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In der Sommerserie «Nachts im Säuliamt» geht es diesmal um tierische Notfälle. > Seite
from 059_2022
by AZ-Anzeiger
Medizinische Hilfe für Camillo und Kira
Sommerserie «Nachts im Säuliamt» (4): Notfälle in der Tierklinik
Schwindel, ein blutiges Auge, Durchfall, Atemprobleme – der geliebte Vierbeiner braucht manchmal nachts unerwartet medizinische Hilfe. Der «Anzeiger» war mehrmals auf Stippvisite in der Tierklinik Dennler in Affoltern.
Von Marianne Voss
In der Tierklinik Dennler in Affoltern ist an sieben Tagen während 24 Stunden eine Ärztin oder ein Arzt erreichbar. Es gibt ruhige Nächte ohne Anruf. «Aber es gibt auch Nächte, in welchen sich die Kundinnen und Kunden die Klinke in die Hand geben», erklärt Veterinärin Renate Dennler. Manchmal seien Notoperationen nötig und manchmal sei die Besorgnis der Besitzer grösser als das medizinische Problem. «Doch auch das nehmen wir ernst. Wenn eine Tierhalterin beruhigt mit ihrer Katze heimgehen kann, ist Tier und Mensch geholfen.»
Sie berichtet von zwei nächtlichen Operationen in der Woche zuvor: Ein Hund hatte einen Fremdkörper verschluckt, welcher aus der Speiseröhre herausgezogen werden musste. In derselben Nacht wurde eine Katze gebracht. Sie hatte sich bei einem epileptischen Anfall ein Loch in die Zunge gebissen. Dem nicht genug. Die Zunge blieb auf dem Zahn aufgespiesst. Kontrolle nach einer Operation durch Tierärztin Renate Dennler (rechts) und der tiermedizinischen Praxisassistentin (TPA)
Alessia Hildebrand. (Bilder Marianne Voss)
Patienten erzählen nichts
Ich bin also gespannt, was auf mich zukommt, wenn ich während einer Woche Nacht für Nacht «auf Pikett» und zudem in einer der Abendsprechstunden dabei bin, – die sich bis spät in die Nacht ziehen können, wie sich zeigt. «Mein» erster nächtlicher Patient ist der sechsjährige Kater Camillo. Er hat starken Durchfall. Die Tierärztin Katrin Miller untersucht ihn und vermutet, dass er etwas Unbekömmliches gefressen hat. Sicher braucht er Medikamente und Flüssigkeit. Die besorgte Besitzerin ist froh, ihren Liebling zur Beobachtung über Nacht in der Klinik lassen zu können. Zu Hause würde die Situation mit dem Durchfall sehr anstrengend werden. Camillo erhält eine Infusion und eine grosszügige Box für sich allein. Hier gibts nur Einzelzimmer.
Das wars für diese Nacht. Doch ein paar Nächte später wird es hektischer. Die Katze Kira hatte plötzlich Gleichgewichtsprobleme, sie kann sich kaum mehr auf den Beinen halten. Was war geschehen? «Unsere Patientinnen und Patienten erzählen uns das leider nicht», meint Renate Dennler humor-

Kater Camillo erhält durch Tierärztin Katrin Miller (rechts) eine Infusion. TPA Jasmin Comte assistiert.
voll. Hier liege die grosse Herausforderung in der Veterinärmedizin. Bei Kira muss sich die Ärztin an eine Diagnose herantasten. Was kann ausgeschlossen werden? Ein Röntgenbild der Lungen zeigt keine Hinweise auf einen Tumor. Sie findet auch keine Anzeichen auf eine Verletzung durch einen Unfall. Um ins Gehirn zu schauen, wäre ein MRI nötig, eine teure Untersuchung, die nur in spezialisierten Kliniken durchgeführt wird. Die Ärztin schlägt der Besitzerin mögliche Therapien vor. Der Entscheid liegt bei der Kundin, die auch froh ist, dass ihre Kira ein paar Tage zur Pflege hier in der Klinik bleiben kann.
Modernste Untersuchungsmethoden
Inzwischen hat das Telefon mehrmals geklingelt. Weitere Notfälle sind angemeldet. Der nächste Patient ist der schneeweisse Kater Leo, eine norwegische Waldkatze. Leo hat ein verletztes Auge. Der Besitzer vermutet, dass er sich mit einer anderen Katze gestritten hat. Die Tierärztin untersucht das Auge mit modernsten Methoden und findet am Rand des Auges Kratzspuren, die aber nicht bedenklich sind. Dennoch: Augentropfen und ein Schmerzmittel gibts für zu Hause. «Ich komme lieber einmal zu viel hierher», erklärt der Kunde, der ein richtiger Katzenfan ist. «Es ist toll, dass hier auch nachts immer jemand erreichbar ist.»
Der nächste Patient sitzt schon im Wartezimmer, der Labrador Roxy zusammen mit seiner Besitzerin und ihrer Tochter. Roxy war nachmittags draussen unterwegs gewesen und hat darauf zu Hause gewürgt. Die Kundin ist alarmiert, ob der Vierbeiner möglicherweise einen Giftköder oder im Bach Blaualgen gefressen hat. Renate Dennler untersucht den freundlichen Patienten auf Herz und Nieren und kann Mutter und Tochter beruhigen. Mit einem herzlichen Danke, hilfreichen Informationen und dem Wissen, dass sie sich jederzeit wieder melden können, gehen Menschen und Hund zufrieden nach Hause.
Fertig für heute? Nein, es hat nochmals geklingelt. Eine Person gibt einen kleinen Hund ab, der einsam herumgeirrt sei. Der Griff zum Chipleser ergibt keine Klarheit. Der kleine Vierbeiner hat zwar einen Chip, doch dieser ist nicht registriert. Das ist ein bisschen mysteriös. Fürs Erste bleibt er hier, auch im Einzelzimmer mit feinem Futter und einer bequemen Schlafecke. Er quittiert die Bemühungen jedoch mit aufgebrachtem Bellen. Aber jetzt ist Nachtruhe – für ihn und auch für mich. Ich bin nämlich müde, obwohl ich nur zugeschaut habe.
Abendsprechstunde bis in die Nacht
Zweimal pro Woche bietet die Klinik eine Abendsprechstunde an. Einmal bin ich dabei. Dort lerne ich zuerst den Hund Lucky kennen, ein rumänischer Strassenhund, der aber schon lange hier in Affoltern lebt. Er ist in die Jahre gekommen und hat verschiedene medizinische Probleme. Auch Gamora ist ein Strassenhund. Sie kommt aus Bulgarien und hat entzündete Augen. Die Ärztin vermutet vom Heustaub oder von Pollen. Zum absoluten «Jöö-Effekt» kommt es, als eine Kundin mit Yago Balu, einem elf Wochen alten Welpen ins Sprechzimmer kommt. Das Baby erhält die zweite Impfung. Die Besitzerin hat viele Fragen zur Ernährung und zu möglichen Krankheiten. Die Ärztin nimmt sich Zeit. Es sei unglaublich, was der Kleine alles fresse am Wegrand. Sie müsse dauernd die Augen offen haben –auch zu Hause. Vor zwei Tagen habe er eine Wäscheklammer angefressen, zum Glück eine hölzerne. Sie zeigt der Tierärztin die Überreste. Auch die Metallfeder ist dabei. Das ist beruhigend. «So ein kleiner Hund ist nicht ganz ohne. Er braucht rund um die Uhr Aufmerksamkeit wie ein Kleinkind», meint sie.
Malea, ein Golden Retriever, ist die letzte Patientin. Sie ist zur Nachkontrolle nach einer Operation hier. Nach dieser Behandlung und Beratung ist es Nacht geworden. Beim Kaffee unterhalten wir uns über den extremen Fortschritt in der Tiermedizin. «Heute ist bei Tieren fast alles machbar wie bei Menschen», erklärt Renate Dennler. Es sei aber einerseits eine finanzielle und andererseits eine ethische Frage, wie weit man gehen wolle. «Das sind manchmal ganz schwierige Entscheidungen, die letztlich immer bei der Besitzerin oder dem Besitzer liegen.» Sie berichtet auch von Lebensgeschichten, die sie durch die Behandlung von Tieren erfährt, von Scheidungsgeschichten oder Todesfällen. «Tiergeschichten sind auch Menschengeschichten.»
Zum Schluss erzählt sie noch von einem nächtlichen Notfall, der ihr unvergesslich bleibt. Eine Schäferhündin konnte nicht gebären und brauchte sofort einen Kaiserschnitt. «Nach zwei Stunden lagen vor mir sechs gesunde Welpen, die an den Zitzen ihrer schon wieder fitten Mutter ‹nuggelten›. Das war einfach eine grosse Freude.»
NACHTS IM SÄULIAMT
Was läuft im Bezirk, wenn die meisten Leute schlafen? Dieser Frage gehen die «Anzeiger»-Journalisten in der diesjährigen Sommerserie nach. Sie begleiten Menschen, die nachts arbeiten oder Party machen oder erhalten Einblicke in die Natur, die anderen verborgen bleiben. (red.)
Gültig bis 8. August
Jetzt im Fressnapf Affoltern



