O-Töne Mai 2018

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O-Töne 16. Jahrgang | Nr. 3 | Mai/Juni 2018

Ein Wort vorweg Liebe Leserinnen und Leser, der Begriff der „Interdisziplinarität“ ist im Hochschul-Bingo traditionell einer der beliebtesten und gewichtigsten. Er bezeichnet die produktive Interaktion zwischen Bereichen, die nicht von von vornherein etwas miteinander zu tun haben – ob es sich dabei um ein Duett von Tuba und Gitarre, eine Kooperation zwischen Tanz, Musik und Regietheater oder auch ein künstlerisches Forschungsprojekt im Miteinander von – sagen wir – Musikpädagogik, Lernpsychologie und Neurowissenschaften handelt: Immer geht es darum, „Synergien“ zu generieren, den Horizont der eigenen Fachdisziplin zu erweitern und das einzigartige Potenzial einer künstlerischen Hochschule zu nutzen. Es gibt nur zwei Probleme: Zum einen ist der Begriff der Interdisziplinarität so unscharf definiert, dass man beinahe alles, was bei uns passiert, unter ihm subsumieren kann, und sei es eine Gedichtinterpretation im Rahmen einer Liedklasse oder die Zusammenarbeit von rechter und linker Hand beim Klavierspielen. Das zweite Problem ist gewichtiger: Interdisziplinarität generiert sich in der Regel in Form von Projekten; diese sind in unseren Studiengangskonzepten (bis auf wenige Ausnahmen) nicht vorgesehen, und die Stundenpläne unserer Studierenden und Lehrenden sind in der Regel so voll, dass sie sich auch organisatorisch kaum bewältigen lassen. Dass an unserer Hochschule dennoch so Vieles und Großartiges in dieser Hinsicht stattfindet, von der Neue-Musik-Nacht über den Kunstpakt bis zur kunstspezifischen Bewegungslehre, zeugt vom Engagement Lehrender, Studierender und Administrierender über das Curriculum hinaus. Doch solange bei der Weiterentwicklung unserer Studiengänge die alten konzeptionellen Fehler fortgeschrieben werden und jeder Wunsch nach Verschlankung und Öffnung der einzelnen Fachdisziplinen an den Aufschreien der jeweiligen Creditpoint-Hüter scheitert, wird das Problem bestehen bleiben: Ausbildungsstruktur und Projektstruktur widersprechen sich, und das ist schade, weil es das Potenzial unserer Hochschule beschränkt. Prof. Christopher Brandt, Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main

Während einer Feierstunde im Kleinen Saal der Hochschule verlieh HfMDK-Präsident Prof. Christopher Brandt dem international gefragten Geiger Gidon Kremer (rechts) den Titel „Doktor honoris causa“.

HfMDK würdigt sein Engagement in der „Kronberg Academy“

Ehrendoktorwürde für Gidon Kremer Am 9. Mai verlieh Hessens Hochschule für Musik, Theater und Tanz erstmals den akademischen Grad der Ehrendoktorwürde: Den „Doktor honoris causa“ sprach die HfMDK dem Geiger Gidon Kremer zu, der seit Jahren junge Ausnahmetalente in der „Kronberg Academy“ als Beirat und Mentor begleitet. Seit dem Jahr 2007 bietet die HfMDK in Kronberg die beiden Studiengänge „Kronberg Academy Bachelor“ und „Kronberg Academy Master“ an, zwei in dieser Form einzigartige Ausbildungsmöglichkeiten für Künstler auf exzellentestem Niveau. „Neben seinem Engagement insbesondere für die zeitgenössische Musik hat uns nicht zuletzt seine langjährige und begeisternde pädagogische Tätigkeit zur Auszeichnung dieses bedeutenden Künstlers bewogen“, begründet Hochschulpräsident Christopher Brandt die Entscheidung der HfMDK. Gidon Kremer gelte als „herausragender Musiker und weltoffener Botschafter an der Schnittstelle zwischen Tradition und Neuer Musik“, so Brandt. Während der offiziellen Feierstunde zur Überreichung des Doktortitels im Kleinen Saal der Hochschule führte Raimund Trenkler, Präsident der Kronberg Academy, weiter aus, dass Gidon Kremer nicht einfach als Lehrer oder Pädagoge zu betrachten sei, sondern als „Anwalt für

das Visionäre, ein Brückenbauer“, der in seiner Arbeit Verantwortung sowohl als Künstler als auch Mensch übernehme. Seine Kurse, die er in Kronberg für junge Musiker anbiete, verstehe Gidon Kremer als „Dialoge“, die von viel Respekt gegen über den jüngeren KollegInnen getragen seien. Trenkler hob das Miteinander von Kronberg Academy und HfMDK als „eine ganz besondere Partnerschaft“ hervor. In beiden Häusern stecke „noch viel Potenzial für gemeinsame Initiativen“. Der Geehrte selbst, der fortan den Titel „Dr. phil h.c.“ tragen darf, interpretierte die Ehrung als eine Unterstützung seiner Absichten und als „Begutachtung dessen, wach zu sein und anders zu sein“. Er kenne den Wert der Kronberg Academy, in der „mit Liebe gearbeitet“ werde; „es wird was für die Musik getan.“ Er selbst habe im Laufe seines Musikerdaseins erkannt, „dass es wichtig ist, etwas zu hinterlassen“, so Gidon Kremer in Reaktion auf die Ehrung. Er wolle den jungen Musikern vermitteln, „dass sie nicht nur Erfolg und Glanz suchen sollen, sondern dass vor allem der Inhalt der Musik eine große Rolle spielen sollte“. Dies sei „wichtiger als jede Ehrung und standing ovation“. Als Schüler von David Oistrach am Moskauer Konservatorium hat Gidon Kremer selbst erlebt, welche Bedeutung der Einfluss einer groß-


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