Ausgabe 07/2020 München

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Klimagerechtigkeit: Was bedeutet das? Unser Schwerpunktthema in dieser ArrivalNews-Ausgabe

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AUSGABE MĂœNCHEN JULI/2020

George Floyd und struktureller Rassismus TEXT OLIVER ZILLIG + ANJA SCHMIDT

Am 25. Mai 2020 starb der Schwarze US-Amerikaner George Floyd während einer Polizeikontrolle. Die 4 weiĂ&#x;en Polizisten wurden vom Polizeidienst ausgeschlossen. Zuerst wurde keine Anzeige gegen die 4 Beamten erstattet. Keiner von ihnen wurde festgenommen. Die Polizeikontrolle ZXUGH JHÄ OPW 'DV 9LGHR ZXUGH DXI der ganzen Welt millionenfach gesehen. Am 26. Mai begann eine Reihe von Protesten, die bis heute anhält. Die Protestierenden fordern Gerechtigkeit fĂźr George Floyd. Und sie fordern massive Reformen der US-amerikanischen SicherheitsbehĂśrden.

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assismus und Gewalt haben eine lange Geschichte in den USA. Die groĂ&#x;en landwirtschaftlichen Flächen brauchten viele billige Arbeitskräfte. DafĂźr wurden Schwarze Menschen aus Afrika entfĂźhrt und versklavt. Erst in den 1960ern schafften es Schwarze BĂźrgerrechtsaktivist*innen wie Martin Luther King, Rosa Parks und viele andere, Schwarze Menschen vor dem Gesetz gleichzustellen. Rassismus wurde damit aber nicht abgeschafft. Schwarze Menschen sind in den USA einer Vielzahl von Diskriminierungen ausgesetzt. Eine davon ist, dass sie sehr YLHO KÂĽXÄ JHU YRQ GHU 3ROL]HL NRQWUROOLHUW verhaftet und getĂśtet werden. 2013 hat sich deswegen die Bewegung „Black Lives Matter“ gegrĂźndet: Die Aktivist*innen fordern, dass struktureller Rassismus abgeschafft wird. Warum demonstrieren die Menschen in den USA jetzt? Die strukturelle Diskriminierung zeigt sich besonders im Verlauf der aktuellen Coro-

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den nicht zur Anzeige gebracht. Die Bundeszentrale fĂźr Politische Bildung und Organisationen wie die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland warnen schon ODQJH YRU 5DFLDO 3URÄ OLQJ LQ 'HXWVFKODQG 5DFLDO 3URÄ OLQJ LVW HLQH SROL]HLOLFKH 3UD[LV die Menschen aufgrund äuĂ&#x;erer Merkmale zum Ziel von Polizeikontrollen macht. Diese Form der Diskriminierung ist durch das deutsche Grundgesetz verboten. Dennoch wird von Seiten der Polizei und Justiz wenig dagegen unternommen.

na-Pandemie deutlich. Im Verhältnis stecken sich viel mehr Schwarze Menschen mit dem Coronavirus an als weiĂ&#x;e. Auch die Todeszahlen sind deutlich hĂśher. Auch die Arbeitslosigkeit unter der Schwarzen BevĂślkerung stieg deutlich mehr an, als unter der weiĂ&#x;en BevĂślkerung. Bei der Durchsetzung von Hygienevorschriften hat sich die polizeiliche WillkĂźr hier stark gezeigt. Als weiĂ&#x;e Menschen die Regeln nicht einhielten, hat die Polizei Mund-Nasen-Masken verteilt. Als Schwarze Menschen die Regeln nicht einhielten, wurden sie verhaftet. Und dann sahen die Menschen das Video mit der TĂśtung von George Floyd. Die Demonstrierenden sahen in den aktuellen Ereignissen nur die Spitze eines 500-jährigen rassistischen Systems. Sie fĂźhlten: Sie mĂźssen handeln, sonst ändert sich nichts.

Wie verläuft die Diskussion in Deutschland? Viele weiĂ&#x;e Politiker*innen denken: Wir haben einen gesellschaftlichen Konsens, dass Rassismus schlecht ist. Aber viele Dinge, die in dieser Diskussion selbstverständlich sein sollten, sind es oft nicht. Die strukturelle Dimension von Rassismus wird zum Beispiel nicht anerkannt. Saskia Esken (SPD) wurde scharf kritisiert, als sie sagte, dass es strukturellen Rassismus in der deutschen Polizei gäbe. Andere Politiker*innen und Vertreter*innen der Polizei sagten, rassistische Gewalttaten seien nur Einzelfälle. Dieses Leugnen von strukturellem Rassismus in der Polizei kritisieren viele Aktivist*innen. Denn dieses Verständnis von Rassismus ist gefährlich. Die Autorin und Anti-Rassismus Trainerin Tupoka Ogette sagt: Rassismus ist eine Denkstruktur, die jeder Mensch in Deutschland gelernt hat. Wir mĂźssen das akzeptieren und nicht mehr von Einzelfällen sprechen.

Was hat das mit Deutschland zu tun? Menschen auf der ganzen Welt haben sich mit den Demonstrierenden in den USA solidarisiert. Auch in Deutschland sind zehntausende Menschen auf die StraĂ&#x;e gegangen. Die Botschaft: Auch hier gibt es strukturellen Rassismus. Die Anschläge in Halle und Hanau, der Mord an LĂźbcke sind erst ein paar Monate her. Das sind schreckliche Verbrechen. Und es sind Symptome eines strukturellen Rassismus. Rassismus in den USA und Rassismus in Deutschland sind sehr unterschiedlich. Auch Deutschland hat sich im 16. Jahrhundert am Sklavenhandel beteiligt. Das hat Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen.

Es gibt Grund zur Hoffnung. Angela Merkel thematisiert Rassismus von sich aus. In Ihren Aussagen akzeptiert sie teilweise die strukturelle Dimension von Rassismus. Vielleicht sind wir also bald soweit zu sagen: Unsere Polizei hat ein strukturelles Rassismusproblem. Denn nur wenn man ein Problem anerkennt, kann man etwas dagegen tun.

Auch in Deutschland gibt es rechtswidrige Polizeigewalt. Prof. Dr. Tobias Singelnstein leitet ein Forschungsprojekt, um diese zu untersuchen. In seinem aktuellen Zwischenbericht sagt er, dass die Dunkelziffer hier sehr groĂ&#x; ist. Die meisten Fälle wer-

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Info zu den Begriffen Schwarz und weiĂ&#x;: Wir schreiben Schwarz in diesem Artikel groĂ&#x;. Es ist kein Adjektiv und keine Hautfarbe, sondern ein konstruierter Begriff, eine Selbstbezeichnung. Schwarz-sein ist mit der Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen und DGJCPFGNV \W YGTFGP ÇĄ

weiĂ&#x; wird klein und kursiv geschrieben. Auch das ist ein konstruierter Begriff. WeiĂ&#x; ist keine Selbstbezeichnung. Es meint keine Farbe, sondern die Privilegien, die weiĂ&#x;e Menschen haben.

massiv

robust, stabil, aus festem Material

entfĂźhrt

gewaltsam wegbringen

die Diskriminierung

Benachteiligung, Unterscheidung

strukturell

in den Strukturen einer Gesellschaft verankert

im Verhältnis

im Vergleich

die Durchsetzung

Verwirklichung, Umsetzung

rechtswidrig

gegen das Gesetz

äuĂ&#x;ere Merkmale

eine sichtbare Eigenschaft, z. B. Augenfarbe, KĂśrpergrĂśĂ&#x;e

der Konsens

die gleiche Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage

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