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MISSION DEKARBONISIERUNG

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Die Pflicht zur Ausweisung des eigenen Carbon Footprint ist für Unternehmen nur eine Frage der Zeit. Systemhäuser mit Weitsicht bereiten sich heute schon darauf vor – und verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit mit einem Nachhaltigkeitsbericht.

Bis 2050 soll die Europäische Union ­klimaneutralwerden,bis 2030 mindestens 55 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber demStand von 1990einsparen.Ineinem ersten Schritt müssen Unternehmen deshalbkünftigihre CO2-Emissionen dokumentierenundpublizieren.Ab 2025 müssen Großunternehmen erstmals einen NachhaltigkeitsberichtgemäßderEU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)fürdasGeschäftsjahr 2024 vorlegen, kleinere Unternehmen haben etwas längerZeit.BörsennotierteKMUskönnten sichsogarbis 2028von derBerichtspflicht befreienlassen. Bechtlekönntealsonochwarten.Stattdessengehtdas1993gegründeteIT­Systemhaus,das 2021 mitknapp13.000Mitarbeiternanrund100StandorteneinenUmsatz von 6,25Milliarden Euro erzielte,mitgutem Beispielvoran.Bereitsseitmehrals zehnJahren,sagtArthurSchneider,Leiter des Nachhaltigkeitsmanagements bei Bechtle,kümmeresichdasUnternehmen umdasThemaNachhaltigkeit.EinjährlicherNachhaltigkeitsberichtgehörtzu denStandardsaufderFirmenwebsite.

Schneider nennt für das Engagement des HausesguteGründe: „Wir habenviele KundenausdemöffentlichenSektor,dagehört einNachhaltigkeitsberichtoftzuden Projektkriterien. Und auchintern,seiesbeim OnboardingneuerMitarbeiteroderbeiGesprächenmitInvestoren,istdasimmer wiedereinThema.“DieseEinschätzung teilenauchandereMarktteilnehmer.Eine IDC­Studie von2022 ergab,dassderstärkste externeTreiberfürNachhaltigkeitsbemühungendieNachfrage von Kundenist.

Im Zentrum stehtfürBechtledie„Dekarbonisierung“,alsodieReduzierungder CO2Emissionen.Dabeiorientiertsichdas UnternehmenamGHG­Protokoll(Greenhouse GasProtocol),das von derUNimNachgang des Kyoto ­Klimaschutzabkommensdefiniertwurde.Esunterteilt CO2-Emissionen in drei so genannte Scopes: z Scope1–direkteEmissionen:Dazu zählendieEmissionendurchHeizkesseloderKühlanlagen,aberauchdie AbgasedeseigenenFuhrparks. z Scope2–indirekteEmissionenaus eingekaufterEnergie:Klassischerweise ist das der Strom aus der Steckdose oderdieHeizungviaFernwärme. z Scope3–indirekteEmissionen innerhalbderWertschöpfungskette: Dieser Scope umfasst die Emissionen, diezwarimZusammenhangmitder Produktionentstehen,aber vom Unternehmen selbst nicht kontrolliert werden.DabeiunterscheidenExperten zwischenden vor­­unddennachgelagertenEmissionen:„Vorgelagert“steht für Waren und Dienstleistungen, die ein Unternehmen einkauft, unter „nachgelagert“laufenalleKlimagasEmissionen,dieeinProduktodereine Dienstleistung verursacht, nachdem siedieKontrolledesUnternehmens verlassenhat.

Ambitioniertes Deutschland

Mit dem geänderten Klimaschutzgesetz hebt die Bundesregierung die Zielvorgaben für weniger CO2-Emissionen an. Demnach soll Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts seinen Treibhausgas-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringern und damit 10 Prozent unter dem EUZiel liegen. Für 2040 gilt ein Minderungsziel von mindestens 88 Prozent. Auf dem Weg dorthin sieht das Gesetz in den 2030er-Jahren konkrete jährliche Minderungsziele vor. Bis 2045 soll Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen: Es muss dann also ein Gleichgewicht zwischen CO2-Emissionen und deren Abbau herrschen. Nach 2050 strebt die Bundesregierung negative Emissionen an. Dann soll Deutschland mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen, als es ausstößt.

Die Bundesregierung hat die Klimaschutzvorgaben verschärft. Das Ziel ist es, bis  Treibhausgasneutralität zu erreichen.

Das GHG-Protokoll sieht vor, die Emissionen aus Scope 1 und Scope 2 zu bilanzieren, die Einbeziehung von Scope 3 ist dagegen optional. Doch nach Ansicht von Unternehmen, die ihr Geld mit CO2-Zertifizierungen verdienen, führt an Scope 3 kein Weg vorbei, wenn ein Unternehmen eine ganzheitliche Klimastrategie verfolgen will. Doch die Erfassung und Bilanzierung von Scope-3-Emissionen ist die größte Herausforderung, sagt Randeep Sanghera, Head of Sustainability beim Hosting & Cloud Provider Ionos. „Bei Scope 1 und 2 können wir gemessene Werte nehmen, Scope3-Daten beruhen weitgehend auf Schätzungen, was die Umsetzung in konkrete Maßnahmen erschwert.“ Wie viel CO2 wurde freigesetzt, bis ein Server vom Hersteller gefertigt und an den Distributor ausgeliefert wurde? Und wie viel TreibhausgasAusstoß wird dieser Server beim Kunden verursachen?

Wie schwierig Klimaneutralität zu erreichen ist, zeigt sich beim Thema Strom. Bereits seit 2018 setzt Ionos für die Versorgung seiner Rechenzentren ausschließlich auf grünen Strom aus regenerativen Quellen. Kaum ein neues Data Center kommt heute noch ohne Solarzellen auf dem Dach aus. „Dennoch brauchen wir für unsere Rechenzentren Diesel-Stromgeneratoren als Backup“, erklärt Sanghera. Und je nach Stabilität der Stromversorgung müssen diese Diesel auch mal einspringen. Um dem Ziel der Klimaneutralität näher zu kommen, laufen die neuesten Notstromanlagen mit Bio-Diesel, doch selbst der hat einen Carbon Footprint. „100 Prozent Clean Energy ist nicht möglich“. Auch bei Bechtle setzt man gezielt auf die Reduzierung von CO2-Emissionen durch das so genannte „Retirement“, also das Abschalten von Alt-Systemen und den Ersatz durch neuere, energiesparendere Hardware. Doch auch die Produktion der neuen Computer erzeugt Treibhausgase. Lohnt sich der Austausch? Bechtle-Mann Schneider weiß eine Antwort: „Wir erstellen eine Potenzialanalyse über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Dort fließen alle Faktoren ein, und am Ende sind oft nicht nur CO2- sondern auch Kosteneinsparungen möglich.“

Als größtes Problem sehen Experten neben der Vermeidung von Treibhausgasen die sichere und in der Unternehmenspraxis auch handhabbare Dokumentation von CO2Emissionen. Bei Bechtle kümmert sich ein dreiköpfiges Team um die Zusammenführung der Daten für den Nachhaltigkeitsbericht. Dazu setzt das IT-Systemhaus das Tool WeSustain ein, in dem jeder Mitarbeiter sehen kann, wo sein Sektor gerade steht. Durch diese Transparenz werden auch Mitarbeiter motiviert, an der Datenerfassung mitzuwirken. „Rund 100 engagierte Kollegen aus allen Niederlassungen helfen uns dabei“, berichtet Schneider. So kann das Systemhaus heute CO2-Emissionen auf einzelne Produkte herunterrechnen, steht mit Herstellern im Austausch, um Komponenten über ihren Life Cycle zu bewerten. Bei Bechtle ist das CO2-Reporting eine Dienstleistung, die immer häufiger auch Teil von Kundenprojekten ist.

Ionos hat als Teil des United-Internet-Konzerns noch keinen eigenen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Nach Abschluss des Börsenganges dürfte sich das aber ändern. Vor allem Investoren wollen über eventuell schlummernde Unternehmensrisiken informiert sein, weiß Sanghera: „Nachhaltigkeit ist für Investoren in erster Linie eine Frage der Risikominimierung und der Wertschöpfung.“

Häufig gleichen Unternehmen ihre Klimabilanz lediglich auf dem Papier aus, indem sie Kompensationszahlungen an Projekte leisten, die etwa über Aufforstung von Waldflächen eine CO2-Reduzierung versprechen. Sowohl der NachhaltigkeitsExperte von Ionos als auch sein Amtskollege bei Bechtle stehen diesem Konzept kritisch gegenüber. Bei Ionos schaut man sich CO2-Kompensationsprojekte sehr genau an und teilt sie in verschiedene Qualitätsstufen ein. Grundsätzlich gilt bei dem Hosting & Cloud Provider aus Montabaur die Devise: Kompensiert werden nur Emissionen, die absolut nicht zu vermeiden sind.

Bei Bechtle hat Schneider einen Kriterienkatalog definiert, nach dem Nachhaltigkeits-Aussagen bewertet werden. „Wir sind sehr darauf bedacht, nicht auf einer Greenwashing-Liste zu landen, von der man im Zweifel nie wieder herunterkommt.“

Mehr Nachhaltigkeit: https://voge.ly/vglKrgM/

Autor: Frank Kemper

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