audimax Wi.Wi 2-2021 - Das Karrieremagazin für Wirtschaftswissenschaftler

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ZUKUNF T SVISIONEN

K.O. DURCH K.I.? KILLT KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UNSERE JOBS? PROF. UTE SCHMID ÜBER ZUKUNFTSSKILLS & CO

Viele Menschen fürchten beim Begriff »Künstliche Intelligenz« um ihre Arbeitsplätze. Sind diese Ängste gerechtfertigt?

Mit Beginn des aktuellen KI-Hypes vor etwa vier Jahren wurde tatsächlich häufig genau die Idee der rein autonomen KI-Systeme propagiert, die in vielen Bereichen der Arbeitswelt und des Alltags eingesetzt werden sollten. Zum Glück ist inzwischen fast überall die Erkenntnis angekommen, dass es in vielen Bereichen weder möglich noch wünschenswert ist, Menschen durch KI zu ersetzen. Stattdessen hat sich die europäische KI-Forschung die sogenannte mensch-zentrierte KI auf die Fahnen geschrieben.

das sehr gut Fußgänger erkennt, auch andere Dinge, zum Beispiel Tiere gut erkennt und dass es weitere Fähigkeiten hat, etwa bewusst zu entscheiden. Im Kontext des autonomen Fahrens kam es so zur Debatte des sogenannten Trolley Problems, einem moralphilosophischen Gedankenexperiment: Darf ein autonomes System entscheiden, welches Leben schützenswerter ist? Allerdings würde ein System, das dafür gemacht ist, Fußgänger zu erkennen zunächst gar keine Fähigkeit haben, zu erkennen, welches Geschlecht oder Alter eine Person hat. Wenn dies gewünscht wäre, müsste man diese Erkennungsleistung zusätzlich programmieren. Wie verändert KI unser zukünftiges Arbeitsleben?

Was genau ist Künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz ist ein Teilgebiet der Informatik, das 1956 begründet wurde. Die Gründerväter teilten die Annahme, dass sich alle Aspekte menschlichen intelligenten Verhaltens so formal fassen lassen, dass sie als Computerprogramm simulierbar sind. Eine häufige Fehlvorstellung ist, dass ein KI-System über allgemeine intelligente Fähigkeiten verfügt. Die meisten KI-Systeme sind genau für ein, eng abgegrenztes Problem entwickelt und können auch nicht mehr. Man spricht hier von schwacher KI. Wir Menschen neigen aber dazu, unsere Art der Intelligenz auch KI-Systemen zuzuschreiben: Wir vermuten, dass ein System, 08 | www.audimax.de – Dein Karriere-Ratgeberportal

Die meisten der aktuell diskutieren KI-Anwendungen basieren auf datenintensiven Ansätzen des maschinellen Lernens. Zum Beispiel ermöglichen tiefe neuronale Netze, dass Modelle aufgebaut werden, die Bilddaten klassifizieren können. Damit könnten zum Beispiel Tumore in Mikroskopie-Bildern von Gewebeschnitten klassifiziert werden. Die meisten Ansätze des maschinellen Lernens verlangen, dass auf einen Schwung sehr viele korrekt annotierte Trainingsdaten zur Verfügung stehen. Um tiefe Netze zu trainieren, werden leicht eine halbe Million oder mehr Daten benötigt. Beispielsweise müsste bei den Gewebeschnitten jeweils angegeben sein, welche Art von Tumor

darauf zu sehen ist. Wenn die Daten fehlerhaft sind, dann wird auch ein fehlerhaftes Modell gelernt. Für viele Bereiche im Arbeitsleben können die Annotationen nur von Expert*innen vorgenommen werden. Das kostet Zeit und Geld. Ist das Netzwerk einmal trainiert, dann funktioniert es wie ein komplexer Sensor. Es ist eine Blackbox, die für ein neues Bild, eine Klassenentscheidung ausgibt. Das Netz lernt nicht mehr weiter und anders als ein Mensch kann es seine Entscheidungen nicht bewerten. Aktuell wird an Ansätzen gearbeitet, die Abschätzungen von Entscheidungsunsicherheiten miteinzubeziehen. Aber prinzipiell weiß das Netz nicht, was es tut und es würde auch nicht merken, wenn es auf einmal Bilder aus einem ganz anderen Bereich erhält und einfach stur seine Klassifkationsentscheidung ausrechnen. Ein Fokus auf maschinelles Lernen mit tiefen Netzen birgt also die Gefahr, dass Menschen – sogar langjährig ausgebildete Fachleute – zu Datenlieferanten degradiert werden und dass Menschen zu reinen Abnickern von Entscheidungsvorschlägen von intransparenten KI-Systemen werden. Dass genau das nicht passieren soll, ist gemeint, wenn man von menschzentrierter KI spricht. In der aktuellen Forschung wird an Ansätzen der sogenannten explainable artificial intelligence, kurz XAI, gearbeitet, um maschinelles Lernen so weiterzuentwickeln, dass Modelle transparent und nachvollziehbar werden.

Fotos: DmitriyP/depositphotos.com

Text: Lena Dippold


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