Leseprobe zu: Brandilyn Collins Fang den Wind für mich Wie ein Wirbelwind fiel Katherine May King in Bradleyville ein. Es geschah an einem Montagnachmittag Mitte März – eineinhalb Jahre nach der Beerdigung meiner Mutter. Bei tosendem Wind eilte ich mit meinem Bruder und meiner Schwester nach Hause. Es wurde bereits dunkel. Clarissa verlor irgendwelche Aufgabenblätter für die Schule und ich musste ihnen über den Bürgersteig hinterherjagen. Der Wind trieb sie wie volltrunkene Schmetterlinge vor sich her. Gerade als der Himmel sich öffnete, erreichten wir unsere Haustür. »Puh.« Robert warf mit typisch lässiger Geste seine Bücher auf den Küchentisch. »Das gießt aber.« »Winnie!« Clarissa öffnete die hintere Schiebetür aus Glas. Unser schwarz-weißer Spaniel kam angesaust. Er war bereits vollkommen durchnässt und tanzte dankbar mit seinen schmutzigen Pfoten um unsere Beine herum. »Da schwindet mein sauberer Fußboden dahin.« Seufzend schnappte ich mir ein Handtuch und begann, den Hund trocken zu rubbeln. Dann kroch ich auf den Knien auf dem Boden herum und beseitigte die Spuren. »Ihr zwei seht mal nach, ob alle Fenster geschlossen sind. Das wird ein übles Unwetter. Und dann kommt ihr wieder herunter. Wir können geradeso gut jetzt schon mit den Hausaufgaben anfangen.« »Aber ich habe doch noch nicht meine Stunde Fernsehen gesehen«, schmollte meine Schwester. Ich zog mich hoch. »Während eines Gewitters darf man nicht fernsehen, Clarissa.« Mit diesen Worten eilte ich ins Wohnzimmer und zog den Stecker des Fernsehgeräts heraus. Obwohl man eigentlich auch nicht telefonieren sollte, rief ich schnell bei Daddy in der Bank an, um ihm mitzuteilen, dass wir wohlbehalten zu Hause angekommen waren. Er trug mir auf, die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, doch das hatte ich alles bereits erledigt. Ich riet ihm, wenn nötig, das Gewitter abzuwarten, bevor er nach Hause kam, auch wenn die Bank nur eine Meile von unserem Haus entfernt lag. Als ich auflegte, heulte der Wind wie ein Gespenst, das keine Ruhe fand. Clarissa kam mit angstvoll aufgerissenen Augen in die Küche geschlichen. »Ich habe Angst.« Ich umarmte sie und fuhr ihr über die hellbraunen Haare. Für ihre neun Jahre war Clarissa ziemlich klein und unreif, mit einem zierlichen Körper und einer zerbrechlichen Seele. Oft war ich verzweifelt, weil sie eigentlich viel mehr bemuttert werden müsste, als ich vermochte. »Du brauchst keine Angst zu haben«, beruhigte ich sie. »Komm, ich mache dir etwas zu essen. Und dann setzen wir uns gemeinsam an deine Matheaufgaben.« Clarissa und Mathematik waren nicht die besten Freunde. »Oohh.« Meine Schwester konnte diese beiden Buchstaben in die Länge ziehen wie keine andere. Ihre Stimme hob sich um vier Noten und sie fügte ein kleines »Uh« am Ende an. »Ich hasse Mathe!« Bereits nach kurzer Zeit saßen wir am Küchentisch. Winnie lag zu unseren Füßen. Robert hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, angeblich um zu lernen. Doch