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Kapitel 3

Matthews Geschichte – eine Identitätskrise

M

atthew, ein dunkelhäutiger, großgewachsener und gutgebauter junger Mann erschien zum ersten Mal an meiner Tür, nachdem er beruflich gerade einen riesigen Erfolg verbucht hatte. Allem äußeren Anschein nach musste für diese sehr maskulin wirkende Person alles zum Besten laufen: eine gute Ausbildung, ein reger Geist und eine dicke Portion Talent verbunden mit seinem guten Aussehen und dem, was er bereits im Leben erreicht hatte. Doch trotz des äußeren Scheins und der Lebensumstände ging dieser Mensch innerlich kaputt. Völlig verzweifelt suchte er Hilfe und hatte beinahe nicht den Mut zu glauben, dass Gott den Schmerz und die Unruhe in seinem Innern durch das Gebet lindern konnte und wollte und auch zugleich das verbannen konnte, was seit kurzer Zeit alle anderen Sorgen seines Lebens noch überstieg: eine Anwandlung homosexueller Empfindungen für einen anderen jungen Mann. Während ich ihm eine Tasse Tee eingoss und versicherte, dass es zum einen für Gott ein Leichtes ist, solche Dinge zu heilen und wieder in Ordnung zu bringen, und dass es zum anderen so etwas wie eine »angeborene« Homosexualität nicht gibt, entspannte Matthew sich – und zum ersten Mal stellte er sich seiner schmerzlichen Lebensgeschichte. Mit dieser Geschichte verband sich auch die Geschichte seiner Eltern; und als Christ wollte Matthew seine Eltern im besten Licht erscheinen lassen. Die Treue gegenüber den Eltern ist ein häufig auftretendes Hindernis, wenn es darum geht, über tiefste Verletzungen und schlimmste Ablehnung zu sprechen – selbst wenn sich die Eltern ganz offensichtlich falsch verhalten haben. Auch bei Matthew war das der Fall. Außerdem – und das wiegt noch schwerer – hatte Matthew tief in seinem Innern das Gefühl, es sei sein Fehler gewesen, dass seine Eltern ihn nicht geliebt hatten. Er sah sich als einen Menschen, den man gar nicht lieben konnte, und glaubte, dass dies seine Eltern zumindest teilweise rechtfertigte. Seine Gefühle sprach er zwar nicht offen aus, doch was er fühlte, wurde bald offensichtlich, als er seine Geschichte erzählte.


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