Ausgabe 04/2020 München

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LEBEN

Alleinerziehend TEXT MARGAUX METZE

F

amilien sind ganz unterschiedlich. Viele Eltern in Deutschland sind ein Paar, einige davon auch verheiratet. Doch nicht jede Beziehung hält. Viele Kinder wachsen bei einem Elternteil auf. Wenn Eltern getrennt leben, betreut grĂśĂ&#x;tenteils ein Elternteil das Kind – oder beide teilen sich die Erziehung auf. Meine Mutter war alleinerziehend. Das bedeutet, sie hat mit mir allein in einem Haushalt gelebt. Sie war allein fĂźr meine Erziehung verantwortlich. Meine Mutter hat immer Vollzeit gearbeitet. Wenn sie gearbeitet hat, war ich bei einer Tagesmutter. Später im Kindergarten, dann in der Schule. Danach wieder bis abends bei der Tagesmutter. Unser Alltag hat gut funktioniert. AuĂ&#x;er irgendwas hat nicht so geklappt, wie meine Mutter es geplant hat. Dann war sie gestresst und manchmal Ăźberfordert. Ich erinnere mich, dass sie manchmal sehr erschĂśpft war. Meistens sind wir mit dem Geld gut zurechtgekommen. In den Sommerferien war ich oft drei Wochen mit einer Jugendfreizeit im Urlaub. Ohne meine Mutter, denn sie musste arbeiten. Wir waren zufrieden. Meine Mutter hat gut verdient und musste nur wenig Miete bezahlen. Es waren die 90er Jahre. Meine Mutter sagt, dass unsere Situation nicht die Regel war. Viele Alleinerziehende hatten mehr Probleme. Jetzt bin ich 34 und einige meiner Freund*innen haben Kinder. Ich merke, wie gestresst sie manchmal sind. Obwohl die meisten von ihnen nicht alleine sind. Sie leben in einer Beziehung, manche sind verheiratet. Sie erzählen davon, wie viel es zu organisieren gibt: Arzttermine, Elternsprechtage, Hausaufgaben, der eigene Job und, und, und‌ Es bleibt wenig Zeit fĂźr Freizeit. Das ist schon fĂźr Paare sehr anstrengend. Alleinerziehende mĂźssen das meistens alles allein organisieren. Auch eine Freundin von mir ist alleinerziehend. Sie lebt mit ihrem Sohn in KĂśln. Sie arbeitet Vollzeit. Sie wĂźrde aber lieber weniger arbeiten, um ihren Sohn mehr zu sehen. Fast jedes fĂźnfte Kind in Deutschland lebt bei einem Elternteil In Deutschland gibt es 8 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. Davon sind ca. 1,5 Millionen alleinerziehend. Also MĂźtter oder Väter, die allein mit ihren Kindern im Haushalt leben. Von den 13 Millionen Kindern unter 18 Jahren leben inzwischen fast 2,5 Millionen bei einem Elternteil. Also fast jedes 5. Kind. In 9 von 10 Fällen sind die Alleinerziehenden Frauen. Dabei gibt es viele Herausforderungen fĂźr alleinerziehende Eltern. Zum Beispiel das Familienleben und den Beruf miteinander zu vereinbaren. Viele haben keine oder wenig UnterstĂźtzung durch den anderen Elternteil. Dann ist man auf die Hilfe von GroĂ&#x;eltern oder Freund*innen angewiesen. Aber die leben auch nicht immer in der Nähe und haben Zeit. „Manchmal passt meine Nachbarin auf meinen Sohn auf“, erzählt meine Freundin. „Dann treffe ich mich mit Freund*innen oder gehe zum Sport.“

Geld, Zeit, Betreuung der Kinder – das sind Herausforderungen. Aber nicht nur die. Fast 70 % der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren sind berufstätig. Viele, die nicht erwerbstätig sind, wĂźrden gerne arbeiten. Fast 38 % der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern benĂśtigen staatliche Leistungen vom JobCenter. Sie und ihre Familien sind besonders armutsgefährdet. Denn die meisten Ausgaben fallen genauso an, wie bei einer Familie mit zwei Elternteilen: Miete, Strom, Internet, Essen etc. Aber es gibt eben nur eine Person, die Geld verdient. AuĂ&#x;erdem sind Alleinerziehende meistens weiblich. Und Frauen verdienen meistens weniger Geld als Männer. Man kann also sagen, dass es Alleinerziehenden Ä QDQ]LHOO IDVW LPPHU VFKOHFKWHU JHKW DOV )DPLOLHQ PLW zwei Elternteilen. „Vor allem unerwartete Ausgaben sind oft ein groĂ&#x;es Problem“, erzählt meine Freundin. Eine defekte Waschmaschine oder eine MieterhĂśhung zum Beispiel. Eine Urlaubsreise kĂśnnen sich viele nicht leisten. Das gilt natĂźrlich nicht nur fĂźr Alleinerziehende. FĂźr alle Menschen, die wenig verdienen, sind unerwartete Ausgaben ein Problem. Der Elternteil, der nicht mit in der Familie lebt, muss Unterhalt fĂźr das Kind zahlen. Die HĂśhe des Unterhalts richtet sich nach dem Nettoeinkommen des Elternteils, der nicht mit im Haushalt lebt. Das wollen oder kĂśnnen aber nicht alle Elternteile zahlen. Wenn das der Fall ist, kann man Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt beantragen. Ein Vollzeitjob ist DOVR PHLVWHQV Q¡WLJ XP Ä QDQ]LHOO ]XUHFKW ]X NRPPHQ Aber die Arbeits- und Betreuungszeiten sind schwer zu vereinbaren. Die Betreuung durch KiTa und Schule ist oft nur bis nachmittags abgedeckt. Viele Menschen arbeiten aber im Schichtdienst, im Einzelhandel oder kĂśnnen bei einer Vollzeitstelle nicht immer um 16:00 Uhr Feierabend machen. Das ist schon fĂźr Paare mit Kindern nicht einfach zu organisieren. Wenn man dann aber niemanden hat, der das Kind von der KiTa abholt – keine*n Partner*in, GroĂ&#x;eltern oder Freunde – wird es schwierig. Dazu kommt, dass es generell zu wenig KiTa-Plätze gibt. Wenn das Kind nicht betreut ist, kann eine alleinerziehende Person auch nicht arbeiten. Ein Platz in der KiTa ist nicht Ăźberall in Deutschland kostenfrei.

Eltern fordern mehr Entlastung fĂźr Alleinerziehende: mehr Kitaplätze mit längeren Ă–ffnungszeiten, Mittagessen und Hausaufgabenhilfe in der Schule. Sozialleistungen wie z. B. das Wohngeld, das Kindergeld oder die Grundsicherung (Hartz 4 / ALG II) sind eine Hilfe fĂźr Alleinerziehende und ihre Kinder. Beratung VAMV Der Verband alleinerziehender MĂźtter und Väter (VAMV) berät in unterschiedlichen Landesverbänden zu den Themen Trennung und Leistungen fĂźr Alleinerziehende. www.vamv.de

der Elternteil, -e

Vater oder Mutter

die Erziehung

Sorge fĂźr die eigenen Kinder und UnterstĂźtzung bei ihrer Entwicklung, bis sie erwachsen sind

die Tagesmutter, TagesmĂźtter

Frau, die gegen Bezahlung auf die Kinder berufstätiger Eltern aufpasst

erschĂśpft

sehr mĂźde, kraftlos

die Jugendfreizeit, -en

Ferienangebot fßr Jugendliche mit verschiedenen Aktivitäten und Betreuung

der Elternsprechtag, -e Tag, an dem Eltern in der Schule mit den Lehrer*innen ihrer Kinder ßber deren Verhalten und Leistungen sprechen kÜnnen minderjährig

jßnger als 18 Jahre; Gegenteil: volljährig

erwerbstätig

berufstätig, eine Arbeit habend

armutsgefährdet

in Gefahr, in Armut zu leben

unerwartet

plĂśtzlich, nicht geplant

defekt

kaputt

die Betreuungszeit, -en Uhrzeiten, zu denen Kinder in der KiTa oder Schule sind der Feierabend, -e

das Ende des Arbeitstages

den Schalter umlegen

hier: von einer Rolle in die anderen wechseln; schnell und klar zwischen zwei Dingen trennen kĂśnnen

Unterhaltsvorschuss Unterhaltsvorschuss ist eine besondere Hilfe fĂźr Kinder unter 18 Jahren von Alleinerziehenden. Alleinerziehende, die fĂźr ihr Kind keinen oder nicht regelmäĂ&#x;ig Unterhalt erhalten, kĂśnnen Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt beantragen: fĂźr Kinder von 0 bis 5 Jahren bis zu 165 Euro, fĂźr Kinder von 6 bis 11 Jahren bis zu 220 Euro, fĂźr Kinder von 12 bis 17 Jahren bis zu 293 Euro.

Freizeit, was ist das? Die Organisation von Arbeit und Betreuung nimmt viel Zeit in Anspruch. Dann mĂśchte man Zeit mit seinem Kind verbringen. Wieviel Zeit bleibt da noch fĂźr eigene Interessen? „Nicht viel“, sagt meine Freundin. „Ein*e Babysitter*in kostet Geld. Da lautet meine Frage meistens: Kann ich mein Kind mitbringen?“ Meine Mutter erzählt: „Wenn das Kind älter wird und sich selbst verabredet, bleibt wieder mehr Zeit fĂźr die eigenen Interessen.“ Was ist noch schwierig als Alleinerziehende*r? Meine Mutter antwortet: „Alle Entscheidungen alleine zu treffen. FĂźr alles allein die Verantwortung zu tragen, war nicht einfach.“ Meine Freundin antwortet: „Zwei Elternteile in einem sein, das ist schwer. In einem Streit muss ich manchmal streng sein und schimpfen. Im nächsten Moment muss ich mein Kind trĂśsten. FĂźr mich ist es manchmal schwierig, den Schalter umzulegen.“ -3-

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