Nr. 39 21. Jahrgang Donnerstag, 26. September 2019
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«Bring Plastic back»: Das Kunststoff-Recycling im Baselbiet funktioniert sehr gut. Seite 5
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Die Waldtage des Försterverbands lockten letzte Woche tausende Interessierte in den Forst. Seite 11
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Über 100 Simmentaler Reinzuchttiere wurden zu Fuss auf den Schauplatz in Langenbruck geführt. Seite 16
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Gewerkschaften braucht es weiterhin
Liestal Der Gewerkschaftsbund Baselland (GBBL) feierte sein 100-Jahr-Jubiläum MARC SCHAFFNER
Wer könnte sich die Schweiz ohne Arbeitsrecht, AHV, Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung vorstellen? Was heute selbstverständlich ist, musste sich die Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung über Jahre hinweg hart erkämpfen. Im Baselbiet war es 1919 – einige Monate vor dem Landesstreik und kurz vor dem Basler Generalstreik, – als sich die Bewegung kantonal organisierte und sich die Branchenverbände zum Gewerkschaftskartell Baselland zusammenschlossen. Viele der damaligen Forderungen seien heute erfüllt, sagte Andreas Giger-Schmid, Präsident des Gewerkschaftsbunds Baselland (GBBL), an der 100-Jahr-Jubiläumsfeier in Liestal. Umso mehr müssten sich die Gewerkschaften heute mit aktuellen Problemen befassen, wie die Erhaltung der Altersvorsorge, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmende, Schutz von branchenüblichen Löhnen oder Gleichstellung. «Wir haben auch für die nächsten 100 Jahre genügend Aufgaben», ist Andreas Giger-Schmid überzeugt. Eine ansehnliche Schar, darunter Regierungsrätin Kathrin Schweizer, Landratspräsident Peter Riebli, ehemalige Funktionärinnen und Funktionäre, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gewerkschaftsbewegung, sind heute vor einer Woche im Landratssaal in Liestal zusammengekommen, um mit dem GBBL zu feiern. Die Stimmung war emotional: Es gab Umarmungen und Freudentränchen, und die musikalische Umrahmung der «Brass El Bandi» aus Buckten passte hervorragend zum Anlass. Die historische Rückschau der Rednerinnen und Redner war detailreich, aber nicht selbstbeweihräu-
Sie gratulierten dem GBBL zum 100-Jahr-Jubiläum: Edi Belser (Mitte), ehemaliger GBBL-Präsident, Pierre Yves Maillard, PräsiFOTO: M. SCHAFFNER dent des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, Samira Marti, Präsidentin des VPOD Region Basel. chernd. Im Gegenteil, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter schienen eher bemüht, aus der Defensive zu treten – in einer Zeit, in der ihr die Klimastreikjugend und «Extinction Rebellion» das angestammte Feld streitig machen, ja gar als «moderne Form» der Gewerkschaften gelten. «Wir selbst sind die modernen Gewerkschaften», meinte dazu Samira Marti, Nationalrätin und Präsidentin des VPOD Region Basel. «Nehmen wir sie an, diese Herausforderung, mit der ganzen Erfahrung aus 100 Jahren kollektivem Einsatz für die Menschen.» Klimaschutz müsse sozial sein, Verzichtsaufrufe und der Appell an die individuelle Verantwortung genügten nicht.
«Brass El Bandi», Buckten, in historisch inspirierten Kostümen.
FOTO: FRANTISEK MATOUS
Was Samira Marti aber auch betonte: Der politische Arbeitskampf sei auch immer einer um die Länge des Arbeitstages gewesen. Hier seien die Gewerkschaften wieder vom Weg abgewichen. Arbeitszeitreduktion, insbesondere für Frauen, müsse zwingend wieder vorangetrieben werden. Nah an Arbeitnehmenden Aus einer anderen Warte, obschon mit Überschneidungen, sprach Edi Belser, alt Regierungsrat, alt Ständerat und ehemaliger GBBL-Präsident. Mehrere Wünsche richtete er an die heutigen Akteurinnen und Akteure: «Bleibt nah bei den wirklichen Fragen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.» Ein 55-Jähriger, der ausgesteuert werde, denke anders über gewisse Maximalforderungen, wie sie heute gestellt würden. Verteilgerechtigkeit müsse im Zentrum stehen, aber auch Anerkennung und Zugang zu Kultur seien wichtig für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. «Vergesst nicht, wir haben den Weg geebnet», rief Edi Belser in Erinnerung. Und noch etwas: Der GBBL sei da, um Einfluss zu nehmen. Nicht nur über Facebook und Twitter, das sei gut und recht, aber vor allem mit direktdemokratischen Mitteln, und das wiederum gehe nur mit einem Netz aus persönlicher Kameradschaft und Kollegialität.
Karin Eberli, GBBL-Vorstandsmitglied, wies auf die tragende Rolle der Frauen in den Gewerkschaften hin, etwa in den Kartoffelkrawallen und Hungerdemonstrationen vor dem Landesstreik. Frauen hätten Streikposten besetzt und sich an die Spitze von Umzügen gestellt. Trotzdem erschienen sie in den Geschichtsbüchern nur als Randnotiz und auch die Gewerkschaften selber seien männerdominiert. Bis heute: So arbeite seit Jahren eine Frau als Geschäftsführerin im Hintergrund, aber eine GBBLPräsidentin habe es noch nie gegeben. Toya Krummenacher, Präsidentin des Basler Gewerkschaftsbunds, überbrachte die Grüsse aus dem Stadtkanton. Sie wies auf die Erfolge des Gewerkschaftskartells Baselland (das 1982 in Gewerkschaftsbund umbenannt wurde) hin. So auf den Kampf gegen die Lex Häberlin und Lex Schulthess, die Gewerkschaftsrechte und den Achtstundentag angreifen wollten. Das Baselbiet stimmte damals zu 70 Prozent dagegen, weit über dem schweizerischen Durchschnitt. Von der vehementen Reaktion des Staats auf Streikende erzählte Pierre Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds: «Demokratie war eigentlich nicht für die Arbeiter gedacht, und schon gar nicht für die Arbeiterinnen.» Schwarze Listen, Druck am Arbeitsplatz, die Gefahr, die Exis-
Kolumne
Wahlherbst Wie immer zu Wahlzeiten, hängen sie jetzt wieder an Strassenlaternen, Zäunen, Häusern und Bäumen: die Wahlplakate für den Nationalrat. Alle Kandidatinnen und Kandidaten lächeln mich permanent an. Es sind altbekannte Gesichter, die routiniert lächeln, und neue, bei denen das Lächeln noch etwas echter scheint. Es sind Bewerberinnen und Bewerber in Gruppen oder solo. Es gibt Plakate mit und ohne Schweizerkreuz. Eine Kandidatin lächelt von einem herzförmigen Plakat herunter. Das ist zwar herzig, aber nicht unbedingt herzerfrischend originell. Die einen berufen sich auf ihre Politerfahrung, die anderen auf ihre Innovationskraft. Bei mir lösen diese Plakatstafetten und -kaskaden höchstens ein Gefühl des Unverständnisses und des Überdrusses aus. Die Parolen sind eh meist austauschbar. Ich weiss, dass alle mehr versprechen, als sie im Nationalrat werden halten können. Die Fülle der Gesichter, die Beliebigkeit der Parolen und das optische Trommelfeuer helfen mir nicht bei der Findung von passenden Kandidat/-innen. Es ist in meinen Augen ein Nullsummenspiel. Man könnte die Millionen Franken für Besseres ausgeben. Und trotzdem wird dieses Rösslispiel der Plakatgestalter immer wieder in Gang gesetzt. Ich persönlich setze nicht auf Gesichter, sondern auf Argumente, die so konkret formuliert sind, dass ich die Versprechen später einfordern kann. Nun titelt eine Tageszeitung: «Anarchos torpedieren den Wahlkampf». Tatsächlich werden Wahlplakate vermehrt besudelt oder mit Gegenparolen verunziert. Die selbsterwählten Anarchisten und Nachtbuben schaden der demokratischen, fairen Auseinandersetzung. Aber sie nehmen die ganze Plakatlandschaft auch viel zu ernst, ja, sie nehmen gar in Kauf, dass ihr Tun den Verunglimpften hilft. Negativpropaganda hilft meist den Diffamierten, wie Erhebungen in Österreich zeigen. Bei uns müssen sich aber auch die Parteien selbst an der Nase nehmen, sei es die Partei mit den Würmern im Apfel oder die CVP mit ihrem befremdlichen Internet-BubenTHOMAS BRUNNSCHWEILER trickli.
tenz der eigenen Familie nicht mehr sichern zu können, das seien die Konsequenzen des Engagements gewesen. Heute sei vieles besser, aber auch im Hier und Jetzt brauche die Schweiz – und die Welt – eine starke Gewerkschaftsbewegung. Zum Schluss wurde der sehenswerte GBBL-Jubiläumsfilm von Philippe Jost gezeigt, der auch die jüngeren Arbeitskämpfe – Firestone, Adtranz, Allpack – beleuchtet. Vor dem Apéro gabs dann noch eine sympathische Überraschung: Elsbeth-Joseph Matter, GBBL-Geschäftsführerin und Moderatorin des Abends, wurde in einem persönlichen Filmporträt vorgestellt – nach 23 Jahren GBBL-Tätigkeit und Einsätzen an vorderster Front eine wohlverdiente Ehrung.