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Verbot und Enteignung

Das Reichsbanner und der ASB

Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Samaritern in München und dem »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold« ergab sich durch die gemeinsamen Geschäftsräume im MünchnerGewerkschaftshaus.Darüberhinausleisteteder ASB den Sanitätsdienst bei Aufmärschen und Demonstrationen des Reichsbanners. Das Reichsbanner wurde am 24. Februar 1924 von SPD, Zentrum, der Linksliberalen Deutschen Demokratischen

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Münchner Samariter (Bildmitte) leisten Sanitätsdienst bei Veranstaltungen und Demonstrationen für das »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold«.

Partei (DDP) und einigen kleineren Parteien als republikanische Schutztruppe gegründet. Später traten in München der »Reichsbund jüdischer Frontsoldaten« undder»BayerischeBauernbund« bei. Die Gründung in München erfolgte am 7. Juli 1924 im Bürgerbräukeller. Der Reichsbund stellte sich mit den verfassungsgemäßen Reichsfarben bewusst in die Tradition der Revolution von 1848. Er warb offensiv für ein Bekenntnis zur Weimarer Republik. Erhebliche Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten waren die logische Folge. Der Sanitätsdienst bei Reichsbannerveranstaltungen war nicht ungefährlich. Bei einer SPD-Wahlkundgebung am 22. Februar 1933 in Hannover ließen die ASB-Sanitäter Wilhelm Heese und Willi Großkopf ihr Leben. Sie wurden bei ihrem Sanitätsdienst von SA-Horden durch Schüsse in den Rücken ermordet. Bei dem SA-Überfall wurden 17 Menschen schwer verletzt. Von den SA-Mördern wurde niemand verurteilt. Bayernweit gab es Ende der 20er Jahre 80.000 bis 90.000 Mitglieder des Reichsbanners. An jedem 11. August, dem Tag, an dem 1919 die Weimarer Verfassung beschlossen worden war, fanden große Verfassungsfeiern statt. Hier dominierten die Reichsbannerkapellen, die auch vom ASB öfters angefordert wurden, so zum Beispiel beim 10. Jahresjubiläum des Münchner ASB.

Willi Großkopf wurde beim Sanitätsdienst für das Reichsbanner von der SA erschossen

Wirtschaftlicher Niedergang und politische Radikalisierung

Die Jahre ab 1929 brachten für alle Bürger in Deutschland außerordentlich viel Leid. Die Zahl der Arbeitslosen erreichte mit 6,1 Millionen im Februar 1932 ihren Höchst-

ASB-Winternot-Selbsthilfe

stand. 44 Prozent der Deutschen und 50 Prozent der ASBMitglieder waren arbeitslos. Die ASB-Kolonnen konnten sich nur mit verstärkter Sammlungstätigkeit über Wasser halten. Die Arbeitslosenunterstützung wurde seit 1931 ständig gekürzt und betrug im Durchschnitt 52 Reichsmark im Monat. Von einem Existenzminimum konnte gar nicht mehr gesprochen werden. Viele Familien hungerten, manche konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen und landeten in Notunterkünften. Der ASB rief alle Samariter auf, Hilfsaktionen für Arbeitslose zu starten. Benötigt wurden Nahrungsmittel, Brennmaterial und Kleidung, um sie an die notleidende Bevölkerung zu verteilen. Am5.Januar1931wurdeinMüncheneinArbeitsausschuss gebildet, der eine Hilfsaktion für notleidende Menschen organisieren sollte. Mit dabei waren die Wirtschaftsorganisationen, alle Wohlfahrtsverbände sowie Pressevertreter. Der Stadtrat gab bekannt, dass in München große Not herrschte. 130.000 bis 140.000 Einwohner wurden von der Fürsorge unterstützt. Beschlossen wurden auch große Sparmaßnahmen. Im städtischen Haushalt mussten 7,5 Millionen Reichsmark eingespart werden.

Letzte Mitgliederversammlung

Das Jahr 1933 stellte einen gravierenden, folgenreichen Einschnitt für die Arbeiter-Samariter dar. Noch zum Jahreswechsel blickten sie trotz der angespannten sozialen Lage zuversichtlich in die Zukunft. In der Januar-Ausgabe der ASB-Zeitung »Der Arbeiter-Samariter« war zu lesen: »Allen Bundesmitgliedern, Ärzten und Mitarbeitern, die trotz aller Erwerbslosigkeit und sonstiger Not dem Bund auch 1932 treu geblieben sind und mitgearbeitet haben, wünschen wir für das neue Jahr Gesundheit, Glück und bessere Zeiten.« Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler.

Der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten folgte eine Welle offenen Terrors der SA gegen politische Geg-

Besetzung des Gewerkschaftshauses

ner. Die Terroraktionen standen unter der Parole »Kampf dem Marxismus«. Angehörige der SA und der SS nahmen willkürliche Verhaftungen vor, verschleppten ihre Opfer in SA-Versammlungsheime und Keller, quälten und folterten sie und beschlagnahmten den Besitz der politischen Gegner. So begannen nun auch wieder Verleumdungen gegen den von jeher politisch neutralen Arbeiter-Samariter-Bund. In verschiedenen Teilen Deutschlands wurde der ASB als marxistische Organisation diffamiert. In München ahnte man noch nichts Böses, als der ASBVorstand der »Neuen Zeitung« folgende Pressemitteilung über die am 4. Februar 1933 abgehaltene Mitgliederversammlung verschickte: »Die Arbeiter-Samariter-Kolonne München hielt kürzlich ihre gut besuchte Generalversammlung ab. Der Vorsitzende Fritz Weidenschilling gab den Geschäftsbericht und konnte ein zufriedenstellendes Zusammenarbeiten feststellen. 1932 wurden 3.935 Sanitätswachen mit 4.574 Samaritern besetzt. Diese leisteten 18.267 Arbeitsstunden. 14 Krankenpflegen mit 1.780 Pflegestunden leisteten die Samariterinnen. Erste Hilfe wurde in 4.753 Fällen geleistet. Diese Zahlen sind der beste Beweis, dass die Spenden an den ASB im Interesse der Allgemeinheit verwendet werden. Die Geschlossenheit der Kolonne kam darin zum Ausdruck, dass die alte Vorstandschaft wiedergewählt wurde. Der alte und neue Vorsitzende Fritz Weidenschilling ermahnte die Mitglieder, im neuen Jahr wieder tatkräftig mitzuarbeiten.«

Neue Zeitung vom 07.02.1933.

München wird »gleichgeschaltet«

Spätestens am 9. März 1933, als die SA das Gewerkschaftshaus besetzte und der ASB München seine Geschäftsräume verlor, merkte ASB-Vorstand Weidenschilling, was die Stunde geschlagen hatte. An diesem Tag übernahm der Reichsinnenminister Wilhelm Frick die Befugnisse der obersten Landesbehörden in Bayern. Er übertrug ihre

Wahrnehmung dem General Ritter von Epp. Dieser beauftragte den SS-Führer Heinrich Himmler mit der kommissarischen Leitung des Polizeipräsidiums. Bei einer Kundgebung vor der Feldherrenhalle sagten die Nationalsozialisten dem Kommunismus und dem Judentum den Kampf an. ASB-Bundesvorsitzender (von 1923 bis Gegner der neuen Regie- 1933) Theodor Kretzschmar, Chemnitz rung wurden in Schutzhaft genommen. Oberbürgermeister Scharnagel gab unter Zwang sein Amt auf. Am 29. März verbot das Bayerische Innenministerium endgültig alle Arbeiter-Organisationen. Weidenschilling setzte sich sofort mit dem Bundesvorsitzenden Theodor Kretzschmar (1873–1948) in Chemnitz, dem Sitz des ASB-Bundesvorstands, in Verbindung und fragte, was er tun solle. Kretzschmar reagierte sofort und teilte in einem Rundschreiben vom 12. April 1933 an alle ASB-Kolonnen unter anderem mit: »Im Land Bayern sind einzelne Kolonnen aufgelöst worden, andere hingegen lässt man arbeiten. Auch einzelne Beschlagnahmungen von Material, Krankenwagen usw. sind vorgenommen worden. Ich bin beim Bayerischen Staatsministerium des Innern vorstellig geworden, und es wurde zugesagt, eine einzureichende schriftliche Erklärung wohlwollend zu prüfen. Wir hoffen, dass in Bayern dieser Konflikt beigelegt wird.« Da hatte er sich gründlich getäuscht. Zwei Wochen vor ihm war schon am 1. April 1933 der DRK-Präsident Joachim von Winterfeldt-Menkin beim Reichsinnenminister Wilhelm Frick gewesen und hatte ihm auf Nachfrage erklärt, dass der ASB eine nicht ungefährliche Konkurrenz darstelle und stellenweise nicht ohne Erfolg dem DRK den Rangabzulaufenversuche.DerMinistermeintedannohne

Umschweife, dass es besser wäre, die Arbeiter-SamariterKolonnen »aufzuheben«. Ab 9. Mai 1933 konnte Weidenschilling den Bundesvorsitzenden Kretzschmar schon nicht mehr erreichen. Genau an diesem Tag, dem 60. Geburtstag Kretzschmars, stürmten die Nazis die ASB-Bundesgeschäftsstelle in Chemnitz, plünderten und zerstörten alles.

ASB-Vorstand soll »längst verdienten Urlaub in Dachau antreten«

Mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, aber überall und rigoros, fanden jetzt die Auflösungen der ASB-Kolonnen in Bayern statt.

Die Schweinfurter Samariter vor ihrer Rettungswache mit den Krankenwagen

Ein Schweinfurter Samariter berichtete, dass sie niemals daran dachten, dass der ASB verboten würde, da sie ja nicht politisch tätig waren. Ihm berichtete aber ein Kollege bei seiner Arbeit im Sanitätsraum bei der Firma Kugelfischer, dass die Nazis das ASB-Vereinslokal beim »Goldenen Ochsen« ausräumen würden: »Ich bin gleich los und musste mit ansehen, wie die Nazis unser Materiallager, mit dem wir ganz Schweinfurt hätten versorgen können, ausplünderten. Von unseren drei Krankenwagen bekamen zwei die Hitlerjugend und den dritten das Rote Kreuz. Bei der Polizei trafen wir die SA-Leute. Einer wollte mein ASB-Abzeichen abreißen. Ich hinderte ihn jedoch daran. Er sagte: Ihr seid aufgelöst, sag, welche Funkti-

on du hast und welches Material bei dir versteckt ist. Gleichzeitig mit der Auflösung des ASB verlor ich auch meinen Arbeitsplatz bei der Firma Kugelfischer.« In Erlangen war man ganz schnell. Das Ermächtigungsgesetzvom24.März1933wargeradeimEiltempodurchden Reichstag gejagt worden, da schlugen SA und Polizei bereits eine Woche später zu. Der Erlanger Stadtkommissar Dr. Mayer gab am 31. März 1933 einen Fernspruch zum sofortigen Vollzug an die Polizei weiter: »Zur Vorbereitung der Auflösung der Arbeiter-SamariterKolonnen sollen mit Hilfe der Polizei, Gendarmerie, SA, und Kriminalpolizei Beschlagnahmen in den Büros der ArbeiterSamariter-Kolonne und den Wohnungen der Vorsitzenden, Geschäftsführer, technischen Leiter und Kolonnen-Ärzte durchgeführt werden. Zu beschlagnahmen sind die Mitgliederkartei, Spenderlisten, Scheckhefte und anderes Aktenmaterial.« Bei den Beschlagnahmungen im März 1933 hatte die SA allerdings einiges Material im ASB-Vereinslokal »Gaststätte zu den 3 Cedern« übersehen. In der Fränkischen Tageszeitung, Herausgeber Julius Streicher, dem Gauleiter von Mittelfranken, erschien dann am 02.12.1933 ein Artikel, in dem unter anderem zu lesen war: »Hoffentlich erhält die frühere Vorstandschaft nunmehr zusammen mit dem Gastwirt den längst verdienten Urlaub nach Dachau. Jede Schonung gegenüber solchen Schädlingen des Volkes würde nicht verstanden werden.«

Auflösung und Verbot des Arbeiter-Samariter-Bundes

Am 16. Mai 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, wurde die ArbeiterSamariter-Kolonne München e.V. polizeilich aufgelöst. Begründet wurde dies aufgrund des Ministerialerlasses vom 29. März 1933, Nr. 2227 mit dem Verbot marxistischer Organisationen.

Mitteilung der »Bayerischen Politischen Polizei« über die Auflösung des ASB in München

Die Überführung des Arbeiter-Samariter-Bundes an das Deutsche Rote Kreuz erfolgte endgültig mit der Anordnung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 1. August 1933. Jüdischen Ärzten wurde ihre Arbeitserlaubnis entzogen, das ASB-Vermögen wurde enteignet und nicht wenige ASB-Mitglieder verloren ihr Leben in Konzentrationsund Arbeitslagern.

Der jüdische ASB-Arzt Dr. Erich Braun erleidet Folter und Misshandlungen in Dachau

Bei ASB-Arzt Dr. Erich Braun (geb. Februar 1898 in Coburg, verstorben Juli 1982 in München) drangen die Nazis am 11. März 1933 morgens um 6 Uhr in sein Haus in der Coburger Bahnhofstraße 40 ein. Dr. Braun war in der Bevölkerung und bei den Samaritern sehr beliebt. Sie zwangen ihn aufzustehen, bedrohten ihn mit Pistolen und Pferdepeitschen und brachten ihn ins Hauptquartier

ASB-Arzt Dr. Erich Braun, von den Nazis verfolgt

Gefangenen-Transport bringt Regimegegner ins Konzentrationslager nach Dachhau.

der NSDAP. Ihm wurde vorgeworfen, ein kommunistischer Agitator zu sein. Als er widersprach, schlug man ihn zusammen. Er kam ins Krankenhaus. Am 30. Juni 1933 wurde er erneut verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. SchonamTagderEinlieferungschlugihneinSS-Führerin einem Kellerraum blutig. Dr. Braun war täglichen Demütigungen und sklavengleicher Arbeit unter der Kontrolle von Nazis ausgesetzt. 1934 wurde er kurzfristig entlassen und konnte nach Afrika fliehen. Dort arbeitete er im Urwald-Krankenhaus bei Albert Schweitzer in Lambarene. 1959 kehrte er nach Bayern zurück und ließ sich in München als Arzt mit einer Praxis nieder.

Was die Münchner Samariterin Anita Schorer erlebte

AnitaSchorerwaram1.Juni1931inMünchen-Schwabing in den ASB eingetreten. Sie nahm gleich an einem ErsteHilfe-Lehrgang teil. Sie schrieb im März 1976 in ihren Erinnerungen: »Der Unterricht war sehr intensiv und mit einer gewissen Härte. Anschließend wurde ich gleich mit einem älteren Samariter zum Einsatz geschickt. Z. B. zu Sportveranstaltungen aber auch oft zu Versammlungen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Dort kam es häufig zu Schlägereien mit den Kommunisten und den Nationalsozialisten. Da hatten wir viel zu tun. Oft konnte uns nur eine Flucht aufs Podium retten. Im Herbst 1932 fanden dann in München die großen Versammlungen in den Sälen der verschiedenen Brauereien (Hackerkeller, Löwenbräu, Bavaria, Spatenbräu) statt. Wir begleiteten auch die Aufmärsche der SPD und des Reichsbanners. Vor der rohen Gewalt der SA und SS brachten wir die Verletzten oft in Toreingänge oder Treppenhäuser, um Erste-Hilfe zu leisten. Dies zog sich hin bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. Im Mai 1933 wurden wir aufgelöst, sämtliches Material beschlagnahmt und uns zur Auflage gemacht, zum Roten Kreuz zu gehen, wer sich dem verweigerte kam auf eine schwarze Liste und hatte mit Repressalien zu rechnen. Wir trafen uns trotzdem zu geselligen Abenden bis 1936, die aber in Wirklichkeit unsere Kolonnenabende waren, um uns nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wurden aber dann verraten und so wurden wir beim nächsten Kolonnenabend verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Uns wurde angedroht, für längere Zeit eingesperrt zu werden, wenn wir uns wieder treffen würden, und wir mussten alle heimlichen Bestände von Verbandsmaterial, Tragen, Abzeichen usw. im ehemaligen Gewerkschaftshaus, in dem die Nazis nun hausten, abliefern.«

Anita Schorer übersiedelte nach Hamburg, absolvierte 1952 einen Erste-Hilfe-Kurs beim ASB und wurde dort als Samariterin wieder aktiv.

Letztes Gruppenbild der Münchner ASB-Kolonne

Die Münchner ASB-Vorsitzenden 1921: Oswin Gebbert, München, Weinstraße 2 1922 – 10/1923: Friedrich Eckerle, Hauspfleger, München, Maistraße 43 10/1923 – 7/1926: Alexander Kügl, Zählerkontrolleur, München, Kapuzinerstraße 7 7/1926 – 1/1927: Winfried Mährlein, Schlosser, München 54, Allacher Straße 95 1/1927 – 6/1928: Fritz Weidenschilling, Gürtler, München, Deisenhoferstraße 59/III 6/1928 – 10/1928: Joseph Schwimmer, Hilfsarbeiter, München, von Kahrstraße 77 10/1928 – 1933: Fritz Weidenschilling, Gürtler, München, Deisenhoferstraße 59/III

1945 – 1962

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