B&I Die Industrie-Zeitung, Ausgabe 4. (August 2020)

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INDUSTRIESERVICE

August 2020

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Druckgeräten mal so richtig „zuhören” Was es mit der Schallemissionsprüfung im Detail auf sich hat Wer Druckgeräte in Chemieanlagen instand hält, muss - neben den gesetzlichen Prüfterminen deren Zustand regelmäßig überprüfen lassen. Die Experten des TÜV Süd zeigen, wie das mit Schallemissionen sogar im laufenden Betrieb wirtschaftlich möglich ist - und zwar mit der sogenannten Schallemissionsprüfung. Von deren Ergebnisse profitiert auch die Predictive-Maintenance-Strategie für die gesamte Anlage. Grundsätzlich lassen sich die Instandhaltung und Wartung beispielsweise in der chemischpharmazeutischen Industrie umso besser planen, je genauer der Einblick ins Bauteil ist. Davon profitiert jetzt auch, wer ein besonders elegantes Verfahren der digitalen Prüftechnik anwendet: die Schallemissionsprüfung (SEP). Ein Anwendungsbeispiel dafür liefert der Betreiber einer Trennkolonne. Die hier verwendeten verfahrenstechnischen Apparate sind Großbehälter in Form von hohen schlanken Säulen, die über zahlreiche Einbauten und Ventilböden verfügen. Sie sind charakteristisch für das typische Bild einer Chemieanlage und dienen dazu, Gemische in unterschiedliche Bestandteile aufzusplitten.

Großbehälter in einer Raffinerie Im vorliegenden Fall sollte der Großbehälter einer Raffinerie nicht mittels Innenbesichtigung, sondern mit einer SEP geprüft werden. Dadurch musste die Anlage nicht außer Betrieb gehen und die Kolonne auch nicht gereinigt werden. Auch entfallen Maßnahmen zum Arbeits- und Umweltschutz und die Kosten eines Anlagenstillstands. Die Eckdaten des Behälters: Material: Feinkornbaustahl (P355 NH) Betriebszeit: bisher 14 Jahre Höhe: 74,3 Meter Durchmesser: 4,44 Meter Volumen: 1.160 Kubikmeter Wandstärke: zwischen 22 und 26 Millimeter An der Außenwand des eingerüsteten Großbehälters hat TÜV Süd Industrie Service insgesamt 88 piezoelektrische Sensoren anhand eines Lageplans verteilt. Diese reichten aus, um die gesamte Struktur mit ihren komplexen Geometrien und schlecht zugänglichen Einbauten einfach

und zuverlässig zu prüfen. Wo diese befestigt wurden, haben die Experten vorübergehend 20 Quadratzentimeter Isolierung entfernt, um die Magnethalter mit Koppelpaste direkt auf dem Metall anbringen zu können.

Druckgeräte unter Prüfdruck Für die SEP wird Prüfdruck benötigt, den der Betreiber über die Leitwarte kontrolliert gesteuert hat - und zwar mit dem behältereigenen Medium. Er muss mindestens das 1,1-Fache des maximal im Betrieb auftretenden Drucks betragen. Rund zwölf Stunden dauerte die Onlineüberwachung. Dabei werden hochfrequente Schallwellen ausgewertet, die oberhalb des menschlichen Hörvermögens liegen. Sie entstehen, wenn im Werkstoff aktive Fehler wie Risse existieren

So lassen sich Veränderungen im Stahlgefüge erkennen, bevor es zu kritischen Zuständen kommen kann. Damit lassen sich meist viel genauere Aussagen treffen als bei üblichen Sicht- oder Druckprüfungen. Das betrifft auch die Beurteilung von unkritischen Inhomogenitäten oder Mikrorissen, die im Betrieb nicht weiterwachsen und daher belassen werden könnten. Im vorliegenden Fall empfahl TÜV Süd für einige Stellen eine gezielte Nachuntersuchung von Schweißnähten mittels Ultraschallprüfung (Phased-Array).

Analyse der Signale Je nach Anzahl, Aktivität, Intensität und Ort werden die Schallsignale in drei Risikoklassen eingeordnet (siehe unten stehende Tabelle). Etwaige erforderliche Maßnahmen lassen sich so besser

Die Schallemissionsprüfung (SEP) erfolgt im laufenden Betrieb. Bilder: TÜV Süd

Das regelt die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und richtet sich an alle Arbeitgeber. Im Fokus dieser Prüfung stehen nicht nur die Dichtheit der Anlagenteile, sondern auch mögliche Rissbildungen oder Einwirkungen von Korrosion auf die Wandungen.

Schnellere Prozessoren und anwenderfreundliche Software visualisieren mehrere Hundert Ortungen pro Sekunde – in Echtzeit. Das Tempo, mit dem die Geräte mögliche Inhomogenitäten oder Anomalien detektieren und analy-

Die drei Risikoklassen der Schallsignale Einordnung

Beurteilung

Vorgehen und Maßnahmen

Klasse 1

Unbedeutende Quelle

Keine Maßnahmen erforderlich

Klasse 2

Aktive Quelle

Visuelle Prüfung oder weitere Nachuntersuchung und Bewertung

Klasse 3

Sehr aktive Quelle

Prüfunterbrechung oder -abbruch, Druckablass, visuelle Prüfung, weitere Nachuntersuchung und Bewertung vor Wiederinbetriebnahme

Detektion und Ortung von Schallemissionsquellen (SE-Quellen). Bilder: TÜV Süd

und unter Druck minimal wachsen. Dieser mechanische Bewegungssprung stößt seine Umgebung an, die dann nachgibt und wieder zurückfedert. Die Folge ist eine transiente elastische Schallwelle. Sie gelangt von ihrer Quelle bis zum Piezokristall des Sensors, der sie in elektrische Signale wandelt. Diese werden mit einem Prüfrechner grafisch dargestellt und von langjährig erfahrenen Prüfingenieuren interpretiert.

planen und priorisieren. Anlagenbetreiber und Prüforganisation dokumentieren die quantitativen Bewertungskriterien dafür idealerweise schriftlich vor der Prüfung.

Hintergrund zur Betriebssicherheit Druckbehälter, Rohrleitungen und andere drucktragende Anlagenbauteile sind gemäß gesetzlicher Vorgabe wiederkehrend zu prüfen.

Verfahrensschritte und Aufwand im Vergleich: innere Prüfung mit Innenbesichtigung versus Schallemissionsprüfung (SEP).

In der Regel muss das Druckgerät dafür von innen besichtigt werden. Dabei dürfen Arbeitgeber (früher: Betreiber) von Druckgeräten laut der BetrSichV auf alternative zerstörungsfreie Prüfmethoden wie SEP oder Phased-Array zurückgreifen.

Zugehörige Normen und Standards Voraussetzung ist allerdings: Eine Zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS) bestätigt, dass sich die Anlagensicherheit mit diesem Prüfkonzept gleichwertig beurteilen lässt. Das allgemeine Vorgehen bei der SEP regelt die DIN EN 13554. Die harmonisierte DIN EN 14584 legt das Prüfverfahren an metallischen Druckgeräten bei einer Druckabnahmeprüfung mittels planarer Ortung fest. Gemäß DIN EN ISO 9712 ist die Prüfung mit qualifiziertem und zertifiziertem Personal sicherzustellen. Die DIN EN 13477-2 beschreibt die Anforderungen an die Gerätetechnik, die wiederum selbst regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen ist. Von der exponentiellen Zunahme an Rechenleistung in den vergangenen Jahren hat auch die SEP profitiert.

sieren, hat sich vertausendfacht. Aufgrund des hohen Reifegrads und der Echtzeitfähigkeit eignet sich die SEP auch zur Überwachung von Anlagen im laufenden Betrieb.

Digitales Monitoring Permanent Monitoring Denn sie liefert die Daten, die grundlegend sind für eine vorausschauende Planung von Wartungsintervallen. Zudem besteht die Möglichkeit, diese Informationen via Datennetz (auch als Cloudlösung möglich) zu übertragen. Abgerundet und ergänzt können die zerstörungsfreien Prüfungen mittels einer separaten OnlineUltraschallmessung (Permanent Monitoring), zum Beispiel als Überwachung von Behälterwandstärken. Auch diese Informationen können mittels Datenfernübertragung realisiert werden. Dipl.-Ing. Klaus Michael Fischer, Innovation Manager und Technischer Leiter für Brand- und Explosionsschutz, TÜV Süd Chemie Service GmbH Dipl.-Ing. Levent Sahin, Leiter Schallemissionsprüfung, TÜV Süd Industrie Service www.tuvsud.com/de-is www.tuvsud.com/chemieservice


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