http://www.artphoria.de/Work/6EB43581-4B42-40C3-8239-BA88260E2BB0/63C48372-4C41-45BD-865B-EAEA8B56C1

Page 2

Viele Menschen sind heute eine erschreckende Mischung aus gehetzt und träge. Sie wuseln sich durchs Leben und sterben mit Mitte vierzig an einem Herzinfarkt. Die Zeit ist grausam, sie ist hart und unbarmherzig, denn sie hält nie an. Und weil wir für nichts Zeit hatten und alles auf später verschoben haben, weil wir uns sicher waren, dass es das Später sicher geben wird, bleiben Träume eben Träume, und werden dann mit uns zu Grabe getragen. Gerade war man noch jung und dynamisch, voller Motivation und kreativen Ideen und plötzlich sind da Falten, Schulden und die Erkenntnis, dass man vielleicht früher einfach naiv war. Sicher hat man Verantwortung, sicher sind da Dinge, die gemacht werden müssen, doch was ist mit all den Dingen, die wir dafür opfern? Was ist mit Freunden, dem Partner, der Familie? Was ist mit den Leidenschaften? Und was mit den Träumen, die man Anfang zwanzig noch hatte? Wir sind abhängig von Technik. Wir sind süchtig, ohne es wirklich zu merken. Erst wenn das Internet plötzlich streikt, oder der Handyakku leer ist, realisiert man, dass man von der Außenwelt abgeschnitten ist. Wenn uns das Handy oder das Blackberry nicht rechtzeitig an unsere diversen Aufgaben oder Termine erinnert, oder wenn der Telefonanschluss abgestellt ist, müssen wir uns auf einmal wieder auf uns selbst verlassen. Alle Telefonnummern, alle Adressen, alle E-Mail-Adressen, alle Termine, alle Aufgaben stecken in unseren kleinen Helfern, die inzwischen schon viel mehr geworden sind, als nur kleine Helfer. Wir haben sie in unserem täglichen Leben schon vor langer Zeit unbemerkt zu externen Gehirnregionen befördert. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich liebe Technik, ich liebe das Internet und ja, ich bin süchtig. Doch manchmal, ganz selten, frage ich mich, ob wirklich ich die Technik beherrsche, oder ob es nicht eigentlich so ist, dass sie mich beherrscht. Manchmal, wenn mein Handy mich an einen der vielen Termine erinnert, oder ich eine Mail schreibe, oder wenn ich eine Sendung aus dem Fernsehen aufnehme, dann frage ich mich, wie ich ohne leben konnte. Und wissen Sie, was vor ein paar Tagen dann aus heiterem Himmel passiert ist? Mein wunderbar heißgeliebtes Programm, das über Monate brav alle Filme und Dokumentationen für mich aufgenommen hat, steht an der Schwelle zum Tod. Nach spätestens vier Minuten wird jede Aufnahme jäh unterbrochen und das Programm beendet. Und wissen Sie, was das bedeutet? Ich muss tatsächlich wieder Werbung ertragen. Ich muss Sendungen dann anschauen, wenn sie tatsächlich laufen, und ich muss mich selbstständig daran erinnern, dass ich etwas ansehen wollte. Und das ist vielleicht das schrecklichste, denn meistens denke ich nicht daran. Ich bin es nicht mehr gewöhnt. Denn dafür war ich nicht mehr zuständig. Die Technik war das. Denn dafür ist sie da. Dafür haben wir doch den Fortschritt. Die Technik ist unser Diener. Der Diener, von dem wir in Wahrheit inzwischen längst


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.