Leseprobe zu: Ryder Rogers Der Seiltanz des Lebens Vom Umgang mit Niederlagen
Einleitung: Für wen dieses Buch gut ist »Ich halt das nicht mehr aus«, sagte die junge Mutter. Das Blut tropfte ihr vom Handgelenk, während ich geduldig versuchte, ihr die Rasierklinge aus der anderen Hand zu nehmen. »Ich kann nicht mehr.« Eine kürzliche Fernsehdokumentation ergab, dass in Großbritannien unter jungen Leuten Selbstmord die zweithäufigste Todesursache ist. Ein junges, begabtes und attraktives Mädchen erklärte in der Sendung, dass es sich ständig wertlos fühlte. Warum? Wegen des unerbittlichen Erfolgsdrucks im Leben. »Man ist entweder ein Sieger oder ein Versager«, sagte sie, »dazwischen gibt’s nichts mehr.« Wir leben im Westen in einer leistungsorientierten Gesellschaft, und in der Höhenluft des Erfolgs, die diese Gesellschaft hervorbringt, geht uns die Puste aus. Siegst du nicht, bist du nichts. Das Wort »Versager« wird zum Damoklesschwert über unserem ganzen Leben. Dieses Buch möchte das Versagen, den Misserfolg aus seiner Schmuddelecke herausholen. Es ist für all die geschrieben, die (von anderen oder sich selber) als Versager abgestempelt werden, für die, die Angst vor dem Versagen haben, und für die, die wissen möchten, wie das ist, wenn man versagt. Sein Ziel: Menschen, die verzweifelt versuchen, die Balance zu halten auf dem Hochseil des Lebens, ein Sicherheitsnetz anbieten – vor allem denen, die vielleicht gerade versucht sind, es aufzugeben und ins Nichts zu springen. Ich möchte in diesem Buch auch eine gewisse Balance wiederherstellen und zeigen, dass das, was gemeinhin als »Versagen« bezeichnet wird, nicht nur mit Angst und Schuldgefühlen zu tun haben muss, sondern auch eine andere, positivere Seite hat. Sehr Mut gemacht auf diesem Weg hat mir eine Überschrift, die ich in der renommierten The Times las: »Rowling: Keine Angst vor Misserfolgen.« Der Artikel beschrieb, wie die Harry Potter-Autorin J. K. Rowling, als sie von ihrer Alma Mater, der Exeter University, ehrenhalber einen akademischen Grad in Literatur verliehen bekommen hatte, bei der Entlassungsfeier für die frisch examinierten Studenten eine Rede hielt. Sie berichtete, wie sie selber als Studentin (die nur einen mäßigen Abschluss in Französisch und Altphilologie schaffte) immer Angst vor Versagen und vor dem Eingehen von Risiken gehabt hatte, und sagte: »Fast alle Fehler, außer denen, die man mit einem geladenen Gewehr macht, haben irgendwo ihren Nutzen.« Sie schloss ihre Rede mit der Hoffnung, dass die, die an diesem Tag ihr Diplom bekamen, in ihrem Leben »frei von der Fessel der Angst vor dem Versagen« sein würden. In diesem Buch geht es um die unter uns, die auf die Nase gefallen sind, als sie einen falschen Schritt machten oder etwas versuchten, das sie noch nie zuvor versucht hatten. Ich finde, es ist Zeit, dass wir unsere verschrammten Nasen hochheben und sagen: »Ich bin kein Versager. Ich habe vielleicht etwas gemacht, das falsch war oder