1 Das Sommergewitter erhellte den nächtlichen Himmel in einem Zackenschauspiel voller Energie, als Blitze zwischen gewaltigen Donnerschlägen zuckten und zerbarsten. Sara Walsh ignorierte das Unwetter, so gut sie konnte, denn sie war entschlossen, sich bei ihren Überlegungen nicht ablenken zu lassen. Sowohl die Schreibtischlampe als auch die Deckenleuchte in ihrem Büro waren eingeschaltet, damit sich keine Schatten im Raum bilden konnten. Was sie schrieb, war beunruhigend genug. Der sechsjährige Junge war gefunden worden … tot. Auf einem Notizblock mit gelblichem Papier formte sie das neunundzwanzigste Kapitel ihres Krimis. Trotz der düsteren Detailliertheit der Szene stockte der Wortfluss nie. Das Kind war wenige Stunden nach seiner Entführung gestorben. Seine Familie, die Mitarbeiter der Strafverfolgung, sogar sein Entführer, wussten das nicht. Sara schreckte nicht davor zurück, die Szene zu beschreiben, obwohl sie wusste, dass dieses Kapitel einen bitteren Geschmack der Niederlage in den Köpfen der Leser hinterlassen würde. Die Wirkung war für den Rest des Buches unabdingbar. Sie strich den letzten Satz durch, fügte ein weiteres Detail hinzu und setzte dann ihre Beschreibung des Bauern fort, der den Jungen fand. Der Donner schien direkt über ihr zu krachen und Sara zuckte zusammen. In ihrem Büro im vierunddreißigsten Stock war sie dem Sturm so nahe, dass sie in dem Bruchteil einer Sekunde, bevor es knallte, die Luft knistern hören konnte. In diesem Augenblick wäre sie lieber in der Tiefgarage gewesen. Ein Blick zur Uhr auf ihrem Schreibtisch zeigte, dass es beinahe acht Uhr abends war. Der Drang, eine Geschichte zu Ende zu bringen, verselbstständigte sich immer, wenn sie bei den letzten Kapiteln angekommen war. Dieses zehnte Buch war keine Ausnahme. Dies war das schwierigste Kapitel im ganzen Roman. Es war besser, es in einem Rutsch fertigzustellen. Der Tod schnürte ihr immer das Herz zusammen. 7