Kapitel 20
Eine vollkommen neue Welt liegt vor uns „Das Leid schmilzt wie Schnee im Mai, als ob es solche Kälte nie gegeben hätte.“ George Herbert: The Flower Der christliche Glaube bietet leidenden Menschen eine weitere Hilfe und darin liegt vielleicht ihr wichtigster Beitrag überhaupt. Im Mittelpunkt der ganzen Bibel, die 3 000 Jahre Geschichte, Kultur und menschliche Tragödien umfasst, steht, wie wir gesehen haben, die Hinrichtung Jesu auf Golgatha, die wie unter einem Vergrößerungsglas betrachtet wird. Das ist das wichtigste Ereignis der Geschichte und auch ihr Höhepunkt. Aber der Tod ist nicht das Ende dieser Geschichte. Nachdem Jesus drei Tage im dunklen Grab war, erzählte man sich, man habe ihn wieder lebend gesehen. Lebend! Konnte das möglich sein? Diese Nachricht war fast zu gut, um wahr zu sein. Nicht einmal die Jünger wagten diesem Gerücht zu glauben, bis er selbst zu ihnen kam und sie seinen neuen Leib mit ihren eigenen Fingern berühren konnten. Darüber hinaus versprach er ihnen, dass auch sie eines Tages einen solchen Auferstehungsleib haben würden. Die Auferstehung und ihr Sieg über den Tod hat unserem Vokabular über Schmerz und Leid einen völlig neuen Begriff hinzugefügt: zeitlich begrenzt. Jesus verspricht uns die aufregende Aussicht, dass es nach dem Tod ein Leben ohne Schmerz und Leid geben wird. Alle Schmerzen, die wir fühlen, werden einmal vorbei sein. Die letzte Hoffnung der Christen ist darum eine Hoffnung auf eine Zukunft ohne Schmerzen und mit Gott. Doch heute ist 276
es erstaunlicherweise vielen beinahe peinlich, über den Glauben an ein Leben nach dem Tod zu sprechen. Ein solcher Gedanke scheint als altmodisch und feige zu gelten, als Flucht vor den Problemen dieser Welt. Unter farbigen Moslems gibt es bei der Beerdigung einen symbolhaften Brauch, der in gewisser Weise unsere moderne Haltung zum Ausdruck bringt. Wenn die Leiche aufgebahrt ist, stellen sich Familienangehörige und nahe Freunde rund um den Sarg. Sie bleiben ruhig stehen und blicken den Toten an. Es gibt keine Tränen, keine Blumen, keinen Gesang. Die Frauen reichen kleine Tabletts herum, von denen sich jeder ein dünnes, rundes Pfefferminzbonbon nimmt. Auf ein vereinbartes Zeichen hin stecken es sich alle Anwesenden in den Mund. Und während das Bonbon langsam schmilzt, denken sie über die Süße des Lebens nach, für das sie die Gedenkfeier abhalten. Schließlich hat sich das Bonbon aufgelöst. Auch das hat eine Bedeutung: Es ist ein Symbol für das Ende des Lebens. Es ist geschmolzen, es ist nicht mehr da. Die meisten modernen Menschen gehen mit dem Tod in der Tat so um, dass sie ihn einfach meiden. Wir verstecken alles, was uns daran erinnern könnte – Leichenhallen, Intensivstationen, Friedhöfe –, hinter hohen Mauern. Aber wenn wir ihm nicht länger ausweichen können, unterscheidet sich unsere moderne Reaktion nur wenig von der farbiger Moslems. Eine heidnische Vorstellung hat sich eingeschlichen und lädt uns dazu ein, den Tod nicht als einen gewaltsamen Durchgang zu einem neuen Leben, sondern als letzte Phase unseres Lebenszyklus’ auf dieser Erde zu betrachten. Ich erinnere mich an einen Abend in meiner Make Today CountGruppe, an dem eine Frau namens Donna, die sich im Endstadium ihrer Leukämieerkrankung befand, erwähnte, wie sehr sie sich auf den Himmel freue. Diese Bemerkung rief in der Gruppe eine merkwürdige Reaktion hervor: eine lange Stille, Räuspern, einige verdrehten die Augen. Der Gruppenleiter lenkte dann die Diskussion darauf, wie Donna ihre Ängste überwinden und zur Annahme des Todes kommen könne. Ich verließ dieses Treffen mit schwerem Herzen. Unsere materialistische, undogmatische Kultur fordert ihre Glieder dazu auf, über 277