Berlin­Istanbul Zivilgesellschaft(en) Konferenz 2009

Konferenz »Zivilgesellschaft(en) in Berlin und Istanbul«

Istanbul 19. Juni 2009 / Berlin 6.–9. Oktober 2009 20 Jahre Städtepartnerschaft Berlin–Istanbul 2009

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Istanbul 19. Juni 2009 / Berlin 6.–9. Oktober 2009 Städtepartnerschaft der Zivilgesellschaften: Einmischen und Mitmischen Im Kontext des 20-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft Berlin und Istanbul fanden viele städteübergreifende Veranstaltungen in beiden Metropolen statt, unter denen ein besonderer Höhepunkt wohl der Besuch des Regierenden Bürgermeisters Berlin Klaus Wowereit, mit Kunst- und Kulturprogramm im Gepäck, im Sommer in Istanbul war. Das August Bebel Institut und das Forum Berlin Istanbul entwickelten die Idee, eine Netzwerkkonferenz mit zivilgesellschaftlichen Initiativen zu veranstalten, um die Städtepartnerschaft, anders als üblich, »von unten« zu beleben. Wir wollten das breite und vielfältige zivilgesellschaftliche Engagement in beiden Städten präsentieren und nachhaltig vernetzen. Eine Konferenz, die in ihrer Planung und Durchführung innovative Wege gehen sollte und in beiden Städten stattfand.

Am Anfang jeder Partnerschaft steht das Kennenlernen, und so luden wir im Rahmen des Jubiläums 20 Jahre Städtepartnerschaft Berlin–Istanbul 2009 dazu ein, mit zivilgesellschaftlichen Initiativen aus Berlin und Istanbul in Kontakt zu kommen und einen

langfristigen Dialog zu beginnen. Dafür taten sich in Berlin Kolleg/innen aus dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung, dem BUND Berlin, dem Migrationsausschuss der IG Metall und dem Türkischen Bund BerlinBrandenburg (TBB) mit dem August Bebel Institut und dem Forum Berlin Istanbul zusammen. Gemeinsam bekamen wir Einblicke in die Geschichte und die aktuelle Arbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen in den Themenfeldern Stadtentwicklung, Umweltpolitik, Frauenbewegung, Migration und Gewerkschaftsarbeit.

Es war dann auch eine Premiere in der städtepartnerschaftlichen Beziehung zwischen Berlin und Istanbul, als sich unterschiedliche Aktivisten aus den Zivilgesellschaften der beiden Städte trafen. Zunächst fand am 19. Juni 2009 eine Auftaktveranstaltung in Istanbul statt, auf der sich zivilgesellschaftliche Initiativen aus Berlin ihren Istanbuler Kolleg/innen vorstellten, um diese dann vom 6. bis 9. Oktober 2009 in Berlin willkommen zu heißen und gemeinsam kreativ zu arbeiten. Dazu wurde einerseits ein Rahmen-

programm erstellt, das alle Aktivisten einband, zugleich wurden aber Themenschwerpunkte gebildet, zu denen dann mit jeweils individuell zugeschnittenem Programm und an dezentralen Orten gearbeitet wurde. »Die politischen Kulturen in Istanbul und in Berlin sind sehr verschieden.« So fasste eine Teilnehmerin die Ergebnisse ihrer Erfahrungen zusammen. Worin diese Unterschiede, aber auch die vielen Gemeinsamkeiten bestehen, welche beiderseitigen Erkenntnisse der Austausch brachte, welche Chancen gemeinsame Projekte bergen und welche Perspektiven weiterer Zusammenarbeit es auch nach dieser Konferenz geben kann und auch wird, darüber soll diese Dokumentation der Konferenz »Zivilgesellschaft(en) in Berlin und Istanbul« Aufschluss geben.

Zivilgesellschaft braucht das und lebt vom Miteinander, und wir hoffen, einen Beitrag dazu geleistet zu haben. Çağla İlk, Ingo Siebert und Duygu Keskin P

Andere Geschichten, andere Zivilgesellschaften?

Im Fokus unserer Konferenz stehen soziale Bewegungen und Initiativen, die für die Verbesserung der Lebensverhältnisse und Stärkung der Rechte der Bürger/innen eintreten.

Dabei sind die Traditionen und Erfahrungen in den beiden Ländern sehr unterschiedlich.

In Deutschland bildeten sich nach der Studentenbewegung der 1960er Jahre neue soziale Bewegungen heraus, die Defizite staatlicher Politik (Bildung, Umwelt, Geschlechtergerechtigkeit etc.) zu kompensieren versuchten und die vor allem seit den 1980er Jahren in Form von Bürger/innen-Initiativen die zivilgesellschaftliche Landschaft prägen.

Berlin war ein spezieller Fall, da die Stadt bis 1989 geteilt und von den Auseinandersetzungen zwischen zwei politischen Systemen geprägt war.

In der Türkei formten sich Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen erst wieder ab Ende der 1980er Jahre, da politische Aktivitäten durch den Putsch von 1980 und repressive Einschränkungen von Bürgerfreiheiten sehr stark behindert wurden. Laden Yurttagüler von der Istanbuler Bilgi Universität machte

in ihrem Eröffnungsbeitrag auf der Konferenz deutlich, dass erst ab 1986 mit den ersten großen Streiks und ab 1989 mit dem Marsch der Frauen gegen sexuelle Belästigung von einem Neubeginn der Zivilgesellschaft gesprochen werden kann. Die Habitat-Konferenz von 1996 in Istanbul, der erfolgreiche Umgang zivilgesellschaftlicher Einrichtungen mit den Folgen des Erdbebens von 1999 und der angetriebene Demokratisierungsprozess durch die EU-Beitrittsverhandlungen stärkten die Zivilgesellschaft.

In beiden Ländern vollzieht sich seit dem Jahrtausendwechsel eine zunehmende Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, angelegt auf nationale und internationale Zusammenarbeit. Die Organisationen in Berlin sind stark institutionalisiert und häufig staatlich gefördert. Die Professionalisierung birgt die Gefahr, vom politischen Akteur zum bloßen sozialen Dienstleister zu werden.

Außerdem müssen die Einrichtungen angesichts reduzierter öffentlicher Gelder nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Seit den 1980er Jahren engagieren

sich immer mehr auch Menschen mit Migrationshintergrund in Berlin.

In Istanbul ist das »Sich organisieren« teilweise mit hohen Kosten verbunden – will man beispielsweise einen Verein oder eine Kooperative gründen, stehen Gebühren an, die noch aus den Gesetzesänderungen von 1980 resultieren. Das Engagement ist fast ausschließlich ehrenamtlich. EU-Fonds stellen zunehmend Projektgelder zur Verfügung, eine Unterstützung von Seiten des Staates ist unüblich, aber auch häufig unerwünscht, um die Unabhängigkeit vom Staat zu bewahren. Die Zivilgesellschaft findet meist eher als soziale Bewegung statt und geht mit einer starken Kritik an der neoliberalen Politik der Regierung einher.

Sowohl Berlin als auch Istanbul spielen hinsichtlich ihrer Länder eine Vorreiterrolle.

Die hohe Bevölkerungszahl, das kosmopolitische und pluralistische Gefüge, die Nähe zu finanziellen Quellen und Know-how bieten mehr Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Hören wir hin… P

Die Konferenz – Auftakt in Istanbul…

Mit einer Delegation verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Berlin waren wir zum 19. Juni 2009 nach Istanbul gereist, um das Berliner zivilgesellschaftliche Engagement in Istanbul vorzustellen. Durch die Präsentation unserer Arbeit wollten wir den Grundstein für ein erstes Kennenlernen und einen nachhaltigen Dialog legen. Rund 80 interessierte Aktivist/innen verschiedener Istanbuler Initiativen kamen dafür in die alte Tabakbörse, dem heutigen Kunst- und Kulturzentrum »Depo« im Hafenviertel Karaköy. In Vertretung des Regierenden Bürgermeisters Berlins, Klaus Wowereit, sprach der damalige Protokollchef der Stadt Berlin, Dr. Otto Lampe, das Grußwort und betonte die Bedeutung eines nachhaltigen zivilgesellschaftlichen Austausches für Berlin. Ingo Siebert, Leiter des August Bebel Instituts, und Çağla İlk vom Forum Berlin Istanbul begrüßten die Gäste und führten in das Thema »Zivilgesellschaft in Berlin« ein.

Moderiert von Çiğdem Akkaya berichteten Berliner Referent/innen in Vorträgen und Gesprächen über die Geschichte und aktuelle

Arbeit sozialer Bewegungen und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Tanja Berger vom Bildungswerk Berlin der Heinrich-BöllStiftung und Kadriye Karcı von der Rosa-Luxemburg-Stiftung stellten Frauenprojekte aus Berlin vor. Die Mitarbeiter/innen des Forums Berlin Istanbul, Thomas Knorr-Siedow und Cağla İlk, berichteten von den Erfahrungen sozialer Bewegungen im Bereich der Stadtentwicklung.

Tillmann Heuser und Gülcan Nitsch vom BUND für Umwelt und Naturschutz präsentierten die Arbeitsfelder von Berliner UmweltInitiativen. Mehmet Alpbek vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg erzählte über die Geschichte migrantischer Selbstorganisation und ihre Bedeutung für die Zivilgesellschaft.

Ferda Sönmez und Gabriele Gün Tank vom Migrationsausschuss der IG Metall Berlin– Brandenburg–Sachsen sprachen über die Rolle der Gewerkschaften als Teil der Zivilgesellschaft und die Rolle migrantischer Gewerkschaftsmitglieder bei Arbeitskämpfen in transnationalen Konzernen. Çağla İlk und Ingo Siebert beendeten den

formellen Teil mit einer Einladung an die zivilgesellschaftlichen Akteure Istanbuls nach Berlin und Aussichten möglicher Zusammenarbeit. Der Abend fand seinen Ausklang in Einzelgesprächen, begleitet von Musik und kleinen Snacks, in denen die Anwesenden bestehende Kontakte erweiterten und erste Gespräche innerhalb der Themengruppen führten. P

Die Konferenz – weiter in Berlin Zur Auftaktveranstaltung der Konferenz am 6. Oktober 2010 in der Werkstatt der Kulturen stellten sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion vier Istanbuler Aktivist/innen der Zivilgesellschaft vor, die in den Bereichen Stadtentwicklung, Frauenbewegung, Umweltinitiativen und Gewerkschaft aktiv sind.

Moderiert durch den Journalisten Eberhard Seidel beschrieben sie die Geschichte ihrer

Bewegungen, ihre Tätigkeitsfelder und Herausforderungen und verhalfen so den gut 200 interessierten Zuhörer/innen zu einem ersten Einblick in die Landschaft ziviler Initiativen Istanbuls. In der Debatte verdeutlichten sie ihre sehr unterschiedlichen Positionen, insbesondere das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft betreffend.

In den folgenden drei Tagen wurde in fünf

Workshops und auf einer Abschlussveranstaltung eifrig weiter diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht und Kooperationsprojekte entwickelt. Die Ergebnisse der Workshops dokumentieren wir auf den folgenden Seiten. P

»Wir wollen uns gegen den neoliberalen städtischen Wandel insgesamt wehren« Erdoğan Yıldız ist Koordinator der Plattform für Stadtteil-Initiativen in Istanbul und Stadtteilaktivist im Gülensu-Gülsuyu-Verein des gleichnamigen Wohnviertels, wo er sich für die Rechte der Anwohner/innen engagiert.

Nach seiner Ansicht sind die Istanbuler/innen bedroht von Umstrukturierungsplänen, die von den staatlichen Behörden voran getrieben werden, weshalb seine Plattform nicht nur Häuser und Stadtteilkultur schützt, son-

dern sich auch gegen den neoliberalen städtischen Wandel insgesamt wehrt.

Während der Debatte verdeutlichte er die Beziehung zwischen den städtischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und dem Staat. Er beschrieb, dass in den 1950er Jahren aufgrund der Industrialisierung eine Binnenmigration in die Städte begonnen hatte, die zu informellem Bauen (gecekondu) führte.

Seit den 2000er Jahren findet eine städti-

sche Umstrukturierung statt. Zu diesen Projekten gehören der Bau einer dritten Brücke über den Bosporus und die Privatisierung des Haydarpaşa-Hafens. Dabei kommt es zum Konflikt mit den drei wichtigen Akteuren in Istanbuls Stadtentwicklung: der TOKI, der nationalen Behörde für öffentlichen Wohnungsbau, der Stadtregierung und bestimmten Bezirksverwaltungen, die Bürger/innen an diesen Planungen nicht beteiligen. P

»Es gibt kein Frauenproblem sondern ein Sexismusproblem« Pınar Selek ist Gründerin von Amargi, einer Frauensolidaritätskooperative, engagiert sich stark in der Friedens- und Menschenrechtsbewegung und ist Herausgeberin einer feministischen Theoriezeitschrift. Sie gab einen Überblick über die Geschichte und Situation der Frauenbewegung und erläuterte, dass bis 1980 Frauen eher gleiche Rechte für alle forderten. Als dann durch den Militärputsch viele linke Männer verhaftet wurden, organisierten die Frauen zunächst die linke Bewegung.

Danach aber widmeten die Frauen sich erstmals komplett sich selber, sie liefen vor den Gerichten auf und forderten: »Wir wollen nicht mehr verheiratet sein«. Das Verhältnis von zivilgesellschaftlichen Instituti-

onen und Staat sei immer angespannt. Fonds vom Staat zu beanspruchen heißt immer auch, unter die Kontrolle des Staates zu kommen.

Aber es gehe den unterschiedlichen Gruppen in der Frauenbewegung um eine Unabhängigkeit von Staat und Parteien. So hätten Frauen seit langem Frauenhäuser gefordert. Vor Wahlen würden immer viele Versprechen gemacht, die dann zu großen Enttäuschungen führten. Dennoch sei die Frauenbewegung so stark, dass sie ihre Anliegen auf die politische Tagesordnung setzen kann, doch kann sie leider nicht ausreichend Einfluss nehmen. P

»Ideen und Bewegungen müssen globaler werden« Victor Ananias ist der Gründer von Buğday, einer Bewegung zur Unterstützung ökologischen Lebens, die den ersten Biomarkt der Türkei etablierte. Er erläuterte, wie seine Bewegung im Laufe diverser Projekte zu ökologischer Ernte oder auch ökologischem Tourismus den Rahmen einer klassischen Umweltschutz-Organisation gesprengt hat.

Während der Debatte beschrieb er die Arbeitsweise seines Vereins.

Er betonte, dass in der Vergangenheit sowohl der Kapitalismus als auch der Sozialismus die natürlichen Ressourcen ausgebeutet hätten. Seine Bewegung versucht, kleine Modellprojekte zu schaffen, die Menschen aus unterschiedlichen Bereichen vereinigen und auf verschiedene

Probleme antworten.

So wurde zum Beispiel vor vier Jahren der Ökowochenmarkt ins Leben gerufen, der es jetzt, dank Gesetzesänderungen, der Ökolandwirtschaft ermöglicht, ihre Produkte in Istanbul direkt zu verkaufen die Verbraucher/innen können gesund und billig einkaufen, und gleichzeitig werden die Bezirksverwaltungen erstmals für gesunde Ernährung aktiv. Ananias betonte, dass die Arbeit in der Umweltbewegung nicht nur auf Istanbul, sondern dem Thema entsprechend auf den gesamten Globus ausgerichtet sein muss. P

»Ohne Kapitalismus-Kritik kann die Arbeit der Zivilgesellschaften nicht voran kommen« Hasan Arslan arbeitet seit langem als Gewerkschaftssekretär in der Türkischen Metallgewerkschaft Birleşik Metal İş und ist seit vier Jahren Leiter eines gemeinsamen Projektes mit dem DGB Bildungswerk, das den Namen »Verstärkung der Verhandlungsposition der türkischen Gewerkschaften« trägt. Er lebte 25 Jahre in Deutschland, bis er sich 1996 in Istanbul niederließ, und kennt sowohl die Berliner als auch die Istanbuler Gewerkschaften gut. Während der Debatte ging er vor allem auf die Rolle des Kapitalismus bei der Gewerkschaftsarbeit ein, die die Rechte der Arbeitnehmer/innen vertreten soll. Dabei will man sich nicht der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen der Zivilgesell-

schaft verschließen. Er beschreibt, dass es zurzeit darum gehe, gegen ein amerikanisches Modell von »gelben« unechten Gewerkschaften anzugehen, die den gewerkschaftlichen Kampf ablehnten und vor allem im Interesse der Unternehmer handelten. Arslan erläuterte auch, wie im Rahmen des Militärputsches von 1980 Gewerkschaften zu Terrororganisationen wurden. Nach zehn Jahren wurde dies widerrufen und die Arbeit konnte fortgesetzt werden, obwohl die türkischen Gewerkschaften aus dieser Zeit sehr geschwächt herausgegangen sind. P

Recht auf Stadt Workshop Stadtentwicklung Trotz vieler Unterschiede in der Stadtentwicklung betreffen die Bedingungen globaler Veränderungsprozesse Berlin und Istanbul in ähnlicher Weise. Von den Masterplänen für die Innenstädte bis in das Alltagsleben der Nachbarschaften hinein verändern sich durch den Einfluss von teilweise global aktiven Investoren die Lebensbedingungen in den Städten. In beiden Städten erleben so ganze Stadtteile eine ökonomische Aufwertung, die oft verbunden ist mit einer Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerungsschichten und einer Verstärkung von sozial-räumlichen Polarisierungen: An beiden Orten können wir beobachten, wie der Anteil an wohlhabenden Bevölkerungsgruppen in zentralen Quartieren steigt, während die ärmeren Bevölkerungsschichten mehr oder weniger an den Rand der Städte gedrängt werden.

In Berlin ist seit den 1980er Jahren, ausgelöst durch die Hausbesetzungs- und Stadtteilbewegungen, eine umfassende Kultur der zivilgesellschaftlichen Beteiligung an der Stadtentwicklung entstanden. Es besteht eine Planungskultur, die auf einem Dialog

zwischen Stadtpolitik, Investoren und Bürgerinitiativen beruht, welcher aber auch immer wieder von den Bürger/innen eingefordert werden muss und mit vielen Konflikten verbunden ist.

Um ähnliche Dialogforen in Istanbul zu entwickeln, arbeiten seit einigen Jahren Nachbarschaftsinitiativen mit unabhängigen Wissenschaftler/innen und Künstler/innen zusammen. Sie verteidigen Wohnrechte und versuchen, ein kollektives soziales Leben im Stadtteil herzustellen. Eine radikale neoliberale Stadtentwicklung, einhergehend mit dem Abriss ganzer Stadtteile und der Verdrängung von ärmeren Bevölkerungsgruppen, bewirkt, dass sich die auf Stadtentwicklung bezogenen Kämpfe wesentlich radikalisierter darstellen als in Berlin.

Vor diesem Hintergrund kam eine breite Mischung von Stadtaktivist/innen im Rahmen der Konferenz zusammen: aktive Betroffene, die sich in Stadtteilvereinen und interdisziplinären Plattformen gegen Stadtteilumstrukturierung in Istanbul engagieren, Vertreter/innen von Bürgerrechtsvereinen und des

Quartiersmanagements, Künstler/innen und Berliner Politiker/innen.

In Vorträgen und Projektvorstellungen, Gesprächen und Rundgängen waren neben dem Thema genossenschaftliches Bauen vor allem Möglichkeiten des Widerstandes gegen Stadtteilumstrukturierungen und Möglichkeiten von Partizipationsprozessen wiederkehrende Fragen. Im Laufe dieser Gespräche wuchs die beiderseitige Erkenntnis über die großen Unterschiede in der politischen Kultur – vor allem in Bezug auf die Stadtverwaltungen. Dennoch gleichen sich auch die Herausforderungen beider Städte. Während der Sozialstaat in Istanbul ohnehin wenig ausgeprägt ist, drückt sich in Berlin der Rückzug des Staates durch eine zunehmende Privatisierung von Daseinsversorgung (Wasser, Strom, Verkehr) und Deregulierung des Wohnungsmarktes in den vergangenen Jahrzehnten aus. Beide Städte haben an erster Stelle Probleme, dem Druck durch Neoliberalisierung Stand zu halten. Während Berlin diese Entwicklung durch die vorhandenen Beteiligungsmechanismen (z.B. Volksbegehren) auf der Ebene der Stadt-

entwicklung relativ langsam erlebt, erfährt Istanbul sie sehr schnell.

Langfristig, so eine Idee für die weitere Zusammenarbeit, soll die Gründung einer Arbeitsgruppe angestrebt werden, welche die städtischen Planungen Berlins und Istanbuls vergleicht. Die Ergebnisse können als politisches Instrument für mehr Wohnrechte in den Stadtteilen der beiden Städte genutzt werden. Ein intensiver Erfahrungsaustausch über

den Umgang mit neoliberalen Konzepten des Stadtumbaus ist eine wichtige Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis und Solidarität.

Dabei können Berliner/innen von den drastischen Ergebnissen neoliberaler Baupolitik in Istanbul und Istanbuler Aktivist/innen aus den Erfahrungen sozialer Bewegungen Berlins lernen. Die Themen Genossenschaftsbau und Beteiligungsmöglichkeiten sollen weiter diskutiert werden. In der kooperativen Praxis

von Bürger/innen und Politik in Berlin sahen die Istanbuler/innen Potenzial auch für ihre Situation. 2010 möchten sie Berliner Akteure nach Istanbul einladen, um durch eine genaue Analyse eine nutzbare Praxis zu schaffen. P

Mittwoch, 7.10.2009: Stadtführung Mulackstraße »Stadtentwicklung in den 1990er Jahren« / Haus Schwarzenberg, Gespräch mit Jutta Weitz, Mitarbeiterin der Wohnungsbaugesellschaft Mitte / Abgeordnetenhaus Berlin, Gespräch und Mittagessen mit der Abgeordneten Dilek Kolat (SPD) und Ellen Hausdörfer, Stadtentwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion / Baugruppen und Hausbesetzungen, Bauprojekt K-20 (Kreutzigerstr. 20), Architekturbüro Roedig & Schop / STATTBAU Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, Gespräch mit Herrn Theo Killewald, Geschäftsführer Donnerstag, 8.10.2009: tadtführung Oranienstraße und Oberbaumbrücke »Behutsame Stadterneuerung in den 1980er Jahren und aktueller Widerstand gegen Mediaspree-Bauprojekt« / Lichthof der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Gespräch mit Staatssekretärin Hella Dunger-Löper, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, »Aktuelle Themen der Stadtentwicklung am Modell« und »Berlin – Stadt der Partizipation« / Quartiersmanagement im Soldiner Kiez, Gespräch mit Katja Niggemeier, Quartiersmanagerin »Soziale Stadt«, und Treffen mit Kolonie Wedding e.V., Gespräch und Besichtigung verschiedener Galerien Teilnehmende aus Istanbul: Mehmet Erdal Aybek, Tarlabaşi (Mieter-Organisation) / Ayşe Çavdar, Express Magazine (kritische Monatszeitschrift) / Sulukule Platform (Stadtteilinitiative), Fırat Genç, Express Magazine, Internationaler Helsinki-Verein (Bürgerrechtsverein) / Adem Kaya, Başıbüyük (Stadteilverein) / Murat Cemal Yalçıntan, Mimar Sinan Universität IMECE (Solidäritätswerkstatt) / Erdoğan Yıldız, Gülensu-Gülsuyu (Stadteilverein), IMDP-Platform für Stadtteilinitiativen Istanbul Teilnehmende aus Berlin: Mehmet Alpbek, Forum Berlin Istanbul, Türkischer Bund Berlin-Brandenburg, Çağla İlk, Forum Berlin Istanbul, Thomas Knorr-Siedow, Forum Berlin Istanbul, Ingo Siebert, August Bebel Institut / Joachim Wagner, August Bebel Institut

Grüne Städte?

Workshop Umweltpolitik Die Umweltbewegungen in Berlin und Istanbul sind in den 1980er Jahren erstarkt. In beiden Städten finden sich heute Hunderte von Bürgerinitiativen und Verbänden auf Quartiers- und gesamtstädtischer Ebene, die sich im Natur-, Umwelt- und Klimaschutz engagieren. Während die Umweltbewegung in Berlin u.a. durch die öffentliche Förderung stark institutionalisiert ist, zeichnet sich die Bewegung in Istanbul durch eine extreme Vernetzung und Zusammenarbeit der ehrenamtlich geführten Organisationen untereinander aus.

Die Herausforderung für die Arbeit in Berlin stellt vor allem die Energielobby dar.

Für die Arbeit der Umweltbewegung in Istanbul sind es die noch schwach ausgebildeten umweltfreundlichen Infrastrukturen (z. B. Müllentsorgung) und ein größeres Informationsdefizit in der Bevölkerung.

Die aktuellen Inhalte ähneln sich allerdings: Schutz von Gewässern, Naturflächen und Straßenbäumen, Sicherung der Grundwasserqualität, sowie umweltverträglichere Energieversorgung und Abfallpolitik. Themen

wie eine nachhaltige Mobilitätspolitik stellen in der Megacity Istanbul mit seinem immensen Verkehrsaufkommen und damit einhergehender Luftverschmutzung besondere Aufgaben dar.

Im Zuge der EU-Mitgliedsverhandlungen wurden in der Türkei viele Umweltgesetze erlassen, bei deren Umsetzung es aber an Kontrollinstanzen mangelt. In Berlin gibt es zwar mehr Gesetze und Kontrollen, dennoch gelingt es bestimmten Wirtschaftszweigen mit einer starken Lobby, notwendige ökologische Maßnahmen zu blockieren.

Im Rahmen der Konferenz kamen Mitarbeiter/innen und Mitglieder von Umweltschutzorganisationen zusammen: Vertreter/ innen von Vereinen, Stiftungen und von Länderbüros internationaler Umweltschutzorganisationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber auch Vertreter/innen der türkisch- und deutschsprachigen Gruppen eines Berliner Umweltschutzverbandes. Darüber hinaus fanden sich Initiatoren eines UmweltFilmfestivals und eines Vereins für zivilgesellschaftliche Entwicklung ein.

Mit einem breiten Programm versuchte man der bunten Teilnehmerzusammensetzung gerecht zu werden: Neben einem gemeinsamen Workshop mit deutschen und türkischen Umweltorganisationen und dem Besuch eines großen Umweltverbandes und seiner türkischsprachigen Gruppe standen Termine bei einer gemeinnützigen Beratungsgesellschaft zu Energiesenkungsmöglichkeiten und bei einer Verbraucherschutzorganisation an.

Außerdem wurden Bio-Super- und Wochenmärkte besichtigt, sowie Gespräche mit Cem Özdemir, dem Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, und Katrin Lompscher, der Berliner Umweltsenatorin, geführt.

Im Laufe der Konferenz entstanden viele gemeinsame Ideen, deren Umsetzung größtenteils schon 2010 erfolgen soll. Im Mittelpunkt steht dabei der Informations- und Erfahrungsaustausch auf verschiedenen Ebenen: Durch Veranstaltungen zu Themen wie erneuerbare Energien oder ökologische Produktions- und Konsumförderung, der Initiierung von Schul-Partnerschaften und Jugendaustausch im Umweltbereich, sowie dem

Besuch einer Umweltdelegation aus Berlin in Istanbul im Frühjahr sollen vielfältige Austauschmöglichkeiten geschaffen und längerfristig zusammengearbeitet werden.

Zusätzlich sind Kooperationen geplant: Das Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung in Istanbul lädt alle zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Berlin ein, sich am diesjährigen Programm des hauseigenen Festivals im Herbst aktiv zu beteiligen.

Eine bilinguale Wanderausstellung zum Thema ökologischer Anbau und Ernährung, die bereits vorbereitet wird, soll auf verschiedenen Bio-Märkten in Berlin und Istanbul gezeigt werden. Außerdem sollen regionale Projekte realisiert werden, wie z.B. die Einführung des Verkaufs von Bio-Produkten in türkischen Lebensmittelgeschäften in Berlin.

Im Mai 2010 findet die Konferenz »Bio-Landbau« in Istanbul statt, die dafür eine Plattform

bieten soll.

Die Konferenz wurde vor allem aufgrund ihrer breiten Teilnehmerzusammensetzung und Programmgestaltung als sehr ergiebig bewertet. Neben einer ersten Kontaktaufnahme und einem gegenseitigen Kennenlernen entstanden schnell viele Ideen. Für die Konkretisierung und Realisierung der geplanten Projekte sind in Zukunft weitere Treffen erforderlich. P

Mittwoch, 7. Oktober 2009: Treffen mit Vertreter/innen der deutschen Umweltverbände / Stiftung Warentest, Gespräch mit der Pressesprecherin Petra Rothbart / Besuch eines LPG Bio-Supermarktes / Stadtführung um das Regierungsviertel Donnerstag, 8. Oktober 2009: Gespräch mit der Berliner Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Katrin Lompscher (Die Linke) / Treffen mit Dr. Johannes D. Hengstenberg, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft co2online gGmbH / Besuch des Biomarkts am Kollwitzplatz / Treffen mit Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen / Treffen mit Mitgliedern von Yeşil Çember des BUND Berlin Teilnehmende aus Istanbul: Victor Ananias, Güneşin Oya Aydemir, Buğday (Verein zur Unterstützung ökologischen Lebens) / Suade Arançlı, Sivil Toplum Geliştirme Merkezi (Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung) / Sevil İrengü, TEMA-Stiftung (Türkische Umweltstiftung) / Özay Özer, Greenpeace Mittelmeer / Cana Ulutaş, Sürdürülebilir Film Festivali Platformu (Filmfestival für Nachhaltigkeit) Teilnehmende aus Berlin: Sevinç Aktaş, Gökçen Demirağlı, Sülünay Karaca, Şaduman Karaca, Öykü Kaygusuz, Gülcan Nitsch und Enderşan Turhan, Yeşil Çember (Grüner Kreis, türkischsprachige Gruppe des BUND) / Tilmann Heuser, BUND

Frauen in Bewegung Workshop Frauenbewegung Frauenpolitik hat in Berlin und Istanbul eine lange Tradition; hier wie dort kamen bereits im 19. Jahrhundert Frauen zusammen, um sich auszutauschen, weiterzubilden und ihre Rechte zu erstreiten. Die allgemeine Politisierung in beiden Städten in den 1960er und 70er Jahren führte zu einem Wiederaufleben und Erstarken der Frauenbewegung. Während sich in den 1980er Jahren die frauenpolitische Szene in Berlin in verschiedenen Einrichtungen institutionalisierte und staatliche finanzielle Unterstützung sichern konnte, führte zu gleicher Zeit in der Türkei der Putsch dazu, dass sich in Istanbul eine autonome Frauenbewegung etablierte, die nicht mehr vordringlich Freiheiten für alle forderte, sondern sich vor allem auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentrierte.

Die Entwicklungen der Frauenpolitik der letzten Jahrzehnte waren in Berlin wie Istanbul von einer Differenzierung innerhalb der Frauenbewegung geprägt. In Berlin kamen mit der Wiedervereinigung Ost- und Westfrauenbewegung zusammen, und es etablierten sich migrantische Frauenorganisationen.

In Istanbul verschmolz die Frauenbewegung zunehmend mit anderen sozialen Bewegungen, vor allem mit der Schwulenbewegung.

Seit der Jahrtausendwende wurden in beiden Städten zunehmend auch Gender- und QueerAktivist/innen politisch sichtbar.

So gibt es heute in beiden Städten eine sehr vielfältige Frauenbewegung bzw. frauenpolitische Szene, durch die Frauen in unterschiedlichen Lebensbereichen Förderung, Beratung, Unterstützung und Vernetzung erfahren und sich politisches Gehör verschaffen. Während in Berlin Frauenpolitik sehr stark institutionalisiert und staatlich gefördert ist, hat sie in Istanbul noch stärker den Charakter einer dynamischen und auch auf der Straße präsenten sozialen Bewegung. Staatliche Zuwendungen sind dort zum Teil gar nicht erwünscht, weil man die eigene Unabhängigkeit als zivilgesellschaftliche Organisation dadurch gefährdet sieht. Gemeinsam ist der Frauenpolitik in beiden Städten, dass die rechtliche Gleichstellung schon weit gediehen ist, dass aber mangelnde Rechtsdurchsetzung und gesellschaftlich-kulturelle Beharrlichkei-

ten weiterhin frauenpolitische Arbeit nötig machen. Aktuelle Themen sind dabei nach wie vor Gewalt gegen Frauen, aber auch die ökonomische und soziale Gleichstellung, wie z.B. gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, mehr Frauen in Führungspositionen u.ä..

Die Konferenzteilnehmerinnen aus Istanbul und Berlin kamen aus unterschiedlichen Bereichen der Frauenbewegung zusammen: Gewalt gegen Frauen, wirtschaftliche und politische Partizipation von Frauen, feministische Theorie, Forschung, Medien und Netzwerkarbeit, sowie interkulturelle Arbeit und Gender.

Dementsprechend breit war das Programm aufgefächert, welches neben Besuchen von frauenpolitischen Sprecherinnen des Berliner Parlaments auch Besuche bei Unternehmerinnen in genossenschaftlichem Rahmen, den Besuch eines Frauenhauses und eines Online-Magazins umfasste.

In den Gesprächen und Workshops wurden einerseits Arbeitsweisen und -ansätze verglichen, andererseits konkrete Themen wie bessere Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit

von Berliner und Istanbuler Frauenorganisationen besprochen.

Beim Besuch im Abgeordnetenhaus wurden auch konkrete Fragen, wie die des politischen Nachwuchses, die Unterstützung der Politikerinnen durch zivilgesellschaftliche Frauenorganisationen und verschiedene politische Mittel der Gleichstellung erörtert.

Zu den städteübergreifenden inhaltlichen Problemen sind nun gemeinsame Projekte in

Planung. Eine Idee besteht in einer gemeinsamen Internetplattform, die den Informationsaustausch zum Thema Frauenpolitik in beiden Städten vorantreiben soll. Zudem sollen regelmäßige themenspezifische Arbeitstreffen der Frauengruppen aus und in beiden Städten durchgeführt werden. Auf dem nächsten Treffen soll der Schwerpunkt Migrationsund Integrationspolitik aus frauenpolitischer Sicht Vorrang haben. Geplant ist für 2010 eine

Beteiligung am Europäischen Sozialforum in Istanbul.

Die Einrichtung einer gemeinsamen Diskussionsplattform und folgende Workshops bzw. Tagungen mit konkreteren und tiefergehenden Ansätzen, die vor allem weitere Akteure der Frauenbewegungen beider Städte einbindet, sind erwünscht. P

Mittwoch, 7. Oktober 2009: Abgeordnetenhaus Berlin, Gespräche mit den frauenpolitischen Sprecherinnen Evrim Helin Baba (Die Linke), Anja Kofbinger (Bündnis 90/ Die Grünen) und Ulrike Neumann (SPD) / Besuch und Gespräch in der Weiberwirtschaft e.G. und Gründerinnenzentrale (Frauen-Gründungsberatungsstelle) mit Antje Ripking, Projektleiterin der Gründerinnenzentrale Donnerstag, 8. Oktober 2009: Frauenprojekte Bora e.V., Gespräch mit Uta Kirchner, Geschäftsführerin, und Besuch eines Frauenhauses, Gespräch mit Pari Teimoori, Projektleiterin Frauenhaus / Im Bildungswerk Berlin der Heinrich Böll Stiftung: Diskussion »Frauenbewegung und -politik in beiden Städten« / Besuch beim Online-Frauenmagazin AVIVA, Gespräch mit der Redakteurin Yvonne de Andrés Beteiligte aus Istanbul: Cânân Arın, Mor Cati Kadin Siginagi Vakfi (Lila Dach Frauenhaus-Stiftung) / Asena Günal, Anadolu Kültür A.Ş. (Anadolu Kulturverein) / Gönül Karahanoğlu, KA-DER (Verein zur Unterstützung und Fortbildung von Kanditatinnen in der Politik) / Aysun Sayın, SOGEP (Zentrum für Strategien zur sozialen Entwicklung und Geschlechtergerechtigkeit) / Pınar Selek, Amargi (Feministische Zeitschrift und Frauen-Kooperative) Beteiligte aus Berlin: Ulrike Allroggen und Elzbieta Treide, AK Frauenpolitische Bildung im Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung (nachfolgend AK Frauen) / Yvonne de Andrés, Online-Frauenmagazin AVIVA und AK Frauen / Tanja Berger, Pamela Dorsch und Christiane Droste, AK Frauen und Forum Berlin Istanbul / Ayla Ertürk, Forum Berlin Istanbul / Kadriye Karcı, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Gute Arbeit Workshop Gewerkschaften Noch immer sind die Grundlagen für die gewerkschaftliche Arbeit in beiden Ländern sehr unterschiedlich. Schaut man auf die Geschichte, sieht man schnell, dass Gewerkschaften in Berlin traditionell stark verwurzelt sind und sich viele Rechte erkämpft haben. In der Türkei gelten noch die restriktiven Gewerkschaftsgesetze, die erst mit dem Militärputsch von 1980 Eingang in der Türkei fanden und größtenteils bis heute fortbestehen. So muss eine Gewerkschaft 10 Prozent der Beschäftigten der jeweiligen Branche im ganzen Land organisiert haben, um Tarifverhandlungen führen zu können. Im jeweiligen Betrieb muss sie über 50 Prozent der Beschäftigten organisiert haben. Jede Mitgliedschaft muss notariell beglaubigt werden und wird nur dann anerkannt, wenn der/die Arbeitnehmer/in sozialversichert ist.

Der Arbeitsmarkt in Istanbul ist besonders seit den 1990er Jahren geprägt durch eine Staatspolitik, die den Dienstleistungssektor fördert und die Industrie zunehmend in die Außenbezirke oder außerhalb von Istanbul verlagert. Beschäftigte, die aufgrund ihrer

ökonomischen, familiären oder gesundheitlichen Situation nicht mit ihrem Arbeitsplatz wandern konnten, verloren ihre Arbeit.

Auch in Berlin ist seit Anfang der 1990er Jahre eine Umstrukturierung der Arbeitsmarktes zu spüren: Gab es 1991 noch 207 000 Industriearbeitsplätze, so arbeiten heute nur noch rund 100 000 Menschen in der Industrie. Von der Umstrukturierung nach 1990 waren besonders viele gering qualifizierte Migrant/innen betroffen. Bereits seit den 1970er Jahren spielen Mitglieder mit Migrationshintergrund in der IG Metall eine wichtige Rolle. Heute machen sie rund 30 Prozent der IG Metall-Mitglieder in Berlin aus, sind in vielen gewerkschaftlichen Gremien aktiv und als Betriebsräte und Vertrauensleute tätig.

Sie sind gut organisiert, jedoch immer noch schlecht repräsentiert.

Zur Konferenz lud der Migrationsausschuss der IG Metall Berlin-BrandenburgSachsen sechs Kollegen der Metallgewerkschaft Birleşik Metal aus unterschiedlichen Betrieben ein. Diese Gewerkschaft versteht sich als »Klassenorganisation« und befasst

sich auch mit Fragen der Migrations- und Umweltpolitik.

Der Austausch in Berlin begann im IG Metall-Haus mit einer Einführung zur Berliner Geschichte der Gewerkschaftsarbeit.

Gemeinsam wurden verschiedene Betriebe besucht, so die Pierburg-Fabrik und Bosch und Siemens Hausgeräte. Die Besichtigungen waren Grundlage für einen Erfahrungsaustausch zu den Themen Kurzarbeit, Protestkulturen und gesetzliche Grundlagen zur Mitbestimmung. Diskutiert wurden auch die Möglichkeiten gemeinsamer Aktionen in jenen Firmen, die in beiden Städten bzw. Ländern produzieren.

Gewerkschaften in der Türkei haben sich mittlerweile einen Machtbereich erobert, der auch von Seiten des Staates zunehmend anerkannt wird. Während die Gewerkschafter/ innen in Istanbul durch den fortschreitenden Demokratisierungsprozess mehr Rechte geltend machen können, so ein Ergebnis des Erfahrungsaustausches, müssen die Beschäftigten in Berlin im Zuge von Arbeitskämpfen ihre Rechte zunehmend verteidigen. In der

Türkei können die Gewerkschaften ihre Mitglieder sehr gut für Streiks und Aktionen aktivieren.

Zudem gehen sie mit speziellen Fachleuten in Unternehmen, die bisher noch nicht gewerkschaftlich organisiert sind, egal ob im Dienstleistungs- oder Industriesektor, um dort Hilfestellung in Form von Schulungen zu leisten. Ansätze, die auch in Berlin verstärkt werden sollten.

Gemeinsamen Fort- und Weiterbildungen für die Belegschaften in Berlin und Istanbul wurden daher im Zuge der Konferenz Schlüsselrollen zugesprochen: Ein gemeinsames Informationsniveau und Problembewusstsein wird als wichtige Voraussetzung gesehen, um in der Gewerkschaftsarbeit stärker voranzukommen. Die Gewerkschafter/innen aus beiden Städten nutzten darüber hinaus die breite Mischung von Akteur/innen und Themenfel-

dern bei der Konferenz auch für den gewerkschaftsübergreifenden Austausch.

Verabredet wurden eine verstärkte Vernetzung von Arbeitsbeziehungen, sowie der Transfer von Ideen zu betrieblichen, gesellschafts- und organisationspolitischen Themen. 2010 sollen nach weiteren Zusammenkünften konkretere Maßnahmen für beide Städte folgen. P

Mittwoch, 7. Oktober 2009: IG-Metall, Führung durch das historische Haus und Referate zur Geschichte des Hauses, zur Situation während des Nationalsozialismus und zum Gewerkschaftsaufbau mit Rüdiger Lötzer, Verwaltungsstelle, und Markus Plagmann, Bezirksleitung / Führung durch die Pierburg-Fabrik (Fertigung und Montage) / Gespräch über Kurzarbeit in Berlin und Istanbul mit Mustafa Yeni Donnerstag, 8. Oktober 2009: Besuch bei Bosch und Siemens Hausgeräte (Montage von Waschmaschinen), Gespräch »Streikrecht und Protestkultur in Berlin und Istanbul« mit Hüseyin Akyurt, VK-Leiter, und Güngör Demirci, Betriebsratsvorsitzender / Erfahrungsaustausch und Diskussion zum Betriebsverfassungsgesetz in Deutschland und den rechtlichen Rahmenbedingungen der Gewerkschaftsarbeit in der Türkei sowie über Möglichkeiten der Solidarität zwischen Berlin und Istanbul mit Hüseyin Akyurt Teilnehmende aus Istanbul: Mesut Ankara, Hasan Arslan, Murat Buzdere, Mustafa Doğanay, Gazi Haşhaş, Güray Yanarsönmez, alle Gewerkschaft Birleşik Metal İş Teilnehmende aus Berlin: Rüdiger Lötzer, Markus Plagmann, Ferda Sönmez, Gabriele Gün Tank, Mustafa Yeni, alle Migrationsausschuss der IG Metall Berlin–Brandenburg–Sachsen

Junges Engagement Workshop Jugendpolitik Jugendliche werden gesellschaftlich tendenziell als Problem wahrgenommen, auch in Berlin und Istanbul. Zivilgesellschaftliche Organisationen versuchen dieses Bild zu verändern, indem sie sich verstärkt an den Potenzialen von Jugendlichen orientieren und deren Rechte zu stärken versuchen. Sie nehmen Jugendliche als Individuen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen wahr und unterstützen sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und vielem mehr.

In Berlin hat sich durch jahrelange staatliche Förderung eine große Bandbreite von Jugendeinrichtungen etabliert, die sich durch die Abnahme staatlicher Mittel in einer zunehmenden Abhängigkeit von projektge-

bundenen Geldern befinden. Vielerorts steht hier die Nachhaltigkeit von Jugendarbeit auf dem Spiel.

Die überwiegend ehrenamtlich tätigen Akteure der Jugendeinrichtungen in Istanbul hingegen beklagen, dass sie aufgrund traditionell geringer Unterstützung durch den Staat gezwungen sind, ihre Projekte von privaten Unternehmen finanzieren zu lassen.

Neben bestehenden EU-Geldern für zivilgesellschaftliche Organisationen im Bereich Jugend stellt nichtsdestotrotz auch der türkische Staat zunehmend Fonds zur Verfügung.

Für die Jugendarbeit der Türkei spielen diese Einrichtungen eine Schlüsselrolle; denn vor allem hier wächst die Expertise heran.

Durch die Konferenz lernten sich Akteure

unterschiedlicher Jugendeinrichtungen sowie der Jugendpolitik kennen und tauschten sich über Praxis und Rahmenbedingungen in beiden Städten aus. Im Mittelpunkt standen die migrationsgeprägte Jugendarbeit in Berlin und die Rolle von Jugendkultur (z.B. HipHop) als Zugangsinstrument zu Jugendlichen.

Die Konferenzteilnehmer planen nun einen weiteren Informations- und Erfahrungsaustausch in Methoden- und Theoriefragen, etwa durch Job-Shadowing. Neben einer verstärkten Förderung deutsch-türkischer Jugendbegegnungen bildet die Entsendung deutscher Freiwilligendienstleistender im Rahmen des freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres nach Istanbul eine von vielen Kooperationsmöglichkeiten. P

Dienstag, 6. Oktober 2009: Archiv der Jugendkulturen e.V. / StreetUniverCity Berlin e.V., Gió Di Sera, künstlerischer Leiter, und Philipp Marcel, Kreativdirektor Mittwoch, 7. Oktober 2009: Landesjugendring Berlin, Candida Splett, Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit / Alte Feuerwache e.V. / Jugendbildungsstätte Kaubstraße /Jugendamt Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler, Bezirksstadträtin / Junge Presse Berlin e.V., Michael Metzger, Vorstandssprecher Donnerstag, 8. Oktober 2009: Gangway e.V. (Straßensozialarbeit), Treffen mit Semih Kneip und der Abgeordneten Bilkay Öney (SPD) / Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Sandra Hildebrandt, Referentin für Jugendverbände, und Rita Hermanns, Internationale Jugendarbeit Beteiligte aus Istanbul: Cengiz Kayhan, Toplum Gönüllüleri Vakfı (Community Volunteers Foundation) / Yörük Kurtaran, Gençlik Çalışmaları Birimi, Bilgi Üniversitesi (Youth Studies Unit der Bilgi-Universität) Beteiligte aus Berlin: Johannes Heinke, Ethnologe / Johanna Teriete, Pädagogikstudentin / Annegret Warth, Sozialpädagogin / Urszula Wozniak, Forum Berlin Istanbul

Kontakte

Herausgeber: August Bebel Institut und Forum Berlin Istanbul e.V. Redaktion / Texte: Çağla İlk, Duygu Keskin, Ingo Siebert (V.i.S.d.P.) Fotos: Mehmet Alpbek, Isa Arslan, Pamela Dorsch, Çağla İlk, Fernando Miceli, Gülcan Nitsch, Kinay Olcaytu, Joao Paglione, Gabriele Gün Tank, Urszula Wozniak Filmdokumentation: Somnur Vardar, Film-Ist Film Kollektiv Veranstalter/innen der Konferenz »Zivilgesellschaft(en) in Berlin und Istanbul«: August Bebel Institut und Forum Berlin Istanbul in Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung, dem BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland Berlin, dem Migrationsausschuss der IG Metall BerlinBrandenburg-Sachsen, dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) und der Werkstatt der Kulturen Projektleitung: Çağla İlk (Forum Berlin Istanbul), Ingo Siebert (August Bebel Institut) Organisationsgruppe der Konferenz: Mehmet Alpbek (Türkischer Bund Berlin-Brandenburg); Tanja Berger, Pamela Dorsch (Bildungswerk Berlin der HeinrichBöll-Stiftung); Tillmann Heuser, Gülcan Nitsch (BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland-Berlin); Çağla İlk,Thomas Knorr-Siedow, Dr. Albert Statz, Udo Tremmel,Urszula Wozniak (Forum Berlin Istanbul); Irmela Regenbogen, Ingo Siebert, Joachim Wagner (August Bebel Institut); Ferda Sönmez, Gabriele Gün Tank (Migrationsausschuss der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen) Konferenz-Moderation: Çiğdem Akkaya (Istanbul), Ferda Ataman und Eberhard Seidel (Berlin) Dolmetscher/innen: Pınar Bedirli Schwarz (Istanbul), Oliver Kontny und Melek Korkmaz (Berlin) Besonderer Dank an: Pelin Tan, Istanbul Technische Universität / Asena Günal und Osman Kavala, Depo Istanbul (Anadolu Kültür A.Ş.) / Laden Yurttagüler, Bilgi Universität, NGO Training and Research Center / Güleren Eren, Istanbul / Philippa Ebéné und Paul Räther, Werkstatt der Kulturen / Fabian Langer, Kulturprojekte Berlin GmbH / Dr. Otto Lampe, Rolf Schütte und Birgitta Strunk, Der Regierende Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei in Berlin Die Konferenz war eine Veranstaltung im Rahmen des 20-jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Istanbul in Zusammenarbeit mit Kulturprojekte Berlin GmbH mit Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Kontakte

August Bebel Institut

Migrationsausschuss der IG Metall

Ingo Siebert, Geschäftsführer und Studienleiter

Berlin–Brandenburg–Sachsen

Müllerstraße 163, 13353 Berlin

Gabriele Gün Tank, Vorstand Migrationsauschuss

Tel. +49-(0)30-4692 122, siebert@august-bebel-institut.de

Alte Jakobstraße 149, 10969 Berlin

www. august-bebel-institut.de

guentank@aol.com

Forum Berlin Istanbul e.V.

www.berlin.igmetall.de

Çağla İlk, Thomas Knorr-Siedow, Udo Tremmel

Türkischer Bund Berlin-Brandenburg

Naunynstraße 27, 10997 Berlin

Mehmet Alpbek

Tel. +49-(0)30-754 537 26, kontakt@berlinistanbul.eu

Tempelhofer Ufer 21, 10963 Berlin

www.berlinistanbul.eu

Tel. +49-(0)30- 623 26 24, info@tbb-berlin.de

Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.

www.tbb-berlin.de

Tanja Berger, Vorstand Kottbusser Damm 72, 10967 Berlin Tel. +49-(0)30-612 60 74, frauen@bildungswerk-boell.de www.bildungswerk-boell.de BUND Berlin Gülcan Nitsch, Leiterin der türkischsprachigen Umweltgruppe «Yeşil Çember« beim BUND Berlin Crellestraße 35, 10 827 Berlin Tel. +49-(0)30-78 79 00-0, nitsch@bund-berlin.de www.yesilcember.de / www.bund-berlin.de

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