weitblick 1/2024: Demokratie stärken - Menschenrechte verteidigen

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Magazin für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit

DEMOKRATIE STÄRKEN – MENSCHENRECHTE VERTEIDIGEN

Rechte Hetze in Deutschland, Menschenrechtsverletzungen in Mexiko und Behinderung humanitärer Hilfe im Mittelmeer – der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte ist heute wichtiger denn je. AWO International setzt sich für gesellschaftliche Teilhabe und die Einhaltung der Menschenrechte ein.

01•2024

EDITORIAL

Liebe Freundinnen und Freunde,

Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz bilden die demokratischen Grundwerte der AWO, die unsere Arbeit prägen. Diese Werte sind heute wichtiger denn je – insbesondere angesichts eines gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks in ganz Europa und einer zunehmenden Abschottungspolitik und menschenfeindlichen Stimmung gegenüber Menschen, die auf Schutz und Solidarität angewiesen sind.

Als Reaktion auf den Rechtsruck in Politik und Gesellschaft ist AWO International dem Bündnis „Hand in Hand“ beigetreten. Gemeinsam mit über 2000 Organisationen machen wir uns stark für Demokratie und Menschenrechte und setzen ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Hass. Denn: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss immer wieder erkämpft und verteidigt werden.

Die bundesweiten Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt in den vergangenen Monaten haben uns Mut gemacht und waren ein erster wichtiger Schritt, um dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Für die anstehenden Wahlen braucht es weitere Mobilisierung. Deshalb beteiligen wir uns an der AWO-Kampagne „Demokratie.Macht.Zukunft“ und widmen diese Ausgabe unseres weitblicks dem Thema „Demokratie und Menschenrechte“.

Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserer Arbeit und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Herzliche Grüße,

Rudi Frick Vorstandsvorsitzender Ingrid Lebherz Geschäftsführerin

TITELBILD

An Bord des Rettungsschiffes Humanity 1 können sich die Geretteten oft nach Monaten und Jahren der Angst und Schutzlosigkeit erstmals wieder sicher fühlen.

3 DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE

4 ZIVILE SEENOTRETTUNG IM MITTELMEER Eine Antwort auf die menschenverachtende europäische Migrationspolitik

6 HUMANITÄRES VÖLKERRECHT

Die Grundlage unserer humanitären Arbeit

8 DEMOKRATIE STÄRKEN DURCH FÖRDERUNG ZIVILGESELLSCHAFTLICHER STRUKTUREN

9 MENSCHENRECHTE VERTEIDIGEN IN MITTELAMERIKA

Interview mit Gretchen Kuhner, der Direktorin unserer mexikanischen Partnerorganisation IMUMI

10 KURZ NOTIERT

DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE

Bereits im Dezember hat sich AWO International dem Bündnis „Hand in Hand“ angeschlossen, das Anfang Februar über 150 000 Menschen in Berlin und weitere Hunderttausende in der ganzen Republik auf die Straße brachte. Lautstark wurde gegen das Erstarken der extremen Rechten auch in den Parlamenten protestiert. Millionen von Menschen haben gezeigt, dass sie bei allen Unterschieden in ihren politischen Ansichten bereit sind, unsere Demokratie und die ihr zugrunde liegenden humanitären Grundrechte zu verteidigen.

Demokratische Grundrechte zu verteidigen und rechtsextreme Menschenverächter*innen daran zu hindern, die parlamentarische Demokratie zu zerstören, ist das Gebot der Stunde. Als Fachverband für humanitäre Hilfe und entwicklungspolitische Zusammenarbeit wissen wir, dass dieser grundlegende Konsens der Demokrat*innen aktiv verteidigt werden muss, aber sich nicht in Demonstrationen gegen Neonazis erschöpfen darf.

Wir sehen mit großer Sorge, wie in Deutschland, aber auch weltweit die Spaltung zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und die Klimakrise von Jahr zu Jahr deutlicher wird. Gleichzeitig wird ein ökologisch nicht mehr verantwortbares Konsumniveau verteidigt, was die Zerstörung der Artenvielfalt und damit die Überlebensmöglichkeiten in immer mehr Regionen dieser Erde vorantreibt. Daran gilt es, politisch mit aller Kraft zu arbeiten, statt eine zynische Abschottung gegen Geflüchtete umzusetzen und damit Rechtspopulist*innen in die Hände zu spielen. Wir brauchen eine Stärkung unseres zivilgesellschaftlichen Engagements. Als Mitglieder der AWO suchen wir nach Wegen, wie wir gemeinsam mit anderen die Dinge zum Besseren wenden können und wie wir gemeinschaftliche Wirksamkeit erfahren und solidarisch im Alltag leben können.

Die AWO arbeitet an einer sozial gerechten und ökologisch verantwortlichen Zukunft. Die AWO in Deutschland und AWO International setzen sich dafür ein, dass Menschen sowohl hier als auch weltweit ihre Rechte kennen und wahrnehmen können, sei es als Migrant*innen, Bäuer*innen, Tagelöhner*innen oder als Obdachlose, in Armut Lebende oder als Menschen mit Behinderung. Als AWO International kooperieren wir mit Initiativen im Globalen Süden, die vor Ort für eine menschlichere Gesetzgebung eintreten, mit der lokalen Bevölkerung soziale Strukturen aufbauen, über Menschenhandel aufklären und verfolgten Migrant*innen Schutzräume bieten, auch wenn dabei Tabus berührt werden und dieses Engagement von offizieller Seite nicht erwünscht ist.

Das Wort „Krise“ meint im Griechischen „entscheiden“. Wir sind überzeugt, dass wir gut daran tun, uns zu entscheiden: für Würde, Gerechtigkeit und Solidarität und dafür, unsere Stimme gegen Hass, Rassismus und Ausgrenzung zu erheben. In diesem weitblick finden Sie Beispiele, wie wir uns für die Stärkung demokratischer Strukturen und für Menschenrechte einsetzen.

Ingrid Lebherz, Geschäftsführerin AWO International

ZIVILE SEE NOTRETTUNG

IM MITTELMEER

Eine Antwort auf die menschenverachtende europäische Migrationspolitik

Während in Deutschland und in Europa die Debatten über verschärfte Einwanderungs- und Abschiebungsgesetze auf der aktuellen politischen Agenda stehen, steigt die Zahl der ertrunkenen Schutzsuchenden im Mittelmeer im Jahr 2023 auf den Höchstwert von über 2500 Menschen an.

Als letzte Möglichkeit, Krieg und Verfolgung zu entkommen und sich ein besseres Leben aufzubauen, sind Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die meisten flüchten in die Nachbarländer. Der kleinste Anteil macht sich auf den Weg in Richtung Europa. Dabei gilt die Fluchtroute über das Mittelmeer als eine der tödlichsten Routen der Welt. Zusammen mit der Partnerorganisation SOS Humanity setzt sich AWO International für die Rettung auf See ein. Das gemeinsame Ziel: Rettungskapazitäten schaffen für mehr Menschlichkeit auf See und an Land. Dank des Einsatzes konnten seit August 2022 2223 Menschen sicher an Land gebracht werden. Die Rettung von Menschen aus Seenot ist als menschliche Pflicht tief in der maritimen Tradition verankert und gleich in drei völkerrechtlichen Verträgen verbind-

lich geregelt. Die Seenotrettung auf dem Mittelmeer ist eine humanitäre Pflicht.

„Ich glaube, dass (…) die politischen Entscheidungsträger*innen nur zu gut wissen, dass das Mittelmeer ein Friedhof für Tausende (…) ist. Es ist sehr bedauerlich, dass diesem Phänomen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, während die Statistiken immer weiterwachsen.“

Patrick, Maschinist an Bord der Humanity 1

Immer noch gibt es keine staatlich koordinierte Seenotrettungsoperation und keine ausreichende finanzielle Unterstützung seitens der EU-Mitgliedstaaten. Die Einsatzkräfte ziviler Organisationen geraten regelmäßig in Auseinandersetzungen mit der sogenannten libyschen Küstenwache, welche seit 2017 finanziell von der EU unterstützt wird. Die Rettungskapazitäten auf der Fluchtroute werden durch die Zuweisung von weit entfernten Häfen durch die italienischen Behörden verringert. Zuletzt gefährdete die deutsche Bundesregierung durch eine geplante Änderung des Rückführungsverbesserungsgesetzes (§96 AufenthG) die humanitäre Arbeit

EUROPA • MITTELMEER
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und den Schutz humanitärer Helfer*innen vor strafrechtlicher Verfolgung. Diese Kriminalisierung widerspricht der im Koalitionsvertrag hervorgehobenen Pflicht zur Seenotrettung und der Verantwortung, diese nicht zu behindern.

Trotz verfassungswidriger Gesetze und der Tatenlosigkeit der EU sehen zivile Seenotrettungsorganisationen und Aktivist*innen bei diesen Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zu. Starker zivilgesellschaftlicher Zusammenhalt und die Verteidigung der Menschenrechte dienen als Leitbild. Auch AWO International hat dank einer initialen Finanzierung maßgeblich dazu beigetragen, dass das erste Schiff der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée, die MS Aquarius, im Februar 2016 in See stach. Umbenannt in SOS Humanity geht die deutsche Organisation seit Anfang 2022 losgelöst vom ehemaligen Verbund ihren eigenen Weg. Die Ziele: retten, schützen, bezeugen, verändern! Nach der Rettung bietet das Deck der Humanity 1 für viele der Geretteten erstmals einen Ort der Sicherheit. Sie sind erschöpft, dehydriert oder unterkühlt. Einige

„Meine Motivation, SOS Humanity zu unterstützen, bestand nicht nur darin, Frauen klinische Geburtshilfe zu bieten, sondern auch ein offenes Ohr sowie einen Ort des Vertrauens und der Ruhe für Frauen und Familien. Ich hoffe, dass ich etwas Würde, Freundlichkeit und Mitgefühl in einer sicheren, erholsamen Umgebung vermitteln kann.“

leiden unter chronischen Krankheiten, Verletzungen oder psychischen Belastungen. Während der oft einige Tage andauernden Überfahrt in einen sicheren Hafen erhalten die Überlebenden medizinische und psychologische Betreuung. Viele Frauen, die aus Libyen über das Mittelmeer fliehen, wurden auf vielfältige Weise ausgebeutet, manche sind schwanger oder in Begleitung von Kindern. Ein abgetrennter Schutzraum nur für Frauen und Kinder bietet Sicherheit – oft das erste Mal seit vielen Jahren. Kein Mann, auch nicht vom Rettungsteam, darf ihn betreten. Außerdem ist immer eine Hebamme mit an Bord.

Holly, Hebamme an Bord der Humanity 1

Am sicheren Hafen werden die Menschen in die Hände von Behörden und Organisationen übergeben, denen die Einhaltung der Menschenrechte wichtig ist. Doch zuvor hat SOS Humanity die Geschichten vieler dieser Menschen dokumentiert und informiert die Öffentlichkeit über die Missstände und Menschenrechtsverletzungen. Aufklären und verändern – für mehr Menschlichkeit auf See und an Land.

Auch im Jahr 2024 steht AWO International als starker Partner an der Seite von SOS Humanity. Für die Ausstattung mit Materialien wie Lichtern, Radios und Rettungswesten benötigen wir weiterhin Ihre Unterstützung. Außerdem finanzieren Sie mit Ihrer Spende wichtiges Personal. So zum Beispiel die Position des Such- und Rettungskoordinators, der Einsatzfälle auf offener See koordiniert und für die Sicherheit von Crew und Schutzsuchenden zuständig ist.

Spendenkonto: DE87 3702 0500 0003 2211 00

Spendenstichwort: Seenotrettung Mittelmeer

50 €

Sicherheit der Crew Ausstattung eines Crew-Mitglieds mit Rettungswesten und Taschenlampen für den Einsatz auf See

100 €

Versorgung der Geretteten Tagesverpflegung an Bord für 50 Personen

300 €

Koordination der Rettung Betrieb eines schnellen Rettungsbootes für Rettungseinsätze über 7 Stunden

Clara Faust
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HUMANITÄRES VÖLKERRECHT

Die Grundlage unserer humanitären Arbeit

Fast zwei Generationen lebten in Europa in Frieden, und eine pazifistisch geprägte

Generation glaubte daran, dass Europa sich weiterentwickelt hat und die Gräuel des Krieges hinter sich lassen kann. Heute ist wieder Krieg. Elend, Vertreibung und Tod prägen die Nachrichten. Mütter, Kinder und Unbeteiligte verhungern, weil die bereitstehende Hilfe sie nicht erreicht. Helfer*innen sterben. Das Humanitäre Völkerrecht versucht, die Methoden der Kriegsführung einzugrenzen, die Effekte bewaffneter Konflikte einzudämmen und menschliches Leid zu lindern.

Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dem menschenverachtenden Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit 1200 getöteten und verschleppten Menschen aus Israel und dem folgenden Krieg im Nahen Osten sterben in und an den Grenzen Europas Zehntau-

sende Menschen. Militärhilfen, Verteidigungsausgaben und Rüstungsproduktion wachsen auch in Deutschland an, und die NATO erörtert Angriffsszenarien auf Europa und potenzielle Truppenentsendungen in die Ukraine. Die Involvierung von immer mehr Staaten und die Angst vor einer Entgrenzung des Kriegsgeschehens wächst. Doch wer bestimmt die Regeln des Krieges und der Hilfe?

Die Grundlagen des Humanitären Völkerrechts fußen auf religiösen und philosophischen Vorstellungen verschiedener Kulturen und weit zurück liegender Epochen. Das moderne Humanitäre Völkerrecht basiert auf der ersten Genfer Rotkreuz-Konvention „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten“ von 1864. Als die Vereinten Nationen nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gegründet wurden, war das vorrangige Ziel, zukünftige Kriege zu verhindern. Viele internationale Abkommen folgten. In den 1990er-Jahren beschlossen die Vereinten Nationen die vier humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, der Unparteilichkeit, der Unabhängigkeit und der Neutralität

Diese vier Prinzipien bilden auch die Grundlage der humanitären Arbeit von AWO International. Bei der Planung und Durchführung von humanitären Projekten orientieren wir uns am sogenannten Sphere-Handbuch, das Qualitätsstandards für die Umsetzung humanitärer Hilfsmaßnahmen definiert. Darüber hinaus legt es einen Mindeststandard für die humanitäre Hilfe unter Einbeziehung der Betroffenen fest, den sogenannten Core Humanitarian Standard. Dieser baut auf dem Verhaltenskodex für die Internationale Rotkreuzund Rothalbmond-Bewegung sowie Nichtregierungsorgani-

DEMOKRATIE STÄRKEN • MENSCHENRECHTE VERTEIDIGEN
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sationen (NRO) für die Katastrophenhilfe aus dem Jahr 1994 auf, der im Februar 2019 auch von AWO International gezeichnet wurde (siehe Kasten).

Zu den allgemeinen Grundsätzen, Rechten und Pflichten gehören:

• das Recht auf ein Leben in Würde, das auch im Völkerrecht verankert ist und die Pflicht enthält, die Bereitstellung lebensrettender Hilfe nicht zu be- oder verhindern.

• das Recht auf den Erhalt humanitärer Hilfe und eine angemessene Versorgung mit Nahrung, Wasser, Kleidung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung, auf den Grundsätzen der Unparteilichkeit und Gleichbehandlung.

• das Recht auf Schutz und Sicherheit: Zum einen das Recht auf Asyl und Zuflucht für Menschen, die von Verfolgung und Gewalt bedroht sind, und das Prinzip der Nichtzurückweisung in unsichere Herkunftsländer. Zum anderen die Verpflichtung für kriegsführende Parteien zur Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung von Gewalt und Vorsichtsmaßnahmen bei Angriffen, das Prinzip der Unterscheidung von Zivilpersonen und Kämpfern sowie zwischen militärischen und zivilen Objekten (bspw. Schulen und Krankenhäusern), die Pflicht, keine Waffen einzusetzen, die keine Unterscheidung zulassen, und die Pflicht, unparteiische humanitäre Hilfe zu erlauben.

Seit vielen Jahren unterstützt AWO International Geflüchtete aus dem Bürgerkrieg in der Volksrepublik Kongo und aus dem Südsudan in Uganda, vor dem Bürgerkrieg geflohene Syrer*innen im Libanon, vor dem Völkermord geflohene Rohingya in Bangladesch und Geflüchtete in Seenot auf dem Mittelmeer. In Kriegsgebieten arbeiten wir in der Regel nicht; mit dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine änderte sich dies.

Hilfsorganisationen arbeiten auf Basis des Humanitätsgrundsatzes und des humanitären Imperativs und berufen sich darauf, wenn Zugang verwehrt wird und Helfer*innen in Gefahr sind. Leider hilft das nicht immer. Im Jahr 2022 wurden weltweit 439 Helfer*innen Opfer von gewaltvollen Angriffen. 115 wurden getötet. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bis Anfang April 2024 allein im Gaza-Krieg bereits 180 humanitäre Helfer*innen ums Leben gekommen.

Wenn im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – wie im Falle Russlands – eine Kriegspartei sitzt, die Resolutionen für den Frieden durch ihr Vetorecht verhindert, ist das absurd. Auch demokratische Länder setzen sich zeitweise über das Humanitäre Völkerrecht hinweg, wie im Falle der Seenotrettung im Mittelmeer. Es bedarf einer Weiterentwicklung und stärkeren Respektierung. Nichtsdestotrotz ist es der Strohhalm, an den sich entrechtete Menschen in aussichtslosen Situationen klammern können, und die Grundlage unserer humanitären Arbeit. Felix Neuhaus

Verhaltenskodex für die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sowie Nichtregierungsorganisationen (NRO) für die Katastrophenhilfe aus dem Jahr 1994:

1. Der humanitäre Imperativ hat oberste Priorität.

2. Die Hilfe wird ungeachtet der ethnischen, religiösen oder nationalen Zugehörigkeit der Empfänger und ohne jede nachteilige Unterscheidung geleistet. Die Hilfsprioritäten richten sich allein nach der Bedürftigkeit.

3. Die Hilfe wird nicht zur Unterstützung eines bestimmten politischen oder religiösen Standpunkts eingesetzt.

4. Wir sind bestrebt, uns nicht für die außenpolitischen Interessen einer Regierung instrumentalisieren zu lassen.

5. Wir respektieren Kultur und Sitten.

6. Wir sind bestrebt, die Katastrophenhilfe nach den lokalen Kapazitäten auszurichten.

7. Wir finden Wege, um die von den Programmen Begünstigten in das Management der Nothilfe einzubeziehen.

8. Die Nothilfe muss darauf abzielen, die künftige Gefährdung und Anfälligkeit der Menschen aufgrund von Katastrophen zu verringern und ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen.

9. Wir legen sowohl jenen, denen unsere Hilfe gilt, als auch jenen, die uns Mittel zur Verfügung stellen, Rechenschaft ab.

10. In unseren Maßnahmen im Bereich Information, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung betrachten wir die Opfer von Katastrophen als Menschen mit Würde, nicht als Objekte ohne Hoffnung.

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Quellen: Core Humanitarian Standard, The Sphere Project; © Aktion Deutschland Hilft 2018

Lobbyarbeit für sichere Migration und gegen Menschenhandel - unsere Partner aus Mittelamerika zu Besuch in Genf.

DEMOKRATIE STÄRKEN DURCH FÖRDERUNG

ZIVILGESELLSCHAFTLICHER STRUKTUREN

Ein grundlegendes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit von AWO International ist die Stärkung der nationalen Zivilgesellschaft als demokratischer Akteur und Garant für die Teilhabe breiter Bevölkerungsgruppen sowie für die Nachhaltigkeit der angestoßenen Veränderungsprozesse und Fortschritte.

Um die Durchsetzung von Rechten und die Berücksichtigung der Bedürfnisse von besonders benachteiligten Gruppen wie Frauen und Kindern, indigenen Gruppen, Migrant*innen, Gewaltopfern oder Menschen mit Behinderungen zu erreichen und langfristig zu sichern, setzen unsere Partnerorganisationen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen an.

Von lokaler Unterstützung bis zur internationalen Vernetzung Während unsere Partnerorganisationen auf der Ebene der unmittelbar Betroffenen die Probleme aufgreifen und durch Selbstorganisation, Aufklärung und Weiterbildung direkt bei der Lösung unterstützen, arbeiten andere Organisationen parallel auf Provinz- oder nationaler Ebene an der Verbesserung der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. So unterstützt unsere Partnerorganisation PPK im Norden Indonesiens Frauengruppen dabei, Alternativen zur Armut und zur Arbeit im Ausland (z. B. als Hausangestellte oder auf Plantagen

in Malaysia) zu entwickeln. In Zentralamerika, wo die Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft in den einzelnen Ländern stark eingeschränkt sind, erarbeitet der Bloque Latinoamericano sobre Migración (Lateinamerikanisches Bündnis zu Migration), ein Zusammenschluss verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure der Region, gemeinsam Lösungsvorschläge für migrationsbedingte Probleme und diskutiert diese auf internationaler Ebene bei Treffen des Netzwerkes für Migration der Vereinten Nationen. Dadurch wird indirekt Druck auf die Regierungen der zentralamerikanischen Länder ausgeübt, ihren Verpflichtungen nachzukommen, die Probleme im eigenen Land anzuerkennen und entsprechende Lösungsmaßnahmen umzusetzen.

Kampf für Menschenrechte durch politischen Dialog Im politischen Dialog und in der Lobbyarbeit auf nationaler und internationaler Ebene liefern die Erfahrungen der Betroffenen selbst entscheidende Argumente. Diese Erfahrungen werden indirekt über Mittlerorganisationen wie im Fall des Bloque Latinoamericano oder direkt von den Betroffenen selbst in Plattformen und Entscheidungsgremien eingebracht, zum Beispiel durch einen festen Sitz im Planungsausschuss des Distrikts oder durch die Veröffentlichung von Fallstudien. Dieses Vorgehen schafft Glaubwürdigkeit

und einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dem sich nationale Regierungen und Behörden nicht verschließen sollten.

Leider sind politische Lobbyarbeit und Einflussnahme durch zivilgesellschaftliche Organisationen nicht in allen Ländern mit erklärter demokratischer Regierungsform willkommen. Manche Staaten wollen die Potenziale und Vorteile der Zusammenarbeit mit einer starken Zivilgesellschaft nicht erkennen und nutzen, sondern versuchen, Akteure und Organisationen zu schwächen, indem sie deren Handlungsspielräume durch restriktive Gesetze und Willkür sukzessive einschränken. Ein besonders gravierendes Beispiel ist die Entwicklung in Nicaragua, wo wir unsere Zusammenarbeit nicht fortsetzen konnten, weil unserer Partnerorganisation wie vielen anderen Organisationen nach und nach die Handlungsgrundlage entzogen wurde, bis hin zum Entzug der Betriebserlaubnis.

Mit unserer Arbeit tragen wir dazu bei, zivilgesellschaftliche Organisationen und demokratische Prozesse auch in schwierigen Kontexten zu stärken und dem um sich greifenden Phänomen des Shrinking Space (Einschränkung der Handlungsspielräume für NGOs) entgegenzuwirken. Kerstin Grimm

DEMOKRATIE STÄRKEN • MENSCHENRECHTE VERTEIDIGEN
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MENSCHENRECHTE VERTEIDIGEN IN MITTELAMERIKA

Interview mit Gretchen Kuhner, der Direktorin unserer mexikanischen Partnerorganisation IMUMI

Mexiko ist täglich mit den komplexen Herausforderungen der Migration und der Gewährleistung humanitärer Hilfe konfrontiert. Menschen aus weiten Teilen Lateinamerikas machen sich auf den beschwerlichen Weg in Richtung USA, um Gewalt, den Fängen krimineller Netzwerke oder Perspektivlosigkeit zu entkommen.

Unser Partner Instituto para las Mujeres en la Migración (IMUMI) setzt sich für eine bessere Kommunikation und Kooperation zwischen staatlichen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen ein. Ziel ist es, eine sichere Migration zu fördern und die Einhaltung der Menschenrechte insbesondere von Frauen, Kindern und Jugendlichen zu stärken. Doch welche Maßnahmen sind notwendig, um die Situation in Mexiko nachhaltig zu verbessern? Die Direktorin von IMUMI, Gretchen Kuhner, hat den Ablauf der Asylverfahren und die oft prekären Bedingungen begleitet und mit uns über Herausforderungen und mögliche Ansätze für eine positive Veränderung gesprochen.

AWO International: Welche Auswirkungen hat die mexikanische Migrationspolitik auf Ihre Arbeit als NGO? Gretchen Kuhner: Politische Entscheidungen haben große Auswirkungen auf

unser Handeln und unsere Arbeit als NGO. Die Zahl der Schutzsuchenden hat stark zugenommen. Oft werden keine Migrationsdokumente mehr ausgestellt, sondern Menschen werden inhaftiert, erpresst oder zurück an die südliche Grenze geschickt. Darüber hinaus fehlen Kapazitäten, Asylsuchende während der langen Wartezeiten mit Unterkunft, Verpflegung und medizinischer Hilfe zu versorgen. In den letzten zwei Jahrzehnten konnten jedoch durch zivilgesellschaftliche Organisationen Erfolge erzielt werden. Im Jahr 2021 wurde beispielsweise die Einwanderungshaft für Kinder, Jugendliche und Familien abgeschafft.

AWO International: Was genau macht IMUMI, um die Situation zu verbessern?

Gretchen Kuhner: Unser Ziel ist es, durch Informationsangebote direkt mit den Betroffenen zu arbeiten und sie über ihre Rechte aufzuklären. Regelmäßige Besuche der Einwanderungshaftzentren ermöglichen es, weitere Fälle aufzudecken und die rechtliche Situation zu überprüfen, einschließlich der Haftbedingungen, möglicher Erpressung oder Kriminalität. Darüber hinaus unterstützen wir Kinder und Jugendliche durch Gesprächsangebote und Aufklärungsmaterialien und setzen uns gegen diskriminierende Migrationskontrollen zum Beispiel in Bussen ein.

AWO International: Was würden Sie sich von der internationalen Gemeinschaft wünschen?

Gretchen Kuhner: Es ist wichtig, dass sich die internationale Gemeinschaft mehr mit der Frage der regulären und sicheren Migrationsrouten beschäftigt. Derzeit befinden sich auf dem amerikanischen Kontinent mehr als 20 Millionen Menschen in Mobilität, welche internationalen Schutz benötigen. Es fehlt an Mechanismen und der notwendigen Infrastruktur, besonders in Bezug auf Unterkünfte, Nahrung, Arbeit und Migrationsdokumente. Vor allem in Mexiko lässt die Regierung die Menschen in einer prekären Situation zurück, in welcher sie sich gezwungen sehen, hohe Geldbeträge für Schmuggler auszugeben, um die Behörden zu umgehen. Häufig führt dies zu Gewalt und Entführungen, die durch einen verbesserten Zugang zu Einwanderungsdokumenten und verstärkte offizielle Präsenz an internationalen Einreisepunkten reduziert werden könnten. Sobald die Menschen nach Mexiko kommen, braucht es eine offizielle Registrierung und die Unterstützung durch Informationsangebote und humanitäre Hilfe.

Das Interview führte Celia Krauthausen für AWO International.

Migrant*innen an der guatemaltekisch-mexikanischen Grenze sind oft der Willkür von Menschenhändler*innen ausgeliefert – gemeinsam mit unseren Partnern leisten wir rechtliche Unterstützung.

MITTELAMERIKA • MEXIKO

Save the date: 100 Boote in Berlin

Es gibt kaum eine Gruppe, die so viel Einfluss auf die Weltgeschichte hat, wie die Gleichgültigen. Und das Bemerkenswerte daran ist, niemand spricht von ihnen. Ihre Passivität hat die radikalsten Umbrüche ermöglicht.

Rafik Schami, syrisch-deutscher Schriftsteller

Demokratie hat man nicht, man lebt sie.

Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Publizistin

AWO International unterstützt die Kampagne „100 Boote – 100 Millionen Menschen“ des AWO Landesverbandes Sachsen-Anhalt. Das gesellschaftspolitische Kunstprojekt macht auf die über 100 Millionen Geflüchteten weltweit aufmerksam und fördert Solidarität mit persönlichen Geschichten und Realitäten. Bis zu hundert Schulen, Kitas, AWO-Gliederungen und NGOs haben sich deutschlandweit unter dem Titel „Kreativhäfen“ beteiligt und in den vergangenen Monaten 100 XXL-OrigamiBoote gestaltet – stets mit einer sozialpolitischen Bo(o)tschaft. Diese können Sie zum Weltflüchtlingstag, am 20.06.2024, in Berlin im Rahmen einer öffentlichen Ausstellung bewundern. Auch AWO International beteiligt sich mit einem Boot in den Farben der Humanity 1 und macht auf die Arbeit der langjährigen Partnerorganisation SOS Humanity aufmerksam.

Wann: 20. Juni 2024, Weltflüchtlingstag Wo: Lustgarten, Unter den Linden 1, 10178 Berlin Was: Redebeiträge, Musik, Informationsstände, Austausch mit Teilnehmenden und vielfältige Bo(o)tschaften

Außergewöhnliches Engagement für Betroffene des Erdbebens in der Türkei und in Syrien

Am 6. Februar 2023 erschütterten mehrere schwere Erdbeben die Türkei und Syrien. Noch immer sind die Betroffenen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Seit der Katastrophe konnte AWO International mehr als 100 000 Menschen mit lebenswichtigen Hilfsgütern unterstützen.

Das wurde durch das großartige Engagement und die Solidarität unserer Mitglieder und Spender*innen ermöglicht. Ganz besonders bedanken möchten wir uns beim AWO Kreisverband Konstanz und bei Frau Zahide Sarikas, Konstanzer Stadträtin, und ihrem Team. Dank des bewundernswerten Engagements konnten im Rahmen eines Benefizkonzerts und einer Spendenkampagne im Raum Konstanz über 50 000 Euro für die Menschen in der Türkei und in Syrien gesammelt werden.

Weitere Infos zu den aktuellen Projekten von AWO International in der Türkei und in Syrien finden Sie auf unserer Website unter: www.awointernational.de

KURZ NOTIERT
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Gemeinsam viel bewegen – werben Sie Mitglieder!

Dank des Engagements unserer Mitglieder setzen wir uns bereits seit über 25 Jahren für eine gerechtere Welt ein. Über 330 Verbände der Arbeiterwohlfahrt sind bereits Mitglied von AWO International und stehen gemeinsam für internationale Solidarität ein.

„Auf der Mitgliederversammlung vergangenes Jahr in Berlin war ich begeistert von dem internationalen Engagement von AWO International. Der humanitäre Einsatz, der von AWO­Mitarbeiter*innen in Ländern geleistet wird, die von Naturkatastrophen und Kriegen betroffen sind, ist bewundernswert. Ich habe darüber im Ortsverein berichtet, und es war sofort klar: Die Ahrensburger AWO wird Mitglied“, erzählt Christian Kröning, Vorstandsmitglied der AWO Ahrensburg. Der Ortsverein ist jüngstes Mitglied von AWO International.

Um die internationale Stimme der AWO weiter zu stärken, möchten wir noch mehr Mitglieder gewinnen. Empfehlen Sie uns gerne weiter und werben Sie Mitglieder für AWO International! Denn je mehr Verbände uns unterstützen, desto schlagkräftiger werden wir. Gemeinsam können wir als Arbeiterwohlfahrt die weltweite Solidarität stärken und Menschenrechte und Demokratie verteidigen. Als kleines Dankeschön für jedes geworbene Mitglied erhalten Sie ein Kaffeepäckchen und das gute Gefühl, die AWO noch ein bisschen stärker gemacht zu haben.

Global Digital –Entdecken Sie unser interaktives E-Learning-Angebot

Auf awointernational.de/onlinekurse ist unser vielfältiges digitales Angebot in den Bereichen Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung zu finden. Der Begriff „E-Learning“ bezeichnet die Unterstützung von Lehrund Lernprozessen durch unterschiedliche digitale Hilfsmittel. Dort finden Sie interaktive Übungen, Videos und weiterführendes Material. Die Kurse ermöglichen zeit- und ortsunabhängiges Lernen und stehen allen Interessierten kostenfrei zur Verfügung.

Ganz neu dabei:

E­Learning­Kurs „Klimagerechtigkeit“: Während der Klimawandel weiterhin eine existenzielle Bedrohung darstellt, müssen wir auch die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten berücksichtigen, die viele Menschen weltweit betreffen. In dem Kurs geht es um die Klimakrise und um Gerechtigkeitsfragen und warum wir nicht alle im selben Boot sitzen. Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene; Dauer: 30–45 Minuten.

E­Learning­Kurs „Onilo erklärt die Reise einer Jeans“:

Dieser Kurs zeigt Kindern die faszinierende Welt der Mode, wirft dabei einen genauen Blick auf die Entstehung einer Jeans und erklärt, was nachhaltiger Konsum bedeutet. Zielgruppe: Kinder (6–11 Jahre); Dauer: 15 Minuten

Impressum

Herausgeber:

AWO International e. V. Blücherstr. 62/63 10961 Berlin

Tel.: 030/25 292 771

Fax: 030/25 292 571

mail@awointernational.de www.awointernational.de

Erscheinungsweise: zweimal jährlich, Mitglieder und Spender*innen erhalten den weitblick kostenlos. Auflage: 5500 Exemplare. Verantwortlich für den Inhalt: Ingrid Lebherz Redaktion: Miriam Druba

Bildnachweis: immer AWO International außer: S. 1: Nicole Thyssen, S. 4 Nicole Thyssen, S. 5 Bild 1: Raphael Schumacher; S. 5 Bild 2: Camilla Kranzusch, S. 12: Laurin Schmid.

Layout: Marischka Lutz Grafikdesign

Lektorat: Patrick Schär/ Torat GmbH, www.torat.ch Druck: DCM Druck Center Meckenheim GmbH Gedruckt auf Recyclingpapier

CO₂ kompensiert klima-druck de ID-Nr 24171807 11
Druckprodukt

VIELEN DANK

„Seenotrettung Mittelmeer“

50 €

Sicherheit der Crew

Ausstattung eines Crew-Mitglieds mit Rettungswesten und Taschenlampen für den Einsatz auf See

100 €

Versorgung der Geretteten Tagesverpflegung an Bord für 50 Personen

Spendenkonto

IBAN: DE87 3702 0500 0003 2211 00

BIC: BFSWDE33XXX Bank für Sozialwirtschaft

300 €

Koordination der Rettung

Betrieb eines schnellen

Rettungsbootes für Rettungseinsätze über 7 Stunden online spenden

Spendenstichwort: Seenotrettung Mittelmeer

AWO International ist Mitglied im Bündnis Aktion Deutschland Hilft. Mehr unter: www.awointernational.de

FÜR IHRE SPENDE!

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