette Bild. So wird nun auch die Software von Maschinen betrachtet. Entscheider im Betrieb sollten sich dahingehend mit der MVO auseinandersetzen.
Wenn Nutzer zu Herstellern werden
Unternehmen aus der Chemiebranche agieren in der Regel nicht als Produzenten der Anlagen und Komponenten, die sie selbst betreiben beziehungsweise verbauen. Sie sind Nutzer dieser Techniken, stellen sie aber selbst nicht her. Sobald sie ihre Anlagen modernisieren oder umbauen, kann sich das gemäß der neuen Maschinenverordnung ändern.
Je nachdem, wie umfangreich oder tiefgreifend die Arbeiten sind, fällt der Nutzer rechtlich in die Rolle eines Herstellers – mit weitreichenden Folgen. Eine Evaluation gestiegener bekannter oder neu hinzukommender Risiken gibt Aufschluss darüber, ob die Konformität der Anlage mit der Verordnung erneut überprüft und dokumentiert werden muss – nämlich dann, wenn die Veränderung auf diese Weise „wesentlich“ ist.

Erwerb von Maschinen besser abgesichert
Maschinen mit höherem Risikopotenzial sind von den bald geltenden Vorschriften ebenfalls erfasst. Künftig sind neue Risiken einzubeziehen, die sich beispielsweise aus der Digitalisierung oder fortschreitender technischer Entwicklung ergeben.
Hierzu gehören etwa sich selbst programmierende Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz, sofern sie sicherheitsrelevante Aufgaben erfüllen, oder Komponenten mit Sicherheitsbezug.
Anhang I Teil A der neuen MVO führt Geräte und Komponenten auf, deren Konformität mit der Verordnung eine notifizierte Stelle in jedem Fall prüfen muss.Von Bedeutung für die Chemiebranche sind darüber hinaus Anhang I Teil B und die dort aufgeführten Maschinen. Das auf sie anzuwendende „spezifische Konformitätsbewertungsverfahren“ ist in Artikel 25 Absatz 3 beschrieben.
Hierunter fallen zum Beispiel Druckgießmaschinen oder auf dem Betriebsgelände eingesetzte Müllwagen, die eine Pressvorrichtung integriert haben. Wenn Menschen oder Güter mehr als drei Meter mit ihnen in die Höhe gehoben werden können, sind auch entsprechend ausgestattete Hebebühnen im Geltungsbereich.
Ob neue Komponenten hinzugekommen sind, für die die MVO ebenfalls gilt, sollten Nutzer kontinuierlich kontrollieren, da die Teile A und B des Anhangs I immer wieder überarbeitet und ergänzt werden können.
Gedruckte Dokumente können entfallen
Neu ist außerdem, dass Dokumente wie die Betriebsanleitung und die Konformitätserklärung in Zukunft auch papierlos bereitgestellt werden können. Wer eine Anlagenkomponente erwirbt, kann all dies trotzdem weiterhin in Papierform einfordern und muss es binnen vier Wochen kostenlos erhalten. Verpflichtend ist die papierhafte Dokumentation von Sicherheitsinformationen in Fällen, in denen nach dem Erwerb nicht kommerzielle Nutzer die Maschinen nutzen könnten. Ganz gleich, wie die Bereitstellung erfolgt: Die Betriebsanleitung muss die wichtigsten Inhalte aus dem bisherigen Lebenszyklus des Geräts bzw. der Geräte umfassen, um den rechtlichen Anforderungen zu genügen.
Digitale Sicherheit berücksichtigt
Sich selbst steuernde Anlagen sowie Robotikkomponenten bedürfen häufig einer Verknüpfung über das Netzwerk und können dadurch zum Ziel von Angreifern werden. Ebenso trifft dies auf Computerprogramme und KI-Anwendungen zu, die zur Absicherung der Betriebsabläufe eingesetzt werden.
Cybersicherheit wird deshalb als wichtiger Faktor in Anhang III, Teil B der MVO zum ersten Mal auch rechtlich thematisiert. Gemäß Unterpunkt 1.1.9 sind Maschinen in einer Art und Weise zu konstruieren, die keinen unbefugten Zugriff von außen zulässt.
Darüber hinaus sind verwendete Programme und in ihnen verarbeitete Informationen wichtige Güter, denen ein ausreichender Schutz zukommen muss. Das betrifft auch Steuerungsprogramme.
Ihre Verlässlichkeit und Unversehrtheit ist Gegenstand von Unterpunkt 1.2.1. Falls unerwünschte externe Zugriffe an dieser Stelle antizipierbar sind, sollten effektive Schritte der Gegenwehr unternommen werden. Falls es bereits einen Nachweis der Übereinstimmung mit dem Cybersecurity Act 2019/881 der EU gibt, dürfen Firmen allerdings davon ausgehen, dass die Anlage den Vorgaben aus den Unterpunkten 1.1.9 und 1.2.1 entspricht.
2024 soll zudem der Cyber Resilience Act (CRA) in Kraft treten. Mit dieser Verordnung verfolgt die Europäische Union das Ziel, verbindliche Regeln auch für jene Maschinen und Programme zu schaffen, die bislang durch keine der geltenden Regeln erfasst werden. Ziel sind eindeutig formulierte Ansprüche an deren Cybersicherheit
So sollen Hersteller zum Beispiel verpflichtet werden, sicherheitsrelevante Funktionen der Soft- und Hardware über deren gesamten Betriebszyklus auf dem neuesten Stand zu halten – etwa auch für fernbediente Anlagen der Chemiebranche.
Die neue Maschinenverordnung bringt eine Reihe von Neuerungen und Anpassungen, die Produzenten, Nutzer und andere Beteiligte im Umfeld der chemischen Industrie beachten müssen. TÜV Süd Chemie Service empfiehlt, sich rechtzeitig vor Januar 2027 mit der MVO und ihren konkreten Auswirkungen im eigenen Betrieb zu befassen.
Autor: Max Teller-Weyers, M.Sc., Fachkoordinator und Gruppenleiter für Anlagensicherheit, Fördertechnik und Maschinenüberwachung bei TÜV Süd Chemie Service