Unser Sozialstaat der Zukunft

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KOALI TIONS VER TRAG Soziales in Deutschland. Die kommenden vier Hefte der AWO Ansicht diskutieren die zukunftstaugliche Ausgestaltung des Sozialstaates. Im vorliegenden Heft stellen wir dazu den Koalitionsvertrag der Bundesregierung auf den Prüfstand. 1 • 22 AWO ANSICHT 1


r d e a n n h ht, icklung in das Materi üssen den Gesetze en Freunde! Ein p n vier Jahrbücher vo ich, dass die AW ei e etwas da muss ic hen so ge sche Entw den Gedanken an n ist. Und mal jungen Mensc e Organ Zeit. Sie m de und meine lieb ir zuerst die letzte z besonders deutl er r hig, hekti n t, re ru h in ch z ih e te n an n rs er d ga m an zu ir es ss es ie dahinte z und an aus Kinder r verehrte Anwesen lfahrt. Ich habe m wurde mir so gan könnte m ert , sagen w re Kraft, d en sehen, besteht chen h hDienst- men; es ass das Her er Beobachtung etwastreten o eu Se d sv h . , n rw o ss ge te für Freiheit, Wir bieten soziale ti u n a t eine Wir ei u m b is m n e ch len hli eko ein rgan der Ar r uns sitz 55 in Mü ist durch ig Angst b ann der Arzt feststel n, und bei oberfläc h will auch den O Schriften sie hier vo ichskonferenz 19 sie müssen eren n wen m, das Gleichheit, , er ei eu Ic en äg n e d ge Tr lg s s. in ab n e u fo h as d a Re Gerechtigkeit, leistungen mit hoher Qualität ga ig d g n h d u er ge Ic ich nd er auch twicklun eren leben gsansprache auf d blättert in älteren n offen gestehen: hiessen u ten Jahren vor sich sem Falle schalte sozialen En orte, die ab u e hoch sc für ge ssun letz an. terielle in die dass si zen einer eunde! Ein paar W n vier Jahrbüche n wenig Solidarität und Toleranz ein. Wirkung in denalle h Ihnen n en so geht,und et ei z. Begrü ic g es n a so G ss u M n u kl en m ge ic as d h n Ta Und da die letzte müssen d e lieben Fr ders d tische Entw den Gedanken an gen Mensc den letzte achsen ist. mandes r Zeit. Sie wesende und mein Ich habe mir zuerst mir so ganz beson z u chmal jun ir es ganz ruhig, hekStaat ht, Kommunen Diese und 5 gewGrundwerte dern ihretragen terste e es er . in in An H s rt rd K e u ah as w s as ah rt d ren seit 4 d w u d n lf h a t, s h ie es ge re t o d er as ; h ve , beste Arbeiterw n muss, d e etwas, sa e ungeheure Kraft, tzen ekommen en. Sehrdie aran erinn Es ist ein hlic sehen demokratischen Verantwortung urde dfreiheitlichen in Münch für si die n hriften der ein wenig Angst b n der Arzt feststelle , und bei oberfläc h 5 s ei Sc ist. 5 n h 9 u g 1 en u rc r z u rz er vo n d Ve r n eu t e re Ic n an is ie ge fe ab d h s. n n h in s as u e o a d ga h d as si , sk n d Ic h ge h u efahr im m : ic er d teren Wachstu gestehen Sozialismus bestimmen Daseinsvorsorge. dige Träg iessen un ten Jahren vor sich sem Falle schalte uf der Reic soziale in äl er soziale ie nun offen t, dass sie hoch sch n gesundes ation, deren leben ssungsansprache a n wenig geblättert tz n d le ei en in n n en le Ih d ze el h et ri in geh egrü uss ic so ei ung Mate rganis Handeln. den Ges Freunde Eine Ounser Juchacz. B den letzten Tagen Und da m ngen Menschen so hektische Entwickl Gedanken an das Sie müssen und meine lieben hsen ist. Ent Marie ju ir zuer ruhig, e ihrer Zeit. ht, den d m z n te n e en Aus einer sagen. Ich habe in hren seit 45 gewac dass es manchmal er rs ga d ab es te h in w es in K h An ir s Ic Ja , sagen w heure Kraft, die dah sehen, besteht au es wu ohlfahrt. r verehrte innert, ; h as er rw w en Se h zu Ihnen die AW in diesen n te . et m ra ei e a m b en n d o Ar am h wurde t. Es ist ei ist durch eine unge ier vor uns sitzen Angst bek der Arzt fest 5 in Münch eren Schriften der ic is 5 ig d 9 g n 1 u en u z rz wie langs ; w n n n Ve re h um, das efahr im äger sie d in neu h habe ei rzen Jahre g ichskonfe dass dann stehen: Ic älteren un at in so ku p wird, und dass G n gesundes Wachst deren lebendige Tr sprache auf der Re vor sich ge ssen und ei blättert in Ihnen nun offen ge dass sie hoch schie en letzten Jahren ap n, an t d o ge is kn gs ti in n a ig as u is le d em en ss el an At g, w d ri rü r h t, te un Org icklung in gen so ein chacz. Beg da muss ic en so geh ten. Eine an das Ma müssen e Entwickl erfreulich ardinenpredigt hal s einer Ent Marie Ju e in den letzten Ta gewachsen ist. Und mal jungen Mensch hig, hektische Entw ht, den Gedanken r Zeit. Sie ab re ru G Au te 5 h ch z e ih e 4 rs s. n h an n in it te Ic er ga m er d . se in ke d s es ren dah en, ht an sagen Anwesend wir es s Kin Kraft, die innert, das diesen Jah zu Ihnen esteht au as, sagen es geht nic o r verehrte zgebung, haben, möchte ich langsam die AW in ich wurde daran er ist. Es ist eine etw rch eine ungeheure uns sitzen sehen, b in München. Seh ften der Arbeiterw du nd ug en wie Schri z 1955 enig ier vor n en w h re er n e fe ei si eu n h zu dien , wie schnell oder so kurzen Jahren; u dass Gefahr im Verz Wachstum, das ist n e o er Ich hab n dige Träg d ren und in des der Reichsk hiessen gestehen: estzustelle m hinter sich hat in p wird, un ein gesun isation, deren leben ngsansprache auf ig geblättert in älte nun offen ht, dass sie hoch sc klung i u u Atem knap twicklung, das ist st en an en h ss n er w rg ac Ih rü d O n W s h eg e ei ic B n as ic es ge d d Ei so ss z. tw En . so u d, n ac n e En n m ge te en ch si e ch a h al li h Ta d Ju h sc en sc n d e eu t fr eb ig ari ekti G tzte Men t. Un urückgebli ss kommen: Eine er ine Gardinenpred s. Aus einer Ent M z ruhig, h ahintersteht, den e in den le it 45 gewachsen is manchmal jungen d lu , ke der wir es gan n. Ich hab ht aus te u dem Sch hier vor uns sitzen g, es geht nicht an ich zu Ihnen sage in diesen Jahren se n erinnert, dass es eine etwas, sagen ngeheure Kraft, die es b , en h ie te un AW dara Es ist eine u s sitzen se z 1955 in Münc en, möch rtretern, d mit der Gesetzgeb gsam die ich wurde ist durch Verzug ist. ier vor un n dienen hab er wie lan ren; und n onferen Gefahr im des Wachstum, das dige Träger sie h sk h s ic as d Re chritt halte che selber noch zu len, wie schnell od t in so kurzen Jah d ren und in er n el ha Sa p wird, u ein gesun isation, deren leben gsansprache auf d ig geblättert in älte Ihnen nun gleich der m an ihnen festzust hstum hinter sich ass der Atem knap twicklung, das ist n h u ne Organ ac d u a muss ic so ein wen En z. Begrüss t halten. Ei nommen, ein ganz rapides W ckgeblieben sind, : Eine erfreuliche ten Tagen wachsen ist. Und d al jungen Mensche rie Juchac inenpredig Aus einer Ent Ma h habe in den letz rü W m en ge A rd zu m ch a 5 ie G m 4 as an d e w it ko s m in ir es ga et se e das luss , ke sagen. Ic in diesen Jahren ht anders. , sagen w ert, dass es nere Organ te man zu dem Sch hier vor uns sitzen ran erinn t. Es ist eine etwas h eine ungeheu es geht nic öchte ich zu Ihnen W a A d andere in g, n e n ie ie n u d d rd , kö u eb n g w am htun en, m langs rzug is Gesetzg ertreter nd ich ist durc rv her Beobac en Organisationsv ritt halten mit der Jahren; u dienen hab ie schnell oder wie efahr im Ve es Wachstum, das dige Träger sie hie d so kurzen h d nd dass G w e er noch zu h will auch lgen, sie müssen Sc ch der Sache selb nen festzustellen, m hinter sich hat in em knapp wird, u g, das ist ein gesun isation, deren leben gsansprache auf d fo ih un an glei w un stu er At ss rg h n kl d zu an O rü ic s ei ac e m ch eg as W tw n u u so B d a , Ei En es n twicklung . z. d, en ten Tage t halten e Juchac freuliche ganz rapid rückgeblieben sin e, die aber cher vorgenomm inenpredig Aus einer Ent Mari Ich habe in den letz it 45 gewachsen en: Eine er ine Gard paar Wort zu die AW ein rbü komm sind unabhängiger und lussein n. ers. n se , ke n vier Jah ders deutlich, dass nere Organe etwas Wir h d re ge te en Sc h an tz sa tz t Ja le si h em n en s ert, das d ic ie n n d n in zu hier vor u zgebung, es geht n , möchte ich zu Ih am die AW in diese wurde daran erinn t. Es ganz beso nnte man eigenständiger nd andere is h etern, die gs en g n ic esetMitglieu ab la d urde mir so ss, dass das Herz u er Beobachtung kö isationsvertr G rz h n ie u er Ve ; w d en n n it re ie r im der u ch an tt halten m e selber noch zu d len, wie schnell o at in so kurzen Jah d, und dass Gefah Wachst ri h es ststellen m und bei oberflächli will auch den Org d Sc n en su derverband. Auf Grundlage müss h , er Sach t ein ge r sich h stzustel ,d app wir gegangen e schalte ich aus. Ic icklung folgen, sie zugleich d , um an ihnen fe es Wachstum hinte dass der Atem kn Entwicklung, das is Eine Organisation a Fall aber auch rgunserer n. Entw e nd, men Wertegastreiten pid ch te ie ch si m ra en al Ju d li o z h al e en wir n eu e, t zi ri en fr rt a ig eb so o n diesem d li er M n W vo er Ein paar zurückgeb ss kommen: Eine keine Gardinenpre ers. Aus einer Ent die AW ei etzen ein hrbücher s e! as es ab Ja as d h G w d n er , h et vi eu en h Ic e d ic Fr d . lu n , tl n an Mitgliedern, te dem Sch ns sitzen t nicht an nere Orgmit nen sagen diesen eine lieben st die letz onders deu gemeinsam hier vor u te man zu andere in ng, es geh , möchte ich zu Ih nde und m . Ich habe mir zuer rde mir so ganz bes die AW in und Herz und Beobachtung könn onsvertretern, die it der Gesetzgebu en am as rt u ab d gs h w n s ah la lf as es en h d ti ; n ie m o a Mitarbei, Engagierten und ie w er n en is ss d hren; erw u te ch m er an li d al m zu m h o rg h o n l O ch äc tt ek le el o rz fl n hri hn den ku en Ja gst b ober ststel will auch lgen, sie müssen Sc ch der Sache selber stzustellen, wie sc ter sich hat in so ird, und w n wenig An ass dann der Arzt fe gegangen, und bei ich aus. Ich tenden p ap solidarische und d Atem kn ihnen fe stum hin klung fofür eine ch zuglei halte er r sich h u ic d an sc a vo ac s ung, da e tw m W n kl ll er as u ssen und En ic d re , Fa es ab h tw d, en n pid e, die sozialen diesem tzten Ja rgenomm n ganz ra zurückgeblieben si : Eine erfreuliche En predigt hal vo ei paar Wort Gesellschaft. er W A ch g in den le an das Materielle in den Gesetzen einer eunde! Eingerechte ü ie mmen Fr Gardinen anders. vier Jahrb n h, dass d ere Organe etwas en Schluss ko en, keine t n n Gedanke ihrer Zeit. Sie müss e und meine lieben ir zuerst die letzten z besonders deutlic geht nich andere in könnte man zu dem die hier vor uns sitz d n n m es d en e er n ga g, d u es n ab z so in w u h K er ir h An s eb H , möchte g , m Ic e zg n n au . e as rt en et er d tu rt h rd h ab s et es u re ah h G tr ac as w lf ve b d h er r er en , o . Seh ommen; es zt feststellen muss oberflächlicher Beo den Organisationsv hritt halten mit d lber noch zu dien Arbeiterw ell oder n ek er h b d München sc t en gs ie ft w Sc An Ar Schri er Sache se nen festzustellen, n, und bei aus. Ich will auch e müssen sich ha d ein wenig nd dass dann der si ge r , e n ch te n neueren en ab ei ga in h lg gl h ge h h fo r sich en: Ic alte ic klung ssen u er auch zu ommen, um an ih rapides Wachstum sind, dass d ab ie d fen gesteh dass sie hoch schie en letzten Jahren vo in diesem Falle sch er sozialen Entwic e, z rt en d le ein paar Wo geblieben ht, cher vorg W ein gan mmen: Ei hen so ge sche Entwicklung in ken an das Materiel ssen den Gesetzen eben Freunde! Ein letzten vier Jahrbü eutlich, dass die A rgane etwas zurück Schluss ko uns sitz ü li ti d O e em er d n zu in e r ruhig, hek tersteht, den Gedan ern ihrer Zeit. Sie m esende und meine habe mir zuerst die so ganz besonders an und ander die hier vo in könnte m w ind rehrte An eiterwohlfahrt. Ich men; es wurde mir uss, dass das Herz cher Beobachtung isationsvertretern, n mit der Gesetzg aft, die dah en, besteht aus K ve r h Se . b Ar hli nm om rgan chen en seh hritt halte er noch ns sitzWir hriften der n wenig Angst bek n der Arzt feststelle n, und bei oberfläc h will auch den O unterstützen 55 in Mün Menschen, müssen Sc Sache selb Ic ei ferenz 19 ge an neueren Sc folgen, sie auch zugleich der en fest n g Reichskon in älteren und in gestehen: Ich habe iessen und dass d ren vor sich gegan lle schalte ich aus. n ih u kl an ic t Entw aber en, um einerselbstbestimmtes Leben sch Jah en e m Fa nig geblätt ich Ihnen nun off geht, dass sie hoch ung in den letzten Materielle in diese etzen einer sozialen Ein paar Worte, die ücher vorgenomm AW ein ganz rapid r so Ges die de! ickl das Jahrb füriceine zu n muss s en en tw as er eu an as h d d vi En Fr w n sc , n e en h et ke en h en Und dazu te ss führen, und fördern ein Wir streiten e jungen M ig, hektisc st die letz it. Sie mü ere Organ ders deutl den Gedan meine lieb manchmal n wir es ganz ruh die dahintersteht, us Kindern ihrer Ze e Anwesende und . Ich habe mir zuer mir so ganz beson erz und andere inn könnte man zu dem e demokratisches Gesellschaft aft, as H , sage besteht a hr verehrt bachtung rwohlfahrt ommen; es wurd n mudemokratische nsvertret heure KrZusammene etwas ss, dass d licher Beo en sehen, 55 in München. Se hriften der Arbeite ek le rganisatio eine unge b tz el t si h st s gs rc st n u u An fe d r oberflächund t 9 ig zt Sc 1 uch den O , sie müssen Sch vo ei Ar a z en r b as is leben l n en w ie er in Solidarität und in Vielfalt begegnen d il h re er d n n w u e fe n ei eu h , n si n e n Ic an hab äger d in ichsko nd dass d n vor sich gegange lle schalte ich aus. Entwicklung folgen er auch zugleic älteren un offen gestehen: Ich bendige Tr sprache auf der Re hiessen u re blättert in vor der Menschen mit Respekt. sozialen m e, die ab gsan ig geNatur. sie hoch sc in den letzten Jah terielle in diesem Fa etallen en nun s en n as w Ih rüssunAchtung d n h t, zen einer nde! Ein paar Wort rbücher vorgenom ei ic h das Ma Tagen so den Ges s hen so ge eu twicklung d da muss Jah an as sc Fr n en En d n er U ss , en e vi en ü ke h t. h M n is ic m eb sc n an n letzten tl te li e n ti mal junge gewachse ruhig, hek intersteht, den Ged indern ihrer Zeit. Si esende und meine e mir zuerst die letz onders deu andere i es b z n ga d en seit 45 nert, dass es manch sagen wir es ganz K w dah hrte An . Ich hab e mir so teht aus , as Herz un eobacht in Kraft, die ; es wurd . Sehr vere rwohlfahrt B ss, dass d sehen, bes e daran er ist. Es ist eine etwas h eine ungeheure ns sitzen nz 1955 in München hriften der Arbeite ig Angst bekommen Arzt feststellen mu ei oberflächlicher uch de u rc g r u u d vo rz t r Ve is ie Sc h b a re e das r im en e ein wen nd dass dann der gen, unduns icals s. Ich will ab n achstum, lebendige Träger si auf der Reichskonfe ren und in neuer u h a ga W h h ge Ic es : d klun Wir verpflichten u ch n te gesu ert in älte nun offen gestehen sie hoch schiessen tzten Jahren vor si diesem Falle schal ner sozialen Entwic r W sprache n, deren tt o an ti lä a b gs is n ge u an ss ig le s aa ei in en rü en p as n en n d w le eg n d Ih ze B el t, n Ei ine Org in h h ri et ei z. e! ic g te es ge d ac n a alsensozialFreun arie Juch n Tagen so ist. Und da muss gen Menschen so en den G le Entwicklu edanken an das M Mitgliederverband, ner Ent M habe in den letzte . Sie müss de und meine lieb hektische zuerst die sen jun h nz ruhig, ahintersteht, den G s Kindern ihrer Zeitwirtschaftliches en habe mir 5 gewach ass es manchmal Ic ir 4 . es h ga m n Ic w Unternehmen it e es . ge se An rt rd ir sa n e u w ah n d re n hrt au t, d es w ohlf Kraft, die Sehr vere was, sage diesen Jah , besteht n erinner Arbeiterw Angst bekommen; stellen m die AW in nd ich wurde dara ug ist. Es ist eine et rch eine ungeheure r uns sitzen sehen 1955 in München. en Schriund ften der als Interessenverband, wenig er Arzt fest ngen, n d u z u rz er ei vo ; n d n n Ve r eu t e re n an is ie re fe ab d im h h n h in s as r e o d ga h d as si ah n Ja , sk n d Ic ge h u ef m : er d ic G u n n ch en äg s st u Re re si h Tr as eh r te ssen Wac dige nd d uf der entsprechend Jahren vo offen gest s siunseren ttert in äl m Fall ch schieWerten pp wird, u as ist ein gesundes ation, deren leben ssungsansprache a enig geblä uss ich Ihnen nun as e ho ung in den letzten Materielle in diese d w t, d n is h rü ei g, an ge n eg so u rg B so m en Ge O kl n as z. d ic a e d ge en d n ac h tw twickl en Ta Ei d ch an sc ss n . En n Ju ü n U n e en handeln. wir Sie m t halte t Marie en letzte sen ist. GedankeIndem jungen M nz ruhig, hektisch zu Zeit. unsere en r al nd m d u re m t, e ih h ch d inenpredig ders. Aus einer En gen. Ich habe in d ren seit 45 gewach n te an en er rs ind wir es ga dahinte h sa dass es m rte Anwes t an h ht aus Ktransparent re lfah te h ve es o r b h , rw geht nich öchte ich zu Ihnen die AW in diesen Ja e daran erinnert, t eine etwas, sagen ngeheure Kraft, die en sehGrundsätze te en . Se is urd München Schriften der Arbei enig Angs eu sitz ,m z 1955 in r vor uns en haben ell oder wie langsam Jahren; und ich w r im Verzug ist. Es , das ist durch ein w n en ie n re h er ei e fe darstellen, machen wir sie zum eu e n si n o hn um efah äger d in h hab rzen a der Reichsk en, wie sc r sich hat in so ku p wird, und dass G n gesundes Wachst deren lebendige Tr älteren un offen gestehen: Ic ch schiessen und d rache auf ig geblättert in Maßstab te ei sie ho ation, Arbeit. en nun unserer letzten ungsansp s is n en ss as Ih en an hstum hin dass der Atem knap twicklung, das ist w d d rü h rg n t, ic O eg in h ei B e g ss so ge n so acz. a mu n. Ein icklun En d, an digt halte einer Ent Marie Juch in den letzten Tage wachsen ist. Und d al jungen Menschen ig, hektische Entw freuliche lieben sin Gedanken s en: Eine er m ardinenpre ge abe ruh rsteht, den Kindern ih te in ah luss komm uns sitzen, keine G ht nicht anders. Au Ihnen sagen. Ich h sen Jahren seit 45 ert, dass es manch sagen wir es ganz d s ie u r inn die zu as, es ge r besteht a re Kraft, d die hier vo zgebung, haben, möchte ich langsam die AW in ich wurde daran er ist. Es ist eine etw rch eine ungeheu uns sitzen sehen, 5 in München. Seh der Geset u d g r ie 5 d n u it 9 en w u t vo rz 1 m n ; r is z er n ie Ve n ie d n d as re h te o re d eren Sch im h l al e zu , r fe el h Ja si eu n m n n ah ch o u h er en o ef st sk in sc n rz äg G h h d Tr s ie ic er ku n ac selb dige d das in so len, w des W der Re älteren u offen gestehen der Sache festzustel r sich hat p wird, un das ist ein gesun isation, deren leben ngsansprache auf blättert in n an ihnen es Wachstum hinte ass der Atem knap twWir g, rüssu klunarbeiten Organ n wenig ge muss ich Ihnen nu ic ht, dass eg e ei professionell, B n men, um d Ei so z. id En . p n d, ac n e n ra ge te ch si ch a z hen so ge , hek al li Ta d Ju n h sc en n d e eu t ga n ri fr te en eb ig n a U li tz M d er M ei b t. le e re n t is p n ge ge ig En n en Ei ck n h en d : se er rü ju in ru die AWWir finden h n in en z zu rd al ei ac e m n a s w m m uns mit Ungleichinklusiv, interkulturell, e etwas luss ko , keine G ders. Au n. Ich hab ie es manch seit 45 ge n wir es ga nere Organ man zu dem Sch r uns sitzen ng, es geht nicht an ich zu Ihnen sage in diesen Jahren ran erinnert, dass t eine etwas, sage ungeheure Kraft, d vo r ie h te n ie te kön underUngerechtigkeit die AW , möch und wurde da uns sitzen amnachhaltig. tretern, d mit der Gesetzgebu nen habeninnovativ g ist. Es is das ist durch eine htung heit r u h gs ic rz n vo sv r d la n Ve n o ie ie u ti h im ; a w e , ie r n is n noch zu d n, wie schnell oder in so kurzen Jahre d, und dass Gefah Wachstum lebendige Träger si auf der Reichskonf den Organ üssen Schritt halte gesundes nicht Das sichern wir durch che selber le at m ab. Der demokratische wir lätter as ist ein Organisation, deren rüssungsansprache d olgen, sie uch zugleich der Sa an ihnen festzustel stum hinter sich h s der Atem knapp g, n u wenig geb kl das , um aber a e Entwic gen so ein n ist. Und da ten. Eine Marie Juchacz. Beg ch sind,Fachlichkeit men ides Wach bliebendie li al Ta p m h ist verpflichtet, unserer n eu e, dieSozialstaat o ra t fr te z ig en n er d tz rg e le se re ga ein : Ein den wach inenp er Ent rückge cher vo er Jahrbü eutlich, dass die AW e Organe etwas zu em Schluss kommen sitzen, keine Gard ht anders. Aus ein sagen. Ich habe in n Jahren seit 45 ge t, dass es manchm Ausgleich zwischen Mitglieder, Engagierten und ner Arm und sd r uns ht nic diese etw Ihnen erinner vo ge an zu d n in zu r m ra es W ie h a A h te ic d besonder erz und andere in g, n e n ie ie te n u d d rd Es ist eine Gesetzgeb ienen haben, möch oder wie langsam nd ich wu ahr im Verzug ist. um, das ist achtung kö isationsvertretern, das H herzustellen. u b er ; d eo n B it re Mitarbeitenden. , dassReich h m er Ja n ch st noch zu d ellen, wie schnell d dass Gef d so kurzen berflächli will auch den Organ üssen Schritt halte des Wach st ch hat in che selber und bei o p wird, un das ist ein gesun ation, deren leben aus. Ich lgen, sie m ch zugleich der Sa m an ihnen festzu Wachstum hinter si ass der Atem knap h is g, ic fo n un an u g te rg n kl al O u ic h e kl e sc Entw twic n, u r au . Ein z. Begrüss d, d des

UNSERE LEITSÄTZE


AWO A N SI C H T

Liebe Leserin, lieber Leser, die potenziellen Auswirkungen der Pandemie auf bereits bestehende soziale Ungleichheiten und gesellschaftliche Unwuchten sind immer wieder Thema in der AWO Ansicht. Im Vorfeld unseres neuen Jahrgangs mussten wir in der Redaktion über ganz andere Konsequenzen für unser Magazin nachdenken: über Papier. Kurz gesagt: Im Zuge der Pandemie ist der Papiermarkt gehörig durcheinandergerüttelt worden. Unter anderem mit der Konsequenz, dass das bisherige Papier der AWO Ansicht kaum mehr lieferbar sein wird; und wenn, dann zu nicht mehr nachvollziehbaren Konditionen. Im Sinne unseres ökologischen und finanziellen Verständnisses von Nachhaltigkeit haben wir uns daher entschlossen, künftig auf einem hundertprozentigen Recyclingpapier (Blauer Engel) zu drucken. Das erfreuliche Ergebnis halten Sie in Ihren Händen. Und noch eine Besonderheit im Jahr 2022: Wir werden die vier Ausgaben unter der Überschrift »Unser Sozialstaat der Zukunft« versammeln. Im vorliegenden Heft stellen wir anhand einiger Themenfelder noch einmal den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung auf den Prüfstand. Generell gibt es an vielen Stellen im Vertrag zukunftstaugliche Ansätze und Planungen für ein soziales Miteinander. Diese gilt es nun, entschlossen umzusetzen. Uns ist bewusst, dass die staatlichen Förderprogramme im Zuge der Pandemie der letzten zwei Jahre finanzielle Kraftakte waren. Grundsätzlich darf dies jedoch nicht dazu führen, notwendige Zukunftsaufgaben zu unterlassen oder nur halbherzig anzugehen; die notwendige Ausgestaltung des Sozialstaates darf an den Finanzen nicht scheitern. Hier bleibt der Koalitionsvertrag leider nebulös. Ein handlungsfähiger Sozialstaat mit hochwertigen sozialen Dienstleistungen ist und bleibt für das soziale Miteinander von großer Bedeutung. Ich wünsche Ihnen eine ertragreiche Lektüre.

Brigitte Döcker Mitglied des Vorstands

I M P R E SS U M Herausgeber AWO Bundesverband e. V. Blücherstraße 62 / 63 • 10961 Berlin Tel 030 / 26309-0 • Fax 030 / 26309-32599 info@awo.org • www.awo.org Redaktion AWO Ansicht Tel 030 / 26309 -4553 • Fax 030 / 26309 -324553 awo-ansicht@awo.org Redaktion Brigitte Döcker • Berit Gründler • Peter Kuleßa v.i.s.d.P. • apl. Prof. Dr. jur. habil. Jens M. Schubert

Konzept und Gestaltung Stephanie Roderer, www.stephanie-roderer.de Fotografie S. 3 AWO Bundesverband • S. 4 istockfoto.com; unsplash • S. 5 shutterstock.com • S. 7 AWO International • S. 12-13 Klaus Lange für den AWO Bundesverband • S. 19 privat S. 21 Frank Alternwerth, AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. • S. 22 David Außerhofer • Icons shutterstock.com

Anzeigen TAG Agentur & Verlag Tel 06431/2121241 • Fax 06431/2121244 Agentur@Tag-Verlag.de • www.Tag-Verlag.de Druck deVega Medien GmbH, Augsburg. Papier Gedruckt auf Circle Offset premium white, FSC®-, EU Ecolabel- und Blauer Engelzertifiziert.


AWO A K T U E L L

ARMU T

» Jeder fünfte junge Mensch unter 18 Jahren ist heute in Deutschland von Armut betroffen.« Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2021

PAND EMI E

Impfen ist gelebte Solidarität Mit der Kampagne »Impfen ist gelebte Solidarität« wird die AWO von Februar bis März 2022 dafür werben, sich impfen zu lassen und sich allen radikalen Impfgegner*innen entgegenzustellen. Impfungen gegen Covid-19 sind ein zentrales Mittel für einen Ausweg aus der Pandemie. Sie minimieren nachweislich die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs und mindern zudem das Risiko, sich und andere anzustecken. Zugleich sind teilweise radikale Auseinandersetzungen um die Covid-19-Impfung zu beobachten; vermehrt werden Ärzt*innen, Impfteams, Polizei, Medien und Geimpfte tätlich angegriffen oder sind Ziel koordinierter Hetzkampagnen im Internet und den sogenannten sozialen Medien. Die Kampagne ruft dazu auf, Impfbarrieren weiter abzubauen, Menschen niedrigschwellig zu unterstützen, Impfangebote wahrzunehmen, und weitere Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn klar ist weiterhin: Es sind insbesondere vor allem jene Menschen, die aus medizinischen Gründen keinen eigenen Impfschutz aufbauen können, die auf die Immunabwehr ihrer Mitmenschen angewiesen sind.

www.awo.org/kampagnen/impfen-ist-gelebte-solidaritaet denis.schroeder@awo.org

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Hoher Handlungsbedarf gegen Armut! Mitte Februar hat ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis unter Beteiligung der AWO einen offenen Brief an die Bundesregierung veröffentlicht. Darin wird vor dem Hintergrund der aktuellen Preisentwicklungen und pandemiebedingter Mehrkosten ein schnelles Gegensteuern in der Armutspolitik gefordert. Auch die AWO sieht die sich verschärfende soziale Lage mit großer Sorge und fordert, die Situation von armutsbetroffenen Menschen, auch vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation, stärker in den Blick zu nehmen. Dazu erklärt Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt: »Preisentwicklung und Pandemie setzen viele Menschen finanziell stark unter Druck. Für Menschen in der Grundsicherung und in prekären Lebenslagen werden die zusätzlichen Kosten schnell zu einer existenziellen Frage. Das gegenwärtige Niveau der Grundsicherung ist aber ohnehin schon auf Kante genäht und reicht nicht aus, um die gegenwärtigen Mehrbelastungen abzusichern. Wir brauchen jetzt schnelle Sofortmaßnahmen in Form eines pauschalen Zuschlages auf die Grundsicherung, um steigende Lebenshaltungs- und Stromkosten abzufedern. Außerdem muss der angekündigte Sofortzuschlag für Kinder zügig und in substanzieller Höhe umgesetzt werden! Über diese Sofortmaßnahmen hinaus bedarf es einer Gesamtstrategie, wie wir vor dem Hintergrund der sozialen Folgen der Pandemie und großer, gemeinsamer Transformationsaufgaben wieder mehr sozialen Zusammenhalt organisieren. Das ist eine zutiefst soziale Frage und ein Handlungsauftrag an die Sozialpolitik. Wir müssen dazu Armuts­ risiken besser absichern, ökonomische und soziale Ungleichheiten abbauen und gesellschaftliche Teil­ habe für alle Menschen sicherstellen. Daran werden wir die Vorhaben im Koalitionsvertrag und ihre gesetzgeberische Umsetzung messen.«

presse@awo.org


D E MO KR AT I E

Auftaktveranstaltung »AWO für Demokratie« Die AWO hat sich im Vorjahr zur Förderung von Demokratie und zur Antidiskriminierungsarbeit verpflichtet. Mitte Februar startete mit einer Kick-off-Veranstaltung die Umsetzung der Strategie. »Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hassreden und -taten sind im Aufwind. Wir müssen unser Engagement für Demokratie daher nachhaltig stärken«, so Brigitte Döcker, Mitglied des AWO-Bundesvorstandes. »Wir sensibilisieren unsere Mitarbeitenden und fördern ihre Kompetenzen im Umgang mit Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Damit stärken wir alle, den AWO-Wertekanon aktiv zu leben. Anknüpfend an das bisherige gesellschaftliche Engagement der AWO gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit werden wir mit der Strategie für Demokratiestärkung noch kraftvoller darauf hinwirken, dass das Engagement und die Arbeit gegen alle Formen von Diskriminierung Querschnittsaufgaben im Verband werden. Das bundesweite Engagement und die Aktivitäten der AWO mit ihren Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen kann eine enorme Reichweite für die Gesellschaft entfalten. Diese wollen wir nutzen für die Stärkung der Demokratie.« Die Bundeskonferenz der AWO hatte 2021 beschlossen, Kompetenzen und Strukturen in allen Handlungsfeldern des Verbandes auszubauen, um Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der AWO und in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. So soll auch politisch-gesellschaftliche Bildung noch stärker als bisher selbstverständlicher Teil der Sozialen Arbeit werden. Zudem soll der Wissenstransfer zu demokratiefördernder Praxis bundesweit im Verband gefördert werden. Ende 2024 werden die Arbeitsergebnisse und der Stand der Umsetzung der Strategie im Rahmen einer Fachtagung für die Öffentlichkeit präsentiert.

VER BAND

Neujahrsempfang 2022 Mitte Januar feierte der AWO Bundesverband seinen digitalen Neujahrsempfang. Präsidiumsvorsitzender Michael Groß begrüßte die Gäste und richtete seinen Dank an alle Ehren- und Hauptamtlichen sowie Netzwerk- und Kooperationspartner der AWO für die Bewältigung sozialer Probleme in Anbetracht aktueller Herausforderungen. Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil betonte in seinem Grußwort die besondere Rolle der Arbeiterwohlfahrt und ihren unverzichtbaren Beitrag für die Gesellschaft. In einer Rückschau bekräftigte der Bundesvorsitzende Prof. Dr. Jens M. Schubert den Dank für das solidarische Handeln der gesamten AWO, das bei der Hochwasserkatastrophe erneut unter Beweis gestellt wurde. An die Bundestagswahl knüpfte er einen Aufbruch für Veränderungen zentraler Anliegen wie Kindergrundsicherung und Bedingungen in der Pflege. Einen eindrucksvollen Blick in die Praxis bot ein Film mit Ulrike Hahn, der Bereichsleiterin Senioren und Rehabilitation des AWO Bezirksverbands Unterfranken e.V. Sie berichtete von aktuellen Problemen in den Pflege- und Altenheimen.

susanne.beyer@awo.org

» Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hassreden und -taten sind im Aufwind. Wir müssen unser Engagement für Demokratie daher nachhaltig stärken.«

Ein Höhepunkt war die Benennung der Gewinnenden des Lotte-Lemke-Engagementpreises. Mit Zuversicht kündigte die Präsidiumsvorsitzende Kathrin Sonnenholzner die Preisverleihung im Rahmen der 11. Sozialkonferenz im Juni an und verabschiedete das Publikum des Livestreams mit bis zu 700 Menschen gleichzeitig.

info@awo.org

Brigitte Döcker, Mitglied des AWO-Bundesvorstandes.

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AWO A K T U E L L

KAM PAG N E

AWO gegen Rassismus Vom 14. bis 27. März 2022 sind die Internationalen Wochen gegen Rassismus. Das Motto dieses Jahr: »Haltung zeigen!«. Die AWO beteiligt sich mit der Kampagne »AWO gegen Rassismus – AWO für Vielfalt« wieder an den Aktionstagen. Auch in diesem Jahr wird pandemiebedingt ein Großteil der Aktionen wieder digital stattfinden. Für den Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März ist ein digitaler Aktionstag zum Thema »Haltung zeigen gegen Hate Speech« geplant. Es soll ein erkennbares Zeichen gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit im Netz gesetzt werden. Die AWO-Gliederungen werden sich wie jedes Jahr wieder mit eigenen kreativen Aktionen an der Kampagne beteiligen und in den sozialen Medien unter dem Hashtag #AWOgegenRassismus »Gesicht zeigen« – für eine tolerante und solidarische Gesellschaft.

www.awo.org/kampagnen/awo-gegen-rassismus denis.schroeder@awo.org

HI STO RI SCH E S P O RT R ÄT

Prof. Dr. Erna Magnus 1896 – 1984 Von 1928 bis 1933 war Erna Magnus Dozentin an der Wohlfahrtsschule der AWO. Sie verfasste Artikel in der Fachzeitschrift »Arbeiterwohlfahrt«. Bis 1936 war sie Teil der Gruppe, die die Arbeit der AWO mithilfe einer »Tarnorganisation« z. T. weiterführte. 1933 bis 1938 ging sie der Forschung zur jüdischen Gemeinde in Hamburg nach. Noch nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten lehnte sie das Bewahrungsgesetz im Namen der AWO ab. Sie emigrierte 1939 in die USA. Ab 1948 war sie Dozentin an der Howard University Washington (School of Social Work) und später in Lehrtätigkeit und Professur an der Universität in Baltimore tätig. Nach dem Krieg unterstützte sie den Wiederaufbau der Wohlfahrtsschulen in Deutschland und publizierte u.a. »Zur Ausbildung deutscher Sozialarbeiter« 1953. Leider liegt uns kein Porträtfoto vor. Weitere Informationen im Historischen Archiv der AWO www.awo-historie.org

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HALTUNG ZEIGEN!

KEIN PLATZ FÜR

RASSISMUS. AUSL AND

Bündnis fordert schnelle Hilfe von Bundesregierung Ein Bündnis aus AWO-Verbänden hat sich mit einem Appell an die Bundesregierung gewandt und fordert humanitäre Aufnahmeprogramme für Menschen aus Afghanistan. Der AWO Bundesverband fordert daher in einem gemeinsamen Appell mit Mitgliedsverbänden deutschlandweit sofortige Maßnahmen der Bundesregierung. Konkret fordert das Bündnis: • ein humanitäres Aufnahmeprogramm des Bundes für besonders gefährdete Personen­ gruppen aus Afghanistan • Landesaufnahmeprogramme für gefährdete Familienangehörige (auch außerhalb der Kern­familie) von in Deutschland lebenden Afghan*innen bzw. das hierzu erforderliche Einvernehmen des Bundes • zur Entlastung der Nachbarstaaten Afghanistans zusätzliche Aufnahmeplätze für Afghan*innen im Rahmen des deutschen Resettlement-Programms • einen schnellen, unbürokratischen Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Schutz­ berechtigten und die dazu notwendige Ein­ richtung von Familiennachzugsverfahren an allen deutschen Auslandsvertretungen in der Region

thomas.heser@awo.org


AWO I NTER NATI ONAL

Der Weg in ein besseres Leben HELFEN SIE!

Spenden Sie für Menschen, die Opfer von Menschenhändler*innen geworden sind, und ermöglichen Sie so Aufklärungsprojekte. Spendenkonto: AWO International e.V. IBAN: DE83 1002 0500 0003 2211 00 Bank für Sozialwirtschaft Spendenstichwort: »Migrationsfonds«

Täglich verabschieden sich philippinische Frauen von ihren Familien, um im Ausland zu arbeiten. Die Arbeitsmigration birgt die Hoffnung auf ein besseres Leben, bringt aber auch Risiken und Probleme mit sich. Die Sicherheit der Migrantinnen, besonders im Einsatzland, ist oft unzureichend. Gemeinsam mit der philippinischen Partnerorganisation MMCEAI trägt AWO International dazu bei, Migration sicherer zu gestalten. Thelma Pasayloon ist eine ehemalige Arbeitsmigrantin, die von 2004 bis 2019 abwechselnd in den Philippinen und den Vereinigten Arabischen Emiraten arbeitete, um ihre Familie zu unterstützen. Seit 2012 ist sie Mitglied bei BAMA, einem Migrant*innenverein in Davao City, der von AWO International unterstützt wird, stellvertretende Vorsitzende von BAMA und ehrenamtlich am täglichen Betrieb der Migrationsberatungsstelle in ihrem Stadtbezirk beteiligt. Die Bedarfe der Hilfesuchenden sind vielfältig und reichen von materieller Hilfe bis zu rechtlichem Beistand und psychologischer Unterstützung.

Weitere Informationen www.awointernational.de mail@awointernational.de

Geimpft ich bin solidarisch! #ImpfenIstSolidarisch

awo.org

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AWO Z A H L EN

Wie Jung und Alt wählten Zu Beginn des Jahres wurde die repräsentative Wahlstatistik zur Bundestagswahl 2021 veröffentlicht. Sie ist vor allem deshalb interessant, weil das Wahlverhalten von 1,9 Millionen Wahlberechtigten aus rund 2600 Stimmbezirken ausgewertet wurde. Die Stimmzettel wurden je nach Geschlecht und Altersgruppe mit einem bestimmten Code versehen, der wiederum die Zuordnung zur entsprechenden Bevölkerungsgruppe ermöglichte. Dies erlaubt es unter anderem, die Ergebnisse nach Altersgruppen und Geschlecht aufzuschlüsseln. Kurzum: Die Repräsentativität der Ergebnisse ist sehr viel größer als jene Umfragen kurz nach der Wahl. Mit Blick auf die Ampelkoalition ist Folgendes bemerkenswert: Unter jungen Wähler*innen schnitten die Grünen und die FDP besonders gut ab. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen kamen beide Parteien auf mehr als 20 Prozent der Zweitstimmen. Dabei präferierten junge Frauen die Grünen, junge Männer die FDP. Die SPD konnte vor allem bei den 60- bis 69-jährigen und den über 70-jährigen Wähler*innen sehr viel besser abschneiden als ihre Koalitionspartner. Dieser kurze Einblick zeigt, vor welchen Herausforderungen die Koalition steht, wenn sie ihre Wählerklientel »bedienen« und zugleich den im Koalitionsvertrag postulierten Dreiklang »für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit« angemessen umsetzen will.

Briefwahlrekord Anteil der Briefwahlstimmen bei Bundestagswahlen

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Wer wählte wen? Zweitstimmenergebnisse bei der Bundestagswahl 2021 nach Altersgruppen in Prozent

Wer wählte wen? Zweitstimmenergebnisse bei der Bundestagswahl 2021 nach Geschlecht in Prozent SPD FDP Grüne 26,9

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FDP und Grüne bei Jungen unterschiedlich beliebt Zweitstimmenergebnisse bei der Bundestagswahl 2021 unter den 18- bis 24-Jährigen in Prozent FDP Grüne 28,3

26,2 19,7 14,8

10,2

Quelle: © Der Bundeswahlleiter, Wiesbaden 2022

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AR MUT AWO T H E MA

D I E B EW E RT U N G D E R AWO Die AWO begrüßt grundsätzlich, dass das System der Grundsicherung grundlegend reformiert werden soll. Wir mahnen jedoch an, dass es hier zu einer echten Reform kommen muss und nicht nur ein neuer Name reicht. Insbesondere bedarf es dazu einer grundsätzlichen Neuberechnung des Existenz­

minimums und einer dementsprechenden Erhöhung der Regelbedarfe. Zu einer mög­ lichen Anhebung der Regelsätze fehlen jeg­ liche Anmerkungen im Koalitionsvertrag. Hier muss die jahrelange massive Kritik an der Regel­bedarfsermittlung aufgegriffen werden.


D I E B EWE RT U N G D E R AWO Die AWO begrüßt, dass eine weitere Reduzierung der Eigenanteile geplant ist. Aus unserer Sicht ist eine Deckelung der Eigenanteile in der Höhe wie in der Dauer notwendig, um Pflege und deren Kosten für die Betroffenen planbar zu machen. Ziel wäre hier die Umsetzung des sogenannten »Sockel-SpitzeTauschs«, bei dem die Eigenanteile gedeckelt und der Pflegekassenanteil an den Kosten variabel gestaltet wird.

Weichen jetzt stellen Die AWO fordert eine entschlossene Umsetzung der sozial- und gesellschaftspolitischen Vorhaben der Bundesregierung. Diese müssen strukturelle Ungleichheiten und Armutslagen wirksam abbauen. Im folgenden Themenschwerpunkt werden schlaglichtartig einige Themenfelder des Koalitionsvertrages präsentiert und bewertet.

PFLE GE


KOAL I T I O NS V E R T R AG – WA S N UN ?

Entschlossenes Handeln. Jetzt. Hinweise zur Umsetzung wichtiger sozialund gesellschaftspolitischer Vorhaben der Bundesregierung. AUTOR*INNEN VALENTIN PERSAU UND PAULA WENNING

»Mehr Fortschritt wagen« möchte die amtierende Bundesregierung mit ihrem »Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit«. Hohe Ziele und ein ambitionierter Anspruch! Beides muss mit politischem Leben gefüllt werden und also auch in konkrete gesetzgeberische Maßnahmen münden. Der AWO Bundesverband hat eine umfassende Bewertung des Koalitionsvertrages veröffentlicht. Darin begrüßt der Verband die sozial- und gesellschaftspolitische Stoßrichtung des Vertrages und fordert zugleich eine entschlossene Umsetzung für alle Menschen in Deutschland. Die im Koalitionsvertrag benannten sozialen Vorhaben müssen sich auch daran messen lassen, ob sie den sozialen Zusammenhalt stärken und Armut abbauen. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gibt es gute Vorschläge, die die soziale Lage der Menschen konkret und spürbar verbessern können, etwa ein Bürgergeld anstelle von »Hartz IV« und die Kindergrundsicherung. Ein schärferer Blick auf die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft mit entsprechenden vermögens- und erbschaftssteuer­ politischen Maßnahmen fehlt jedoch, obwohl dies mutig und wünschenswert gewesen wäre. Mit der Stellungnahme bewertet die AWO die sozialen Maßnahmen des Koalitionsvertrages im Einzelnen. Dabei werden vielfach schon jetzt Hinweise zur Konkretisierung der Vorhaben gegeben und über den Vertrag hinausgehende Handlungs­ bedarfe benannt. Im folgenden Themenschwerpunkt werden ein paar Themen aus dem Koalitionsvertrag und den entsprechenden Kommentaren der AWO vorgestellt. Unter dem Motto »Deutschland, Du kannst das!« hatte sich die AWO mit ihren Positionen in die politische Diskussion rund um die Bundestagswahl eingebracht und für einen gesamtgesellschaftlichen Aufbruch geworben. Zahlreiche

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wichtige sozial- und gesellschaftspolitische Vor­haben wurden im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP aufgegriffen. Das ist gut. Klar ist aber auch, dass die AWO gegenüber der neuen Bundesregierung und dem 20. Bundestag weiter für eine Politik werben wird, bei der sich die Menschen auf einen handlungsfähigen Sozialstaat und hochwertige soziale Dienstleistungen verlassen können. Der Verband steht bereit, um die großen Herausforderungen und Transforma­ tionsprozesse unserer Zeit mit seiner Arbeit vor Ort und seiner politischen und fachlichen Expertise zu begleiten.

awo.org/stellungnahme-der-awo-zumkoalitionsvertrag valentin.persau@awo.org, paula.wenning@awo.org

» Mehr Problembewusstsein und einen gemeinsamen politischen Willen hätte sich die AWO beim Abbau von Vermögensungleichheit gewünscht. Unsere Gesellschaft wird immer ungleicher. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Demokratie, hier umzusteuern.« AWO-Präsident Michael Groß


Vielfalt DIE BEW ERTUNG DER AWO

» Der Fortschritt, den sich die neue Bundesregierung zu Recht vorgenommen hat, muss unbedingt in der Breite der Gesellschaft ankommen. Entsprechend müssen sich die im Koalitionsvertrag verankerten sozialen Vorhaben daran messen lassen, ob sie den sozialen Zusammenhalt stärken und Armut abbauen.« AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner

Die AWO versteht Gleichstellungspolitik seit vielen Jahren als Instrument, Geschlechtergerechtigkeit für alle Geschlechter voranzubringen, und meint explizit LSBTIQ. Die ausführlichen Vorhaben der neuen Koalition entsprechen in weiten Teilen langjährigen AWO-Forderungen und werden daher ausdrücklich begrüßt. Ein Nationaler Aktionsplan ist ein gutes Instrument, der struktu­ rellen Diskriminierung umfassend zu begegnen. Die AWO begrüßt weiterhin explizit die zukünftige Förderung von Angeboten für ältere LSBTIQ. Denn bereits zwischen 2019 und 2021 hat die AWO im Rahmen eines bundesweiten Modellprojekts ein »Praxishandbuch zur Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen für LSBTQ« entwickelt, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Darin werden erstmals systematisch die Bedarfe von queeren Senior*innen und damit verbundene Anforderungen an die Altenhilfe aufgezeigt. Zudem wurden eine Koordinierungsstelle und eine Homepage aufgebaut (www.queerim-alter.de), die über entsprechende Materialien und Handlungsfelder informieren. Somit ist bereits eine wichtige Vorarbeit geleistet, um queeren Senior*innen eine dauerhafte Perspektive für diskriminierungsfreie Pflege und Begleitung im Alter zu eröffnen. Vielfaltsensible Angebote und Strukturen der Altenhilfe für ältere LSBTIQ müssen nun flächendeckend, wohnortnah und trägerübergreifend ausgebaut werden. Die AWO bietet hierzu ihre Erfahrung und Expertise an, insbesondere hinsichtlich der Fortbildung von Mitarbeitenden der Altenhilfeeinrichtungen. Zur Selbstbestimmung gehört für die AWO auch die Selbstbestimmung über die eigene geschlechtliche Identität und die sexuelle Lebensweise. Die Streichung des Transsexuellengesetzes und die

DAS S TEHT I M KOALI TI ONSV E RTR A G Um Queerfeindlichkeit entgegenzuwirken, soll ein ressortübergreifender Nationaler Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt erarbeitet und finanziell unterlegt umgesetzt werden. Hierbei werden u. a. Angebote für ältere LSBTI gefördert. Im Koalitionsvertrag ist geplant, Trans- und Intergeschlechtlichkeit umfassend durch gesetzliche Weiterentwicklung, Reformen und Beratungsangebote zu schützen. Das Transsexuellengesetz soll abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden, ebenso soll ein Entschä­ digungsfonds für trans- und intergeschlechtliche Personen eingerichtet werden, die von Körperverletzungen aufgrund von Eingriffen betroffen sind. Regenbogenfamilien sollen in der Familienpolitik stärker verankert werden.

Ersetzung durch ein Selbstbestimmungsgesetz entspricht einer langjährigen Forderung der Zivilgesellschaft, die die AWO unterstützt. Ein besonderer Fokus sollte außerdem auf intergeschlechtliche Kinder und Menschen gelegt werden. Der geplante weitere Ausbau des OPVerbotes an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen sowie eine Stärkung der Beratungsangebote sind aus Sicht der AWO sehr sinnvoll. Die Verankerung von Regenbogenfamilien in der Familienpolitik ist für die AWO im Sinne ihres Verständnisses von Familie als »(…) all jene (generationsübergreifenden) Gemeinschaften, in denen Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken« unverzichtbarer Bestandteil eines pluralen und zeitgemäßen Familienbegriffs.

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KOAL I T I O NS V E R T R AG – WA S N UN ?

Sozial-ökologische Transformation DAS ST E H T IM KOALI T ION SVERTRAG Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis zu den Pariser Klimaschutzzielen und zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung. Er leitet hieraus das Ziel einer »sozial-ökologischen Marktwirtschaft« ab und benennt die Notwendigkeit »tief­ greifender Transformationsprozesse«. Der Koalitionsvertrag definiert für verschiedene Sektoren und Bereiche (u. a. Industrie, Luft- und Raumfahrt, maritime Wirtschaft, Tourismus, Gesundheitswirtschaft) zum Teil umfassende Maßnahmen und Vorhaben, mit denen der Weg des Transformationsprozesses gestaltet werden kann. Die neue Bundesregierung plant zudem, eine »vorsorgende Klimaanpassungsstrategie« umzusetzen und hierfür ein »Klimaanpassungsgesetz« auf den Weg zu bringen. Handlungsfelder sind Hitzevorsorge, Gesundheits- und Allergieprävention und Wasser­ infrastruktur. Zusätzlich soll dies von einem Sofortprogramm begleitet werden. Die Klimaanpassung soll mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestaltet sein, und eine gemeinsame Finanzierung von Bund und Ländern soll verankert werden. Es soll Raum für Innovation, Digitalisierung und privatwirtschaftliche Initiativen für Klimaanpassung geschaffen werden. SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP bekennen sich im Koalitionsvertrag überdies zu einem wirksamen EU-Lieferkettengesetz, das auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte basiert. Zudem soll das im Juni 2021 verabschiedete deutsche Liefer­kettengesetz umgesetzt und gegebenenfalls verbessert werden. Die Koalition unterstützt die Vorschläge der EU-Kommission zum Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten sowie ein Importverbot von Produkten aus Zwangsarbeit.

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DIE BEW ERTUNG DER AWO Wir begrüßen das klare Bekenntnis der Bundesregierung sowie die Anerkennung eines umfassenden Transformationsprozesses. Dem Koalitionsvertrag mangelt es jedoch an klaren Aussagen, wie gesichert werden soll, dass diejenigen, die stark zu den Emissionen beitragen, auch stärker an den Kosten der notwendigen Maßnahmen beteiligt werden und wie diejenigen, welche weniger dazu beitragen, geschont werden können (der ärmere Teil der Bevölkerung). Genauso bedeutsam ist die systematische Einbeziehung aller an Aufklärung, Information, ökologischer Bildung, um das Verständnis zu wecken für notwendige Veränderungen. Diesen Zielen muss aus Gerechtigkeitsgründen eine hohe Priorität beigemessen werden, aber auch weil hier viel gesellschaftlicher Sprengstoff enthalten ist. Nur ein intensiv umgesetzter Anspruch, »alle mitzunehmen«, verhindert, dass es zu weiteren Spaltungen in unserer Gesellschaft kommt. Auch fehlt es im Koalitionsvertrag an deutlichen Aussagen dazu, wie die Soziale Arbeit durch den anstehenden Transformationsprozess geführt werden soll. Der Abschnitt zur Gesundheitswirtschaft liefert hier ebenfalls keine Aussagen und deckt die Soziale Arbeit mit ihren Eigenschaften und besonderen Anforderungen nicht ab. Schon die Freie Wohlfahrtspflege hat mit ihrer Größe (100.000 Einrichtungen und Dienste), ihrer Schnittstellenfunktion und der enormen Reichweite in die Gesellschaft eine wichtige Funktion beim Erreichen der Klima- und Nachhaltigkeitsziele. In der zurückliegenden Legislaturperiode hatte insbesondere das Bundesumweltministerium hierzu wichtige Dialogprozesse angestoßen und erste Weichen gestellt. Dieser Prozess muss zwingend fortgesetzt werden.

Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung Klimaanpassung und Klimavorsorge angehen und finanziell ausstatten will. Daraus ergibt sich mit Blick auf unsere Zielgruppen und im Kontext einer voranschreitenden Klimakrise dringender Handlungsbedarf, künftige Risiken abzuwägen und zeitnah Gegen- und Schutzmaßnahmen zu treffen. Insgesamt bleibt der Koalitionsvertrag in diesem Themenfeld aber noch zu vage. Bei der Entwicklung einer Klimaanpassungsstrategie sind verschiedene gesellschaftliche Akteure mit ihren Bedarfen einzubeziehen. In jedem Fall müssen die vom Bundesumweltministerium in der letzten Legislaturperiode angestoßenen Initiativen zur Klimaanpassung (u. a. Gründung des bundesweiten Zentrums für Klimaanpassung) sowie das Förderprogramm »Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen« fortgesetzt, verstetigt und ausgebaut werden. Die Forcierung des EU-Lieferkettengesetzes im Koalitionsvertrag sehen wir als wichtiges Zeichen für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten. Die neue Bundesregierung erkennt damit an, dass das deutsche Lieferkettengesetz nicht ausreicht. Das aktuelle deutsche Lieferkettengesetz hinkt hinter den Anforderungen der UN-Leitprinzipien her und muss nachgeschärft werden. Wir fordern, dass aus den Bekenntnissen im Koalitionsvertrag Taten folgen, um Umweltschäden und der Verletzung von Menschenrechten in Lieferketten von Unternehmen wirksam entgegenzutreten. Die neue Koalition sollte sich aktiv für ein effektives EU-Lieferkettengesetz einsetzen und das deutsche Lieferkettengesetz nachbessern.


Zivilgesellschaft und Demokratie DAS ST E H T IM KOALI T ION SVERTRAG Bereits in der Präambel des Koalitionsvertrages wird die Bedeutung des demokratischen Bürgerschaftlichen Engagements als stärkendes Element für gesellschaftlichen Zusammenhalt hervorgehoben. Eine vielfäl­tige, tolerante und demokratische Zivilgesellschaft soll explizit gefördert und gestärkt werden. Unter breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft soll bis 2023 ein Demokratiefördergesetz eingebracht werden, verbunden mit dem Ziel, Betroffenengruppen zu stärken. Das Bundesprogramm »Demokratie leben!« soll weiterentwickelt, die Fördermodalitäten sollen vereinfacht und vermehrt mehrjährige, dauerhafte Zuwendungen ermöglicht werden. Eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in digitalpolitische Vorhaben wird genauso angestrebt wie eine Unterstützung in den Bereichen Diversität und Civic Tech oder die Stärkung von digitalen Bürgerrechten. Das Grundgesetz soll geändert werden, um das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken. Ferner soll das Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf 16 Jahre abgesenkt werden. Die digitale Barrierefreiheit wird angestrebt. Mit Citizen Science und Bürgerwissenschaften sollen die Perspektiven der Zivilgesellschaft stärker in die Forschung einfließen. Bürgerräte als neue Formen des Bürgerdialogs sollen eingesetzt werden, ohne die Repräsentation auf Ebene des Bundestags aufzugeben.

DIE BEW ERTUNG DER AWO Bis 2023 soll ein Demokratiefördergesetz implementiert werden. Damit sollen die Demokratieförderprogramme abgesichert werden. Wir fordern in diesem Zusammenhang auch, hemmende Förderbestimmungen abzubauen. Eine langfristige Stärkung der Zivilgesellschaft durch das künftige Gesetz, Empowerment und Schutz von Betroffenen als zu erwartende Folgen des Gesetzes sind sehr zu begrüßen. Die AWO fordert eine breite Partizipation der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung und Implementierung des Demokratiefördergesetzes ein und bietet sich als Partnerin in diesem Prozess an. Die Einführung von Elementen direkter Demokratie auf Bundesebene in Form von Bürgerräten können wir grundsätzlich als interessante gesellschaftliche Innovation bewerten. Damit können Meinungsbildungs- und Beratungsprozesse im politischen Raum unterstützt werden, und einer wachsenden Demokratieverdrossenheit kann entgegengewirkt werden. Bei der Umsetzung muss dringend auf gleichberechtigte Beteiligung von Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen geachtet und eine anschließende Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen sichergestellt werden. Die AWO wird den Prozess aufmerksam beobachten und zu gegebener Zeit genauer kommentieren. Es ist erfreulich, dass die neue Bundesregierung erkannt

hat, wie dringend das Digitale sozialer werden muss. Die AWO begrüßt, dass digitale Teilhabe im Koalitionsvertrag als Querschnittsthema anerkannt wird. Die AWO begrüßt die Weiterentwicklung des Bundesprogramms »Demokratie leben!« sehr. Die verbandlichen Erfahrungen als programmbeteiligte Organisation zeigen uns, wie effektiv die Themen Demokratieförderung und Vielfalt in die verbandliche und überverbandliche Fachebene und Öffentlichkeit kommuniziert werden können. Das leistet einen wichtigen Beitrag, nationalistischen und antidemokratischen Strömungen zu begegnen, Verbandsstrukturen in ihren Aktivitäten zu unterstützen, Fachkräfte in den Themen Demokratieförderung und Vorurteilsbewusstsein zu qualifizieren und damit auch auf formale und nonformale Bildungsprozesse einzuwirken. Auch begrüßt die AWO, dass Programme gegen Extremismus und für Demokratieförderung wie das Bundesprogramm »Demokratie leben!« nun langfristig finanziell abgesichert und durch das geforderte Demokratiefördergesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Koalition formuliert die Förderung einer vielfältigen, toleranten und demokratischen Zivilgesellschaft ausdrücklich als Ziel ihrer Arbeit und erkennt Bürgerschaftliches Engagement als sehr bedeutsam für den gesellschaftlichen Zusammenhalt an. Als zentrale Orte sind hier aus Sicht der AWO die Mehrgenerationenhäuser zu nennen, die mit ihren generationenübergreifenden, kooperations- und beteiligungsfördernden Ansätzen unterschiedlichste Gesellschaftsgruppen zusammenbringen und als Instrument zur Gestaltung gesellschaftlicher Herausforderungen und zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse beitragen können.

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KOAL I T I O NS V E R T R AG – WA S N UN ?

Kindergrundsicherung DIE BEW ERTUNG DER AWO

Armutsrisikoquote in Prozent U-18-Jährige U-25-Jährige 26 20,2

Quelle: Mikrozensus, Erhebungsjahr 2020

» Das bisherige Verfahren zur Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums wird auch den Lebensrealitäten von Kindern und ihren Familien nicht gerecht und muss systematisch weiterentwickelt werden, um die tatsächlichen Bedarfe für die materielle Ausstattung und soziale Teilhabe abzubilden. Zudem sollte die Bedarfsermittlung künftig unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erfolgen.«

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Die AWO begrüßt die Verankerung der Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag. Als Gründungsmitglied setzt sich die AWO seit 2009 im Bündnis Kindergrundsicherung für eine grund­legende Reform des familienpolitischen Leistungssystems ein. Wesentliche Kriterien, die wir an eine wirksame Kindergrundsicherung anlegen, sind im Koalitionsvertrag konkret verankert. So sollen Leistungen gebündelt werden, ein unbürokratischer Leistungszugang gewährleistet sein und das soziokul­turelle Existenzminimum neu definiert werden. Auch wenn der Kinderfreibetrag und der Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung nicht explizit in der Aufzählung der zu bündelnden Leistungen benannt werden, wird zumindest perspektivisch ein Bezug zum Steuerrecht hergestellt, indem der Garantie­ betrag den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen Existenzminimums entsprechen soll. Dieser systematische Einbezug des Steuerrechts ist für eine sozial gerechte Ausgestaltung der Kindergrundsicherung essenziell, da die Entlastungswirkung der Freibeträge mit zunehmenden Einkommen steigt. Dadurch werden gegenwärtig die wohlhabendsten Familien mitunter stärker entlastet als Fami­ lien in unteren und mittleren Einkommensbereichen, die im Rahmen von sozialhilferechtlichen Leistungen und Kindergeld unterstützt werden. Will man sich, wie angekündigt, auf die Kinder mit dem größten Unterstützungsbedarf konzentrieren, muss diese Privilegie-

rung wohlhabender Haushalte über das Steuerrecht aufgehoben werden. Stattdessen sollte die maximale Entlastungswirkung der kindbezogenen Freibeträge als Auszahlungsbetrag ausgestaltet werden und von Anfang an den Garantiebetrag bilden. Die konkrete Ausgestaltung der Leistungshöhe wird entscheidend von der angekündigten Neudefinition des soziokulturellen Existenzminimums abhängen. Hier mahnt die AWO an, dass die von Verbänden und Organisationen wiederholt vorgetragene methodische Kritik an der Regelbedarfsermittlung umfassend aufgegriffen wird. Das bisherige Verfahren zur Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums wird auch den Lebensrealitäten von Kindern und ihren Familien nicht gerecht und muss systematisch weiterentwickelt werden, um die tatsächlichen Bedarfe für die materielle Ausstattung und soziale Teilhabe abzubilden. Zudem sollte die Bedarfsermittlung künftig unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erfolgen. Der zu begrüßende Sofortzuschlag ist aus Sicht der AWO ein wichtiges Signal und zeigt, dass die Koalitionär*innen beim bisherigen Leistungsniveau eine Unterdeckung existenzieller Bedarfe erkannt haben. Der Sofortzuschlag muss nun zügig umgesetzt werden, die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen spürbar verbessern und alle von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen tatsächlich erreichen. Dabei muss sichergestellt werden, dass auch Kinder ohne eigenen Leistungsanspruch in Bedarfsgemeinschaften berücksichtigt werden und es nicht, wie beim Kinderfreizeitbonus geschehen, zu umfangreichen Leistungsausschlüssen kommt.


DAS S TEHT I M KOALI TI ONSV E RTR A G Dass bei der Umsetzung der Kindergrundsicherung Wechselwirkungen zu anderen Leistungen geprüft werden sollen, ist sachgerecht. Aus Sicht der AWO sind dabei insbesondere Schnittstellen zu Leistungen im Bereich Wohnen, Unterhalt, AsylbL und Ausbildungsförderung zu klären. Auf die wichtige Schnittstelle zum Steuerrecht wurde bereits hingewiesen. Hingegen rechnet die AWO nicht mit negativen Erwerbsanreizen, wenn die Grenzbelastung bei der Abschmelzung hinreichend niedrig ausgestaltet ist. Das Bündnis Kindergrundsicherung schlägt einen linearen Abschmelztarif von 40 Prozent vor, der hierfür als sachgerecht eingeschätzt wird. Die Vorstellung, Eltern würden bei besserer finanzieller Ausstattung ihrer Kinder ihre eigenen Erwerbsaktivitäten zurückfahren, macht sich die AWO nicht zu Eigen. Die erklärte Stärkung von Angeboten u. a. im Bereich Bildung und Teilhabe ist zu begrüßen. Auch das angekündigte digitale Chancenportal kann den Zugang zu Bildungs- und Teilhabeleistungen verbessern. Aus Sicht der AWO sollten zuvorderst alle pauschalierbaren Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT) in die Kindergrundsicherung integriert werden, damit Kinder und ihre Familien mehr Entscheidungsfreiheit bei der Gestaltung ihrer außerschulischen Bildungs- und Freizeit­ aktivitäten haben. Zudem können aktu­ell nicht flächendeckend Leistungen nach dem BuT vorgehalten werden. Eine Umwandlung von Teilen des BuT in einen Auszahlungsbetrag kann hier entgegenwirken. Gleichzeitig muss im Zuge der angekündigten Stärkung von Angeboten – auch vor dem Hintergrund des Gebotes gleichwertiger Lebensverhältnisse – ein Ausbau in der Fläche

erfolgen. Ansonsten wird auch das digitale Chancenportal an vielen Kindern vorbeigehen, und Leistungsansprüche aufgrund mangelnder regionaler Verfügbarkeit von passgenauen Angeboten werden nicht geltend gemacht werden. Die geplante ressortübergreifende Arbeitsgruppe im BMFSFJ ist vor dem Hintergrund der benannten Umsetzungsfragen und Schnittstellen sach­ gerecht. Da Länder und Kommunen vielfach tangiert sind, sollten ihre Vertreter*innen ebenfalls hinzugezogen werden. Auch eine umfassende Betei­ ligung von Wissenschaft, Verbänden sowie von Kindern und Jugendlichen sollte gewährleistet werden. Die im Bündnis Kindergrundsicherung zusammengeschlossenen Verbände und Organisationen haben in den vergangenen zwölf Jahren systematisch fachpolitische Expertise aufgebaut, Parteien bei ihrer Positionsfindung beraten und den fachöffentlichen Diskurs über Kinderarmut in den letzten Jahren maßgeblich geprägt. Dieses Engagement wollen wir mit ganzer Kraft fortführen und stehen bei der Umsetzung mit unserer Expertise zur Verfügung. Insofern wäre eine Beteiligung des Bündnisses Kindergrundsicherung in der Arbeitsgruppe angemessen und wünschenswert.

Das zentrale Vorhaben der Koalitionär*innen gegen Kinderarmut ist die Einführung einer Kindergrundsicherung. »In einem Neustart der Familienförderung« will man »bisherige Unterstützungsleistungen […] in einer einfachen, automatisch berechneten und ausgezahlten Förderleistung bündeln«. Explizit benannte Leistungen, die in der Kindergrundsicherung aufgehen sollen, sind das Kindergeld, Leistungen des SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes und der Kinderzuschlag. Als Ziele einer Kindergrundsicherung werden der Abbau bürokratischer Hürden beim Leistungszugang und die Sicherung eines neu zu definierenden soziokulturellen Existenzminimums benannt. Konzeptionell soll die Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten bestehen – einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag in gleicher Höhe für jedes Kind sowie einem nach dem Elterneinkommen gestaffelten Zusatzbetrag. Konkrete Beträge werden nicht benannt. Jedoch soll perspektivisch der Garantiebetrag den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen Existenzminimums bei der Besteuerung des Elterneinkommens entsprechen. Außerdem sollen Wechselwirkungen zu anderen Leistungen überprüft werden, und es soll sichergestellt werden, dass sich Erwerbsarbeit der Eltern lohne. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe wird im BMFSFJ eingerichtet. Das Angebot u. a. im Bereich Bildung und Teilhabe soll gestärkt und ein digitales Kinderchancenportal geschaffen werden. Bis Inkrafttreten der Kindergrundsicherung wird ein Sofortzuschlag für von Armut betroffene, leistungsberechtigte Kinder eingeführt. Alleinerziehende sollen zudem über eine Steuergutschrift entlastet werden.

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KOAL I T I O NS V E R T R AG – WA S N UN ?

Es geht nur mit dem Staat. Interview mit dem Politikwissenschaftler Gerd Mielke über den Ausgang der Bundestagswahl, die anstehenden politischen Herausforderungen und Aufgaben der neuen Regierungskoalition, die potenziellen Fallstricke in der gesetzge­ berischen Arbeit und die Notwendigkeit eines handlungsfähigen Staates. INTERVIEW PETER KULEßA

Herr Professor Mielke, was waren die Besonderheiten der Ergebnisse der Bundestagswahlen 2021? MIELKE Ganz verschiedene, teilweise überraschende Ergebnisse einzelner Parteien haben das Parteiensystem insgesamt verändert. Besonders folgenreich war der Absturz der CDU/CSU auf 24,1 Prozent, das schlechteste Ergebnis bei Bundestagswahlen überhaupt. Dieser massive Einbruch machte die SPD letztlich zur Kanzlerpartei. Das Resultat der SPD von 25,7 Prozent fügt sich in die deutlich abgesunkenen Ergebnisse bei Bundestagswahlen seit 2009 ein. Der befreite Jubel der Sozialdemokraten noch am Wahlabend rührte denn auch vornehmlich daher, dass die SPD am Ende ihr doch deprimierend langes Umfragetief überwunden hatte. Auch die Grünen durchlebten gemischte Gefühle. Einerseits erzielten sie mit 14,9 Prozent ihr bestes Bundestagswahlergebnis überhaupt; andrerseits hatten sie noch im Frühsommer in den Umfragen mit 25 Prozent gleichauf mit der Union und klar vor der SPD gelegen. Bedeutsam war schließlich auch das Ergebnis der AfD mit 10,3 Prozent sowie mit zahlreichen Direktmandaten in Ostdeutschland. Trotz klarer rechtsextremistischer Tendenzen in ihren Führungszirkeln hat sich die AfD in den neuen Ländern als politische Bezugsgröße etabliert. Insgesamt ist die strategische Dominanz von Union und SPD im deutschen Parteiensystem weiter abgeschwächt worden. Nicht die vormaligen Großparteien ergänzen sich bei der Regierungsbildung durch nahestehende Kleinparteien, sondern jetzt können die etwas größer gewordenen Kleinen sich eine passende Kanzlerpartei aussuchen.

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Im Herbst 2021 hat sich erstmals eine Regierung aus SPD, B90/Die Grünen und FDP gebildet. Im Blick darauf ist gelegentlich von einer lagerübergreifenden Koalition die Rede. Gibt es diese politischen Lager überhaupt noch, und wenn ja, was ist gemeint? MIELKE Die These vom Verschwinden der politischen Lager in Deutschland ist, wie übrigens auch das Gerede vom Ende von »rechts« und »links« oder dem »Drang zur Mitte«, ein fester Bestandteil unserer medialen Folklore, die sich während der langen GroKo-Phasen der Ära Merkel deutlich verfestigt hat. Diese Thesen übertünchen teilweise gesellschaftliche und kulturelle Konflikte und daraus erwachsende parteipolitische Gegensätze. Denn klar ist: In allen modernen Gesellschaften bestehen die Konflikte zwischen »oben« und »unten«, »konservativautoritär« und »progressiv-libertär«, »Einheimischen« und »Zugewanderten« und den darauf ausgerichteten Parteien fort, auch wenn neue Herausforderungen wie etwa der Klimawandel und die Digitalisierung hinzukommen. Das wurde bei den Vereinbarungen der »Ampelkoalition« sehr deutlich und hier vor allem mit Blick auf die steuernde und ausgleichende Rolle des Staates, die von SPD und Grünen viel stärker akzentuiert wird als von der FDP, die traditionellerweise auf die dynamische Regulierung durch das Marktgeschehen setzt.

Unter welchen Voraussetzungen kann ein solches Bündnis funktionieren? Wo liegen die Chancen, aber auch die Konfliktpotenziale? MIELKE Alle drei Parteien sollten angesichts von Klimawandel, Digitalisierung und auch Zuwanderung das neue Bündnis vor allem als eine Herausforderung der bisherigen verteilungspolitischen Zumutungen begreifen. In den gängigen Zukunftsszenarien dominieren immer noch wirtschaftliche und technologische Fragen: Mit welcher Expertise können wir die neuen Probleme bewältigen? Bei der praktischen Umsetzung werden andere Fragen im Vordergrund stehen: Welche sozialen und kulturellen Zumutungen werden welchen Gruppen abverlangt? Konzepte wie »Green Deal« und »New Social Deal« signalisieren: Das Ganze läuft de facto auf die Neuformulierung eines breit akzeptierten Gesellschaftsvertrags hinaus. Dies bietet allen drei Parteien die Chance, ihre ideologischen und programmatischen Traditionen zu aktualisieren und zu erweitern. Kon-


fliktpotenziale sehe ich bei der Erweiterung und Fortschreibung der jeweiligen Parteitraditionen und bei der unvermeidlichen Neujustierung der Verteilungsgerechtigkeit.

AWO I NT E RV I E W

Kann die Koalition die hinlänglich bekannten sozialen und ökologischen Verwerfungen, aber auch die Herausforderungen der Demokratie, die sich in den letzten Jahren gezeigt haben, überhaupt bewältigen? MIELKE Das wird in jedem Fall nicht einfach sein. Die zahlreichen, ja auch gleichzeitig anstehenden Probleme werden den Führungsriegen von SPD, Grünen und FDP ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft abverlangen, vor allem den Liberalen, die ja die größte ideologische Distanz zu umfassendem Staatshandeln und Umverteilungsansätzen mitbringen. Auch muss über die Maßnahmen gegen den Klimawandel nach den Versäumnissen der letzten Jahre unter einem objektiv dramatischen Zeitdruck entschieden werden. Zudem wirken die in diesem Jahr wieder anstehenden vier Landtagswahlen einer konsequenten Kompromissorientierung der Parteien entgegen: Wahlen sind immer Zeiten der politischen Polarisierung und können immer auch massive Opposition erzeugen. Schließlich können sich durch die Landtagswahlen die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat verändern, was wiederum die Durchsetzungschancen bei Programmen der Bundesregierung massiv beeinflusst. Die Ampelkoalition muss nicht nur große Aufgaben schultern, sondern diese auch in einem potenziell tückischen, hochkomplexen Kontext lösen. Diese Schwierigkeiten allein beim gesetzgeberischen Verfahren sind in der Öffentlichkeit bislang kaum thematisiert worden.

Die zahlreichen staatlichen Programme während der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie wichtig ein handlungsfähiger Staat gerade in Krisenzeiten ist. Dennoch werden jetzt schon erste Debatten um »nun wieder notwendige Sparmaßnahmen« geführt. Wie sollte die Regierungskoalition in diesem Zusammenhang agieren, um soziale Verwerfungen in der PostCorona-Zeit weiter zu vermeiden? MIELKE Die Erfahrungen mit Corona zeigen ganz klar: Das kommende Jahrzehnt wird in gleich mehrfacher Hinsicht zu einer Renaissance der Staatlichkeit führen. Die Vielzahl und die Dringlichkeit neuer Probleme erfordern wirksame sozialpolitische Interventionen, um die Klima-, Migrations- und Digitalisierungskrisen durch eine Atmosphäre des sozialen Friedens zu flankieren und abzufedern. Die in Ihrer Frage angesprochene Rückkehr zu Sparmaßnahmen und »Schwarzer Null« würde diesen sozialen Frieden als unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Klima-, Migrations- und Digitalisierungspolitik leichtfertig aufs Spiel setzen.

Nicht zuletzt die SPD und B90/Die Grünen haben eine Vergangenheit mit großer Verankerung in Teilen der Zivilgesellschaft. Sehen Sie diese Verbindungen noch, und sollen diese in Zukunft wieder neu belebt werden? MIELKE In Zeiten krisenhafter Herausforderungen

D R. GE R D MI E LKE ist Professor für Politikwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Unter den Ministerpräsidenten Rudolf Scharping und Kurt Beck war er Abteilungsleiter und Leiter der Stabsstelle für Grundsatzfragen in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz in Mainz. mielke@politik.uni-mainz.de

wie jetzt kommt Verbindungen politischer Parteien in das gesellschaftliche Vorfeld und Umfeld eine strategische Bedeutung bei der Erfüllung der Repräsentations- und Integrationsfunktion zu. Leider ist in den letzten Jahrzehnten diese gesellschaftliche Verankerung im Zuge der Professionalisierung der Parteipolitik schwächer geworden, auch bei der SPD und – in abgemilderter Form – bei den Grünen. Beide Parteien sollten sich zum einen unbedingt auf ihre Traditionen als Bewegungsparteien besinnen und wieder stärker bei den traditionellen Bündnispartnern Anschluss suchen. Zum andern sollten sie aber auch versuchen, Brücken zu neueren zivilgesellschaftlichen Akteuren zu schlagen, neue und kluge Aktivisten an sich binden zu können und auf diese Weise die »Kulturlücke« zwischen den etablierten Parteien und der Zivilgesellschaft zu schließen.

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KOAL I T I O NS V E R T R AG – WA S N UN ?

Migration DAS ST E H T IM KOALI T ION SVERTRAG Die Koalition plant die Einführung eines bundesweiten Partizipationsgesetzes mit dem Leitbild »Einheit in Vielfalt«. Damit soll die Partizipation, Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit Einwanderungsgeschichte gestärkt werden. Weiter möchte die Koalition ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht schaffen, indem die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglicht und der Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfacht wird. So sollen Einbürgerungen schneller möglich werden (nach 5 bzw. 3 Jahren) und die Voraufenthaltszeit zum Erwerb einer Niederlassungserlaubnis gesenkt werden – sie kann künftig schon nach 3 Jahren erworben werden. Das Geburtsortprinzip wird gestärkt, indem Kinder, deren ausländischer Elternteil seit 5 Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt, von Geburt an deutsche Staatsbürger*innen werden. In Anerkennung ihrer Lebensleistung soll die Einbürgerung für Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration erleichtert werden, indem für diese Gruppe das nachzuweisende Sprachniveau gesenkt wird. Zudem möchte die neue Bundesregierung das komplizierte System der Duldungstatbestände neu ordnen und neue Chancen für Menschen schaffen, die bereits Teil unserer Gesellschaft geworden sind. Die Koalition möchte die Integrationskurse von Anfang an für alle Menschen, die neu nach Deutschland kommen, öffnen – unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltstitel. Die Kurse sollen passgenau und erreichbar sein. Die Bedingungen für Kursträger, Lehrende und Teilnehmende sollen verbessert werden. Auch die Berufssprachkurse sollen gefördert und verstetigt werden.

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DIE BEW ERTUNG DER AWO Die AWO fordert seit Langem ein bundesweites Partizipations- und Teilhabegesetz und begrüßt dieses Koalitionsvorhaben. Wir begrüßen das Vorhaben, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren, ausdrücklich. Damit wird einer unserer Kernforderungen entsprochen. Wir begrüßen ebenfalls die vereinfachte Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft an die Gastarbeiter*innen-Generation als Anerkennung ihrer Lebensleistung, die zur politischen Urforderung der AWO gehört. Diese Vorhaben müssen nun zügig und ambitioniert umgesetzt werden. Die geplante Gesetzesänderung zu den beiden Bleiberechtsparagrafen zu guter Integration als Honorierung gelungener Teilhabe begrüßen wir. Wir begrüßen auch die Stichtagsregelung. Allerdings dürfen hier nicht zu hohe Anforderungen an die Beibringung der Identitätsdokumente gestellt werden. Die Möglichkeit der Aufenthaltserlangung während der Ausbildung begrüßen wir. Dies gibt Rechtssicherheit für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe und kann vor ausbeuterischen Ausbildungsverhältnissen schützen. Wir bedauern, dass eine ähnliche Regelung nicht für die Beschäftigungsduldung gefunden wurde. Die Abschaffung der »Duldung light« und bestehender Arbeitsverbote ist ein richtiger Schritt. Das Vorhaben, bei einem bestehenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ein laufendes Asylverfahren nicht entgegenstehen zu lassen,

sofern bei Einreise die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis bereits vorlagen, scheint wenig praxistauglich, da Voraussetzungen meist erst geschaffen werden. Ein Gesetzentwurf muss dies berücksichtigen. Das Vorhaben, eine präzisere Regelung für Opfer häuslicher oder partnerschaftlicher Gewalt zu schaffen, die nur ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitzen, und die Gewährung eines Aufenthaltsrechts für Betroffene von Menschenhandel unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft begrüßen wir. Es ist gut, dass allen Menschen von Anfang an der Zugang zu einem Integrationskurs offenstehen soll. Derzeit ermöglichen individuelle Rechtsansprüche und Verpflichtungen nur bestimmten Gruppen den Zugang zum Integrationskurs. Durch eine Öffnung der Kurse unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltstitel wird Teilhabe ermöglicht. EU-Bürger*innen müssen einen gesetzlichen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs erhalten. Die MiA-Kurse als niederschwellige Kurse für zugewanderte Frauen haben u. a. eine Brückenfunktion zu den Integrationskursen und sollten analog zu den I-Kursen für alle zugewanderten Frauen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, geöffnet werden. Bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen und Leistungen der Gesundheitsversorgung erleben Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland nach wie vor Sprachbarrieren. Die Last zur Überbrückung der Sprachbarriere tragen im Moment weit überwiegend die Betroffenen selbst. Die AWO empfiehlt daher eine gesetzliche Regelung zur Schaffung eines allgemeinen Anspruchs auf professionelle Sprachmittlung für Personen, deren eigene Deutschkenntnisse nicht ausreichen, um ihren Anspruch auf Leistungen einlösen zu können. Nur so ist ein effektiver Zugang zu sozialen Dienstleistungen und Leistungen der Gesundheitsversorgung und die beidseitige Bereitschaft zu sprachlicher Verständigung sichergestellt.


Selbstbestimmt leben

DREI F R AG E N

Nicola Völckel über den Wunsch von Frauen nach einem selbstbestimmten Leben und die Hürden, die sie dabei erleben. INTERVIEW PETER KULEßA

1

Frau Völckel, der §219a soll nach den Plänen der Bundesregierung bald aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Was würde dies konkret bedeuten? Nach der Streichung müssen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, weniger Sorge haben, verklagt zu werden. Sie können dann auf ihren Internetseiten oder in anderen Zusammenhängen darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten und welche Methoden sie dafür anwenden. Es wird in der Folge leichter sein, Informationen über Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, zu recherchieren. Dies ist vor dem Hintergrund der schlechten Versorgungslage – es bieten nicht viele Gynäkolog*innen Abbrüche an – ein kleiner Fortschritt. Diese Streichung wird nicht helfen, die vorhandenen Probleme zu lösen, solange der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch verankert bleibt. Dazu gehören zum Beispiel fehlende Abbruchsärzt*innen, Tabuisierung des Themas, keine Kostenübernahme des Abbruchs durch die Krankenkassen, sondern durch die Bundesländer usw.

2

Demnach ein gute gesetzgeberische Entwicklung für die Frauen, aber nicht minder wichtig wäre die Entkriminalisierung des §218. Warum? Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass die momentane Regelung zum Schwangerschaftsabbruch ein mühsam ausgehandelter gesellschaftlicher Konsens sei. Dem stimme ich – übrigens 30 Jahre nach dem letzten Verfassungsgerichtsurteil zu dem Thema – nicht zu. Der §218 StGB selbst ist 150 Jahre alt und steht immer noch im Strafgesetzbuch bei den Tötungsdelikten. Ich glaube, die Zeit ist reif, Schwangeren ihre reproduktiven Rechte vollumfänglich zu gewähren und den Schwangerschaftsabbruch endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Dass dies möglich ist, beweisen nicht zuletzt Erfahrungen aus anderen Ländern wie Irland oder Kanada, die in den letzten Jahren ihre Gesetzgebung umfänglich liberalisiert haben.

NI COL A VÖLCKEL ist Leiterin einer Beratungsstelle für Themen rund um Familienplanung und Schwangerschaft beim AWO Bezirks­ver­band Niederrhein in Essen. Nicola.Voelckel@awo-niederrhein.de

Was die demokratischen Parteien nicht scheuen dürfen, ist, zum Thema Schwangerschaftsabbruch einen politischen Diskurs zu führen und darauf zu setzen, dass auch das Bundesverfassungsgericht neu bewerten und entscheiden kann.

3

Was braucht es noch für eine freie Entscheidung über die eigene Familienplanung und ein selbstbestimmtes Leben? Eine wichtige Forderung ist, dass Kosten für die Verhütung von den Krankenkassen übernommen werden. So kostet das Legen einer Spirale momentan ca. 200 Euro. Diese Kosten können viele Frauen nicht aufbringen. Zum Vergleich: Im Hartz-IV-Satz sind monatlich 17,14 Euro für Gesundheitspflege vorgesehen. Auch die monatlichen Kosten für die Pille liegen häufig schon über diesem Satz. Wenn man über das Thema Familienplanung hinausdenkt, dann wird schnell klar, dass viele sozialpolitische Missstände insbesondere Frauen treffen, z.B. fehlende Kinderbetreuungsmöglich­ keiten, prekäre Arbeitsverhältnisse, fehlende Frauen*häuser und Schutzeinrichtungen. Insgesamt erfahren die Bedürfnislagen von Frauen häufig einfach viel zu wenig Sichtbarkeit und politische Aufmerksamkeit.

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AWO AU ßE NA NS ICH T

Die Ampel-Koalition, der Sozialstaat und die Wohlfahrtsverbände

WOLFG ANG SCHR OEDER

AUTOR WOLFGANG SCHROEDER

Die Ampel-Koalition hat ein positives sozialpolitisches Signal gesendet. Im Zentrum steht das Ziel, den Sozialversicherungsstaat zu stabilisieren, um ihn trotz weitreichender technologischer, wirtschaftlicher und ökologischer Transformationsprozesse als Integrationsmaschine zu stärken. Dafür wird der Zugang zu Arbeit über Bildung, Weiterbildung und präventive Maßnahmen als notwendig erwartet. Ob und wie dieses Vorhaben gelingen kann, ist maßgeblich von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abhängig, denn der Sozialversicherungsstaat kann seine Leistungsfähigkeit nur ausspielen, wenn der Arbeitsmarkt dynamisch und integrativ ist, also gute Arbeit produziert. Die sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Politik sind keineswegs Selbstläufer, sondern hängen auch von der Stärke und Mobilisierungsfähigkeit der sozialen Interessengruppen ab. Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels haben einen zentralen Stellenwert im Koalitionsvertrag. Diese sind zum Teil mit einschneidenden Veränderungen für die Lebenswelten der Menschen verbunden. Besonders für Geringverdienende und Teile der unteren Mittelschicht wirken solche Maßnahmen enorm belastend, da sie zu steigenden Kosten bei der Mobilität, Ernährung, Gesundheit und dem Wohnen führen. Einkommensstärkere Haushalte tragen stärker zur CO2-Belastung bei. Zugleich haben sie vielfältige Möglichkeiten, die gestiegenen Kosten zu kompensieren. Daraus ergibt sich das Risiko einer weiteren Zunahme der sozialen Ungleichheit.

I M N ÄCH S T E N H E F T

Soziales in Deutschland. Heft 2: Der Sozialstaat mit und nach Corona 22 AWO ANSICHT 1 • 22

ist Professor an der Universität Kassel und leitet dort das Fachgebiet »Politisches System der BRD-Staatlichkeit im Wandel«. Zugleich arbeitet er als Fellow am Berliner Wissenschaftszentrum (WZB). wolfgang.schroeder@uni-kassel.de

Es ist zwar inzwischen politischer Konsens, dass der Übergang in eine klimaneutrale Gesellschaft sozialverträglich gestaltet werden muss. Deshalb hat die neue Bundesregierung entsprechende Maßnahmen angekündigt. Ob diese überwiegend als Kompensationsleistungen zu charakterisierenden Maßnahmen jedoch ausreichend sein werden, um die zu erwartenden Belastungen der genannten Gruppen angemessen abzufedern, ist fraglich. Klimaschutz verstehen die Ampel-Koalitionäre als »Querschnittsaufgabe«. Insbesondere mit Blick auf den CO2-Preis bleiben die Koalitionäre allerdings deutlich hinter ihrem eigenen Anspruch zurück, Instrumente für »einen starken sozialen Ausgleich« und die Unterstützung von »Menschen mit geringeren Einkommen« zu entwickeln. Eine konsistente sozialpolitische Flankierung der klimafreundlichen Politik fehlt weitgehend und beschränkt sich bei den wenigen beschriebenen Maßnahmen auf die Anpassung oder Ausweitung bestehender Instrumente der Sozialpolitik. Ohne weiteres Engagement der Regierung in diesem Bereich könnte mit der ökologischen Transformation die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderdriften, was schließlich die Akzeptanz der grundsätzlich zu begrüßenden klimafreundlichen Ausgestaltung der Politik schmälern würde. Mit der ökologischen Transformation der Industriegesellschaft, den demographischen Verschiebungen und nicht zuletzt durch Corona und die Folgen des UkraineKrieges sind massive Verteilungskonflikte verbunden. Die Lösung dieser Konflikte braucht starke Organisationen wie die Wohlfahrtsverbände, die es gewährleisten, dass schwächere Interessen immer wieder Gehör finden und in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden.


Eine starke Marke. Wohlfahrtsmarken unterstützen soziale Projekte.

Wohlfahrtsmarken 2022

www.awo.org/wohlfahrtsmarken



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